Präsidentschaftswahlen in Rumänien 2025

Ein politisches Beben

Kai-Olaf Lang, 21.5.2025

In Rumänien hat sich bei den Präsidentschaftswahlen der Kandidat des liberalen Lagers durchgesetzt. Eine starke Wählermobilisierung in der zweiten Runde verhinderte einen Sieg des Rechtsnationalisten George Simion. Doch nach der Annullierung des ersten Wahlgangs vom November 2024 sind alle politischen Institutionen des Landes beschädigt. Die Stimmung ist angeheizt, die Erwartungen sind hoch, die Wirtschaftslage schlecht und die politischen Optionen bei der nun anstehenden Bildung einer neuen Regierung sämtlich prekär. Hinzu kommt, dass die geopolitischen Rahmenbedingungen innenpolitisch durchschlagen, Aus den für Rumänien so wichtigen USA kommt Störfeuer.

Rumäniens neuer Präsident heißt Nicușor Dan. Der parteilose bisherige Bukarester Bürgermeister hat sich in einer Stichwahl am 18.5.2025 mit 54 Prozent der gültigen Stimmen gegen den Vorsitzenden der rechtsnationalistischen Partei Alianța pentru Unirea Românilor (Allianz für die Vereinigung der Rumänen, AUR) George Simion durchgesetzt. Im ersten Wahlgang hatte Simion mit knapp 41 Prozent noch klar vor Dan gelegen, der nur fast 21 Prozent der Stimmen erhalten hatte.

Auf den ersten Blick handelte es sich um ein Duell zwischen jenen zwei Lagern, die in immer mehr europäischen Staaten die polarisierte politische Landschaft prägen: einer von Dan repräsentierten Strömung, die für eine liberale Demokratie und eine feste Einbettung in die Europäische Union steht, sowie ein nationalkonservatives Lager, das die staatliche Souveränität betont und von der Bewahrung „traditioneller Werte“ spricht. Wie überall in Europa sind die Wähler der beiden Lager vor allem in den urbanen Mittelschichten bzw. in konservativen ländlichen Milieus zu finden. Doch bei genauerem Hinsehen ist eine Reihe rumänischer Besonderheiten zu erkennen.

Călin Georgescus rasanter Aufstieg, auf den keine der zahlreichen Meinungsumfragen hingedeutet hatte, wurde auf seine Präsenz in sozialen Medien – insbesondere auf TikTok, aber auch auf Meta, Telegram, YouTube und anderen Plattformen – zurückgeführt. Zuvor hatten die Vereinigten Staaten, deren Präsident zu dieser Zeit noch Joe Biden hieß, erklärt, Moskau habe über die Finanzierung einer Social-Media-Kampagne auf die Wahlen Einfluss genommen. Nun beschuldigten die Anhänger der unterschiedlichen politischen Lager wahlweise die USA, Russland oder beide Staaten, sich in die Wahlen in Rumänien einzumischen.

Bei den fast gleichzeitig zum Rennen um das Präsidentenamt stattfindenden Parlamentswahlen am 1. Dezember errangen PSD (Partidul Social Democrat) und PNL (Partidul Național Liberal) zwar noch genug Mandate, um in Koalition mit der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien (Uniunea Democrată Maghiară din România/Romániai Magyar Demokrata Szövetség – UMDR/RMDSz) und unterstützt von den Vertretern kleinerer nationaler Minderheiten die Regierung stellen zu können. Doch es war klar, dass – unabhängig vom Ausgang der Stichwahl zwischen Georgescu und der von der zentristischen Reformgruppierung Uniunea Salvați România (Union ‚Rettet Rumänien‘, USR) gestellten Kandidatin Elena Lasconi – die beiden Parteien nicht mehr die Macht haben würden, um alle staatlichen Pfründe unter sich aufzuteilen.

Es folgte eine weitere Erschütterung des politischen Systems. Mitte Februar 2025 trat der noch amtierende Präsident Klaus Johannis zurück, nachdem immer lauter der Vorwurf erhoben worden war, er verlängere seine Amtszeit eigenmächtig. Es zeichnete sich nun auch ab, dass möglicherweise nicht Russland oder zumindest nicht Russland allein die Kampagne in Auftrag gegeben oder finanziert hatte, die zur plötzlichen Bekanntheit Georgescus geführt hatte. Nun wurden auch Kräfte aus dem eigenen Land verdächtigt, oligarchische Strukturen und sogar die Regierungspartei PNL. Diese erklärte, ihre Internet-Kampagne sei gekapert worden und habe unbeabsichtigt zur Verbreitung von Georgescu-nahen Parolen geführt. Auch mehrten sich Anschuldigungen, dass nach dem unerwarteten Ausscheiden der Kandidaten von PNL und PSD beide Parteien zusammengewirkt hätten, um ihnen nahestehende Verfassungsrichter dazu zu bringen, den Wahlgang zu annullieren.

Dieses Durcheinander, das das Vertrauen in die politische Führung und die Institutionen des Landes weiter aushöhlte, kam dem nationalistischen Spektrum zugute. In diesem ist Simions AUR die größte, jedoch keineswegs die einzige Partei. Eine andere Gruppierung ist die ultranationalistische SOS Romania unter ihrer schrillen Vorsitzenden Diana Șoșoacă. Diese ist seit 2024 Abgeordnete des Europäischen Parlaments, wirbt aber lautstark für einen EU-Austritt Rumäniens. Ebenfalls diesem Spektrum gehört der Partidul Oamenilor Tiner (Partei der Jungen Leute, POT) an, der von Anamaria Gavrilă geführt wird, die wie Șoșoacă ihre politische Karriere vor einigen Jahren in der AUR begonnen hat. Unterstützt von Teilen der europäischen Rechten und nach dem Machtwechsel in Washington auch von der US-Administration unter Donald Trump prangerten diese Parteien den Ausschluss Georgescus von den Wahlen an. An die Spitze dieses Protests setzte sich George Simion, der Vorsitzende der stärksten Gruppierung im national-souveränistischen Lager. Nach dem Aufstieg des einst mit der AUR verbundenen Georgescu musste Simion zwar fürchten, dass dieser zur dominanten Figur im nationalistischen Feld avancieren könnte. Doch nach dem Ausschluss Georgescus von den Wahlen konnte Simion sich als Anwalt einer gerechten Sache – des Kampfs gegen eine angebliche Zerstörung des Rechtsstaats – und generell als Anführer der rumänischen Rechten in Szene setzen. Als Georgescu auch noch vorübergehend inhaftiert wurde, nährte dies die Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz weiter und führte insbesondere bei der rumänischen Rechten zu einer noch größeren Mobilisierung. Und der Träger des „patriotischen Mandats“ war Simion. So nahm es wenig Wunder, dass Simion in der ersten Runde der Wahlen fast 41 Prozent der Stimmen erzielte und bereits wie der sichere Sieger aussah.

Die arrivierten Parteien hatten Simion wenig entgegenzusetzen. Nachdem der Parteivorsitzende der lange Jahre tonangebenden PSD, Marcel Ciolacu, bei der annullierten ersten Runde der Präsidentschaftswahlen den Einzug in die Stichwahl verfehlt hatte, stellte die Partei bei dem wiederholten Urnengang am 4. Mai nicht einmal mehr einen eigenen Kandidaten auf. Vielmehr portierte sie gemeinsam mit der PNL deren Altpolitiker Crin Antonescu. Doch obwohl auch die Partei der ungarischen Minderheit Antonescu unterstützte, schaffte dieser den Einzug in die zweite Runde nicht. Dies war ein herber Schlag für die Machtallianz der „Etablierten“.

Widerstand gegen die Kräfte der Beharrung formierte sich jedoch nicht nur im nationalistischen Lager. Auch die liberalen Kräfte profitierten von der Anti-System-Stimmung. Selbst Unstimmigkeiten in diesem Spektrum konnten dem keinen Abbruch tun. Die USR etwa wendete sich von ihrer eigenen Parteivorsitzenden Elena Lasconi ab, die Ende November noch in die Stichwahl gekommen war, und unterstützte Nicușor Dan, der formal als unabhängiger Kandidat antrat. Lasconi, die gleichwohl erneut antrat, erhielt nur noch 2,7 Prozent der Stimmen.

