Nordkoreanische Leichen in Russlands Schnee
Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 146. Kriegswoche
Nikolay Mitrokhin, 19.12.2024
Vor Pokrovs‘k hat sich die Lage leicht entschärft, vor Kupjans’k hat sich hingegen verschärft, über Kurachove weht schon die russländische Fahne. Die ukrainische Wirtschaft hat ein sehr wichtiges Bergwerk verloren. In der Region Kursk sind zum ersten Mal nordkoreanische Soldaten im Einsatz. Sie verhalten sich höchst sonderbar und Russland nutzt sie tatsächlich als Kanonenfutter. Es sind makabre Videos und Fotos von ihnen aufgetaucht. Sie zeigen auch erstarrte Leichen, die reihenweise im Schnee aufgebahrt sind. Gleichzeitig gibt es Gerüchte über die Vorbereitung größerer Offensiven, sowohl von Kiew als auch von Moskau. Die ukrainische Luftwaffe und Saboteure erhöhen ihre Schlagzahl in Russland. Und der Sturz des Assad-Regimes in Syrien eröffnet Kiew eine einmalige Gelegenheit, die Munitionsbestände aufzufüllen.
Lage an der Front
Vor Kurachove und Pokrovs’k gehen die schweren Kämpfe weiter. Russlands Streitkräfte bereiten der ukrainischen Verteidigung ernsthafte Probleme. Insbesondere wurde ein kleiner Kessel südlich von Kurachove aufgelöst. Die ukrainische Armee zog ihre verteidigende Brigade durch eine schmale Öffnung zurück. In der vergangenen Woche griffen Kiews Truppen andererseits mit neuen Brigaden in der Nähe von Pokrovs‘k an und konnte die Situation dort etwas entschärfen. An der Donec’ker Front gehen die Straßenkämpfe in Kurachove, Torec‘k und Časiv Jar weiter. Die politische Führung auf beiden Seiten ist mit dem Geschehen unzufrieden und hat im Laufe der Woche Kommandeure ausgewechselt. Nördlich von Kupjans‘k ist die Lage komplizierter geworden: Die Okkupationsarmee hat nach der erfolgreichen Einnahme eines Dorfes auf der Westseite des Flusses Oskil durch die Ukrainer vor kurzem eine neue Landungstruppe etwas weiter südlich abgesetzt. In Vovčans‘k sind die schweren Kämpfe wieder aufgenommen worden. In der Region Kursk versucht die ukrainische Armee, ihre Stellungen unter dem heftigen Ansturm des russischen Militärs zu halten. Seit vergangener Woche ist nun offenbar zum ersten Mal auch das nordkoreanische Militär im Einsatz. Es sind makabre Videos und Fotos von ihnen aufgetaucht, die Drohnen aufgenommen haben. Sie zeigen erstarrte Leichen, reihenweise im Schnee aufgebahrt. Gleichzeitig halten sich hartnäckig Gerüchte über die Vorbereitung größerer Offensiven beider Seiten, die in naher Zukunft auf dem nun gefrorenen Boden beginnen könnten.
Lage in den Richtungen Pokrovs‘k und Kurachove
Die schwierige Lage an der Kreuzung der Fronten von Donec‘k und Zaporižžja, die zu einer schweren Krise der ukrainischen Verteidigung in drei (oder sogar mehr) Richtungen gleichzeitig zu führen droht, scheint endlich ein Umdenken der ukrainischen militärisch-politischen Führung herbeizuführen. Wertvolle Ressourcen, die bisher ausschließlich für die ukrainischen Einheiten in der Region Kursk bestimmt waren, werden umverteilt. Bohdan Petrenko, Sprecher der 48. OABR (separate Artilleriebrigade), hat etwa am 17. Dezember mitgeteilt, dass die Möglichkeit bestehe, dass die Russische Föderation beabsichtigte, in die Region Dnipropetrovs‘k einzumarschieren und sie einzunehmen. Petrenko tut dies, obwohl sich die ukrainischen Medien seit Monaten weigern, die Tatsache des fast unmittelbar bevorstehenden Einmarsches der Besatzer in diese Region zu diskutieren.
In der Nähe von Pokrovs‘k im Gebiet des Dorfes Ševčenko, das Berichten zufolge eine Woche zuvor unter die Kontrolle der Okkupanten geraten war, ist den ukrainischen Truppen ein Gegenangriff gelungen. Ševčenko ist die letzte Siedlung vor Pokrovs‘k in dieser Richtung. Berichten von Kriegsberichterstattern zufolge, die am 13. und 14. Dezember in der Gegend waren, drangen Russlands Sabotage- und Aufklärungsgruppen von dort aus über die Felder sogar bereits in die südlichen Stadtteile ein. Der 3. Elite-Sturmbrigade (Teil der ehemaligen „Asov“) und dem aus Mirnohrad verlegten 425. separaten Sturmangriffsbataillon „Skala“ ist es aber gelungen, den Angriff auf Ševčenko zurückzuschlagen. Gleichzeitig ist der viel wichtigere Nachbarort Novotroic’ke immer noch in der Hand der russischen Streitkräfte. Es ist der westlichste Punkt des russischen Vormarsches bei der Umgehung von Pokrovs‘k, der für die Durchtrennung der ukrainischen Verteidigung zwischen den Fronten von Donec‘k und Zaporižžja wichtig ist. Außerdem sind die russländischen Streitkräfte etwas weiter südlich bis zum nächsten Dorf Puškino vorgedrungen.
Die ukrainische Wirtschaft hat einen kolossalen Schlag erlitten. Fünf Kilometer westlich von Novotroic’ke liegt die Siedlung Udačne, hier befindet sich das Bergwerk „Schacht Krasnoarmejskaja-Zapadnaja Nr. „1. Dieses Bergwerk war der Hauptlieferant des Landes von Kokskohle, mit der bis zu 90 Prozent des Stahls für die ukrainische Stahlindustrie hergestellt wurden. Das Unternehmen Metinvest des Oligarchen Rinat Achmetov, dem das Bergwerk gehört, hat die Arbeiter und ihre Familien evakuiert. Selbst wenn sich die Ukraine Koks aus dem Ausland beschaffen kann, wird dies die Preise für Stahlerzeugnisse erhöhen und ihre Wettbewerbsfähigkeit verringern.
Im Südosten setzen die Okkupanten ihren langsamen Vormarsch bei Kurachove fort. Am 14. Dezember hissten sie die russländische Flagge über der Stadtverwaltung von Kurachove. Einzig die westlichen Außenbezirke der Stadt und das Kohlekraftwerk, das ein wichtiges Verteidigungszentrum ist, befinden sich noch in den Händen der ukrainischen Truppen. Wahrscheinlich werden die russischen Truppen die Stadt aber nicht direkt stürmen, sondern versuchen, sie zu umgehen und den Nachschub abzuschneiden, was in der gegenwärtigen Situation relativ einfach sein dürfte. Die Ukraine hat in dieser Woche südlich der Stadt im Bereich des Flusses Suchi Jaly die Reste einer Brigade abgezogen, die einen kleinen Kessel bei Veselyj Hai verteidigte.
Zentraler Teil der Front von Donec’k
Trotz des aktiven Vormarsches der russischen Streitkräfte im Süden der Donec’k er Front – vor allem bei Torec’k und Časiv Jar – ist der Widerstand der Verteidiger ziemlich hartnäckig. Die Lage erinnert, was das Tempo betrifft, an Bachmut. Damals wurden Bezirkszentren bis zu einem halben Jahr lang gestürmt und schließlich in ein Feld aus Ruinen verwandelt. Der russländische Generalstab scheint unzufrieden und wechselt das Kommando. Laut einer Pressemitteilung des russischen Verteidigungsministeriums wurde Generalleutnant Andrej Ivanaev am 15. Dezember zum Kommandeur der russischen Militärgruppierung „Osten“ („Vostok“) ernannt und löste damit Generaloberst Aleksander Sančik ab, der Kommandeur der Gruppierung „Süd“ („Jug“) wurde. Ivanaev ist somit für den Bereich südlich von Donec'k zuständig, einschließlich des östlichen Teils der Zaporižžja-Front. Ukrainische Medien erwarten hier eine Großoffensive über Orychyv auf Zaporižžja.
Kampf um Kupjans‘k
Die 3. Freiwilligenarmee hat am 14. und 15. Dezember versucht, erneut bei Kupjans‘k durchzubrechen. An dem Angriff waren nach ukrainischen Angaben 400 Soldaten, bis zu 30 gepanzerte Fahrzeuge und 60 Motorräder beteiligt, die von Artillerie und Drohnen stark unterstützt wurden. An vier Stellen gelang es ihnen, die ukrainischen Verteidigungsanlagen zu durchbrechen und Truppen abzusetzen. Dies führte nach ukrainischen Angaben zu Hunderten von Toten in den Reihen der vorrückenden Truppen.
Am 14. Dezember überquerten die Besatzer den Fluss Oskil nördlich von Kupjans‘k in der Nähe des Dorfes Masjutyvka. Obwohl der von den russischen Streitkräften eroberte Brückenkopf relativ klein ist, schlagen die ukrainischen Medien (darunter der militäranalytische Telegram-Kanal Deep State) Alarm, um die ukrainischen Truppen vor einem erneuten Überraschungsangriff wie zuletzt in Kupjans’k zu warnen.
Sudža-Blase und nordkoreanische Soldaten
Im östlichen und nördlichen Teil der Sudža-Blase im Gebiet Kursk finden weiterhin schwere Kämpfe statt. Russland versucht seit einem Monat, gleichzeitig im Nordosten (bei Malaja Loknja) und im Osten, entlang der Staatsgrenze (bei den Dörfern Plechovo und Guevo), Druck auszuüben. Und hier haben in dieser Woche sowohl die russländische als auch die ukrainische Seite zum ersten Mal den tatsächlichen Einsatz von nordkoreanischen Soldaten bei den Kämpfen festgestellt. Die Ausbildung und der Transport der Soldaten aus dem Fernen Osten zum Einsatzgebiet ermöglichten erst jetzt ihren Kampfeinsatz. Die ersten echten Informationen über ihre Teilnahme an den Kämpfen kamen am 12. Dezember von russischen Kriegsberichterstattern und Politikern: „Nur nennen sie sich nicht Spezialkräfte, sondern Aufklärungsbataillone. Sie sind nur mit leichten Waffen bewaffnet“, schrieb der flüchtige ukrainische Ex-Parlamentarier Oleg Zarev am 12. Dezember in seinem Blog, wohl als Reaktion auf das Gefecht am 10. Dezember bei Plechovo.
Ihre Anwesenheit wird durch Drohnenaufnahmen bestätigt. Sie zeigen Gruppen von Menschen mit roten Bändern, die an den Hüften um beide Beine gebunden sind. Ihr Vorgehen erinnert an Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Videos zeigen, wie die Leichen von Nordkoreanern im Schnee liegen. Sie werden tagsüber in Reihen entlang der Straße aufgebahrt, um offenbar im Dunkeln abgeholt zu werden. Die ukrainischen Drohnenpiloten stellen fest, dass die nordkoreanischen Kämpfer anders als die russischen Soldaten keine Angst vor den ukrainischen Aufklärungsdrohnen haben. Sie schießen nicht auf sie, lassen sie mitunter nah an sich herankommen und betrachten sie neugierig. Dies ermöglicht es, ihre Gesichter zu fotografieren. Es sind auch Videos von verwundeten Kämpfern aus einem Krankenhaus in der Region Kursk erschienen.
Wie erwartet zeigte der Einsatz dieser Soldaten, auch wenn es sich um Elitekräfte handelte, letztlich keine größere Wirkung. Die nordkoreanischen Befehlshaber des 11. Korps jagten ihre Untergebenen am helllichten Tag zu Frontalangriffen über schneebedeckte Felder. Sie kamen etwa zwei Kilometer weit. Die ukrainische Armee griff sie mit amerikanischer Streumunition, HIMARS-Raketen und Drohnen an. Dabei erlitten die nordkoreanischen Truppen schwere Verluste. Die Russen hatten ihnen offenbar veraltete gepanzerte Mannschaftstransporter zugeteilt, diese wurden offenbar völlig ausgebrannt. Russischen Berichten zufolge soll es den nordkoreanischen Soldaten gelungen sein, leicht vorzurücken und mehrere Waldgebiete zu besetzen. Doch an der Frontlinie gab es keine nennenswerten Veränderungen. Der ukrainische Journalist Jurij Butusov beschrieb das Gefecht vom 15. Dezember in der Nähe von Malaja Loknja wie folgt:
„Mehr als 200 nordkoreanische Soldaten griffen die ukrainischen Stellungen aus mehreren Richtungen an. Das Ziel war es, einen der Abschnitte des Waldgürtels einzunehmen. Die russischen Truppen leisteten starken Feuerschutz und setzten aktiv Mittel der radioelektronischen Kriegsführung ein, darunter Bodenstationen und Mi-8-Hubschrauber. Der Feind setzte die Taktik der „lebenden Wellen“ ein, die an die Methoden der nordkoreanischen und chinesischen Armeen im Koreakrieg 1950–1953 erinnerte. Trotz erheblicher Verluste gelang es den Angriffstrupps zu den ukrainischen Stellungen vorzudringen. Die nordkoreanischen Einheiten eroberten einen Teil der Schützengräben. Den ukrainischen Truppen gelang es jedoch, ihre Stellungen zu halten und erfolgreiche Gegenangriffe zu starten, um die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen.“
Erwartung einer ukrainischen Offensive
Trotz der Misserfolge der ukrainischen Streitkräfte in den vergangenen Monaten erwarten das russische Militär und einige politische Blogger den baldigen Beginn einer ukrainischen Offensive. Sie solle pünktlich zu Trumps Amtseinführung die Fähigkeit der ukrainischen Streitkräfte unter Beweis stellen, nicht nur Widerstand zu leisten, sondern auch erfolgreich und offensiv zu kämpfen. Die ukrainische Seite hatte dies vor etwa drei Wochen in knappen Worten angekündigt. Die russische Seite teilte etwa zur gleichen Zeit mit, dass etwa 13 000 Militärangehörige, die an der Grenze der Region Kursk konzentriert waren, in unbekannte Richtung abgezogen seien. Darüber hinaus verfügen die ukrainischen Streitkräfte über die Reserve von „zweieinhalb“ neu gebildeten Brigaden, wie der ukrainische Präsident Volodymyr Zelens’kyj mitgeteilt hatte. Sie seien mit westlichen Waffen ausgerüstet. Hinzu kommen bis zu fünf neue mechanisierte Brigaden.
Zudem gibt es durchaus Grund zu der Annahme, dass Russlands Armee müde wird. Die Okkupanten sind seit einem Jahr an der Donec’ker Front ununterbrochen in der Offensive. Sie haben Truppen und Ausrüstung verloren und können den bisherigen Druck möglicherweise nicht aufrechterhalten. Es ist durchaus möglich, dass Truppen von hier an wichtigere Frontabschnitte verlegt wurden. Daher könnte ein möglicher Angriff der Ukraine, etwa aus Richtung Kramators‘k in Richtung Bachmut oder Avdijivka, die Blase der russischen Verteidigung platzen lassen. Russische Militärblogger fürchten aber vor allem eine Offensive Kiews gegen Belgorod.
Luftkrieg
Das Hauptereignis im Luftkrieg war in dieser Woche der russländische Großangriff am 13. Dezember auf Ziele vor allem in der Westukraine. Nach Angaben des Luftwaffenkommandos der ukrainischen Armee schoss Russlands Luftwaffe innerhalb weniger Stunden 94 Raketen ab. Es handelte sich um Marschflugkörper der Typen Ch-101, Ch-55 sowie Kalibr- und Iskander-Raketen. Von diesen sollen 81 abgeschossen worden sein. Hinzu kamen 193 Drohnen, was einen neuen Tagesrekord bedeutet. Davon konnte die Ukraine 80 abschießen, weitere 105 Drohnen erreichten ihr Ziel nicht.
Das Ziel des Angriffs in der Region Ivano-Frankivs‘k war das große Wärmekraftwerk Burštyn, das seit Ende 2022 immer wieder systematisch angegriffen wird, sowie der Flugplatz Kolomyja. In der Gebiet Lwiw wurde der größte unterirdische Gasspeicher der Ukraine in der Nähe von Stryj getroffen, der ebenfalls bereits mehrfach Ziel von Angriffen war. In Odessa wurde der Flugplatz Lymanske ins Visier genommen. In der Region Čerkasy nahm die Infrastruktur des Wasserkraftwerks in Kanev Schaden. Nach ukrainischen Angaben wurden bei dem Angriff auch Umspannwerke getroffen, die für die Stromversorgung zwischen der Ukraine und ihren westlichen Nachbarn wichtig sind.
Russische Kriegsberichterstatter bezeichnen den Angriff als erfolglos. Sie meinen, dass die Ankündigungen der ukrainischen Energieingenieure, die Stromerzeugung zu drosseln und den Verbrauch einzuschränken, dazu dienten, das Fehlen echter Schäden zu verschleiern. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde hatten am Tag des Beschusses fünf von neun ukrainischen Kernkraftwerken die Leistung reduziert. Es wurde bekannt, dass die Ukraine Stromimporte aus Polen, Rumänien, der Slowakei, Ungarn und Moldova angefordert hat.
Darüber hinaus wurden am 10. Dezember 2024 bei einem Raketenangriff auf ein Bürozentrum in Zaporižžja elf Menschen getötet und 22 verletzt, darunter ein Kind.
Ukrainische Angriffe in Russland
Am 10. Dezember griffen ukrainische Drohnen den “Brjansk NP” (Nalivnoj Punkt) an, eine Füllstation der Družba-Ölpipeline. Hier wird etwa Dieselkraftstoff auf Tankfahrzeuge und Güterwaggons umgeladen. Die Station wird auch zur Versorgung der russischen Armee genutzt. Ein Dutzend Drohnenangriffe führte zu einer heftigen Explosion des Komplexes und hinterließ eine brennende Fackel, die noch aus mehreren Kilometern Entfernung sichtbar war. In derselben Nacht wurde nach Angaben von Kriegsreportern die in der vergangenen Woche von den ukrainischen Behörden vorgestellte Drohnenrakete “Peklo” zum ersten Mal von der Region Odessa aus gestartet. Sie wurde jedoch von einer MiG-29 der Schwarzmeerflotte 120 Kilometer südwestlich von Kap Tarchankut im Westen der Halbinsel Krim abgeschossen.
In der Nacht zum 11. Dezember 2024 griffen die ukrainischen Luftstreitkräfte mit sechs ATACMS-Raketen den Wissenschaftlich-Technischen Komplex für Luftfahrt Taganrog „G. M. Berijew“ (Beriev Aircraft Company) an. Dabei handelt es sich um einen Großbetrieb für die Herstellung von Radarflugzeugen. Nach Angaben von Kriegsberichterstattern wurden fünf Raketen von der Luftabwehr abgefangen, während die sechste Rakete ein Gebäude und etwa 30 Fahrzeuge beschädigte. Ukrainischen Berichten zufolge traf die sechste Rakete die 5. Fliegergruppe und verwundete 41 Soldaten. Diese Angaben wurden jedoch nicht bestätigt. Einen Tag nach dem Angriff gab die russische Seite bekannt, dass in Taganrog mit der Produktion von schweren Drohnen mit einer Reichweite von mehr als 1000 Kilometern und einer Nutzlast von 200 bis 300 Kilogramm begonnen wurde. Diese Drohnen ähneln der türkischen Drohne Bayraktar, die demnächst in einem neuen Werk in der Nähe von Kiew in Produktion gehen soll. Die russländische Drohne ist angeblich um das 16-fache günstiger.
Am Abend des 11. Dezember versuchten die ukrainischen Streitkräfte, Sevastopol’ mit einem Dutzend Drohnen anzugreifen. Sie wurden jedoch und beim Anflug auf die Stadt noch über dem Meer abgeschossen. In derselben Nacht wurde in Grosnyj eine Drohne über der Kaserne eines Polizeiregiments der Tschetschenischen Republik nach offiziellen Angaben vom Himmel geholt. Vier Wachsoldaten wurden leicht verwundet. Am 14. Dezember verübte die ukrainische Armee erfolgreich einen Angriff auf die russische Ölinfrastruktur. Der Angriff galt der “Stal’noj Kon’”, einem der größten Erdölterminals in Orel in Zentralrussland. Nach Angaben ukrainischer Medien soll das Terminal auch die Armee mit Erdölprodukten versorgen. Es soll ein heftiges Feuer ausgebrochen sein. Am selben Tag verlor die ukrainische Luftwaffe ein Flugzeug der 299. taktischen Luftbrigade über der Region Zaporižžja, wobei der junge Pilot ums Leben kam.
Am Morgen des 16. Dezember flog eine von einem Leichtflugzeug gestartete Drohnen auf die Kaserne des zweiten OMON-Regiments in Grosnyj zu und sprengte das Gebäude der Sanitätseinheit in die Luft, wobei es keine Verletzten gab.
Lieferung von Luftabwehrsystemen
Am 11. Dezember kündigte der ukrainische Ministerpräsident Denis Šmyhal an, dass Deutschland ein sechstes IRIS-T-Luftabwehrsystem und weitere Startgeräte für Patriot-Systeme an Kiew übergeben wird. Angesichts des Mangels an Luftabwehrsystemen und Raketen ist dies ein wichtiges (und extrem teures) Geschenk. Westlichen Berechnungen zufolge bleibt die Gesamtzahl der tatsächlich übergebenen Systeme jedoch weit hinter der zugesagten Zahl zurück. Präsident Zelens’kyj zufolge benötigt die Ukraine zwölf bis 15 Luftabwehrsysteme zusätzlich zu den bereits gelieferten. Die Ukraine braucht 20 bis 25 große Luftabwehrsysteme (wie Patriot und IRIS-T), um ihre wichtigsten Städte zu schützen und eine Barriere zu schaffen, um Moskaus Marschflugkörper daran hindert, tief ins Land zu fliegen.
Mögliche Auswirkungen des Assad-Sturzes auf den Ukraine-Krieg
Der Zusammenbruch des Assad-Regimes hat die ukrainische politische Klasse erfreut. Denn Russland hat zweifellos eine große geopolitische Niederlage erlitten. Doch diese Niederlage dürfte direkte negative Folgen für Kiew haben. In Syrien hat Moskau mindestens ein Dutzend Stützpunkte unterhalten und etwa sechstausend Mann stationiert. Diese Präsenz wird nun verringert. Im Absprache mit den neuen Machthabern wird russische Militärausrüstung aus dem Land geschafft. Es handelt sich unter anderem um Dutzende von gepanzerten Fahrzeugen verschiedener Typen: Panzer, Mannschaftstransportwagen, der Mehrzweckgeländewagen “Tiger” und gepanzerte Lkw des Typs “Ural”. Hinzukommen viele Spezialfahrzeuge: Kräne, Feuerwehrfahrzeuge, Jeeps und Feldküchen. Der Abtransport wird von Videos bestätigt. Mitunter handelt es sich um Fahrzeuge neuester Produktion. Zudem dürften auch Luftabwehr- und elektronische Kampfführungssysteme exportiert werden. Die Evakuierung des russischen Kontingents in Syrien dauert schon die ganze Woche an. Nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes werden die Truppen vom Militärflugplatz Hmeimim mit Frachtflugzeugen nach Čkalovsk, Nižnij Novgorod und Machačkala transportiert. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass diese Bestände und ein Teil der Truppen bald ihren Weg an die Front in der Ukraine finden werden.
Andererseits bietet sich der Ukraine die einmalige Gelegenheit, die erschöpften Munitionsbestände für sowjetische Waffen aufzufüllen. Viele von ihnen werden gar nicht mehr hergestellt. In erster Linie handelt es sich um Raketen aller Art für die Luftverteidigung, etwa „Uragan“ und „Grad“, aber auch 122-mm-Granaten, Minen und luftgestützte Raketen. Darüber hinaus wären die zahlreichen sowjetischen Waffen in syrischen Lagern, darunter Luftabwehrsysteme sowie möglicherweise gepanzerte Fahrzeuge und deren Ersatzteile, für die Verteidigung der Ukraine durchaus geeignet. Zwar wird Israel, das seit Tagen solche Lagerhäuser bombardiert, diese Bestände stark reduzieren. Doch wie die Erfahrungen im Kampf gegen ISIS gezeigt haben, ist es schwierig, alles zu zerstören. Die Bestände zu kaufen oder mit der neuen Regierung auszutauschen, ist durchaus realistisch und sinnvoll. Dies könnte die Kampfkraft derjenigen ihrer Einheiten erhöhen, die über zu wenige Waffen und Munition verfügen. Das Motto könnte lauten “Getreide für Waffen und Munition”. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Zelens’kyj am 15. und 16. Dezember persönlich die Initiative ergriff, um der neuen syrischen Regierung dringende Getreidehilfe zu leisten. Die russländischen Streitkräfte vermuten bereits, dass die Schiffe, die Getreide aus der Ukraine abtransportieren, auf ihrem Rückweg auch militärische Ladungen in das Land bringen. Damit erklären sie auch die Angriffe auf einige dieser Schiffe.
Anschläge ukrainischer Saboteure
In den vergangenen zehn Tagen haben die ukrainischen Sicherheitsdienste in den besetzten Gebieten und auf russländischem Territorium eine Reihe von erfolgreichen Liquidierungen ihrer Gegner durchgeführt. Zwar haben sie schon früher gezielt Personen getötet, die als Verräter galten. Zum Beispiel den ehemaligen Abgeordneten der Verchovna Rada, Ilja Kiva (am 6. Dezember 2023 in einem Moskauer Vorort erschossen), den ehemaligen Kommandanten des U-Boots „Krasnodar“ Stanislav Ržitskij (am 10. Juli 2023 in Krasnodar erschossen), den GRU-Oberst und Ausbilder der Spezialeinsatzkräfte Nikita Klenkov (am 17. Oktober 2024 in einem Moskauer Vorort erschossen) oder die Propagandistin Darja Dugina (am 20. August 2022 in einem Moskauer Vorort in die Luft gesprengt). Aber seit Valerij Trankovskij, Kommandeur der 41. Brigade von Raketenschiffen und -booten der Schwarzmeerflotte, Kapitän I. Ranges, Mitte November in seinem Auto in Sevastopol’ in die Luft gesprengt wurde, erreichten diese Aktivitäten ein neues Niveau.
Am 9. Dezember wurde ein Sergej Evsjukov, der frühere Leiter des Olenivka-Gefängnisses, bei einem Autobombenanschlag in Donec’k getötet. Er war der Leiter der Kolonie, als dort 50 ehemalige Kämpfer des Batallions “Azov” bei Explosionen getötet wurden. Überlebende, die gegen russische Gefangene ausgetauscht wurden, erklärten, die Kolonieverwaltung selbst habe die Kaserne mit Sprengsätzen versehen lassen. Am 12. Dezember wurde mit Michail Šackij ein wichtiger Militäringenieur bei einem Spaziergang in Kotel’niki bei Moskau durch mehrere Schüsse aus nächster Nähe getötet. Er war stellvertretender Generalkonstrukteur des “Mars”-Konstruktionsbüros und Leiter der Software-Abteilung, die die Arbeiten zur Verbesserung der Raketen Kh-59 und Kh-69 organisierte. Zudem war er an der Entwicklung von KI-basierten Drohnenleitsystemen beteiligt. Der ukrainische Militärgeheimdienst übernahm die Verantwortung.
Am 17. Dezember ereignete sich ein aufsehenerregender Terroranschlag in Moskau. Diesmal traf es Generalleutnant Igor Kirillov. Der Leiter der Strahlen-, chemischen und biologischen Abwehrkräfte der russischen Streitkräfte und sein Assistent wurden am frühen Morgen in seinem Eingang am Rjazanskij Prospekt in die Luft gesprengt. Ein Kilogramm TNT-Sprengstoff war am Griff eines Elektrorollers befestigt worden. Der Vorgang wurde von der Kamera eines parkenden Carsharing-Autos aufgezeichnet. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) nannte Kirillov einen Kriegsverbrecher und übernahm die Verantwortung für den Anschlag. Der SBU wirft dem Ermordeten vor allem vor, den Einsatz sanktionierter chemischer Waffen an der Front genehmigt zu haben, was zu 4800 registrierten Verstößen gegen internationale Konventionen führte.
Anschläge russländischer Saboteure und Spionage in der Ukraine
Der russischen Nachrichten- und Spezialdienste versuchen, in ähnlicher Weise zu reagieren, allerdings auf niedrigerem Niveau. Am 16. Dezember wurden in Charkiv zwei 15-Jährige festgenommen, die am 8. und 9. Dezember auf Anweisung ihrer russischen Betreuer in der Nähe von zwei Polizeistationen TNT mit Metallkugeln platziert und anschließend mit ferngesteuerten Zündern zur Explosion gebracht haben sollen. Am 14. Dezember wurde zum ersten Mal seit längerer Zeit ein Anschlag auf einen Militär verübt, bei dem dieser ums Leben kam. Einem 37-jährigen Verdächtigen droht eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Auch die Aufdeckung von prorussländischen Spionagegruppen geht weiter. Am 13. Dezember wurden in Charkiv zwei Gruppen von 15- und 16-jährigen Spionen enttarnt, die für den FSB arbeiteten. Sie kundschafteten unter anderem Luftverteidigungsanlagen aus und sollen Brandanschläge auf Transformatoren an einer Eisenbahnlinie vorbereitetet haben. Am 17. Dezember nahm der SBU in den Regionen Dnipropetrovs’k, Zaporižžja, Charkiv, Sumy, Mykolajiv und Odessa ein großes Agentennetz fest, das mutmaßlich im Auftrag von Russlands Militärgeheimdienst GRU arbeitete. Es hatte sich auf die Suche von temporären und permanenten Standorten ukrainischer F-16-Flugzeuge spezialisiert. Auch Standorte von Regierungs- und Militärbehörden wurden erfasst, um Raketenangriffe gegen sie zu starten. An der Spitze stand offenbar ein aktiver Soldat der ukrainischen Streitkräfte und im Gegenteil behauptete, er arbeite für den ukrainischen Sicherheitsdienst SBU.
Aus dem Russischen von Felix Eick, Berlin
Hinweis zu den Quellen: Die Berichte stützen sich auf die Auswertung Dutzender Quellen zu den dargestellten Ereignissen. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.
Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen wie jene von Deep State (https://t.me/DeepStateUA/19452) – werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter „Rybar’“ (https://t.me/rybar), Dva Majora (https://t.me/dva_majors), und „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonel cassad. livejournal.com/). Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift