Nur noch wenig auf Lager: Ein moderner russländischer T-90 M Panzer. Quelle: Wikimedia
Nur noch wenig auf Lager: Ein moderner russländischer T-90 M Panzer. Quelle: Wikimedia

Russland gehen die Panzer aus

Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 147. und 148. Kriegswoche

Nikolay Mitrokhin, 8.1.2025

Russland hat nach drei Monaten Kampf relativ leicht die Stadt Kurachove eingenommen. In Kursk ist der Ukraine ein Überraschungsangriff gelungen, der letztlich aber auch einen hohen Preis hatte. Vor Sewastopol’ konnte die Ukraine einen wegweisenden Sieg erringen, Russland faktisch die Kontrolle über das westliche und zentrale Schwarze Meer nehmen und mit einer neuen Technologie zu einem Umdenken auf der Krim zwingen. Zugleich hat die Ukraine unter Beweis gestellt, dass sie Russland bei der Drohnen-Technologie um etwa ein Jahr voraus ist. Nun will Russland mit einer neuen Truppengattung nachziehen. Eine umfangreiche Auswertung von Satellitenbildern zeigt, dass dem Aggressor langsam die Panzer und gepanzerten Fahrzeuge ausgehen. Das könnte leicht zum limitierenden Faktor werden. Wenn die Kämpfe im gleichen Tempo weitergehen, blieben Russland somit nur noch etwa anderthalb Jahre für Kampfhandlungen.

Die wichtigsten Ereignisse der vergangenen zwei Wochen an der Front waren die Einnahme der Stadt Kurachove im Südwesten der Region Donec’k durch die Okkupationsarmee nach einem dreimonatigen Angriff, die fortgesetzte Einkreisung von Pokrovs’k von Südosten her sowie eine „Offensive“ der ukrainischen Streitkräfte im östlichen Teil der „Blase“, die sich letztlich als Niederlage herausstellte. Abseits der Frontlinie tauschten beide Seiten weiterhin Angriffe im Luftraum aus. Dabei gelang es den ukrainischen Streitkräften, feindlichen Stellungen mit westlichen Raketen in der Region Kursk erheblichen Schaden zuzufügen. Auf See erzielte die Ukraine am Neujahrstag einen großen Erfolg, als sie mit Drohnenbooten ein Seegefecht gegen Hubschrauber für sich entschied. Nach dem Abschuss von zwei Hubschraubern hat Russland faktisch die Kontrolle über das westliche und zentrale Schwarze Meer verloren. Das bedeutet für Russland auch eine eindeutige Bedrohung seiner Häfen und Militärflugplätze auf der Krim.

Die Lage im Donbass

Die Offensive der Besatzer im Donbass wurde in demselben gemächlichen Tempo und in dieselben Richtungen fortgesetzt. Doch am 6. Januar konnte Russlands Führung sich mit einem Erfolg brüsten: Moskaus Streitkräfte nahmen die Stadt Kurachove im südlichen Teil der Region ein. Kurachove ist ein regionales Industriezentrum mit mehreren Fabriken. Am westlichen Rand befindet sich das Kraftwerk Kurachove, dessen Ausrüstung bereits im Sommer zur Reparatur anderer Anlagen entfernt wurde. Die russländische Armee stürmte die Stadt binnen drei Monaten. Zum Vergleich: Für die Einnahme der Stadt Mar’jinka, die östlich von Kurachove liegt, hatten die Russen eineinhalb Jahre gebraucht und nur einen Hügel aus Betonplatten hinterlassen. Und das trotz der geringen Größe Mar’jinkas und seiner schlechteren Verteidigungsposition – Kurachove wird von Norden her durch einen riesigen Stausee geschützt. Die Einnahme von Kurachove war für die Russen also relativ leicht. Und sie konnten die Stadt zudem in einer wiederherstellbaren Form übernehmen, mit äußerlich recht intakten Häusern. Das lag daran, dass die Ukrainer aufgrund der Soldatennot keine vollwertige Verteidigung organisieren und die Angreifer rasch in die Vororte vorrücken konnten. Die, wenn auch nicht ganz vollständige Einkreisung der Stadt spielte in der letzten Phase ebenfalls eine wichtige Rolle. So sind vorläufig auch noch ukrainische Truppen im Süden und Westen der Stadt.

Im Nordwesten, in der Gegend von Pokrovs’k und Myrnohrad haben die Angreifer ihre Offensivzone ausgedehnt. Am 4. Januar nahmen sie einen wichtigen ukrainischen Verteidigungspunkt im Dorf Ševčenko am südwestlichen Stadtrand von Pokrovs’k ein und begannen, die Stadt von Westen her zu umgehen. Sie versuchen, die Zufahrtswege aus dieser Richtung abzuschneiden. Gleichzeitig wurde in der letzten Woche des Jahres 2024 eine Operation in einem seit langem stabilen Gebiet nordöstlich von Myrnograd, in unmittelbarer Nähe von Pokrovs’k, eingeleitet, um die Stadt von Norden her zu umgehen. Der Plan des russländischen Kommandos könnte darin bestehen, einen großen „Kessel“ mit einem Durchmesser von etwa zwanzig Kilometern zu schaffen. Dieser könnte beide Städte umfassen. So müssten die Okkupanten sie nicht stürmen und zusätzliche Verluste hinnehmen. Gleichzeitig drückt die „Zange“ südwestlich von Pokrovs’k immer noch auf das Hinterland der ukrainischen Einheiten am östlichen Abschnitt der Zaporižžja-Front. Dies schränkt die Manövrierfähigkeit ein und ermöglicht den Besatzern eine bessere Aufklärung des Hinterlandes der Gruppierung sowie Artillerieangriffe auf sie. Es ist nicht unbedeutend, dass sich in diesem Gebiet das größte Lithiumvorkommen Europas befindet. Es erstreckt sich von den südlichen Vororten von Pokrovs’k nach Süden bis zur Frontlinie in Zaporižžja.

Im von Russlands Armee gestürmten Torec’k haben sich die Kämpfe auf den westlichen und nördlichen Teil der Stadt verlagert. In Časiv Jar eroberten die Besatzer den Bezirk Severne. Kämpfe dauern hier auf dem Gebiet des wichtigsten Verteidigungsknotens der ukrainischen Truppen an – der Feuerfest-Fabrik (Herstellung von feuerfesten Materialien). Es kann davon ausgegangen werden, dass Putins Streitkräfte Časiv Jar bis Ende Januar vollständig einnehmen werden.

Die Lage in den Gebieten Charkiv und Ost-Luhans’k

Im Vergleich zu den Kämpfen in den Regionen Donec’k und Kursk bleiben die Kämpfe im äußersten Nordosten der Ukraine im Schatten. Dennoch wurden sie Ende Dezember spürbar aktiver und setzten sich Anfang Januar gleich in mehrere Richtungen fort. Zwischen Kreminna und Lyman setzten die russländischen Streitkräfte ihre Anfang Dezember begonnene Offensive zum Fluss Žerebec’ fort. Diese kommt sehr langsam voran und verursacht schwere Verluste. Nordwestlich von Svatove stoßen die Streitkräfte Russlands etwas erfolgreicher in Richtung des Flusses Oskil vor. Sie haben die Offensivzone so weit ausgedehnt, dass den ukrainischen Streitkräften absehbar die Kräfte fehlen, um den Durchbruch zu verhindern. Um die ukrainischen Einheiten hat sich am Ostufer des Oskil – gegenüber von Kupjans’k – ein großer Kessel gebildet, der aber noch einen breiten Ausgang über den Fluss zur Stadt hat. Russlands Streitkräfte sind auch wieder an die Nordgrenze von Kupjans’k vorgedrungen und bereiten einen Angriff auf die Stadt vor. Die Lage dort ist für die ukrainischen Einheiten augenscheinlich schwierig, aber es gibt nur wenige Informationen aus diesem Gebiet.

Nordwestlich von Kupjans’k, in Volčans’k und Lypci – jenen Orten, an denen die Okkupanten vor dem Jahreswechsel die Nordgrenze der Region Charkiv durchbrochen haben – kam es zu lokalen Angriffen der ukrainischen Armee. Die Ukrainer nutzten die Situation aus, dass das gegnerische Kommando sich auf wichtigere Gebiete konzentrierte. Die Angriffe sollten die Besatzer offensichtlich zumindest in diesen Gebieten ausschalten. Möglicherweise sollte auch versucht werden, die Reserven der nördlichen Einheiten der russländischen Streitkräfte in diese Richtung zu locken, um einen Angriff auf die benachbarte Region Kursk vorzubereiten.

Ukrainische Offensive in der Region Kursk

Am Morgen des 5. Januar startete die ukrainische Armee mit einer Kolonne gepanzerter Fahrzeuge eine Offensive im Osten der Sudža-Blase nördlich der Straße Sudža-Kursk in Richtung der Siedlung Berdin. Nach fast drei Tagen Kampf sind die Ukrainer etwa drei Kilometer durch die Felder und Plantagen vorgedrungen. Dabei stießen sie nach russländischen Angaben auf die Einheit „Achmat” des tschetschenischen Machthabers Achmat Kadyrov, die formell zur Nationalgarde (Rosgvardia) gehört und in deren Reihen sich viele ehemalige „Wagner”-Kämpfer befinden. Russländischen Angaben zufolge soll die ukrainische Armee mehr als zwanzig gepanzerte Fahrzeuge verloren haben, darunter zwei Panzer. Aus den Reihen der gelandeten Sturmtruppen wurden vierzehn Personen gefangen genommen. Dieser ukrainische Angriff sorgte zwar für ein gewisses mediales Aufsehen. Aber er hat vor allem gezeigt, dass die russländische Verteidigung stärker und komplexer ist, als sie aus den Büros in Kiew erscheint. Die Lehre: Mit relativer Sicherheit befinden sich hinter leeren Wäldern, schneebedeckten Feldern und verminten Straßen in der Regel echte Kampfeinheiten, die von Drohnen, Systemen elektronischer Kampfführung, Artillerie und Luftstreitkräften unterstützt werden.

Möglicherweise wussten Russlands Behörden von der Offensive. Denn die ukrainischen Streitkräfte haben vor und unmittelbar nach Silvester mehrmals mit dem amerikanischen Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesystem HIMARS und dem französisch-britischen Marschflugkörper Storm Shadow die Hauptquartiere russländischer Militäreinheiten in Ryl'sk und L’gov in der Region Kursk angegriffen. Wie russländische Quellen bestätigten, waren diese Angriffe äußerst effektiv. Es seien acht hochrangige Offiziere getötet und 22 verwundet worden, nachdem eine Storm-Shadow-Rakete am 30. Dezember in L’gov einen Gefechtsstand der 76. Garde-Luftsturm-Division getroffen hatte. Unter den Toten befanden sich zwei Oberstleutnante – der Kommunikationschef der Division, Valerij Tereščenko, und der Kommandeur des Ingenieurbataillons, Pavel Maleckij. Die Offensive kam also kaum überraschend. Dies zeigt auch Putins Reaktion: Entgegen der üblichen Praxis langsamer Entscheidungsfindung beorderte er bereits am Morgen des 6. Januar Verstärkung nach Kursk. Russlands Präsident schickte den stellvertretenden Verteidigungsminister und Kurator des privaten Sicherheits- und Militärunternehmens der Armee, General Junus-Bek Jevkurov. Er soll die Verteidigung verstärken. Fotos von ihm im Büro des Gouverneurs der Region, Aleksandr Chinštejn, entstanden bereits am Vormittag des 6. Januar. Die Kämpfe in dieser Region dauern unterdessen an.

Eine weitere bemerkenswerte Entwicklung in den vergangenen zwei Wochen war die Einstellung der Angriffe nordkoreanischer Truppen an der Ostseite der Blase. Der Grund dafür sind offensichtlich die hohen Verluste der unvorbereiteten Soldaten. Volodymyr Zelens’kyj zufolge sollen von den rund 12 000 in Kursk eingesetzten Nordkoreanern bereits 3000 gefallen sein. Ob die Zahl stimmt, ist schwer zu verifizieren. Aber erschütternde Fotos von verwundeten nordkoreanischen Soldaten in Krankenhäusern und zahlreiche Videos von ihrer Vernichtung auf schneebedeckten Feldern mit nicht geernteten Sonnenblumen, die aus dem Schnee ragen, zeigen, dass der Plan, sie für Frontalangriffe einzusetzen, gescheitert ist. Erst am 7. Januar präsentierte der ukrainische Militärnachrichtendienst neue Fotos einer ausgeschalteten nordkoreanischen Truppe. Sie zeigen, dass ihre Waffen und Ausrüstung allmählich an die Bedürfnisse dieses Krieges angepasst werden. Dazu gehören Anti-Drohnen-Scanner, schwere Schutzausrüstung und Helme sowie Erste-Hilfe-Ausrüstung.

Russlands Reserve und Produktion gepanzerter Fahrzeuge

Einer der Schlüsselfaktoren bei der Einschätzung der potenziellen Dauer und Intensität von Bodenkampfhandlungen ist die Anzahl der gepanzerten Fahrzeuge, ohne die offensive und defensive Operationen nicht möglich sind. Anfang dieses Jahres aktualisierte ein Team von Open-Source-Intelligent-Spezialisten (Jompy, Highmarsed, Covert Cabal) ihre jährlichen Angaben zur Anzahl der Panzer in Russlands Lagern unter freiem Himmel. Die Experten erstellen die Daten auf der Grundlage kommerzieller Satellitenbilder. Auf ihre Schätzungen beriefen sich dann verschiedene, auch ukrainische Nachrichtenagenturen und Expertengruppen.

Nach den Berechnungen waren vor dem Krieg 7342 Panzer in den Stützpunkten vorrätig, Ende 2022 6870, Ende 2023 4666 und Ende 2024 3517. Im Jahr 2023 wurden also etwa 2200 Panzer aus den Lagern entfernt, im Jahr 2024 nur halb so viele: nämlich 1150. Der Grund für den Rückgang ist wohl zum einen die Überlastung der Reparaturanlagen, zum anderen der Zustand der in den Lagern verbleibenden Fahrzeuge. Es liegt auf der Hand, dass als Erstes Militärfahrzeuge aus den Werken reaktiviert werden, die relativ schnell frontbereit gemacht werden können. Den Daten der OSINT-Experten zufolge sind von den verbleibenden gepanzerten Fahrzeugen 279 in gutem Zustand, 2001 in schlechtem, 1262 in katastrophalem, das heißt es können nur noch einzelne Teile verwendet werden. In den Freiluftlagern sind entsprechend noch bis zu 2300 Panzer verfügbar, die wiederhergestellt werden können. Hinzukommen wahrscheinlich noch mehrere hundert Panzer in Hangars und auf dem Gelände von Panzerreparaturwerken. Es dürfte sich aber um höchstens 1000 handeln. Das Problem ist zudem der Mangel an Ersatzteilen, Elektronik, Motoren, Reparaturausrüstung. All das stammt häufig aus westlicher Produktion. Was im Jahr 2022 noch nicht knapp war, ist jetzt knapp. Gleichzeitig wurden im Laufe des Jahres in Russland etwa 250 neue Panzer hergestellt.

Dass es an start- und fahrbereiten Panzern mangelt, zeigt sich daran, dass mehrere Dutzend längst ausgemusterte Panzer und Mannschaftstransportwagen von der Filmgesellschaft Mosfilm, die die Panzer als Kulisse und Requisite einsetzte, an die Truppe übergeben wurden. Es handelte sich um 28 sowjetische T-55-Standardpanzer, acht leichte PT-76-Schwimmpanzer, sechs Schützenpanzer und acht Zugmaschinen. Nach Angaben des Institute for the Study of War soll die ukrainische Armee im vergangenen Jahr mehr als 3000 feindliche Panzer und fast 9000 gepanzerte Fahrzeuge zerstört oder beschädigt haben. Wenn die Kämpfe im gleichen Tempo weitergehen, bleiben Russland somit unter Berücksichtigung der verfügbaren Panzer und anderer gepanzerter Fahrzeuge noch etwa anderthalb Jahre für Kampfhandlungen. Danach werden der Okkupationsarmee nur noch einige hundert Fahrzeuge bleiben, die irgendwo in einem Dutzend Kilometer Entfernung von der Kampflinie, sorgfältig bewacht von ihren Vorgesetzten, die Infanterie gegen Durchbrüche absichern werden. Und andere werden im nahen und fernen Hinterland repariert. Doch die Kampfhandlungen wären limitiert.

In einem der russischen Militärblogs, auf den der ukrainische Journalist und Blogger Juri Butusov aufmerksam wurde, wird die Situation genau so beschrieben. In Jahr 2022 sei es möglich gewesen, ein Bataillon mit mehr als zwanzig Mannschaftstransportwagen bei einem einzigen erfolglosen Angriff zu verlieren. Die überlebenden Angehörigen des Bataillons hätten damals bald neue Ausrüstung erhalten. Im Jahr 2025 würde ein Bataillon nur noch über zwei oder drei solcher gepanzerten Fahrzeuge verfügen. Die gleiche Anzahl sei in Reparatur, und es sei keine neue Ausrüstung zu erwarten. Der Vorschlag des Autors lautet: Durchbrüche an der Kontaktlinie und tief in den Rücken des Feindes sollten unterlassen werden. Noch geschieht dies allerdings ein- bis zweimal pro Woche irgendwo an der Frontlinie und geht in der Regel mit dem Verlust von Fahrzeugen durch Drohnen- und Artillerieschläge einher. So bestätigt etwa ein Video, dass Soldaten des Drohnen-Bataillons „Achilles” der 92. Unabhängigen Sturmbrigade, die Burevyj-Brigade der Nationalgarde und Soldaten der 77. Luftlandebrigade am 19. Dezember vor Kupjans’k am Brückenkopf in der Nähe des Flusses Oskil 21 Einheiten russländischer Panzerfahrzeuge zerstörten, die in das Gebiet eingedrungen waren. Und am 26. Dezember zerstörte die 5. Sturmbrigade der ukrainischen Armee eine weitere Angriffseinheit von Putins Streitkräften in der Nähe des Dorfes Kliščijivka. Ukrainische Panzerabwehrlenkraketen von Typ Stugna/Skif und Angriffsdrohnen zerstörten drei feindliche Schützenpanzer samt Truppen und zwei weitere Panzer, darunter einen modernen T-90M Proryv. Keines der russländischen Kampffahrzeuge schaffte es bis zur Frontlinie.

Inzwischen verwendet die Okkupationsarmee in der Offensive buchstäblich „alles, was sich bewegt“, um Truppen schnell in frontnahe Stellungen zu verlegen. Zum Einsatz kommen gewöhnliche Pkw und Kleinbusse. Bei einem Drohnentreffer führt dies zum Tod mehrerer Soldaten auf einmal. Allein in den vergangenen zwei Wochen tauchten auf spezialisierten ukrainischen Kanälen mindestens 100 Drohnenvideos auf, die derartige Angriffe dokumentieren. Die Besatzer nutzen inzwischen auch Motorräder, Buggys (offenes Fahrzeug) und Elektroroller. Im Vergleich zu Autos und Bussen könnte dies die Überlebenschance durchaus erhöhen, selbst wenn die Soldaten so relativ langsam durch laublose Waldgürtel fahren, die von Drohnen beschossen werden. Aus diesem Grund hat die russländische Armee, mehr als ein halbes Jahr nach der ukrainischen, beschlossen, die neue Truppengattung „Unbemannte Systeme“ zu schaffen. Der Leiter des Verteidigungsministeriums, Andrej Belousov, kündigte die Schaffung dieser neuen Truppengattung am 21. Dezember an. Die Bildung dieser Truppen soll im dritten Quartal 2025 abgeschlossen sein.

Drohnenboote vs. Hubschrauber – 3:0

Die Ukraine ist Russland bei der militärischen Drohnentechnologie um etwa ein Jahr voraus. Und in einigen Bereichen sogar noch weiter. In der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember lieferte sich eine Gruppe ukrainischer unbemannter Boote der 13. Brigade des Militärgeheimdienstes westlich von Sevastopol’ einen Kampf mit russländischen Mi-8-Mehrzweck-Hubschraubern, die die Drohnenboote entdeckt hatten. Die Russen hielten die Jagd mit Hubschraubern für die effektivste Methode, sie zu bekämpfen. Doch dies traf nur bis zu dem Moment zu, bis die Drohnenboote begannen, Flugabwehrraketen einzusetzen. Erste Versuche der Ukraine, Raketen von den Drohnenbooten abzuschießen, scheiterten im Herbst noch am Wellengang. Beim Kampf vor Sevastopol’ konnten dem Schaukeln zum Trotz nun aber zwei Hubschrauber zum Absturz gebracht werden. Dabei starben nach ukrainischen Angaben sechzehn Personen. Der dritte Hubschrauber konnte auf der Krim landen.

Diese Schlacht hat mehrere Folgen. Erstens muss Russland seine Taktik im Umgang mit den Drohnenbooten grundlegend ändern, obwohl der Einsatz von Hubschraubern bis dato die einfachste und zuverlässigste Methode gegen sie war. Zweitens hat Russland auf der Krim nun ein echtes Problem mit Militärflugzeugen. Vor allem die Flugplätze an der Küste stellen eine Gefahr dar, die gerade deshalb in großer Zahl gebaut wurden, um schnell über das Meer zu gelangen. Drittens bedrohen ukrainische Raketen auf Drohnenbooten alle Häfen und Hafeninfrastrukturen der Halbinsel und eines großen Teils der Küste der Region Krasnodar, einschließlich der Schiffe, die in diesen Häfen Schutz suchen. Die Drohnenboote sind in der Lage, sie aus beträchtlicher Entfernung vom Wasser aus zu beschießen. Die Systeme der elektronischen Kampfführung werden einiges verhindern, aber sie sind keineswegs ein Allheilmittel.

In nicht allzu ferner Zukunft könnten zudem Raketen hinzukommen, die über Glasfaser kommunizieren und von schwimmenden Drohnen gestartet werden können – fliegende Drohnen, die über Fähigkeiten künstlicher Intelligenz verfügen. Solche Raketen werden kein großes Schiff versenken. Leicht denkbar ist aber, dass sie die Treibstofftanks von Stützpunkten an der Küste detonieren lassen, Antennen sowie Navigations- und Kommunikationsgeräte zerstören oder in das Fenster einer Kapitänskabine fliegen.

Unterdessen stellte die ukrainische Armee eine neue Variante von Drohnenbooten für den Einsatz in Flüssen vor. Dabei handelt es sich um kleine Schiffe, die nicht nur Kameras und Kontrollsysteme, sondern auch drei Kilogramm Sprengstoff an Bord haben können. Sie können vor allem bei Nacht zu einer ernsten Gefahr werden: für russländische Boote und Anlegestellen am Dnjepr, für Pontons und andere Übergänge über Flüsse sowie für Soldaten, die sich am Wasser aufhalten. Auch auf dem Boden sind Veränderungen spürbar. Ukrainischen Berichten zufolge haben ukrainische Land- und Flugdrohnen vor Weihnachten den ersten erfolgreichen komplexen Angriff auf russländische Stellungen in der Region Charkiv durchgeführt und diese eingenommen.

Aus dem Russischen von Felix Eick, Berlin

Hinweis zu den Quellen: Die Berichte stützen sich auf die Auswertung Dutzender Quellen zu den dargestellten Ereignissen. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.

Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen wie jene von Deep State (https://t.me/DeepStateUA/19452) – werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter „Rybar’“ (https://t.me/rybar), Dva Majora (https://t.me/dva_majors), und „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonel cassad. livejournal.com/). Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift