Massive Bodenangriffe

Nikolay Mitrokhin, 6.3.2024

Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 104 und 105. Kriegswoche

Russland greift auf breiter Front ukrainische Stellungen an. Der ukrainischen Armee fehlt es an Artilleriemunition und Luftabwehrgeschützen, sie ist gezwungen, sich in Abwehrkämpfen langsam zurückzuziehen. Ein großer Durchbruch ist der Besatzungsarmee jedoch nicht gelungen. Die prekäre Lage der Ukraine zwingt den Westen zum Nachdenken über seine Unterstützung. Der französische Präsident hat erstmals davon gesprochen, dass die Entsendung von Bodentruppen nicht ausgeschlossen werden dürfe. Tatsächlich könnten westliche Soldaten wichtige Aufgaben in der Ukraine übernehmen, ohne an der Front unmittelbar in das Kampfgeschehen involviert zu sein.

Nach monatelanger relativer Ruhe an der Front haben sich die Kämpfe in der zweiten Februarhälfte deutlich intensiviert. Russlands Truppen greifen im gesamten zentralen Frontabschnitt zwischen der südlich von Donec’k gelegenen Siedlung Novomichajlivka und dem westlich von Bachmut gelegenen Ort Ivanivs’ke an. Einen massiven Geländegewinn konnte die Okkupationsarmee nicht erzielen. Sie hat jedoch mit einem Vorstoß von stellenweise bis zu knapp 20 Kilometern ein halbes Dutzend Dörfer und zwei recht große Siedlungen eingenommen. Nicht ohne Bedeutung ist der Vorstoß nach Ivanivs’ke, der ein weiteres Vordringen in Richtung der 15 Kilometer westlich gelegenen größeren Siedlung Časiv Jar ermöglichen könnte. Diese ist wichtig für die ukrainische Verteidigung, entsprechend heftig sind die Kämpfe um Ivanivs’ke.

Das wichtigste Ereignis aber war der Fall von Avdijivka. Nach vier Monaten Belagerung hat die russländische Armee die Stadt am 16. Februar 2024 eingenommen. Was genau geschehen ist, bleibt bislang unklar. In groben Zügen lässt sich jedoch sagen, dass die Dritte Sturmbrigade der Ukrainischen Armee, die die erschöpfte 110. Brigade ablösen sollte, nur zögerlich in die von allen Seiten unter Beschuss liegende Stadt vorgerückt ist. Als sie sich in dem Kessel befand, verlor die Brigade zunächst ihre Führung, die angesichts der unhaltbaren Lage evakuiert wurde. Anschließend begann ein ungeordneter Rückzug, bei dem die Soldaten im südlichen Teil des Kessels ohne Feuerdeckung zurückgelassen wurden. Dies führte dazu, dass Verletzte nicht evakuiert werden konnten und sowohl im Stadtgebiet selbst als auch in mehreren nahegelegenen Waldstreifen kleine Einheiten bei der Flucht aufgespürt wurden. Wie viele ukrainische Soldaten umgekommen und wie viele in Gefangenschaft geraten sind, ist unklar. Gesicherte Hinweise gibt es, dass gestellte Soldaten, darunter auch Verletzte, nicht gefangengenommen, sondern grausam umgebracht wurden. Mindestens drei Videoaufnahmen gingen durch die ukrainischen Medien, auf denen zu sehen ist, wie kleine Gruppen ukrainischer Soldaten, die ihr Gegner mit Drohnen in Waldstreifen oder zerstörten Gebäuden ausfindig gemacht hatte, erschossen werden.

Die Einnahme von Avdijivka hat es der Okkupationsarmee ermöglicht, vom westlichen Stadtrand rasch weiter nach Westen vorzustoßen und in vier Tagen drei Siedlungen zu erobern. Nach ukrainischen Angaben gelang es der Dritten Brigade, mit einem Gegenangriff Ende Februar einen erheblichen Teil des in der Vorwoche verlorenen Territoriums zurückzuerobern. Auch hierzu gibt es Videoaufnahmen, die die Angaben wahrscheinlich bestätigen. Eine Aufnahme vom 1. März zeigt, wie 12 russländische Infanteriesoldaten in der nordwestlich von Avdijivka gelegenen Siedlung Berdyči aus kurzer Entfernung mit Schüssen aus einem Bradley-Schützenpanzer getötet werden; ein zweites, unweit davon aufgenommenes Video zeigt ca. 30 Leichen russländischer Soldaten. Auf einer dritten, ebenfalls aus der Gegend stammenden Aufnahme vom 3. März ist die Zerstörung zweier auf einem Feldweg fahrender russländischer gepanzerter Fahrzeuge zu sehen, bei der mindestens 15 aufsitzende Soldaten getötet werden.

Die vorbereitete ukrainische Verteidigungslinie liegt jedoch offenbar 3–4 Kilometer westlich des Schauplatzes dieser Ereignisse entlang einer Reihe von Seen und Tümpeln. Diese könnte jedoch deutlich schwächer geschützt sein als die entsprechenden Anlagen, welche die russländische Armee zur Abwehr der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023 errichtet hat.

Ein weiterer Schwerpunkt der russländischen Angriffe in diesem zentralen Frontabschnitt liegt südlich davon bei Marijinka. Nach der Einnahme dieses westlichsten Ausläufers der Peripherie von Donec’k sind die Moskauer Truppen von dort nach Süden vorgerückt. Dort haben sie das Dorf Pobjeda eingenommen, hinter dem nach wenigen Kilometern die wichtige Siedlung Konstantynivka beginnt, die den Raum Vuhledar von Norden abdeckt. Zugleich sind die Besatzertruppen nach Nordwesten vorgestoßen und haben dort nahe der Siedlung Heorhijivka die ukrainische Verteidigungslinie überwunden. Und auch nach Norden in Richtung der nicht unbedeutenden Industriesiedlung Krasnohorivka läuft ein Vorstoß, bei dem die Besatzer mindestens bis zum Stadtrand gelangt sind.

Daneben hat Russland in der letzten Februarwoche schwere Fliegerbomben über der Industriestadt Kurachovo 20 Kilometer westlich von Marijinka abgeworfen, die wichtig für die ukrainische Logistik ist. Dies ist die nächste Stadt im Donbass, die die „Befreier“ dem Erdboden gleichmachen. Bilder aus Avdijivka, die nach der „Befreiung“ der Stadt in Umlauf gelangt sind, zeigen Zerstörungen durch die russländischen Angriffe, die weitaus größer sind, als dies aus vorherigen Aufnahmen ersichtlich war. Unterdessen preisen die Moskauer Kriegskorrespondenten weiter ihre Luftwaffe dafür, dass diese vor der Einnahme von Avdijivka pro Tag bis zu 100 schwere Bomben mit einer Sprengladung zwischen 500 kg und 1,5 Tonnen abgeworfen hat. Das gleiche geschieht nun mit Kurachovo.

Stoppen konnte die Ukraine vorerst den Vorstoß der Besatzer südlich von Marijinka bei Novomichailivka. Die Siedlung ist umkämpft. Ebenfalls erfolglos blieb der Versuch, die 120 Kilometer westlich gelegene Frontausbuchtung bei Robotino zu begradigen, welche die Ukraine im Sommer 2023 geschaffen hatte. Nach anfänglichen Erfolgen ist die russländische Armee dort steckengeblieben, die Ukraine kontrolliert weiter den Nordteil und möglicherweise auch das Zentrum der Siedlung. Die angekündigte „Zerschlagung“ der ukrainischen Truppen in diesem kleinen Kessel ist ausgeblieben.

Auch der ukrainische Brückenkopf auf der linken Dniproseite nördlich von Aleški besteht weiter. Die Ukraine hatte nach dem Führungswechsel an der Armeespitze dem Brückenkopf weniger Bedeutung beigemessen. Die Moskauer Generäle wollten dies nutzen, um diesen „Stachel“ zu ziehen. Doch die von Verteidigungsminister Šojgu stolz seinem Präsidenten rapportierte „Säuberung“ hat nicht stattgefunden. Zwar ist bei den Angriffen die Fläche des Brückenkopfs verkleinert worden, doch die Kriegsberichterstatter müssen einräumen, dass sich dort weiter rund 20 ukrainische Soldaten halten, die von den Inseln im Dnipro-Delta aus Feuerunterstützung erhalten.

Materialverluste auf beiden Seiten

Das langsame Vorrücken der Besatzungsarmee ist in erheblichem Ausmaß darauf zurückzuführen, dass es der Ukraine an Artilleriemunition sowie an Flugabwehrgeschützen mangelt. Eine Hoffnung auf eine gewisse temporäre Linderung des Mangels hat sich zerschlagen. Ecuador hatte zu erkennen gegeben, dass es bereit wäre, Munition und Geschütze aus sowjetischer und russländischer Produktion im Austausch gegen moderne Waffen an die USA abzugeben, die diese in die Ukraine transportiert hätten. Dann führte Russland ein Embargo auf den Import von Bananen aus Ecuador ein, zwei Wochen später zog die Regierung in Quito ihr Angebot zurück.

Die Ausdünnung der ukrainischen Luftabwehr an der Front führt heute dazu, dass Drohnen vom Typ „Lancet“, die zunächst über dem Zielgebiet kreisen (loitering weapons), viel tiefer als noch vor einigen Monaten ins ukrainische Hinterland eindringen können und dort Jagd auf Artilleriegeschütze und Panzer machen, die russländische Stellungen aus großer Entfernung unter Feuer nehmen. Es kursieren Videoaufnahmen, die die Zerstörung verschiedener westlicher Panzerhaubitzen, eines Abrams-Panzers sowie eines Minenräumfahrzeugs zeigen. Ein weiterer Abrams-Panzer wurde Anfang März von Infanteristen zerstört.

Der Ukraine sind ihrerseits mit Himars-Raketen Schläge auf Ziele im von Russland besetzten Hinterland der Front gelungen. Russlands Armeeführung hatte – offenbar berauscht vom Erfolg in Avdijivka – bei den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten am „Tag des Vaterlandsverteidigers“ am 23. Februar die in zwei Jahren unter schmerzhaften Verlusten erlangte Vorsicht abgelegt und an mehreren Orten Soldaten im Spalier zum Anhören von Festtagsreden und zur Ordensverleihung antreten lassen. Bei drei ukrainischen Angriffen sind mehr als 150 Soldaten ums Leben gekommen. Videos von Überlebenden zeigen, dass ganze Kompanien vernichtet wurden, die gegenwärtig aus ca. 30 Mann bestehen.

Den schwersten Materialverlust der vergangenen Wochen erlitt Russland am 23. Februar, als die Ukraine über dem Asowschen Meer bereits das zweite der extrem teuren Flugzeuge vom Typ A-50 abschoss. Von diesen fliegenden Radarsystemen besitzt Russland nach dem Verlust eines solchen Flugzeugs Mitte Januar nun nur noch sechs. Der Ukrainische Geheimdienst ließ verlautbaren, dass nur noch ein weiteres solches Flugzeug abgeschossen werden müsse, dann sei es Russland nicht mehr möglich, den Luftraum über dem Schwarzmeer-Raum rund um die Uhr zu überwachen. Dies mache es wesentlich leichter, Raketen und Drohnen ins Ziel zu führen. Viele Experten haben in offiziellen und inoffiziellen Stellungnahmen dargelegt, dass die Ukraine mit den Luftabwehrraketen, die ihr bekanntermaßen zur Verfügung stehen, kein Flugzeug in einer Entfernung von über 250 Kilometern hinter der Front abschießen könne. Die modernisierten S-200-Raketen – mit einer solchen wurde angeblich das fliegende Radarsystem abgeschossen – hätten zwar die Reichweite, es fehle ihnen aber die notwendige Zielgenauigkeit. Eine Spekulation lautet, Russlands Luftabwehr auf der Taman‘-Halbinsel im Osten der Krim, die dort die Krim-Brücke und die petrochemischen Anlagen im Bezirk Krasnodar schützen soll, habe die Maschine versehentlich abgeschossen. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass die Ukraine über westliche Raketen mit der entsprechenden Reichweite verfügt, ohne dass bislang über deren Lieferung etwas bekannt geworden ist. Moskau hat den Absturz vermeldet und erklärt, die Leichen der Besatzung seien gefunden worden, schweigt aber wie üblich zu den Ursachen.

Die Fähigkeiten der ukrainischen Luftabwehr sind grundsätzlich unbestritten. In der zweiten Februarhälfte und den ersten Märztagen sind jedoch nach ukrainischen Angaben so viele russländische Kampfflugzeuge vom Himmel gefallen, dass Zweifel an den Angaben aufkommen. Angeblich seien in den Gebieten Zaporižžja und Donec’k in Frontnähe 14 Mehrkampfflugzeuge abgeschossen worden, manchmal drei an einem einzigen Tag. Eine solche hohe Abschussquote an einem Tag hatte es zwar durchaus im Dezember schon einmal gegeben, dieses Mal lieferte die Ukraine jedoch keinerlei Material, das die Angaben hätte bestätigen können. Auch die indirekten Hinweise aus russländischen Kanälen fehlen. In anderen Fällen hatten Kriegskorrespondenten den Abschuss bestätigt, Geschwader, denen die Piloten angehört, oder Ausbildungsstätten, an denen sie die Beherrschung der Maschinen erlernt hatten, in öffentlichen Foren deren Tod bestätigt oder Begräbnisse angekündigt. Manchmal kursierten Bilder vom Abschuss oder von brennenden Maschinen am Boden, die von Privatpersonen aufgenommen und ins Internet gestellt wurden oder von ukrainischen Drohnen stammen. Nichts dergleichen tauchte im Falle der angeblich 14 nun abgeschossenen Kampfflugzeuge auf. Anders als bei früheren Abschüssen, die dazu geführt hatten, dass für eine gewisse Zeit keine Bomben mehr auf frontnahe ukrainische Ziele abgeworfen wurden, gab es in den vergangenen zwei Wochen keine solche Pause. Möglicherweise hat die ukrainische Armee in Zusammenhang mit dem Führungswechsel an der Spitze sowie den Ereignissen in Avdijivka in diesem Fall Erfolge vermeldet, die es nicht gab.

Der Luftkrieg

Sowohl Russland als auch die Ukraine haben ungeachtet der von beiden Seiten angekündigten Ausweitung der Drohnenproduktion seit dem massiven Austausch von Luftschlägen in den letzten Dezember- und ersten Januartagen deutlich weniger Drohnen und Raketen auf gegnerische Ziele gelenkt.

Russland schickt jede Nacht zwischen sieben und zehn Drohnen in Richtung Ukraine, würden diese in der angekündigten Geschwindigkeit produziert, wäre die Ukraine mit rund 40 Drohnen pro Nacht konfrontiert. Mit Raketen werden derzeit pro Nacht zwei Ziele angegriffen, im Durchschnitt des Jahres 2023 waren es mehr als sechs. Sie zielen auf Militärflugplätze in der Zentral- und Südukraine sowie auf Industrieanlagen im Osten und Süden des Landes. Die Folgen sind oft katastrophal. Am 2. März starben beim Einschlag einer einzigen Drohne in einem mehrstöckigen Haus in Odessa mindestens zehn Menschen, darunter zwei Kleinkinder und ihre Mütter.

Die Ukraine greift gegenwärtig mit durchschnittlich 5–6 Drohnen pro Nacht Ziele in Zentralrussland an. Getroffen wurde u.a. ein Stahlwerk in Novolipeck, das wichtig für die Rüstungsindustrie ist. Eine für den Betrieb der Hochöfen benötigte Anlage geriet in Brand, die Produktion musste eingestellt werden. Eine Drohne, die offenbar die Sverdlov-Werke in Dzeržinsk im Gebiet Nižnij Novgorod, treffen sollte, wurde vor dem Einschlag in der Sprengstofffabrik abgefangen. In Sankt Petersburg stürzte eine Drohne, deren Ziel der Ölverladehafen Ruč’i war, in ein Haus. Gelegentlich gibt es aber auch weiter Attacken mit Drohnenschwärmen. In der Nacht auf den 1. März wurden Ziele auf der Krim mit 38 Drohnen angegriffen, nach russländischen Angaben wurden jedoch alle bis auf eine abgefangen und auch diese verursachte keinen nennenswerten Schaden.

Macrons Äußerungen über westliche Truppen in der Ukraine

Für heftige Diskussionen sorgte ein Satz, den der französische Präsident Emanuel Macron bei einer zwecks Koordinierung der Hilfe für die Ukraine in Paris einberufenen Konferenz von 20 Staats- und Regierungschefs fallen ließ. Macron erklärte, es herrsche zwar keine Einigkeit über den möglichen Einsatz westlicher Bodentruppen, doch ein solcher dürfe nicht ausgeschlossen werden. „Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann." Er ginge von allgemeinen Überlegungen im Rahmen der EU und der NATO zur Abwägung konkreter französischer Pläne über.

Dies ist eine erhebliche Verschiebung der öffentlichen Debatte. Die Propaganda des Kreml, die zwecks Abschreckung des Westens schon lange behauptet, Russland befinde sich bereits in einem direkten Krieg mit diesem, präsentierten die Äußerung Macrons als Bestätigung des Behaupteten. Weniger offizielle Kanäle hingegen stellten besorgt fest, dass es nun, da das zuvor Unsagbare öffentlich angesprochen wurde, bis zur Umsetzung nur noch ein Schritt sei.

Tatschlich würde es der Ukraine enorm helfen, wenn auch nur einige westliche Staaten sich zu einem solchen Schritt entschließen würden. Die Soldaten dieser Länder müssten gar nicht an der Front eingesetzt werden. Truppen des polnischen Heers könnten etwa die ukrainischen Soldaten ersetzen, die die Grenze zu Belarus und zum De-facto-Staat Transnistrien bewachen. Beide Grenzen sind gut gesichert und die Gefahr eines russländischen Vorstoßes ist gering. Gleichwohl bindet die Überwachung der Grenze bislang ukrainische Kräfte. Würden westliche Einheiten der Luftverteidigung mit eigenem Gerät Kiew und die anderen ukrainischen Städte jenseits der unmittelbaren Kampfzone schützen, könnte die Ukraine ihre Luftabwehr an die Front verlegen, wo sie dringend gebraucht wird. Westliche Truppenärzte, Mechaniker und Minenräumkommandos könnten ebenfalls der Ukraine fernab der Front nützliche Dienste leisten. Dies würde auch dazu führen, dass westliche Soldaten, die meist gar keine Kampferfahrung haben oder solche allenfalls in auf niedriger Flamme gegen einen leichtbewaffneten Gegner geführten asymmetrischen Regionalkriegen in Afrika oder Afghanistan gesammelt haben, eine Ahnung davon bekommen, was ein echter Krieg gegen einen ernstzunehmenden Gegner bedeutet. Dies wäre eine ganz andere Vorbereitung auf einen möglicherweise auf eigenem Territorium zu führenden Abwehrkampf als die üblichen Truppenübungen.

So konkret wird in der europäischen Öffentlichkeit über dieses Thema noch nicht gesprochen. Doch Putin hat so oft wiederholt, dass Russland sich im Kampf gegen den „kollektiven Westen“ befinde, dass es nicht mehr unwahrscheinlich ist, dass dies tatsächlich eintritt.

Aus dem Russischen von Volker Weichsel, Berlin

Dieser Lagebericht stützt sich auf die vergleichende Auswertung Dutzender Quellen zu jedem der dargestellten Ereignisse. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.

Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter die des Kriegsberichterstatters der Komsomol’skaja Pravda Aleksandr Koc (https://t.me/sashakots) sowie des Novorossija-Bloggers „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonelcassad.livejournal.com/) sowie des Beobachters Igor’ Girkin Strelkov (https://t.me/strelkovii).

Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift.

Die Vielzahl der abzugleichenden Quellen wäre ohne Hilfe nicht zu bewältigen. Dem Autor arbeiten drei Beobachter des Kriegsgeschehens zu, die für Beratung in militärtechnischen Fragen, Faktencheck und Sichtung russisch- und ukrainischsprachiger Publikationen aus dem liberalen Spektrum zuständig sind und dem Autor Hinweise auf Primärquellen zusenden.

Die jahrelange wissenschaftliche Arbeit zu den ukrainischen Regionen sowie zahlreiche Reisen in das heutige Kriegsgebiet erlauben dem Autor, auf der Basis von Erfahrungen und Ortskenntnissen den Wahrheitsgehalt und die Relevanz von Meldungen in den sozialen Medien einzuschätzen.