Ökologische Modernisierung in Russland – Externe Faktoren
Was könnte Russland dazu bewegen oder zwingen, sich aktiv für den Klimaschutz einzusetzen?
Workshop der DGO zur ökologischen Modernisierung in Russland
Dritter Bericht der Deutschen Welle, russischsprachige Redaktion
Russland hat sich in den letzten Monaten auf der internationalen Bühne zum weltweiten Kampf gegen den Klimawandel bekannt. Doch die Klimaschutzagenda des Präsidenten und der Regierung ist voller Widersprüche und genießt – zumindest bislang – keine breite Unterstützung in der russischen Gesellschaft. Eine echte grüne Modernisierung Russlands wird daher wohl nur durch interne oder externe Schocks ausgelöst werden.
Von besonderer Bedeutung wird der Green Deal der EU sein, vor allem eines seiner zentralen Elemente – das CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Die Ankündigung der EU, die Dekarbonisierung der Wirtschaft mit mehr Nachdruck voranzutreiben und die Umstellung auf erneuerbare Energien zu beschleunigen, könnte zu mehr Kooperation, aber auch zu mehr Konfrontation zwischen Russland und der EU führen.
Zwei neue Studien des Projekts „Nachhaltiges Russland“
Dies sind die Kernaussagen zweier neuer Studien, die russische Wissenschaftler im Rahmen des Projekts „Nachhaltiges Russland – Auf dem Weg zu einer diversifizierten und klimafreundlichen Wirtschaft" vorstellten. Sie wurden am 24. November bei einem Online-Workshop der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) präsentiert.
Vor einem Monat wurden bei einem ähnlichen Workshop der DGO bereits die ersten drei Studien zu Szenarien einer ökologischen Modernisierung der russischen Wirtschaft und zu den Aussichten für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen (EE) in Russland diskutiert. Zwei weitere Workshops werden folgen. Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt gefördert.
"Wer kann den Impuls für einen Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft geben?“ fragen in ihrer Studie Evgenij Gontmacher, Professor an der Moskauer Wirtschaftshochschule (HSE), und Angelina Davydova, Direktorin des Umweltinformationsbüros (Bjuro Ėkoločeskoj informacii) in St. Petersburg.
Russland befindet sich am Beginn einer "grünen Modernisierung von oben“
Unter Verweis auf internationale Erfahrungen betonen die Autoren, dass ein gesellschaftlicher Konsens notwendig sei, um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen. Der Staat, die regionalen und die lokalen Behörden, die Wirtschaft und die Menschen müssten die Klimaziele teilen und die Methoden zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen unterstützen. Dies sei in Russland bislang nicht der Fall. Daher befände sich Russland in einer ersten Phase einer "grünen Modernisierung von oben": Das Thema Klimaschutz werde weitgehend von den zentralen Behörden in Moskau auf die Agenda gesetzt, und auch dies nur zögerlich, widersprüchlich und oft rein deklaratorisch.
"In der politischen Debatte tauchen Klimafragen vor allem in zwei Zusammenhängen auf", heißt es in der Studie. Zum einen "in Zusammenhang mit Klimarisiken, die auch für Russland bestehen, also mit potentiellen Schäden, auf die man mit Anpassung reagieren muss ". Zum anderen "in Zusammenhang mit Risiken, die sich aus der weltweiten Dekarbonisierung ergeben, die das derzeitige wirtschaftliche Entwicklungsmodell Russlands gefährdet, das auf der Förderung, Verarbeitung und Ausfuhr kohlenstoffintensiver Güter beruht".
Diese Risiken könnten zu einer spürbaren Verschlechterung des Lebensstandards der Russen führen und „Russlands Status als eines der einflussreichsten Länder der Welt“ gefährden. Die Autoren des Berichts sind der Ansicht, dass diese beiden Faktoren – der soziale und der geopolitische – dazu führen könnten, dass Russlands Führung sich ernsthaft mit einer grünen Modernisierung der Wirtschaft beschäftigt.
In der politischen Elite Russlands, so Angelina Davydova während des Workshops, gebe es jedenfalls „kaum noch Zweifel daran, dass der Klimawandel tatsächlich stattfindet". Jetzt sei es wichtig, in der Klimaagenda nicht nur Risiken, sondern auch neue Chancen zu sehen.
Das autoritäre System zementiert den Status quo
Der russische Staat sei jedoch aufgrund des autoritären politischen Systems auf die Zementierung des Status quo ausgerichtet und verhindere sogar den bloßen Gedanken an eine Reform. Der Kampf gegen den Klimawandel erfordere jedoch umfassende Reformen in vielen Bereichen, betonte Evgenij Gontmacher.
Auch die Haltung der Wirtschaft zum Klimawandel ist laut der Studie bislang uneinheitlich. Der eng mit dem Staat verbundene, in aller Regel kohlenstoffintensive Rohstoffsektor sei eindeutig nicht an einer Dekarbonisierung interessiert, wenn auch einige große Unternehmen eine Umorientierung eingeleitet hätten. Der Hightech-Sektor, dessen Geschäftsmodell nicht auf Rohstoffen beruht, unterstütze im Prinzip eine grüne Modernisierung, habe jedoch "noch keinen besonders großen Einfluss auf die Politik“.
