Erklärung von Memorial International

Zur Zwangsauflösung von Memorial International

Am 28. Dezember 2021 hat das Oberste Gericht der Russischen Föderation die Auflösung von Memorial International angeordnet.

Formal wird dies damit begründet, dass – wie von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Verbotsantrag dargelegt ‑ auf einigen Publikationen der Vermerk "ausländischer Agent" fehlte. Während der Verhandlung hatten sich die Vorwürfe indes als juristisch völlig unhaltbar erwiesen.

Vor Gericht ging es denn heute auch nicht mehr nur um diesen Vorwand. Die Generalstaatsanwaltschaft nannte den wahren Grund, warum Memorial International ausgeschaltet werden soll: Wir würden die sowjetische Geschichte unzutreffend darstellen, „Lügen über die UdSSR verbreiten“, sie als „Terrorstaat“ zeichnen, und „staatliche Organe mit Kritik überziehen“. Der Staat aber darf nach Ansicht unserer Gegner nicht kritisiert werden.

Der Beschluss des Obersten Gerichts hat ein weiteres Mal bestätigt, dass die Geschichte des staatlichen politischen Terrors für Russland weiter kein bloß wissenschaftliches Thema ist, das nur wenige Spezialisten interessiert. Diese Geschichte ist schmerzlich aktuell. Unser Land braucht eine aufrichtige und ehrliche Auseinandersetzung mit der sowjetischen Vergangenheit. Nur dies ermöglicht Zukunft. Die Vorstellung, dass mit der gerichtlich angeordneten Auflösung von Memorial International das Thema zum Verschwinden gebracht werden kann, ist grotesk. Das Erinnern an die Tragödien der Vergangenheit ist für die gesamte russische Gesellschaft elementar. Und nicht nur für die russische. Die Erinnerung an den Staatsterror ist ein gemeinsames Thema aller ehemaligen Sowjetrepubliken.

Natürlich werden wir die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF mit allen verfügbaren Mitteln anfechten. Und wir werden legale Möglichkeiten finden, um unsere Arbeit fortzusetzen. Memorial ist nicht einfach nur eine Organisation, Memorial ist auch mehr als eine gesellschaftliche Bewegung. In Memorial zeigt sich das Bedürfnis aller Menschen in Russland, die Wahrheit über die tragische Vergangenheit des Landes zu erfahren, über das Schicksal von Millionen Menschen. Dieses Bedürfnis lässt sich nicht per Gerichtsbeschluss „auflösen“.

Memorial International

28. Dezember 2021

Aus dem Russischen von Vera Ammer
russisches Original hier