Mobilisierung in beiden Lagern

Nach der ersten Runde, bei der Simion knapp vier Millionen Stimmen erhalten hatte, Dan hingegen nur rund zwei Millionen, schien der Ausgang der Stichwahl bereits festzustehen. Gerade das sozialstrukturelle Profil von Dans Wählerschaft sprach dagegen, dass dieser sein Elektorat würde erweitern können. Er war der Kandidat der Jüngeren, der Gebildeten und der Städte. Bei einem Gesamtstimmanteil von 21 Prozent hatte er bei Wählern in der Altersgruppe 18–30 gut 35 Prozent erhalten, in der Kohorte der über Sechzigjährigen hingegen nur elf Prozent. Unter den Wählern mit einem einfachen Schulabschluss hatten nur sieben Prozent ihre Stimme für ihn abgegeben, in der Gruppe der Wähler mit Hochschulabschluss hingegen 38,5 Prozent. In den Städten lag sein Anteil bei 27 Prozent, auf dem Land nur bei 13 Prozent.

Wenig sprach dafür, dass die klassischen PSD-Wähler aus Kleinstädten und dünnbesiedelten Gegenden im zweiten Wahlgang ihre Stimme diesem Kandidaten geben würden. Viel wahrscheinlicher war, dass die 1,2 Millionen Wähler des einstigen PSD-Vorsitzenden Victor Ponta, der sich als linksnationalistischer Trump-Anhänger positioniert, zu Simion wechseln würden.[2]

Nicușor Dan setzte daher für die zweite Runde auf die Mobilisierung von Nichtwählern. Er erklärte die Wahlen zu einer Richtungsentscheidung über die innenpolitische Verfasstheit und die außenpolitische Verortung Rumäniens. Simion, so sein Argument, würde das Land in die Isolation führen. Das Einreiseverbot für Simion, das sowohl die Republik Moldau als auch die Ukraine verhängt haben, sei ein Beleg dafür, dass er Rumänien vom bisherigen Kurs abbringen und die beiden Staaten nicht mehr bei ihrer Annäherung an den Westen, insbesondere an die EU, unterstützen würde. Simion hielt dem entgegen, dass er Garant für enge Beziehungen zu den USA unter der Trump-Administration sei. Überdies erklärte er, über gute Kontakte in Europa zu verfügen, konkret zu nationalkonservativen Politikern wie Giorgia Meloni oder dem Präsidentschaftskandidaten der polnischen Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS), den er im Wahlkampf besucht hatte.

Nicușor Dan hatte jedoch mit seiner Mobilisierungsstrategie Erfolg. In der Stichwahl setzte er sich mit 53,6 Prozent gegen 46,4 Prozent durch. Hatte die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang noch bei 53,2 Prozent gelegen, so gingen bei der Stichwahl 64,7 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen. Hatten bei der ersten Runde noch knapp zwei Millionen Menschen ihre Stimme für Dan abgegeben, so taten dies nun mehr als sechs Millionen. Simion gelang es hingegen nur, seine Wählerschaft von 3,8 Mio. auf 5,3 Mio. zu vergrößern.

In drei sozialstrukturellen Gruppen erhöhte sich die Wahlbeteiligung besonders stark. Vor allem in den Städten gaben wesentlich mehr Menschen ihre Stimme ab – 7,3 Millionen gegenüber 4,8 in der ersten Runde, auf dem Land gab es keinen entsprechenden Zuwachs (von 3,8 auf 4,3 Millionen). Der Anteil der Wählerschaft aus ländlichen Gebieten sank also um etwa zehn Prozentpunkte. Auch bei der ungarischen Minderheit hatte Dan mehr Erfolg. Simion hatte im Wahlkampf die Unterstützung von Viktor Orbán für sich reklamiert und dem ungarischen Ministerpräsidenten Avancen gemacht. Orbán gab sich vordergründig neutral, doch die UDMR/RMDSZ gab eine klare Wahlempfehlung für Dan ab. In Siebenbürgen und im Szeklerland hatte Dan denn auch großen Erfolg. Dies lässt sich als Votum für den rumänischen Staat und gegen Viktor Orbán interpretieren, dem die Wähler der Minderheit nicht zutrauten, dass er ihre Interessen gegen einen unberechenbaren rumänischen Nationalisten würde verteidigen können. In den siebenbürgischen Kreisen Harghita und Covasna erzielte Dan die höchste Zustimmung im ganzen Land (fast 91 Prozent bzw. über 84 Prozent). In Harghita waren in der ersten Runde noch rund 85 Prozent der Stimmen auf die Kandidaten Antonescu, Dan und Lasconi entfallen, in der zweiten Runde stimmten 90 Prozent der Wähler für Dan. Zugleich stieg die Wahlbeteiligung von 41,8 auf 58 Prozent.

Schließlich hatte Dan mit seiner Mobilisierungsstrategie auch bei den Auslandsrumänen Erfolg. Im ersten Wahlgang waren ein Zehntel aller abgegebenen Stimmen aus der Diaspora gekommen (rund 950 000). In der zweiten Runde kamen 1,6 Millionen der insgesamt abgegebenen 11,5 Millionen Stimmen aus der Diaspora, ein Anteil von 14 Prozent. Zwar erreichte Simion unter den Auslandsrumänen eine klare Mehrheit (55,9 Prozent). Doch die überproportionale Zunahme der Wahlbeteiligung jenseits der rumänischen Grenzen kam Dan zugute, denn zwei Wochen zuvor hatte Simion noch über 61 Prozent der aus der Diaspora kommenden Stimmen erhalten.

Neben der erfolgreichen Mobilisierungsstrategie erklären auch Fehler Simions den Wahlsieg von Nicușor Dan. Der AUR-Vorsitzende hatte – von einer Ausnahme abgesehen – jede öffentliche Debatte mit seinem Kontrahenten abgelehnt. Er wusste, warum er dies tat: Seine kurzen Videos in sozialen Medien sind beliebt, in Sachdebatten mit einem Gegenüber, der durch seine Erfahrung als Bürgermeister der Hauptstadt über mehr Wissen und Schlagfertigkeit verfügt, hätte er einen schweren Stand gehabt. Gleichwohl schadete er sich mit dieser risikoscheuen Strategie. Nicht verfangen hat auch Simions Ansinnen, sich durch zahlreiche Interviews mit europäischen und US-amerikanischen Medien – unter anderem führte er ein Gespräch mit Steve Bannon – als zukünftiger Präsident darzustellen, der auch international respektiert wird. Er wirkte jedoch unbeholfen und wenig inspiriert, der erhoffte Effekt blieb aus. Dan wirkte sachlicher und konnte zugleich mehr Menschen emotional ansprechen, indem er die Hoffnung auf einen politischen Wandel in Rumänien mit einer europäischen Zukunft des Landes verband und dieses Versprechen einer nationalistischen Selbstisolation unter einer Regentschaft seines Kontrahenten gegenüberstellte. Eine Mehrheit der Wähler votierte für dieses Versprechen auf Modernisierung durch Transparenz und gegen Simions Ankündigung, das überkommene System mit einem antimodernistischen Programm einschließlich großrumänischer Untertöne zu überwinden.

In schwerer See

Rumänien hat mit der Wahl von Nicușor Dan die Phase der Unsicherheit und Unbestimmtheit keineswegs hinter sich gelassen. Alle politischen Institutionen des Landes sind bei dem großen Erdbeben der vergangenen Monate beschädigt worden. Weitere kleinere oder größere Erschütterungen sind zu erwarten. In welchem Schwebezustand sich Rumänien befindet, wurde am Tag nach der Wahl deutlich, als der geschäftsführende Staatspräsident Ilie Bolojan (vormals PNL-Vorsitzender) den geschäftsführenden Vorsitzenden der PNL Cătălin Predoiu zum geschäftsführenden Regierungschef ernannte. Das Land braucht schnell Stabilität und auf Dauer wieder eine glaubwürdige Führung. Gegenwärtig verfügt nur der neue Staatspräsident über hinreichend politische Legitimität. An ihm ist es nun, eine Regierung mit solider parlamentarischer Basis ins Amt zu bringen. Dan muss zunächst einen neuen Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten vorschlagen. Sollte dieser Anwärter in zwei Wahlgängen keine ausreichende Mehrheit erhalten, kann das Staatsoberhaupt das Parlament auflösen.[3]

Doch Neuwahlen kann Dan angesichts des gegenwärtigen Aufschwungs des nationalistischen Lagers nicht wollen. Erhielte eine Expertenregierung die Zustimmung des Parlaments, würde Dan Zeit gewinnen. Zudem könnte diese die unpopulären Einschnitte beschließen, die angesichts der wirtschaftlichen Lage des Landes dringend notwendig sind. Denn die Jahre des starken Wachstums sind vorbei. IWF und EBRD erwarten für das Jahr 2025 einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von lediglich 1,6 Prozent.

Im Jahr 2024 hatte Rumänien mit 9,6 Prozent das höchste Budgetdefizit unter allen Staaten der Europäischen Union. Für 2025 sind sieben Prozent geplant, doch angesichts der Wirtschaftslage wird diese immer noch extrem hohe Deckungslücke nur mit Sparmaßnahmen zu erreichen sein.

Allerdings ist es ohnehin wenig wahrscheinlich, dass die etablierten Parteien im Parlament einer solchen Lösung zustimmen, denn sie ginge mit einer Machtverschiebung zum Präsidenten einher. Daher wird Dan versuchen müssen, einen parteipolitisch gebundenen Ministerpräsidenten vorzuschlagen, der Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit hat. Alle zur Verfügung stehenden Varianten sind prekär. Schlägt er etwa Interimspräsident Ilie Bolojan von der PNL vor, den er im Wahlkampf als geeigneten Kandidaten bezeichnet hatte, liefe dies auf eine Neuauflage der PSD-PNL-USMR-Koalition hinaus. Dan liefe Gefahr, sich das Image eines Erfüllungsgehilfen der „alten Kräfte“ einzuhandeln. Der Vorteil wäre, dass Dans USR sich in schwierigen Zeiten in der Opposition profiliert, statt sich durch die Übernahme von Regierungsverantwortung zu verschleißen. Gelingt es ihm, einen Kandidaten zu nominieren, der von einer „supergroßen“ Koalition unter Einschluss der USR gewählt wird, so wäre seine Partei gar Mitglied des unpopulären Klubs der etablierten Parteien. Dies wäre Wasser auf die Mühlen der AUR und anderer nationalistischer Kräfte, die ohnehin behaupten, Dan und die USR seien Teil des „Machtkartells“. Dieser Effekt ließe sich allenfalls durch die Bildung einer Koalition unter Ausschluss der besonders unbeliebten PSD etwas mildern. Allerdings hätte ein Bündnis von PNL, USMR und USR keine Mehrheit und müsste sich auf die Unterstützung der PSD verlassen. Vieles hängt von der USR ab, deren neuer Parteichef wohl der aus Deutschland stammende Bürgermeister von Timișoara Dominic Fritz werden wird, der bereits jetzt interimistisch amtiert. Sie muss einen Spagat zwischen radikaler Kritik an den Parteien des alten Systems und Zusammenarbeit mit ebendiesen Parteien vollführen.

Wie auch immer die Regierungsbildung verlaufen wird: Von Seiten der Nationalisten wird Dan weiterhin Ungemach drohen. Hatte Simion in der Wahlnacht seine Niederlage zunächst bestritten und dann doch anerkannt, so erklärte er zwei Tage später, er werde die Wahlen vor dem Verfassungsgericht anfechten. Es habe erneut eine Einmischung aus dem Ausland gegeben. Quasi zeitgleich kamen entsprechende Äußerungen aus dem MAGA-Lager in den USA. Rechtlich wird Simion wohl nicht durchkommen. Doch aufgrund der geopolitischen Rahmenbedingungen, die gerade in Südosteuropa auch innenpolitisch durchschlagen, verspürt er Rückenwind.

Gelingt Dan in dieser schwierigen Lage eine innenpolitische Stabilisierung, bleibt Rumänien europapolitisch auf dem bisherigen Kurs. Ein Wahlsieg von Simion, der gute Kontakte zur italienischen Ministerpräsidentin Meloni pflegt, hätte hingegen bedeutet, dass Rumänien in das nationalkonservativ-souveränistische Lager gewechselt wäre. Der prononciert „europafreundliche“ Dan wird zwar in Brüssel, Paris und Berlin auf offene Türen stoßen. Doch auch ihm wird es nicht leicht fallen, Rumänien mehr ins Zentrum der europäischen Politik zu rücken. Akzente kann er vor allem durch eine aktive Rolle bei der Heranführung der Republik Moldova sowie der Ukraine an die EU setzen. [4]

Naturgemäß spielt Rumänien auch bei der Formulierung einer neuen Schwarzmeerstrategie der EU eine wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass das in der rumänischen Sonderwirtschaftszone im Schwarzen Meer gelegene Erdgasfeld Neptun Deep, das die österreichische OMV gemeinsam mit der rumänischen Gesellschaft Romgaz entwickeln will, einen wichtigen Beitrag zum endgültigen Verzicht auf Erdgasimporte aus Russland in die EU spielen soll.

Gleichzeitig muss Dan sich um die Beziehungen zu den USA kümmern. Die dortigen MAGA-Republikaner sehen Nicușor Dan und die Parteien des bisherigen Regierungslagers als Urheber der Annullierung der Präsidentschaftswahlen im November 2024. Rumänien ist mit seiner strategisch bedeutsamen Position im südöstlichen Abschnitt der NATO-Ostflanke ungeachtet des französischen Engagements auf die militärische Präsenz der USA angewiesen. Auch bei einer etwaigen Truppenreduktion sollen daher nach der Vorstellung Bukarests die wichtigen US-Standorte im Land, etwa die Mihail Kogălniceanu Air Base unweit von Constanța oder die NATO-Raketenabwehr-Basis Deveselu, erhalten bleiben. Doch ob Dan und die künftige Regierung sich überhaupt um die so wichtigen außenpolitischen Fragen kümmern können, hängt vor allem davon ab, ob es ihnen gelingt, das beschädigte Vertrauen in das politische System wiederherzustellen, so dass die Welle der nationalistischen Mobilisierung gegen das „System“ wieder abklingt.

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Erster (annullierter) Wahlgang am 24. November 2024
Eingetragene Wähler: 18.021.800
Abgegebene Stimmen: 9.465.650 (davon gültig: 9.242.186)
Wahlbeteiligung: 52,52 %

Kandidaten

Parteien

Gesamtstimmen

Diaspora-Stimmen

Anzahl und %

Gesamtstimmen in %

Călin Georgescu

parteilos

2.120.401

345,925 (43.6 %)

22,9 %

Elena Lasconi

Uniunea Salvați România (USR)

1.772.500

214,033 (26.8 %)

19,2 %

Marcel Ciolacu

Partidul Social Democrat (PSD)

1.769.760

22,893 (2.9 %)

19,1 %

George-Nicolae Simion

Alianța pentru Unirea Românilor (AUR)

1.281.325

96,339 (12.1 %)

13,9 %

Nicolae Ciucă

Partidul Național Liberal (PNL)

811.952

36,934 (4.6 %)

8,8 %

Quelle: Rumänische Wahlbehörde [5]

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Wiederholungswahl
Erster Wahlgang am 4. Mai 2025

Eingetragene Wähler: 17.996.367
Abgegebene Stimmen: 9.571.899 (davon gültig: 9.430.274)
Wahlbeteiligung: 53,18%

Kandidaten

Parteien

Gesamtstimmen

Diaspora-Stimmen

Anzahl und %

Gesamtstimmen in %

George-Nicolae Simion

Alianța pentru Unirea Românilor (AUR)

3.862.405

587.190 (60.8 %)

41 %

Nicușor Dan

parteilos

1.979.711

247,388 (25.6 %)

21 %

Crin Antonescu

parteilos

1.892.925

65,270 (6.8 %)

20,1 %

Victor Ponta

parteilos

1.230.144

23,188 (2.4 %)

13,0 %

Elena Lasconi

Uniunea Salvați România (USR)

252.708

31,508 (3.3 %)

2,7 %

Quelle: Rumänische Wahlbehörde

Stichwahl am 18. Mai 2025

Eingetragene Wähler: 17.988.218
Gültige Stimmen: 11.641.866
Wahlbeteiligung: 64,72 %

Kandidaten

Parteien

Gesamtstimmen

Diaspora-Stimmen

Anzahl und %

Gesamtstimmen in %

Nicușor Dan

parteilos

6.168.642

720,996 (44.1 %)

53,6 %

George Simion

Alianța pentru Unirea Românilor (AUR)

5.339.053

912,553 (55.9 %)

46,4 %

Quelle: Rumänische Wahlbehörde


[2] Cum a pierdut George Simion alegerile prezidențiale din 2025: de la favorit detașat la eșec electoral printr-o campanie americanizată, gafe diplomatice și o strategie de comunicare ruptă de realitățile românești, https://republica.ro/cum-a-pierdut-george-simion-alegerile-prezidentiale-din-2025-de-la-favorit-detasat-la-esec-electoral-print

[3] Ponta selbst unterstützte in der Stichwahl niemanden, ebensowenig wie Antonescu oder die PSD.

[4] Die moldauische Staatspräsidentin Sandu hatte Dan im Wahlkampf unterstützt und als Inhaberin eines rumänischen Passes offenkundig auch gewählt.

[5] Erforderlich ist eine absolute Mehrheit der Stimmen aus beiden Parlamentskammern, der Abgeordnetenkammer und dem Senat, zusammen.