Die russische Gesellschaft wiederum habe sich in den letzten Jahren zunehmend mit lokalen Umweltproblemen befasst, zeige aber bisher wenig Interesse an globalen Klimafragen. Es gebe viele örtliche Umweltinitiativen, aber keine landesweite Bewegung für den Klimaschutz.
Hinzu komme, dass die Regierung gesellschaftliche Aktivitäten nicht nur einfach nicht fördere, sondern im Gegenteil Druck auf die Umweltbewegung ausübe. So habe das Gesetz über ausländische Agenten „seit 2012 zur Auflösung von 22 der 32 als ‚ausländische Agenten‘ deklarierten Umweltvereine geführt", heißt es in der Studie. Allein im Jahr 2020 wurden in verschiedenen Regionen Russlands 14 Straf- und 264 Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Menschen aus der Umweltbewegung eingeleitet.
Der Green Deal der EU ist ein neues Modell für wirtschaftliches Wachstum
Es zeigt sich also, dass Russlands politische Führung und die russische Wirtschaft das Thema Klimaschutz derzeit hauptsächlich oder sogar ausschließlich aufgrund externer Faktoren auf die Agenda setzen. Einem der wichtigsten dieser externen Faktoren ist die zweite der auf dem Workshop vorgestellten Studien mit dem Titel "Der Green Deal der EU und Szenarien für die Beziehungen zwischen der EU und Russland in der Klimapolitik bis 2035“ gewidmet.
Die Politikwissenschaftlerin Tatjana Romanova, außerordentliche Professorin für Europäische Studien an der Staatlichen Universität St. Petersburg, und der Wirtschaftswissenschaftler Aleksej Portanskij von der Akademie der Wissenschaften betonen, dass der Begriff Green Deal in Russland in zweierlei Weise übersetzt werde: "Zum einen als „Grüner Deal“ (zelenaja sdelka) mit Fokus auf kommerzielle Aspekte, zum anderen in Anlehnung an die gängige Übersetzung für Roosevelts New Deal als „Grüner Kurs“, womit betont werde, dass es sich um ein neues Modell für Wirtschaftswachstum handele. Diese Übersetzung spiegle, so die Studie, das Projekt der EU besser wider.
Die Autoren beschreiben die Klimaschutzziele der EU, die Zeitpläne und die Mittel zu ihrer Erfüllung und analysieren daraufhin die möglichen Auswirkungen des Green Deals, insbesondere der Einführung eines CO2-Grenzausgleichssystems auf Russland. Schließlich sei die EU ein wichtiger Markt für Russland, vor allem beim Absatz von Energierohstoffen, aber auch bei Düngemitteln, Zement, Metallen, Chemikalien und anderen kohlenstoffintensiven Produkte. Die Schätzungen der möglichen Verluste für die russische Exportwirtschaft und den russischen Staatshaushalt gehen weit auseinander. Definitiv gehe es um mehrere Milliarden Dollar pro Jahr.
Eine Politisierung der Klimapolitik wird zu Konfrontation führen
Gleichzeitig weisen die Autoren darauf hin, dass der Green Deal neue Chancen für Russlands Wirtschaft biete: mittelfristig könnte mehr Erdgas exportiert werden, die Nachfrage nach Aluminium könnte wegen des Baus von Windkraftanlagen steigen, bestehende Pipelines könnten für den Transport von Wasserstoff genutzt werden, eventuell könnte Russland auch Strom in die EU exportieren. "Die grüne Transformation könnte einen starken Impuls für eine Modernisierung der Produktionskapazitäten in Russland geben“, erklärte Aleksej Portanskij während des Workshops und betonte: "Die Energiewende muss sich lohnen".
Gegenwärtig, so die Autoren, „gibt es in der EU im Bereich der Klimapolitik sowohl Ansätze für Kooperation als auch konfrontative Elemente". Ähnlich sehe es in Russland aus. Vier Szenarien seien möglich, zwei davon träten mit höherer Wahrscheinlichkeit ein als die übrigen beiden.
"Eine Klimapartnerschaft wäre der beste und zugleich herausforderungsvollste Weg. Eine aktive Dekarbonisierung in Russland würde mit der Bereitschaft der EU zur Zusammenarbeit verknüpft werden", heißt es in der Studie. Das schlechteste Szenario wäre, dass der Übergang zu erneuerbaren Energien in der EU vor allem als Mittel zur Verringerung der Abhängigkeit von Öl und Gas aus Russland betrachtet werde, während sich in Russland die Auffassung durchsetze, dass es „inakzeptabel ist, sich einem Klimadiktat des Westens zu unterwerfen.“
Um dies zu vermeiden, "muss eine Politisierung des Klimaschutz-Dialogs verhindert und diese auf der Ebene der Fachgremien geführt werden", erklärte Romanova. In Russland könnte zum Beispiel die Federführung bei den Verhandlungen nicht dem Außenministerium, sondern dem Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung übertragen werden.