Den Krieg vom Ende her denken
Andreas Heinemann-Grüder, 3.3.2025
Die USA haben die Unterstützung der Ukraine und die transatlantische Wertegemeinschaft aufgekündigt und sind bereit, sich in imperialer Manier mit dem Aggressor Putin zu einigen. Von Reparationen, von Völkermord oder der territorialen Unversehrtheit ist keine Rede mehr. Ob ein Deal zwischen Trump und Putin zustande kommt, ist nicht sicher. Auch Russland ist zudem geschwächt. Gelingt ein Trump-Putin-Deal aber, besteht das größte Risiko darin zu glauben, dass ein Waffenstillstand dauerhaften Frieden bringt und in der Folge die Unterstützung der Amerikaner und Europäer einbricht. Die ukrainische Abschreckungsfähigkeit muss gesichert werden – und das geht auch ohne eine NATO-Mitgliedschaft. Europa und ganz besonders Deutschland kommt dabei eine Führungsrolle zu. Stattdessen bahnt sich eine gefährliche „Germany First“-Politik an.
US-Präsident Trump hofiert Russlands Präsidenten Vladimir Putin und verunglimpft zugleich den ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelens’kyj als “Diktator”. Nun hat er ihn auch noch mehr oder weniger aus dem Weißen Haus geschmissen. US-Vizepräsident J.D. Vance hält die Eindämmung von Rechtspopulisten für die größte Gefährdung der Demokratie. US-Außenminister Marco Rubio hat in Riad mit dem russländischen Außenminister Sergej Lavrov die Grundzüge eines Deals vereinbart – ohne die Ukraine. Drei Jahre nach Kriegsbeginn sind die Signale unmissverständlich: Die USA kündigen die Unterstützung der Ukraine auf und sind bereit, sich in imperialer Manier mit dem Aggressor Putin zu einigen.
Die Ukraine dürfe nicht Mitglied der NATO werden, die von Moskau besetzten Gebiete bleiben bei Russland, und Europa soll künftig für die Sicherheit der Ukraine verantwortlich zeichnen. Von Reparationen, von Völkermord, einem Kriegsverbrechertribunal, der territorialen Unversehrtheit oder dem Recht auf Rückkehr ist schon nicht mehr die Rede. Für Trump ist der Krieg ein Geschäft. Sollte Kiew den USA keine Seltenen Erden liefern, soll die US-Administration mit der Abschaltung von Starlink gedroht haben. Elon Musk dementiert bisher.
Trump kündigt faktisch die transatlantische Wertegemeinschaft auf. Wollten die Russen früher Europa gegen die USA in Stellung bringen, finden sie in Trump nun einen Verbündeten. Das Wehklagen darüber in europäischen Hauptstädten ist freilich wohlfeil, denn die Ukraine sollte de facto nie ertüchtigt werden, von Russland besetzte Gebiete zurückzuerobern. Putins Krieg sollte nur verlangsamt werden. Die Reichweitenbeschränkung bei Raketen für die Ukraine und die zögerliche Lieferung schwerer Waffen durch die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz garantierte stets die Ungleichheit der Waffen zu Putins Gunsten.
Die Ukraine – bedrängt, aber nicht verzweifelt
Die Ukrainer sind realistisch, aber nicht verzweifelt. Die Fortschritte der Russen sind seit Sommer 2022 überschaubar, und der Preis, den die sie dafür zahlen, ist enorm. Russlands Schwarzmeerflotte es nicht mehr kriegsbeteiligt, russländische Flugzeuge dringen kaum mehr in den ukrainischen Luftraum ein. Russlands Kriegskasse reicht noch für ein, zwei Jahre. Militärisch ist die Ukraine in bedrängter Lage. Sie muss die Front flexibel begradigen, die eigenen Soldaten schützen, Drohnen und weitreichende Raketen einsetzen und hinter die feindlichen Linien kommen. Die Ukraine hat eigene Raketen entwickelt, die bisher allerdings nicht hinreichend treffgenau sind. Ein schmerzliches Problem ist das dezimierte Offizierskorps. Schon seit einiger Zeit wird nicht mehr von Rückeroberung gesprochen, unpopuläre Zugeständnisse sind unvermeidlich.
Ob ein Deal zwischen Trump und Putin zustande kommt, ist mitnichten sicher. Die Liste amerikanischen Scheiterns – Afghanistan als jüngstes Beispiel – ist lang. Die Ukraine ist auch kein Befehlsempfänger der USA, wie nicht zuletzt der Eklat im Weißen Haus am Freitag zeigte. Das größte Risiko eines Deals zwischen Trump und Putin besteht darin, dass infolge eines Waffenstillstandes der Frieden vermeintlich ausgebrochen ist und die Unterstützung nicht nur der Amerikaner, sondern auch der Europäer einbricht. Russland könnte die Atempause zur Regeneration nutzen, wieder aufrüsten und später versuchen, sich doch noch die gesamte Ukraine einzuverleiben.
Gespaltenes Europa
Sind die Europäer unter dem Druck von Moskau und Washington bereit, gemeinsam zu handeln? Europa ist gespalten zwischen unbeirrbaren Atlantizisten, den „Gaullisten“, die strategische Autonomie und eigene Atomwaffen fordern, der „Ohne mich“-Fraktion und den Putinisten à la Viktor Orbán, Robert Fico und Sahra Wagenknecht. Die von den USA geforderten Sicherheitsgarantien für die Ukraine würden bedeuten, dass europäische Länder fähig und willig sind, eine 40 bis 50 Kilometer breite Pufferzone links und rechts der „Kontaktlinie“ zu entmilitarisieren, dies zu überwachen, mögliche Verletzungen mit schwerer Bewaffnung und eigener Lufthoheit abzuschrecken und gegebenenfalls gegenüber russländischen und ukrainischen Militärs durchzusetzen. Die Zahlen für die dafür erforderlich gehaltenen Truppen schwanken zwischen 200 000 und 40.000 Soldaten, die mutmaßlich jahrzehntelang im Einsatz wären.
Gefährliche „Germany First“-Politik
Gleichzeitig erleben wir nicht nur eine „America First“-, sondern auch eine „Germany First“-Politik. Wenn die NATO nicht bereit ist, die Ukraine zu verteidigen und in den vergangenen drei Jahren die Vermeidung eines direkten militärischen Konfliktes mit Russland oberste Priorität genoss, warum sollten europäische Staaten jetzt dazu bereit sein? Zumal, wenn im Ernstfall jeder den Selbstschutz vor den Schutz der Ukraine stellen würde?
Deutschland wird die finanzielle Unterstützung der Ukraine sukzessive herunterfahren, in diesem Jahr bereits um die Hälfte gegenüber dem Jahr 2024. Im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt rangiert Deutschland ohnehin nur auf Platz 16 der Unterstützer der Ukraine. Politiker am linken und rechten Rand frohlocken: endlich wird mit Putin verhandelt. Den Preis eines schmutzigen Friedens müssen sie allerdings nicht selbst zahlen. Und warum sollte er ohne militärische Unterstützung der Ukraine halten? Mancher betroffene Politiker dürfte hoffen, die Schuld für einen schmutzigen Frieden Trump zuschieben zu können.
Aufgaben einer Koalition der Willigen
Aber was könnte eine Koalition der Willigen in Europa tun, einschließlich Deutschlands mit neuer Bundesregierung? Die Rüstungsproduktion in der Ukraine sollte entscheidend durch bilaterale und multilaterale Partnerschaften gestärkt werden. Die SPD-geführte Regierung hatte die Reichweiten der gelieferten Raketen bisher beschränkt, Kanzler Merz sollte den Taurus liefern und dem Beispiel von Frankreich und Großbritannien folgen. Der neue EU-Verteidigungskommissar, Andrius Kubilius, will im März den Investitionsbedarf der EU-Mitgliedsstaaten für die künftige Rüstung beziffern. Die ukrainischen Truppen an der Front könnten durch Stationierung europäischer Truppen im Westen des Landes und an der Grenze zu Belarus entlastet werden. Maßgeblich ist aber die Stärkung der ukrainischen Verteidigungsindustrie, insbesondere im Bereich von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen, der Steuerung von Raketen und der Munition. Südkorea und die Türkei könnten einige der Lücken füllen, die durch verringerte Lieferungen aus den USA entstehen.
Wir können nicht mehr im Geleitzug der Amerikaner fahren, sondern müssen Gegengewichte aufbauen, und zwar mit einer neuen Sicherheitsstrategie, die im Unterschied zum zahnlosen Dokument von 2023 diesen Namen verdient. Wir müssen erneut über ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten und ein Kerneuropa nachdenken, in dem Deutschland eine Führungsrolle einnimmt. Will Deutschland nicht unter dem Druck von Putinisten, Pazifisten und Atlantizisten zur Handlungsunfähigkeit verdammt sein, muss es sich ins Lager der „Gaullisten“ schlagen. Abwarten heißt die Parole jener, die letztlich doch keine Verantwortung übernehmen wollen.
Ein realistisches Ziel ist die Verwandlung des intensiven Krieges in einen Konflikt geringerer Intensivität, so wie zwischen 2014/15 und 2022. Das wäre kein Frieden. Aber die Verwaltung des Elends darf nicht erneut in eine zahnlose Beobachtermission münden, die Verletzungen des Waffenstillstandes nur für das Archiv dokumentiert. Die letztlich allein ernst zu nehmende Sicherheitsgarantie für die Ukraine – wenn schon ohne NATO-Mitgliedschaft – ist eine dauerhafte Sicherung der ukrainischen Abschreckungsfähigkeit.