Friedensnobelpreis 2022 für Memorial!

Staatliche Eigentumskriminalität

Erklärung von Memorial zur Beschlagnahmung des Hauses in der „Karjetnyj rjad“-Straße in Moskau

„Am 21. November 2021 haben wir die Anträge der Staatsanwaltschaft bei Gericht zur Auflösung von Memorial International zugestellt bekommen. Wir hatten nicht allzu viel Hoffnung auf ein rechtsstaatliches Verfahren im heutigen Russland und haben uns auf verschiedene Entwicklungen vorbereitet. Äußerst wichtig war uns, dass wir unsere Arbeit fortsetzen können: die Erinnerung an die Opfer des Terrors für immer wach zu halten. Daher ging es unter anderem darum, das Haus in der „Karjetnyj rjad“-Straße in Moskau für die öffentliche Nutzung zu erhalten. Es sollte weiter für Besuche offen stehen, Menschen sollten dort weiter Informationen über das Schicksal der Opfer des Staatsterrors erhalten. Daher entschied die Leitung von Memorial International, das Gebäude in der „Karjetnyj rjad“-Straße, das Eigentum vom Memorial International ist, an eine der ältesten Moskauer Memorial-Organisationen zu übertragen: an das Forschungs- und Bildungszentrum Memorial.

Dieses Zentrum wurde im Jahr 1990 von Arsenij Roginskij und einer Reihe weiterer Historiker gegründet. 30 Jahre lang widmete es sich der Sammlung und Analyse von Quellen zum sowjetischen Staatsterror, erstellte Datenbanken und Handbücher, veröffentliche wissenschaftliche Schriften. Die Ergebnisse seiner Arbeit hat das Zentrum an Memorial International und andere Organisationen zur weiteren Verbreitung übergeben.

Das Gebäude in der „Karjetnyj rjad“-Straße hat Memorial International im Jahr 2005 per Kaufvertrag erworben. Memorial International ist nach russländischem Recht befugt, sein Eigentum an andere juristische Personen zu übertragen. Dem Gesetz über gemeinnützige Vereine zufolge kann ein solcher nach seiner Auflösung eigenständig über sein verbliebenes Eigentum entscheiden. Es muss lediglich einer Nutzung zum Zwecke der in der Vereinssatzung genannten Ziele zugeführt werden. Der Staat kann dieses Eigentum nur reklamieren, wenn die Organisation keine Möglichkeit hat, ihr Eigentum für eine satzungsgemäße Verwendung zu übertragen.

Die in der Satzung des Forschungs- und Bildungszentrums Memorial genannten Zwecke stehen denen des per Gerichtsbeschluss aufgelösten Vereins Memorial International sehr nahe, so dass Memorial International berechtigt ist, das Gebäude dem Zentrum zu übertragen. Die Schenkungsverträge wurden unter Begutachtung von Juristen unterschiedlicher Fachrichtungen ausgefertigt. Dann geschah jedoch folgendes:

Es gibt keinerlei juristische Grundlage für die Aberkennung der Gültigkeit der Verträge. Wir betrachten den Versuch, das Eigentum von Memorial dem Staat zuzuschlagen, als politisch motivierte kriminelle Eigentumsaneignung (rejderstvo). Auf eine rechtsstaatliche Entscheidung kann man im Jahr 2022 in Russland nicht hoffen.

Wir gehen davon aus, dass das Gebäude in der „Karjetnyj rjad“-Straße bald illegal enteignet wird. Damit wird die Arbeit von Memorial weiter erschwert, aber zum Erliegen gebracht werden kann sie nicht. Wir werden weiterarbeiten ‑ bis zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in Russland und danach ohnehin.

Aus dem Russischen von Volker Weichsel, Berlin

Quelle: https://t.me/toposmemoru