Der weite Weg zu einem echten Waffenstillstand
Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 158. Kriegswoche
Nikolay Mitrokhin, 21.3.2025
US-Präsident Donald Trump macht tatsächlich Druck bei der Suche nach einer Friedenslösung und will das System der internationalen Beziehungen neuordnen. Er beißt sich aber bisher vor allem an Russlands Präsident Vladimir Putin die Zähne aus. Die Aussichten für ein Waffenstillstandsabkommen sind schlecht. Die Teil-Waffenruhe, die Infrastruktur betrifft, wirkt bisher zudem nur bedingt. Die Verhandlungen zu einer Beendigung der Konfrontation auf See scheinen für die Ukraine nicht unbedingt vorteilhaft. Offensichtlich ist zudem, dass Russland momentan von einem Waffenstillstand kaum profitieren würde. Beide Seiten scheinen nicht bereit für den Frieden. Der ukrainische Rückzug aus Kursk verschafft beiden Seiten neue Möglichkeiten.
Friedensgespräche
Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand und Frieden sind tatsächlich zur Realität geworden. Dies ist das wichtigste Ergebnis der vergangenen Woche. Bislang sind sie aber deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Sie scheinen realistisch, gleichwohl nicht besonders günstig für die Ukraine – das Opfer der Aggression. Die entscheidende Frage ist, ob die Vereinbarungen zu einem echten Waffenstillstand führen werden oder ob sie nur als Vorwand dienen, um die Kämpfe so weit wie möglich in die Länge zu ziehen.
US-Präsident Donald Trump hat sowohl mit Russlands Machthaber Vladimir Putin als auch mit dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelens’kyj über eine Einstellung der Kämpfe verhandelt. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war bisher lediglich die gegenseitige Einstellung von Angriffen auf die Infrastruktur. Dabei ist allerdings nicht klar, ob es sich um die gesamte zivile Infrastruktur oder nur um die Energieinfrastruktur handelt und was die Parteien unter Letzterer verstehen werden. Darüber hinaus haben sich beide Seiten darauf geeinigt, an der Einstellung der Feindseligkeiten im Schwarzen Meer zu arbeiten. Dies soll den Weg für weitere Friedensgespräche ebnen. Die übrigen Vereinbarungen (Austausch von jeweils 175 Gefangenen, Rückgabe von 23 schwer verletzten ukrainischen Militärangehörigen) sind von eher geringer Bedeutung. Ähnliche Gespräche fanden auch ohne Trumps Beteiligung statt.
Die erzielten Vereinbarungen sind Teil von viel umfassenderen Verhandlungen zwischen Trump und Putin. Es geht um die Neuordnung der amerikanisch-russländischen Beziehungen und die Zusammenarbeit bei anderen globalen Problemen. Zum Beispiel sollen der Iran und seine „Stellvertreter“ (wie der Huthi) in die bestehende Weltordnung eingebunden werden. Trump ist offensichtlich bestrebt, das System der internationalen Beziehungen neu zu ordnen und die Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der Achse “China-Russland-Nordkorea-Iran” zu verringern. Dieser Logik hängen auch andere große Länder an, etwa die nicht-westlichen Mitglieder der G20-Gruppe. Im Gegensatz zu den G7 hatten sie es nicht eilig, die Beziehungen zu Russland nach dem Anschluss der Krim und sogar nach Beginn des russländischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 abzubrechen. Es überrascht daher kaum, dass Trump Kiews Interessen nicht seinen eigentlichen Zielen unterordnet.
Eine Vereinbarung über die Einstellung der Angriffe auf die Infrastruktur liegt objektiv sowohl im Interesse der Ukraine als auch Russlands. Gegenseitige Angriffe durch Drohnen und Raketen zerstören fast jede Nacht zivile Einrichtungen. In der Ukraine werden vor allem die Einrichtungen angegriffen, die den unmittelbaren Bedarf der Bürger decken: Strom, Wasser, Transport. In Russland sind vor allem Einrichtungen betroffen, die Brennstoffe produzieren oder transportieren.
