Der Beginn informeller Friedensgespräche
Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 152. Kriegswoche
Nikolaj Mitrokhin, 7.2.2025
Von den USA vermittelte Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland haben begonnen. Für US-Präsident Donald Trump scheinen sie aber keine besonders hohe Priorität zu haben. Vorkommen Seltener Erden in der Ukraine könnten sein Interesse steigern. Der Abzug der Nordkoreaner könnte ein erstes Entgegenkommen Moskaus sein. Zelens’kyj sieht als Grundlage für ein Kriegsende die Bereitstellung von Atomwaffen. Im Nordosten des Gebiets Charkiv geraten zwei weitere größere Städte perspektivisch ins Visier der Besatzer. In Kursk wirft Russland Bomben auf ein Internat. Es gibt neue Indizien zu den Opferzahlen auf beiden Seiten. In weiten Teilen herrscht eine Art “Kampfpause”, dafür schickt Moskau Esel an die Front.
In der Mitte der vergangenen Woche bestätigten Kiew und Moskau, dass informelle Friedensgespräche begonnen haben. Der ukrainische Präsident Volodymyr Zelens’kyj kündigte die baldige Ankunft von US-Unterhändlern und die Entsendung von Mitgliedern seines Teams für Konsultationen an. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskov hatte Kontakte zwar lange dementiert, bestätigte sie nun aber ebenfalls. Möglicherweise wurden bereits erste vorläufige, nicht öffentliche Gespräche zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Vladimir Putin sowie Trump und Zelens’kyj geführt. Ein ukrainisch-russländischer Frieden scheint für Trump aber im Vergleich zu anderen außenpolitischen Initiativen nachrangig zu sein. Er forciert die Abschiebung von Migranten aus lateinamerikanischen Staaten und die Aufnahme durch deren Regierungen. Er macht Druck auf Mexiko und Kanada, ihre Grenzen stärker zu kontrollieren und provoziert einen Konflikt mit Dänemark um Grönland. Und er hat einen ungestümen Plan für den Gazastreifen vorgelegt. Diese Vorhaben scheinen für ihn von größerem Interesse als der komplexe und geografisch weit entfernte Krieg zwischen Kiew und Moskau. Verschiedene Quellen gehen von einem öffentlichen Beginn der Konsultationen im Laufe des Februars aus. Ob es tatsächlich so kommt, ist aber unklar.
Eine Rolle könnte auch Trumps Forderung spielen, dass Kiew weitere US-Waffen nur im Tausch gegen Seltene Erden aus der Ukraine erhalten soll. Diese Idee steigert immerhin Trumps Interesse an der Ukraine. Auch eine auf einen solchen Deal folgende größere Präsenz von US-Unternehmen in der Ukraine könnte eine Art Schutzschild für Kiew werden. Experten äußern derweil Zweifel, ob sich ein Abbau für USA kommerziell lohnt. Der größte Anreiz für Verhandlungen dürfte für Washington die Beendigung der finanziellen Unterstützung des Landes sein. Eine Untersuchung der Aktivitäten von United States Agency for International Development hat ergeben, dass die Ukraine in den vergangenen Jahren allein über diese Entwicklungsbehörde USAID mehr als 20 Milliarden Dollar erhalten hat. Die Gelder wurden hauptsächlich für die makroökonomische Stabilisierung des Landes verwendet.
Zelens’kyj sieht als Grundlage für ein Kriegsende die Bereitstellung von Atomwaffen. Nur so könne sich sein Land gegen Russland verteidigen. Was die Lage auf dem Schlachtfeld betrifft, ist er realistischer geworden: Er verspricht nicht mehr die vollständige Befreiung des Landes mit militärischen Mitteln, da er weiß, dass dies Millionen von ukrainischen Menschenleben kosten würde.
Die Lage an der Front
Die Lage an der Front wird in erster Linie von den Wetterbedingungen bestimmt. Der russländische Militärkorrespondent Alexandr Sladkov schrieb am 4. Februar vom Frontabschnitt Dnipro: „Wir haben eine 'Kampfpause' auf dem gesamten Abschnitt der [russländischen] Gruppierung Dnepr (450 Kilometer). Es gibt einen Austausch von Artillerieschlägen, Aufklärung-Aktivitäten, (…) aber keine Offensivaktivitäten auf beiden Seiten. Die Gruppen Centr, Sever, Vostok und Jug sind offensiver. (…) Der Winter ist absolut matschig, es gibt keine gefrorenen Felder. Autos (…) bleiben im Schlamm stecken.(…) Tagsüber ist es neblig, mitunter herrscht starker Schneefall, das macht es für die Hubschrauber schwer zu fliegen.“
Dies könnte der Grund sein, warum in der vergangenen Woche auf mehreren Videos Esel zu sehen waren. Möglicherweise werden sie in den Stellungen als Transportmittel genutzt. Die Besatzer haben verschiedene Methoden getestet, um die Einheiten an der Front trotz des Schlammes zu versorgen. Zunächst setzten sie auf gepanzerte Mannschaftstransporter, Schützenpanzer und Mehrzweckgeländewagen Tigr. Später nutzten sie gepanzerte, amphibische Truppentransporter vom Typ Motolyga, dann UAZ-Kleintransporter der Typen Ural und Buchanka mit provisorischer Verstärkung durch Baumstämme oder Reifen. Auch chinesische Golfbuggys und Quads, Motorräder, alte Žigulis und Moskvičis mit abgeschnittenen Dächern kamen zum Einsatz. Und jetzt werden sogar Esel eingesetzt, die Karren durch den Dreck ziehen sollen. Sie wurden offenbar im Nordkaukasus mobilisiert.
Der bemerkenswerteste Vorstoß der Okkupationsarmee in der vergangenen Woche fand westlich von Kurachove statt. Hier hat sich für die ukrainischen Einheiten ein recht tiefer und gefährlicher „Kessel“ gebildet. Er beginnt südwestlich der Stadt und erstreckt sich über 15 Kilometer nach Westen. Die Breite der Tasche beträgt nicht mehr als fünf bis sieben Kilometer. Die dort verteidigende ukrainische Brigade kann jederzeit umzingelt werden. Allerdings sind die ukrainischen Truppen immer wieder aus solchen „Kesseln“ herausgekommen.
In der benachbarten Kleinstadt Velyka Novosilka sind Russlands Truppen nach Angaben der ukrainischen Seite in einen “Feuersack“ geraten. Gemeint ist, dass sich die ukrainischen Streitkräfte in den Hügeln nordwestlich des Dorfes hinter dem Fluss Mokrye Jaly verschanzt haben und Moskaus Kolonnen beschießen, die dorthin vorgedrungen sind. Am vergangenen Wochenende wurde ein Video ins Netz gestellt, auf dem zu sehen ist, wie einer dieser Konvoi einem Volltreffer nur knapp entgeht. Im Ballungsgebiet von Pokrovs’k, Mirnohrad und dem Dorf Nowoekonomične setzt sich die langsame Einkreisung von Süden und Norden her fort. Es bleibt lediglich eine Route westlich der Agglomeration offen, die die Besatzer beim derzeitigen Tempo der Offensive nicht vor Ende Februar unter Feuerkontrolle nehmen können. In Torec’k wird am nordöstlichen Stadtrand weiter gekämpft. In Časiv Jar sind die russländischen Prognosen über die bevorstehende Kapitulation der Stadt nicht wahr geworden. Dies zeigen nun detailliertere Berichte auch von russländischer Seite. Zwar seien der nördliche Teil und der wichtigste Verteidigungspunkt der Stadt bereits eingenommen, der größte Teil von Časiv Jar, einschließlich des Zentrums, allerdings noch nicht. Die Angriffe der im Südosten der Stadt vorrückenden Besatzertruppe hätten noch zu keinem nennenswerten Vorstoß geführt.
Nördlich von Kupjans’k, im Nordosten des Gebiets Charkiv, spielen sich wichtige Ereignisse ab. Nachdem die Einheit der Okkupanten zunächst zwei kleine Brückenköpfe am Westufer des Flusses Oskil eingenommen hat, hat sie nun mehrere Dörfer erobert. Dies bedroht perspektivisch auch Lyman und Izjum. Zwischen diesen beiden Städten und der jetzigen Frontline liegt ein riesiges Waldgebiet, das von der ukrainischen Armee im Herbst 2022 zurückerobert wurde. Damals war Kiew in diesem Gebiet zahlenmäßig im Vorteil. Jetzt aber ist es keineswegs sicher, dass die ukrainische Armee in ein paar Monaten, wenn das Laub der Bäume die vorrückenden russländischen Einheiten vor ukrainischen Drohnen schützt, in der Lage sein wird, ihre Positionen zu halten. Die Okkupanten bekräftigten ihre Absicht, das Gebiet ernsthaft ins Visier zu nehmen, indem sie am 4. Februar einen Raketenangriff auf die Stadtverwaltung von Izjum durchführen. Dabei sollen nach ukrainischen Angaben vier Menschen ums Leben gekommen sein, 55 seien verletzt worden, darunter zwei Kinder. Tatsächlich wurden kurz darauf mehrere ukrainische Einheiten genannt, die in dem Gebiet aufgefüllt wurden. Es gab auch Berichte über die Verlegung von Reserven und die Lieferung erheblicher Mengen an Treibstoff. In der Gegend von Volčans’k, wo schwere Kämpfe stattfinden, wurden ebenfalls ukrainische Truppen abgelöst, die dort in den vergangenen anderthalb bis zwei Monaten gekämpft hatten.
Die Lage im Gebiet Kursk
Im Gebiet Kursk fanden die wichtigsten Kämpfe um das Grenzdorf Sverdlikovo an der westlichen Seite der Öffnung der „Blasen“ statt. Bei Sverdlikovo befindet sich einer der Grenzübergänge, über den die Ukraine in das Gebiet Kursk eingedrungen war. Das Dorf wurde von den russländischen Truppen noch nicht vollständig zurückerobert. Vom östlichen Rand der „Blase“ aus erfolgte ein Angriff auf Kurilovka, südlich von Sudža. All den euphorischen Berichten des ukrainischen Militärs über die Vernichtung gegnerischer Truppen zum Trotz wird die Öffnung der Blase immer kleiner. Sie betrug einmal 35 Kilometer, jetzt sind es etwas mehr als 20. Bislang reicht das für den reibungslosen Truppenrückzug aus. Kritisch wird es, wenn sich der “Hals” auf drei bis vier Kilometer verengt.
Am 5. Februar präsentierten die ukrainischen Streitkräfte weitere 21 russländische Kriegsgefangener. Diese Gruppe wurde augenscheinlich bereits an einer Art Sammelpunkt zusammengestellt, da sich Soldaten aus mehreren Einheiten unter ihnen befanden (aus der 155., 177. und 810. Marineinfanteriebrigade, dem 234. Luftlande-Sturmregiment der 76. Luftlande-Sturmdivision und der 11. Luftlandesturmbrigade). Am 6. Januar wurde eine größere ukrainische Offensive auf den östlichen Teil der „Blase“ in der Nähe des Dorfes Čerkaskaja Konopel’ka bekannt, in das eine große Kolonne ukrainischer Streitkräfte mit etwa 400 Personen eingedrungen war. Russländischen Militärkorrespondenten zufolge soll ukrainische Ausrüstung durch Artillerieeinschläge und Drohnen zerstört worden sein.
Ende der vergangenen Woche wurde die Frage des Abzugs nordkoreanischer Einheiten von der Frontlinie diskutiert. Die gängige Erklärung aus ukrainischen Quellen, die auch von der internationalen Presse aufgegriffen wurde, lautete, dass die Nordkoreaner wegen der hohen Verluste abgezogen wurden. Die Verluste beliefen sich nach ukrainischen Angaben formal auf etwa 4000 Personen. Das ist nach den Maßstäben dieses Krieges nicht viel, zumal die Soldaten für Sturmangriffe vorgesehen waren. Laut einer am 4. Februar veröffentlichten Analyse der offiziellen Statistik des FSB sollen im Jahr 2024 mehr als 7800 Nordkoreaner zu Ausbildungszwecken in die Russische Föderation eingereist sein. Anfang 2024 studierten nur 130 nordkoreanische Bürger in Russland. Es ist davon auszugehen, dass das nordkoreanische Militär nicht mehr als 8000 Militärs entsandte – und keineswegs 12 000, wie der ukrainische und südkoreanische Geheimdienst glaubten. Somit wäre rund die Hälfte des Kontingents gefallen. Diese Verluste könnten die nordkoreanischen Behörden zu einer Reaktion veranlassen. Auffällig ist zudem, dass der Abzug der nordkoreanischen Soldaten von der Kampflinie mit dem beschriebenen Eingreifen von Trump zusammenfällt. Es ist möglich, dass der Rückzug der nordkoreanischen Soldaten ein erstes Entgegenkommen, eine erste Erfüllung einer „kleinen Bitte“ des amerikanischen Präsidenten ist. Dies sind allerdings nur Spekulationen.
Im Rahmen ihrer Offensive zerstört Russlands Armee alle mehr oder weniger bedeutenden Gebäude im von den ukrainischen Streitkräften kontrollierten Gebiet. Dazu gehört etwa das Internat in Sudža, das auch als Versammlungs- und Zufluchtsort für russländische Bürger mit eingeschränkter Mobilität dient. Sie suchten dort nicht nur Schutz vor Angriffen, sondern warteten auch auf ihre Evakuierung. Am 12. Januar hatte das Schulgebäude einen ersten russländischen Bombenangriff überstanden. Am 1. Februar folgte nun ein zweiter mit zwei Allzweck-Fliegerbomben vom Typ FAB. Dabei wurden sechs Menschen getötet und mehrere verwundet. Russlands Propaganda machte die ukrainischen Streitkräfte für den Angriff verantwortlich und behauptete, Kiew habe vier HIMARS-Raketen aus dem Gebiet Sumy abgeschossen. Dies mutet seltsam an: Erstens ist nicht klar, warum die ukrainische Armee besetzte Gebiete angreifen sollte. Zweitens haben vier HIMARS-Raketen eine enorme Zerstörungskraft, bei der von dem Internat nicht viel übrig geblieben wäre. Auch von den Berichten zufolge 107 Menschen, die zur Zeit des Angriffs im Internat Schutz suchten, hätte wohl höchstens die Hälfte überlebt. Unklar bliebe zudem, warum die Ukrainer diese Menschen überhaupt töten sollten, wo lebende Russen doch ein wertvolles Tauschobjekt sind. Deshalb erschießt die ukrainische Armee schließlich auch keine russländischen Gefangenen. Das ukrainische Militär legte den Medien Aufnahmen vor, auf denen die Bombardierung mit zwei FAB-Bomben, die von einem russländischen Flugzeug abgefeuert wurden, zu sehen sind.
Am 5. Februar fand der monatliche Austausch von Kriegsgefangenen statt. 150 Personen beider Seiten kehrten über Weißrussland in ihr Heimatland zurück.
“Untypische” Tote
Auf Telegram werden Dutzende von Videos, die mit Drohnen oder Soldatenhandys aufgenommen sind, veröffentlicht, die den Tod von Hunderten von Menschen pro Tag zeigen. Dabei handelt es sich zumeist um angeworbene Vertragssoldaten, die in „Sturmtrupps“ kämpfen, um Besatzungen gepanzerter Fahrzeuge, die in die Luft gesprengt wurden, um Fahrer von Fahrzeugen, die etwas an die Frontlinie liefern, und um ukrainische Soldaten, die ihre Stellungen an der Frontlinie verteidigen. In der vergangenen Woche kam es jedoch zu vielen „untypischen“ Toten. Der zunehmende Mangel an „normalen“ Frontkämpfern und technologische Fortschritte wirken sich aus.
So wurde etwa am 2. Februar der Tod des Vizegouverneurs von Primorje und des früheren Kommandeurs der Freiwilligeneinheit Tigr, Sergej Efremov, bekannt. Er zog im August 2024 erneut in den Krieg und starb, als er mit einem anderen Offizier von einem Kampfeinsatz zurückkehrte. Sein Fahrzeug traf auf eine Mine. Von solchen tödlichen Unfällen berichten Kriegsreporter immer wieder: Jeeps, die versuchen, Spurrillen auf aufgeweichten Landstraßen auszuweichen, fahren oft an den Straßenrand, wo ukrainische Panzerabwehrminen liegen. Für diejenigen, die in einem ungepanzerten Fahrzeug unterwegs sind, ist dies immer tödlich. Efremovs Tod zeigt die Gefahr, der sich korrupte russländische Regionalbeamte aussetzen, wenn sie sich sechs Monate bis ein Jahr einer von der Regionalverwaltung geschaffenen Freiwilligeneinheit anschließen, um der Strafverfolgung zu entgehen. Am 3. Februar bekannt, dass der Minister für Jugendangelegenheiten und soziale Kommunikation von Jakutien, Petr Šamaev, der im vergangenen Herbst einen Vertrag unterzeichnet hatte, „in der Zone der ‘Spezialoperation’“ schwer verletzt wurde. Ihm drohte seit 2023 ein Strafverfahren wegen Veruntreuung. Am selben Tag wurde gemeldet, dass Generalmajor a.D. Andrej Golovackij, ehemaliger stellvertretender Stabschef des Nordkaukasus-Kommandos des Innenministeriums, der in einem Fall von Bestechung von Untergebenen verurteilt worden war, im Krieg gestorben ist.
Am 5. Februar wurde bekannt, dass mindestens fünf Wehrpflichtig aus der Region Čeljabinsk bei Kämpfen in der Region Belgorod ums Leben gekommen sind. Dies geschah am 11. Januar als Folge des ukrainischen Artilleriebeschusses ihres Unterstandes. Die Soldaten wurden im Jahr 2024 eingezogen und nach nur zwei Wochen Ausbildung im Ural an die russländisch-ukrainische Grenze geschickt.
Hohe Opferzahlen auf beiden Seiten
Das Ausmaß der russländischen Verluste wird verschwiegen. Westliche Schätzungen beziffern die unwiederbringlichen Verluste auf eine Million Menschen. Auf Telegram häufen sich Videos von Friedhöfen, in denen man Reihen Hunderter typischer Bestattungen sieht. Sie zeigen indes nur jene Gräber von Gefallenen, bei denen Angehörige und Einberufungsorte feststehen.
Laut Mediazona wurden im Jahr 2024 bei den Gerichten 20 000 Eingaben eingereicht, um Menschen für vermisst oder tot zu erklären. Das sind zweieinhalbmal mehr als in den Vorjahren. Mehr als 6000 von ihnen stehen eindeutig mit dem Militär in Verbindung, wobei in den meisten Fällen keine Information angegeben ist. Der Veröffentlichung zufolge wurden die meisten dieser Klagen aus der zweiten Hälfte des Jahres 2024 von Kommandeuren militärischer Einheiten eingereicht. Sie bereinigten dabei ihre Listen von denjenigen Kämpfern, die gefallen sind, deren Tod aber nicht offiziell bestätigt wurde. Berichten und Videos von russländischen Soldaten zufolge wird man viele der Leichen erst nach Jahrzehnten und nur mithilfe von Minensuchgeräten finden – wenn die Leichen nicht völlig unkenntlich geworden sein sollten.
Die ukrainischen Präsident Volodymyr Zelens’kyj hat in der vergangenen Woche eine offizielle Zahl der Verluste bekanntgegeben – in einem Interview mit dem US-Journalisten Piers Morgan. 45 100 Ukrainer sollen gefallen, 390.000 verwundet worden sein. Diese Zahlen sind wenig glaubwürdig. In der Regel kommen auf einen Toten zwei Verwundete. Üblicherweise werden beide Zahlen, aber nicht ihr Verhältnis, gesenkt. Trumps Sondergesandter für die Ukraine, Keith Kellogg, nannte im Januar die Zahl von gut 90 000 getöteten ukrainischen Militärangehörigen. Jurij Butusov, Chefredakteur der ukrainischen Publikation Censor.net, sprach Anfang Dezember von 70 000 Toten – 35 000 würden zudem vermisst.
Der Unterschied in den Berechnungen erklärt sich auch dadurch, dass Zelens’kyj sich nicht auf Schätzungen bezieht, sondern auf gesetzlich anerkannte Tote, für die offizielle Totenscheine ausgestellt wurden. Viele Leichen werden noch immer gerichtsmedizinisch untersucht oder liegen in Kühlschränken in Russland. Noch mehr Leichen liegen vermutlich skelettiert auf Feldern in der Ost- und Nordukraine.
Änderung der Armeestrukturen in der Ukraine und Russland
In der vergangenen Woche sind bereits einige Informationen über die Reform der ukrainischen Armee publik geworden. 20 Korps sollen geschaffen werden, die sich aus mehreren bestehenden Brigaden zusammensetzen. Dies scheint angesichts der Lage an der Front sinnvoll. Militärische Einheiten müssen nicht unbedingt manövrierfähig, sondern in der Lage sein, bedeutende Bereiche der Front zu halten. Es ist günstiger, dies mit Korps zu tun, die Brigaden schnell und ohne Genehmigung verlegen können und über die entsprechenden Reserven und Dienste verfügen. Ein Korps wird wohl für einen Frontabschnitt von bis zu 150 Kilometern zuständig sein. Das erste Korps wird auf der Grundlage der 3. Sturmbrigade, der ehemaligen Brigade Asov, gebildet. Sie ist in schwierigen Gebieten erprobt und verfügt offenbar über die beste Ausrüstung.
Am 6. Februar unterzeichnete Putin einen Erlass zur Reform der Führung der Militärbezirke. Dem Erlass zufolge erhalten die Befehlshaber der Bezirke mehr Autonomie bei der Entscheidungsfindung. Sie sollen zu vollwertigen Befehlshabern werden. Bisher waren sie eher Koordinatoren der Teilstreitkräfte in ihrem Gebiet. Es ist noch nicht ganz klar, wie sich dies auf die Situation an der Front auswirken wird.
Aus dem Russischen von Felix Eick, Berlin
Hinweis zu den Quellen: Die Berichte stützen sich auf die Auswertung Dutzender Quellen zu den dargestellten Ereignissen. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.
Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen wie jene von Deep State (https://t.me/DeepStateUA/19452) – werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter „Rybar’“ (https://t.me/rybar), Dva Majora (https://t.me/dva_majors), und „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonel cassad. livejournal.com/). Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift