Europa wird kämpfen müssen – und darauf gilt es, sich vorzubereiten

Aleksandr Morozov über das Scheitern der viermonatigen Verhandlungen über einen Waffenstillstand in der Ukraine

Aleksandr Morozov, Politikwissenschaftler, Karls-Universität, Prag
Das Interview wurde von Maksim Glikin geführt und am 26.8.2025 auf
.točka publiziert. Wir veröffentlichen die deutsche Fassung mit Genehmigung der Interviewpartner.

Die Gespräche über ein Ende des Waffengangs in der Ukraine stehen still. Kann man nach den Treffen in Alaska und Washington sagen, dass Trumps Versuch, sich mit Putin auf einen Frieden zu verständigen, gescheitert ist?

Morozov: Ja. Viereinhalb Monate wurde verhandelt, diese Phase ist vorüber. Trumps-Initiative ist tot. Um das zu verstehen, muss man sich anschauen, wie die verschiedenen Seiten auf das Ergebnis blicken.

Für den Kreml sieht es so aus: Wir haben unsere Position dargelegt, sie ist in unserem Memorandum festgehalten. Ihr habt das abgelehnt, wir können darauf zurückkommen, wenn ihr weitere Gebiete verloren habt. Das war bereits die Logik des Kreml bei den Gesprächen in Istanbul im März 2022. Moskau wird also weiter versuchen, das gesamte Territorium der Gebiete Donec’k und Luhans’k zu besetzen. Doch das ist nur ein vorläufiges Ergebnis. Anschließend wird Russland versuchen, auch die anderen beiden annektierten ukrainischen Gebiete vollständig unter seine Kontrolle zu bringen – was äußerst schwer ist und daher nicht so bald gelingen wird.

Die Europäische Union kann sich sagen: Wir haben alles getan, was wir konnten. Wir sind Trump bei dieser ganzen Initiative von Anfang bis zum Ende gefolgt, wir haben das Ansinnen, einen Waffenstillstand zu erreichen, unterstützt. Zu diesem kommt es jetzt nicht, jetzt gilt es, die Fragen zur militärischen Unterstützung der Ukraine abzuarbeiten.

Trump wiederum kann es so sehen: Ich habe alles getan, was ich konnte, aber meine Initiative wurde abgelehnt. Nach einer gewissen Zeit kann er entscheiden, wie es weitergeht. Schlecht ist, dass Trump bislang nicht an eine Pause denkt, sondern Verlautbarungen macht, die davon zeugen, dass er persönlich immer noch bei dieser Initiative ist, obwohl diese definitiv gescheitert ist. Aber es ist möglich, dass Trump und sein Apparat bald, vielleicht nach Putins Reise zum Gipfel der Shanghai-Kooperations-Organisation Ende August, eine Entscheidung treffen.

Wie geht es also weiter?

Morozov: Weiter geht es mit Krieg. Der Kreml demonstriert, dass ihn nichts schreckt, dass Russlands Kriegsziele die gleichen sind wie vor drei Jahren und dass Moskau an diesen festhalten wird. Die Ukraine soll auf militärische Kooperation mit anderen Staaten verzichten, sich für neutral erklären, und Russland – nicht für die Ukraine – soll „Garantien“ erhalten. Also im Grunde ein Rückzug der NATO, wenn nicht auf die Grenzen von 1991, so doch auf jeden Fall irgendein Rückzug. Auch ist jetzt endgültig klar, dass der Kreml kein Abkommen mit Zelens’kyj unterschreiben wird. Lavrov hat das sehr deutlich geäußert und daran wird sich nichts mehr ändern.

Für Europa, für die globale Allianz zur Unterstützung der Ukraine, der auch die USA angehören und in Zukunft weiter angehören werden, stellt sich die fundamentale Frage, wie sie reagiert, wenn Russland der geplante Durchbruch an der Front gelingt.

Der Krieg wird also noch lange andauern. Ein Ende ist überhaupt nicht in Sicht. Der Kreml wird sich nicht mit den vier Gebieten zufrieden geben. Wenn Russland diese eingenommen hat, wird es erst recht zu einer riesigen Gefahr für Europa. Die zweite Frage ist also, wie die Europäische Union in den kommenden 10–15 Jahren auf diese Bedrohung reagiert.

Wie geht es weiter für die USA und die europäischen Staaten?

Morozov: Die Entscheidung ist äußerst schwer. Niemand will einen dritten Weltkrieg auslösen und niemand will seine Beteiligung an dem laufenden Krieg ausweiten. Das war unter Biden so und ist unter Trump so. Washington wird dabei bleiben: no boots on the ground.

Das gleiche für die europäischen Staaten. Allen ist klar, dass die Europäische Union, oder auch die globale Allianz zu Unterstützung der Ukraine, also die NATO unter Einschluss der USA, angesichts eines solchen Gegners wie Russland der Ukraine keine Garantien geben werden. Man kann nur darlegen, wie eine massive militärische Reaktion dieser Allianz aussehen würde. Mir scheint, dies wird im Verlaufe des nächsten Jahres auch geschehen.

Es wird nicht mehr über irgendwelche Friedenstruppen gesprochen werden, die in einer hypothetischen Situation zum Einsatz kommen, sondern über praktische Fragen. Etwa darüber, ob britische und amerikanische Flugzeuge nach Rumänien verlegt werden, von wo sie einen Teil des ukrainischen Luftraums überwachen und etwas an der Beschießung der ukrainischen Städte ändern könnten. Es wird auch darüber diskutiert werden, ob Russland deutlich stärker ökonomisch unter Druck gesetzt werden kann.

Hat Trump wirklich alles getan? Seine Kritiker fragen, warum er kein einziges Mal die Peitsche gezeigt hat.

Morozov: Die Annahme, man könne bei solchen Verhandlungen Druck auf Putin ausüben, ist naiv. Er hätte sich vielleicht beleidigt gezeigt, oder er hätte sich lustig gemacht. Aber ganz gewiss hätte er sich nicht einschüchtern lassen. Man kann Trump viel vorwerfen, seine Rhetorik und sein Handeln kritisieren –aber das alles spielt ohnehin überhaupt keine Rolle.

Nicht Drohungen, sondern reale Taten sind notwendig, jetzt, in einer Situation, in der es keine verlässlichen Erwartungen mehr gibt. Entweder man kapituliert vor dem Kreml und nimmt die in dem Memorandum formulierten Forderungen an, oder man arbeitet daran, den Krieg auf andere Weise zu beenden.

Wenn Russland aber in all diesen Monaten keinen einzigen Schritt getan hat – warum wurde dann so lange ein solcher Tanz um diese Initiative veranstaltet?

Morozov: Das hat ausschließlich mit Trumps Persönlichkeit zu tun. Man konnte sehr gut sehen, dass Trump und sein Apparat Putin nicht nur nicht verstehen, sondern bewusst weggeschaut haben. In den viereinhalb Monaten gab es mehrere Gelegenheiten zu erkennen, dass eine Fortsetzung der Bemühungen sinnlos ist. Als Medinskij Anfang Juni in Istanbul mit dem Memorandum ankam, haben die USA dieses entgegengenommen – und nichts ist passiert. Statt einer Reaktion, einer echten Antwort, hat Trump einfach so getan, als gäbe es dieses Memorandum nicht. Das gleiche nach der letzten Moskaureise von Witkoff, das zu diesem irrsinnigen, vollkommen inhaltsleeren Treffen in Alaska führte. Die USA hätten mehrfach sagen können: Wir machen eine Pause, wir bilden uns ein neues Urteil über die Lage. Dann hätte man auch eine Peitsche zeigen können, also glaubhafte Drohungen.

Trumps Strategie hat also drei Fehler. Zum einen spricht er zu leicht und schnell irgendwelche Drohungen aus. Zölle, Sanktionen. Es entsteht ein Gewöhnungseffekt, die Drohung wird entwertet. Zweitens hat Trump zu lange behauptet, Putin wolle seiner Meinung nach einen Deal abschließen. Das war sehr seltsam. Es war, als wolle er Putin hypnotisieren, ihn programmieren. Das funktioniert natürlich nicht. Und das dritte ungeeignete Element der Trumpschen Konstruktion war, dass diese an sich ja richtige Initiative die ganze Zeit in eine Wolke gehüllt war, die ihr den Anschein geben sollte, es handelte sich nicht um ein politisches Abkommen, sondern um ein Deal zwischen zwei Unternehmen, weshalb Steve Witkoff ein geeigneter Unterhändler ist. Trump hatte die bizarre Vorstellung: Putin und ich machen High Five, später unterschreibt dann noch irgendjemand irgendwelche Papiere, was da drin steht, interessiert mich nicht.

Warum hat Putin diese Gelegenheit nicht genutzt? Er hätte den Krieg beenden können, über den die Business-Elite in Russland und viele andere ebenfalls nicht sehr begeistert sind. Er wäre ohne Gesichtsverlust rausgekommen, der Donbass wäre faktisch an Russland gefallen, er hätte problemlos sagen können: Russland hat den Krieg gewonnen.

Morozov: Der Kreml hat das nicht getan und daraus sind drei Schlüsse zu ziehen. Erstens: Putin ist ein Extremist. Das sollte man auf keinen Fall unterschätzen. Das Bild, das man im Westen von Putin und dem Kreml hat, ist schizophren. Einerseits wissen wir: der Kreml hat Prigožins Flugzeug zum Absturz gebracht, er hat Naval’nyj vergiftet, usw. Putin ist zu allem bereit, er kennt keine Grenzen. Aber andererseits wird dem Kreml, wenn es um internationale Angelegenheiten geht, immer wieder eine Rationalität zugesprochen. Die jetzige Situation zeigt aber erneut: Putin ist zu allem bereit. Er kann manövrieren, wie er jetzt bei Trump gezeigt hat. Aber das Ziel ist unverändert: ein Zusammenbruch der Weltordnung, die Entstehung einer neuen Ordnung zu Russlands Konditionen. Das ist das oberste Ziel, und Putin verfolgt es konsequent.

Zweitens: Putin glaubt, er müsse nur lange genug Druck ausüben, dann erreicht er alles, dann gibt es ein neues Jalta und er wird der neue Stalin. Drittens: Der Kreml rechnet damit, dass er Indien, China, Brasilien und andere Staaten des „globalen Südens“ hinter sich scharen kann, um die Situation weiter anzuheizen. Das muss man äußerst ernst nehmen.

Nach dem Scheitern von Trumps Friedensinitiative wird es keinen zweiten solchen Anlauf geben. Wer hofft, dass man Druck auf den Kreml ausüben und ihn zu einem Frieden zwingen kann, der ist äußerst naiv. Das wird nicht passieren. Europa wird über kurz oder lang kämpfen müssen – und darauf gilt es, sich vorzubereiten.

Aus dem Russischen von Volker Weichsel, Berlin