Für die Bürger, die ukrainische Wirtschaft sowie für die westlichen Unterstützer des Wiederaufbaus ist ein solches Abkommen also ein Vorteil. Außerdem erhöht sich die Sicherheit deutlich, da die Zahl der nächtlichen Drohnen zurückgehen dürfte. Zelens’kyj scheint es zudem sogar gelungen zu sein, der Ukraine zusätzliche Patriot-Systeme zu sichern, wenn im Gegenzug US-Unternehmen als Miteigentümer in den ukrainischen Energiesektor einsteigen. Darüber hinaus wurde, wie Zelens’kyj am 20. März erklärte, die Frage erörtert, wie die Ukraine und die USA mit dem Kernkraftwerk Zaporižžja verfahren. Ein möglicher Schluss scheint, dass dessen Rückgabe an die Ukraine zu den Grundbedingungen einer Vereinbarung gehört. Bisher wird der ukrainische Energiesektor vom Staat (Kernkraftwerke) und von großen oligarchischen Unternehmen kontrolliert. Die Ukraine könnte von einer Beteiligung der USA durchaus profitieren – etwa was die Verwaltung, neue Technologien, Investitionen, Transparenz der Geschäfte und höhere Steuern betrifft. Angesichts von Trumps geschäftlicher Reputation ist dies aber keinesfalls ausgemacht.
Wie sich gezeigt hat, bedeuten diese ersten Vereinbarungen nicht, dass der gegenseitige Beschuss eingestellt wird. In den Nächten zum 19. und 20. Januar tauschten beide Seiten Angriffe aus. Vor allem in der Nacht zum 19. März brannten Russlands Streitkräfte mit 20 Drohnen eine Ölraffinerie in der Region Charkiv nieder. In der Nacht zum 20. März griffen sie mit mindestens 30 Drohnen das weit von der Frontlinie entfernte Kropyvnyc’kyj im Gebiet Kyrovohrad an und verursachten starke Brände. Kiews Armee setzte ihrerseits in der Nacht zum 19. März die wichtige Ölpumpstation Kavkazskaya in der Region Krasnodar in Brand. Und in der Nacht zum 20. März griff sie erneut ein Öllager in Engels in der Region Saratov an, in dem mutmaßlich Treibstoff für strategische Flugzeuge gelagert wird. Dabei wurde das Krankenhaus der Stadt von Granatsplittern getroffen, die mindestens einen Patienten verletzten. Außerdem wurde bei dem Angriff ein großes Munitionsdepot auf dem benachbarten Flugplatz getroffen, was zu einer gewaltigen Explosion führte. Es wurden Gebäude in der Umgebung und laut der ukrainischen Nachrichtenagentur UNIAN drei Militärflugzeuge beschädigt.
Es überrascht nicht, dass Zelens’kyj im Gespräch mit Trump am 19. Februar anbot, ihm eine Liste von Infrastruktur-Objekten zu übergeben, die aus seiner Sicht unbedingt geschützt werden sollten. Trump war Zelens’kyj zufolge bereit, die Liste den Russen zu übergeben. Andersherum scheint es fraglich, dass Putin eine ähnliche Liste erstellen würde. Er würde der Ukraine damit eine genaue Karte der „sensiblen“ Einrichtungen vorlegen. Von einigen von ihnen hängt die Strom- und Wärmeversorgung ganzer Industriegebiete ab – etwa von Pumpstationen für Gas- oder Heizöl. Es ist davon auszugehen, dass die Ukraine noch nicht alle diese Einrichtungen kennt.
Beendigung der Konfrontation auf See
Der zweite wichtige Aspekt der Verhandlungen ist die Beendigung der Konfrontation auf See. Dies ist für die Ukraine nicht unbedingt vorteilhaft. Sie kontrolliert den nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres und hat weiter die Möglichkeit, Häfen in der Region Odessa zu betreiben. Mit Russland bestehen informelle Vereinbarungen über die Vermeidung von Angriffen auf Handelsschiffe.
Diese Vereinbarungen zeigen im Allgemeinen Wirkung. Trotzdem verstößt Russland regelmäßig dagegen. Dies geschieht immer dann, wenn Moskau glaubt, dass Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, Waffen an Bord haben. Am 1. März wurde etwa ein unter der Flagge Panamas fahrendes Containerschiff der schweizerischen Reederei MSC im Hafen von Odessa angegriffen. Nach Angaben russländischer Kriegsberichterstatter sei ein ausländisches Schiff mit ATACMS-Raketen zerstört worden. Am 12. März wurde das unter der Flagge von Barbados fahrende zivile Schiff MJ PINA, das Weizen für den Export nach Algier geladen hatte, im Hafen von Odessa beschossen und beschädigt. Ein zweites Schiff, Anleger und Getreidelager wurden ebenfalls getroffen. Vier syrische Besatzungsmitglieder starben.
Das Hauptproblem im Schwarzen Meer besteht für die Ukraine aber im nordwestlichen Sektor. Hauptsächlich entlang der Küste der Region Cherson gibt es Dutzende von Inseln und Landzungen sowie anderthalb Dutzend Öl- und Gas-Plattformen. Sie wurden einst von ukrainischen Unternehmen eingerichtet. Nach der Annexion der Krim hat Russland sie beschlagnahmt. Die meisten von ihnen werden von Russlands Militär kontrolliert. Die ukrainische Armee versucht seit langem, russländische Lieferungen von Nachschub und Vorräten dorthin zu blockieren, um die Kontrolle über diese Anlagen übernehmen zu können. Generell benötigen die ukrainischen Streitkräfte diese Inseln und Plattformen jedoch, um die Halbinsel Kinburn zu blockieren und zu stürmen. Aktuell kontrollieren die Russen durch die Halbinsel Kinburn auch die Dnipro-Bucht und damit die Schifffahrt an den Unterläufen von Dnipro und Dnistr. Dies beeinträchtigt die Tätigkeit so wichtiger südukrainischer Häfen wie Cherson, Očakiv und Mykolaiv. Diese Meerenge hat das Potenzial, den Schiffsverkehr zwischen dem Dnistr-Golf und dem Schwarzen Meer zu unterbrechen und Konflikte zu provozieren. Ähnliches geschah im Jahr 2003 bei der Insel Tuzla in der Meerenge von Kerč, als Russland zwischen Taman und Tuzla einen Staudamm baute.
Es scheint, dass sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch das US-Militär Pläne haben, die Situation zu ihren Gunsten zu ändern. Sie könnten die Tatsache ausnutzen, dass bisher keine endgültigen Vereinbarungen zwischen Trump, Putin und Zelens’kyj getroffen wurden. Am 15. März berichtete der russländische Kriegskanal Rybar von einer starken Zunahme der britischen und amerikanischen Geheimdienstaktivitäten rund um die Krim: „Zuerst kreiste südlich der Krim in großer Höhe ein U-2S-Aufklärungsflugzeug [Lockheed U-2 Dragon Lady] über dem zentralen Schwarzen Meer. Wenig später kam ein britisches Aufklärungsflugzeug vom Typ RC-135 hinzu. In der Nacht zum 15. März flog in demselben Gebiet, in dem sich die U-2S tagsüber aufhielt, ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug ebenfalls vom Typ RC-135.“
Und am 19. März berichtete der Militärnachrichtendienst der Ukraine in einem Videobericht über den möglicherweise größten Angriff auf die Krim seit Beginn des Krieges. Er sei „innerhalb weniger Tage“ durchgeführt worden. Das Video zeigte 19 zerstörte Raketenabwehreinheiten – vor allem mobile Großradare auf motorisierten Fahrzeugen, aber auch zwei mobile Langstrecken-Boden-Luft-Lenkwaffensysteme vom Typ S-300W und drei Kurzstrecken-Flugabwehrraketen-Systeme vom Typ Pancir’. Auch zwei Schiffe und ein Hubschrauber wurden demnach zerstört. Bei dem Angriff soll Russland Kriegsgerät im Wert von 400 Millionen Dollar verloren haben. Es scheint wahrscheinlich, dass die Großaktion das Ergebnis irgendeiner Art technologischen „Durchbruchs“ im ukrainischen Militär war. Vermutlich handelt es sich um den Masseneinsatz von First-Person-View-Drohnen, die von Drohnenbooten aus gestartet wurden. Dies hat es an sich schon gegeben. Die hohe Qualität der Bilder und dass offenbar keine Störung durch elektronische Kampfführung stattgefunden hat, lässt aber darauf schließen, dass die Drohnen wohl erstmals über Glasfaserkabel mit den unbemannten Wasserfahrzeugen verbunden waren.
Aussichten für Waffenstillstandsabkommen
Die Gespräche der vergangenen Woche haben gezeigt, dass beide Seiten für einen Frieden nicht bereit sind. Daran ändert auch nichts, dass sie sich offenbar in bestimmten für sie günstigen Bereichen auf eine gewisse Deeskalation einigen können. Selbst bei der Reduzierung der Angriffe auf die Infrastruktur sind die Parteien noch weit von der praktischen Umsetzung des „Deals“ entfernt. Vielmehr versuchen beide Seiten, ihre Bestände an Langstreckenwaffen auf den Feind zu schießen, solange dies möglich ist. Die Ukraine testete jüngst sogar eine neue Rakete: In der Nacht zum 14. März feuerte sie eine modifizierte Neptun-Rakete auf das Öllager in der Küstenstadt Tuapse. Diese auch als “lange Neptun” bezeichnete Rakete kann bis zu 1000 Kilometer weit fliegen. Der Test war erfolgreich, der betroffene Tank des Öldepots brannte vier Tage lang. Die Ukraine ist in der Lage, mehrere solcher Raketen pro Monat zu produzieren. Bisher wurden allerdings die meisten dieser Raketen von der feindlichen Luftabwehr abgefangen.
Auf See wird es in den kommenden Wochen wahrscheinlich zu einer Einstellung der Angriffe kommen. Was aber den Hauptschauplatz der Militäroperationen am Boden betrifft, besteht keine Aussicht auf ein Ende der Feindseligkeiten. Obwohl die ukrainische Armee den Großteil ihrer Streitkräfte aus der Region Kursk zurückgezogen und sich das von ihr kontrollierte Gebiet stark verkleinert hat, gehen die Kämpfe weiter, sie haben sich sogar auf die Grenze zur Region Belgorod ausgeweitet.
Vladimir Putin hat Donald Trump keine konkreten Schritte und Maßnahmen für einen Waffenstillstand versprochen, sondern will mit den bereits erwähnten Vereinbarungen beginnen. Offensichtlich würde Russland momentan von einem Waffenstillstand kaum profitieren. Der ukrainische Rückzug aus der Region Kursk ermöglicht es ihm sogar, die Zahl der Truppen in der Region zu reduzieren und die frei werdenden Reserven für die Erreichung der nächsten Ziele zu nutzen. Priorität dürften für ihn die großen Kohle- und Lithiumvorkommen südlich von Pokrovs’k und bei Torec’k haben. Auch eine Reihe von Rohstoffvorkommen in der Nähe von Časiv Jar (Ton für Ziegel) und Sivers’k (Kalkstein für Zement) sind für ihn interessant.
Die Offensiven in diesen Gebieten sind seit einem Monat (mit Ausnahme von Sivers’k) wegen der ukrainischen Drohnenaktivitäten und der Gegenangriffe der Infanterie ausgesetzt. Sie könnten jedoch spätestens in der zweiten Aprilhälfte wieder aufgenommen werden, dann nämlich, wenn das Laub in den Wäldern zurückkehrt und die “Sturmtrupps”schützt. Die russländische Offensive würde aber wohl nicht lange dauern. Es mangelt an gepanzerten Fahrzeugen und es bestehen ernsthafte Probleme bei der Versorgung der Armee mit Soldaten. Das zeigen einerseits die steigenden Summen, die für die Unterzeichnung von Verträgen gezahlt werden, und andererseits die Verwundeten, die in die Schlacht geworfen werden. In dieser Situation sind die 40 000 bis 50 000 Reservisten, die aus der Region Kursk verlegt werden, sehr nützlich für Russland. Sie können die Offensive durchaus drei bis vier Monate aufrechterhalten. Bis dahin werden die Rekruten aus der Frühjahrseinberufung die Ausbildungseinheiten durchlaufen haben, und die Armee wird über zusätzliche 100 000 Mann verfügen. Somit können die Grenz- und teilweise auch die Kampfeinheiten aufgefüllt werden. In den vergangenen zwei Wochen waren in Videos von Soldaten im Schützengraben und in Gefangenschaft wieder 18-Jährige zu sehen, die kurz nach der Einberufung zur Vertragsunterzeichnung gezwungen wurden.
Putin dürfte daher versuchen, einen echten Waffenstillstand bis zur Mitte des Sommers hinauszuzögern. Der Grund, weshalb er überhaupt an Verhandlungen teilnimmt, ist die Angst vor unvorhersehbaren Aktionen Trumps, die Russlands Wirtschaft noch mehr schwächen (die Produktion ist seit Dezember dramatisch gesunken) und die ukrainischen Streitkräfte erheblich unterstützen könnten.
Lage an der Grenze zwischen Kursk und Belgorod
Die Diskussionen über die sich zurückziehende, aber nicht vollständig auf ukrainisches Territorium zurückgezogenen Einheiten Kiews im Bezirk Sudža haben in der vergangenen Woche bizarre Züge angenommen. Erst Putin und dann auch Trump sprachen davon, dass die ukrainischen Einheiten nur durch Putins Gnade noch nicht vernichtet worden seien. Was beim Rückzug der Truppen tatsächlich geschah, ist noch nicht ganz klar. Informationen von verschiedenen Seiten deuten darauf hin, dass die ukrainischen Streitkräfte durch intensiven Beschuss der Russen aus ihren Stellungen getrieben wurden. Insbesondere in der Gegend von Malaja Loknja im Norden der „Blase“ musste das ukrainische Militär mehrere Einheiten westlicher Panzerfahrzeuge zurücklassen. Sie hatten nicht einmal Zeit, sie zu zerstören. Somit fielen sie dem Feind offenbar in kampftauglichem Zustand in die Hände. Es handelt sich um einen Kampfpanzer des Typs Abrams, einen Schützenpanzer vom Typ Bradley, einen gepanzerten Truppentransporter des Typs Bushmaster und ein Artilleriegeschütz. Weiteres schweres Gerät könnte noch gefunden werden. In der Region Sudža vernichteten russländische Bomben zudem eine geringere Anzahl von ukrainischen Kämpfern, darunter zwei Besatzungen von Drohnenpiloten. Die Ukraine musste eine geringe Menge an Munition und Drohnen zurücklassen.
Insgesamt zogen sich die Truppen jedoch aus der gesamten nördlichen Hälfte der „Blase“ und dem breiteren Abschnitt bei Sudža ohne nennenswerte Verluste zurück. Die ukrainischen Truppen kontrollieren noch den gesamten Süden des Bezirks Sudža – östlich von Sverdlikovo bis Guevo und zehn Kilometer weiter nördlich. Russländische Kriegsberichterstatter erkennen an, dass sich die russländische Offensive verlangsamt hat. Von ukrainischen Offizieren mittlerer Ränge heißt es, sie beabsichtigten nicht, die vorteilhaften Höhen im Gebiet Kursk aufzugeben, da man von ihnen aus bereits das regionale Zentrum von Sumy beschießen könne. Durch die starke Verkürzung der Frontlinie in diesem Gebiet hat sich die Befehlsdichte der ukrainischen Truppen drastisch erhöht, was die Verteidigung stärkt.
Von Sverdlikovo aus konnten Russlands Truppen drei Kilometer tief in ukrainisches Gebiet eindringen, bis an den nördlichen Rand des Dorfes Basivka. Dort wurden auch Kriegsgefangene gemacht. Die Einnahme des Dorfes hätte es ihnen ermöglicht, die Versorgungsroute, die vom ukrainischen Hinterland über die Grenze nach Sudža führt, unter Feuerkontrolle zu nehmen. Die regionalen Behörden begannen bereits am 14. März mit der Evakuierung der Bevölkerung von acht Dörfern in den Gemeinden Junakivka und Miropol’ska im Bezirk Sumy.
Als Antwort darauf startete die ukrainische Armee Angriffe auf russländisches Territorium in einem anderen Grenzabschnitt, im Bezirk Krasnojaružskij im Gebiet Belgorod. Die Offensive ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich auf der ukrainischen Seite „der höchste Punkt der Region Sumy“ befindet. Es handelt sich um eine Anhöhe, von der aus ein Raum bis zum Zentrum des Bezirks, der Siedlung Krasnaja Jaruga, gut sichtbar ist. Und das ist theoretisch ein idealer Ausgangspunkt für den Plan, Belgorod von Norden her vom übrigen Russland abzuschneiden. Aber das ist nur Theorie. Die Zeit für solche eher gigantomanischen Projekte ist vorbei.
Die ukrainische Armee hat den Grenzstreifen mit mehreren Panzern und gepanzerten Fahrzeugen gestürmt. Nach russländischen Angaben hat sie dabei mindestens zwei gepanzerte Fahrzeuge verloren. Aber es gelang den Ukrainern, die Grenzbefestigungen zu durchbrechen und bis an den Rand des nächstgelegenen Dorfes vorzudringen. Sie verminten auch die Straßen, die zum Kampfgebiet führen, und übernahmen die Kontrolle mit Drohnen. Am 18. März dementierten ukrainische Offizielle, dass die Offensive begonnen habe. Russländische Militärkorrespondenten haben noch keine Videobeweise für die Kämpfe in diesem Gebiet veröffentlicht.
Lage an anderen Teilen der Front
Trotz der Verhandlungen über eine Waffenruhe haben sich die Kämpfe in einigen Gebieten sogar verschärft. Die Okkupationsarmee versucht, die Offensive an der Zaporižžja-Front zu verstärken. Südwestlich der Stadt Orechiv drangen die Besatzer in die „Grauzone“ vor, sie nahmen das Dorf Stepovoe und die angrenzenden Schluchten ein und erreichten die Außenbezirke von zwei Dörfern, die unter Kontrolle der ukrainischen Armee stehen. Dort finden Kämpfe statt.
Im Norden, in der Nähe von Pokrovs’k, geben die ukrainischen Streitkräfte nicht auf, den Feind aus der Stadt zu drängen. Auch russländische Militärkorrespondenten melden, dass das ukrainische Militär das Dorf Ševčenko, das für die Verteidigung des südwestlichen Abschnitts der Front bei Pokrovs’k entscheidend ist, fast vollständig befreit hat. Darüber hinaus haben sie zwei weitere Dörfer östlich und nordöstlich von Mirnohrad, das an Pokrovs’k angrenzt, zurückerobert. Nach ukrainischen Angaben spielt dabei die Verlegung der besten Teams von Drohnenpiloten, die zuvor in Richtung Sudža im Einsatz waren, in diese Richtung eine Schlüsselrolle. Sie haben nun die ständige Kontrolle über die feindlichen Nachschubrouten übernommen und vernichten Russlands Infanterie kontinuierlich und effektiv.
Es sind bereits mehr als ein Dutzend Videos von einem der Friedhöfe in der Nähe von Pokrovs’k aufgetaucht, die zeigen, wie russländische Soldaten den Tod ausgerechnet zwischen ukrainischen Gräbern finden. Ein anderer Clip zeigt Soldaten, die auf dem „Todespfad“ aus dem Hinterland zu ihren Stellungen durch eine Steppe gehen. Sie kommen an einem Baum ohne Blätter und wenigen Ästen vorbei, unter dem die Leichen von acht Soldaten liegen. Diese hatten offenbar versucht, sich unter dem Baum vor Drohnen zu schützen. Es gibt auch viele Aufnahmen von Soldaten, die sich Drohnen ergeben. Die Soldaten werfen ihre Waffen weg und geben den Drohnenpiloten zu verstehen, dass sie sich ergeben.
In Torec’k und Časiv Jar gehen die schweren Kämpfe weiter. Im Gebiet Sivers’k bestätigten die ukrainischen Streitkräfte ihren Rückzug aus ihren vorteilhaften Stellungen in der Nähe von Bilohorivka.
Aus dem Russischen von Felix Eick, Berlin
Hinweis zu den Quellen: Die Berichte stützen sich auf die Auswertung Dutzender Quellen zu den dargestellten Ereignissen. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.
Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen wie jene von Deep State (https://t.me/DeepStateUA/19452) – werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter „Rybar’“ (https://t.me/rybar), Dva Majora (https://t.me/dva_majors), und „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonel cassad. livejournal.com/). Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift