Die Beziehungen zu Washington werden für Kiew komplizierter. Quelle: Wikimedia
Die Beziehungen zu Washington werden für Kiew komplizierter. Quelle: Wikimedia

Trumps Friedens-Versprechen wackelt

Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 151. Kriegswoche

Nikolaj Mitrokhin, 31.1.2025

Die USA verfügen theoretisch über eine Reihe von Möglichkeiten, den Krieg zu beenden, ob sie diese nutzen, wird nicht wahrscheinlicher. Russlands Präsident Vladimir Putin kommt eine Verzögerung des Friedens durchaus zupass. Russland hat große wirtschaftliche Probleme. Moskau braucht dringend neue Soldaten und könnte wohl noch auf mehrere 100 000 Nordkoreaner zurückgreifen. Auf ukrainischer Seite herrscht an allen Fronten Unsicherheit, es ist mit größeren Durchbrüchen zu rechnen, Desertation nimmt zu. Durch den Verlust der Bergbaustadt Pavlohgrad könnte die Ukraine bald von Kohle aus besetzten Gebieten anhängig sein. Kiews Nachschubkrise verschärft sich – jeder, der greifbar ist, scheint in die Schlacht geworfen zu werden. Gegen den Verteidigungsminister wurde ein Strafverfahren wegen möglichem Macht- und Amtsmissbrauchs eingeleitet. Dahinter steckt ein Skandal um fehlgeschlagene Waffenkäufe. Im Luftkrieg gegen russländische Infrastruktur kann die Ukraine Erfolge feiern.

Das Ende des Krieges?

Auf zahlreichen Plattformen – von der Diplomatie bis zu Blogs – wird das Ende des Krieges diskutiert, als wäre es eine beschlossene Sache und in greifbarer Nähe. Man gewinnt den Eindruck: Alles, was es brauche, sei ein Gespräch zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und Russlands Präsidenten Vladimir Putin… Tatsächlich haben aber in den ersten zehn Tagen von Trumps zweiter Amtszeit weder Gespräche stattgefunden noch wurden sie angekündigt. Putins Position, die er in einem am 28. Januar veröffentlichten Interview mit dem Journalisten Pavel Zarubin (VGTRK) zum Ausdruck brachte, sieht nicht besonders vielversprechend aus. Von den zuvor geäußerten konkreten Forderungen an die Ukraine war darin keine Rede mehr. Einen langfristigen Friedensvertrag will Putin nicht mit dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelens’kyj unterzeichnen, sondern mit dem Sprecher des ukrainischen Parlaments Verchowna Rada, Ruslan Stefančuk, den er als legitimen Vertreter des ukrainischen Staates ansieht. Das bedeutet, dass keine schnellen Vereinbarungen zu erwarten sind. Trumps Versprechen, in dieser Frage innerhalb von sechs Monaten voranzukommen, ist der kürzeste Zeitrahmen, in dem ein Ende der Kampfhandlungen möglich zu sein scheint.

Russland hat mit ernsten und wachsenden wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Das zeigt sich vor allem im sich beschleunigenden Niedergang der Grundstoffindustrien – also von Kohle, Stahl, Ölraffinierung und Getreide –, aber auch beim Wohnungsbau und Ölhandel. All dies geschieht vor dem Hintergrund einer hohen Inflation. Gleichzeitig hat die Rüstungsproduktion nicht den Umfang erreicht, um die aktive Armee mit genügend schweren Waffen (vor allem gepanzerten Fahrzeugen), Drohnen und Ausrüstung zu versorgen. Auch die Lieferungen aus Nordkorea und dem Iran können dies nicht ausgleichen, wenngleich sie den sich abzeichnenden Mangel an Artilleriegranaten und Minen sowie an Geschützrohren beseitigt konnten. In der vergangenen Woche wurde ein neuer Zug mit nordkoreanischen Selbstfahrlafetten des Typs Koksan, die über eine 170-mm-Kanone verfügen, auf der Fahrt durch Sibirien gesichtet. Die Rekrutierung von Vertragssoldaten für die Armee und Freiwilligeneinheiten ist seit dem Herbst ebenfalls stark zurückgegangen. Die russländische Führung wird wahrscheinlich unpopuläre Maßnahmen ergreifen müssen, um die Verluste auszugleichen und die geplanten neuen Einheiten aufzufüllen. Es könnte allerdings durchaus sein, dass noch mehrere 100 000 nordkoreanische Staatsbürger an die Front gebracht werden, was das Problem lösen würde.

Im Großen und Ganzen verfügt Russland jedoch über eine Armee, die in der Lage ist, die Offensive fortzusetzen. Sie ist zwar sehr erschöpft (zumindest an der Front und im Angriffsstreifen) und stark kriminalisiert. Aber sie verfügt über personelle und materielle Ressourcen, die es ihr mit der gewählten Offensivtaktik erlauben, langsam aber stetig voranzukommen und neue Siedlungen zu besetzen.

Auf ukrainischer Seite herrscht an allen Fronten Unsicherheit. In den Gebieten, in denen die Besatzer in besonders gefährlicher Weise vorrücken, mangelt es zunehmend an Infanterie und schwerem Gerät. Immerhin die First-Person-View-Drohnen der Ukrainer sind denen der Russen überlegen. Gleichzeitig gibt es Probleme mit dem Aufbau von Verteidigungsanlagen in den russländischen Offensivzonen. Dadurch ist jederzeit mit Durchbrüchen zu rechnen, die dann von zwangsmobilisierten und unerfahrenen Brigaden mit mangelnder Ausrüstung aufgefangen werden müssten. In der vergangenen Woche wurden etwa ähnliche Probleme der in Deutschland ausgebildeten 153. Brigade bekannt, die vor allem nicht über genügend erfahrene Kommandeure und Drohnen verfügte, was zu Massendesertionen an der Front führte.

Das bedeutet nicht, dass die Russen plötzlich Geländegewinne von 50 Kilometern am Tag erreichen können. aber Durchbrüche von fünf bis zehn Kilometern sind nicht auszuschließen. Wie es wirklich um Kiews Wirtschaft und Finanzen steht, bleibt ein Geheimnis. Es scheint aber offensichtlich, dass die Führung des Landes weder jetzt noch im kommenden Jahr in der Lage sein wird, die Armee mit genügend Waffen und Munition zu versorgen. Dies gilt insbesondere für schweres Gerät. Und daran ändert die Entwicklung der eigenen Rüstungsindustrie ebenso wenig wie die Gemeinschaftsproduktion mit westlichen Unternehmen.

Putin weiß, dass sich die Situation für die ukrainischen Streitkräfte und die Ukraine als Ganzes verschlechtern wird, wenn er abwartet und die Verhandlungen verzögert. Das wiederum bedeutet, dass die Okkupationsarmee weitere ukrainische Gebiete besetzen wird, insbesondere im ressourcenreichen westlichen Donbass. Dabei handelt es sich nicht nur um die Region Donec‘k, sondern auch um den Südosten der Region Dnipropetrovs’k. Hier dürfte das Gebiet zwischen dem jüngst eingenommenen Pokrov‘sk und der Bergbaustadt Pavlohgrad im Fokus stehen. Wenn dies geschieht, wird die ukrainische Metallurgie von Kohlelieferungen aus den besetzten Gebieten abhängig sein. Das bedeutet, dass ukrainische Metallurgen, die Metall an die EU verkaufen, einen Teil ihrer Gewinne mit Russland teilen müssen. Es ist durchaus möglich, dass Putin hofft, sich Zaporižžja zu stürmen, um das gesamte Gebiet der Region Zaporižžja mit seiner einzigartigen schwarzen Erde und den Überresten der Schwerindustrie zu besetzen.

Obwohl die neue Regierung in Washington theoretisch über eine Reihe von Möglichkeiten verfügt, den Krieg wirklich zu beenden, ist nicht sicher, ob sie dies tut und die gewünschte Wirkung erzielt werden kann. Es könnten härtere Sanktionen verhängt, der Druck auf Russland durch irgendeine Art Abkommen mit China erhöht, wesentlich mehr Waffen an die Ukraine geliefert werden. Insbesondere die Aufstockung der Luftabwehrbatterien und die Verlegung von mehreren hundert Panzern und gepanzerten Mannschaftstransportwagen wäre ein starkes Druckmittel. Auf jeden Fall würde die Umsetzung solcher Maßnahmen viele Monate dauern. In der Zwischenzeit wird sich die Frontlinie nach Westen verschieben, in welchem Tempo ist unklar.

Vereinbarungen, Verhandlungen und andere Formen der Zusammenarbeit auf einer Arbeitsebene sind zwischen Moskau und Kiew dennoch nicht ausgeschlossen. Am 24. Januar fand ein weiterer Austausch gefallener Militärangehörigen statt. 49 Leichen wurden an Russland, 757 Leichen ukrainischer Soldaten an Kiew übergeben. Normalerweise hätte auf den Austausch von Leichen ein Austausch von Kriegsgefangenen folgen sollen, doch dazu kam es nicht. Eine weniger sichtbare Absprache war eine Vereinbarung zur Verringerung des Beschusses der Städte Charkiv und Belgorod. Auf Charkiv fielen die letzten Lenkbomben am 8. November, nachdem die Stadt zuvor das ganze Jahr 2024 hindurch heftige Angriffe mit solche Bomben erlebt hatte. Belgorod wurde zuletzt am 14. November von großen Drohnen getroffen. Kiew bestritt, dass es sich um ukrainische Drohnen handelte. Seit dem Frühherbst gab es keine Raketenangriffe mehr auf die Stadt.

Lage an der Front

Die vergangene Woche war die unauffälligste seit langem. Die wichtigste Nachricht war die erwartete russländische Besetzung des Dorfes Velyka Novosilka an der Zaporižžja-Front am Wochenende. Von dort aus gelangen den Russen noch kleinere Vorstöße nach Norden und Westen. Weitere Nachrichten kamen aus dem gestürmten Časiv Jar, wo die Okkupationsarmee nach noch unbestätigten Berichten den größten Teil des Severnyj-Viertels, eines der beiden noch ukrainisch kontrollierten Viertel, eingenommen haben soll. Die kriegführenden Einheiten des ukrainischen Innenministeriums veröffentlichten am 29. Januar weitere Videos und Fotos von der zerstörten Stadt. Im Gegensatz zu Avdijivka hat etwa die Hälfte der Gebäude noch Dächer, sie wurden nicht vollständig zerstört, sondern haben lediglich unter Artilleriebeschuss gelitten. Es wäre wohl möglich gewesen, in ihnen weiterzukämpfen, hätte es Soldaten gegeben. Sonst gab es nur bei Kupjans‘k Bewegungen. Hier überquerten die Okkupanten den Fluss Oskil und schufen einen weiteren Brückenkopf am westlichen Ufer.

Die schweren Kämpfe in der Region Kursk gehen weiter – im südöstlichen Teil des „Sacks“. Ukrainischen Berichten zufolge wurden die nordkoreanischen Soldaten aufgrund hoher Verluste zur Umgruppierung ins Hinterland abgezogen. Am 26. Januar veröffentlichte der ukrainische Kanal Butusov pljus Informationen und ein Video über die Vernichtung eines ganzen Bataillons nordkoreanischer Spezialkräfte durch die 22. Brigade der ukrainischen Streitkräfte bei Kämpfen in der Nähe von Malaja Loknja. Dabei sollen auch drei hochrangige Offiziere im Rang eines Oberstleutnants getötet worden sein. Das Video zeigt, wie Uniform, Waffen, Dokumente und ein Tagebuch eines dieser Offiziere untersucht werden.

Im Allgemeinen ist die Verlangsamung der Kämpfe höchstwahrscheinlich auf die Wetterbedingungen zurückzuführen. In der Ukraine herrscht Tauwetter, die Straßen an der Front sind aufgeweicht und die Felder noch mehr. Vielleicht wirkt sich auch die Ermüdung der vorrückenden russländischen Armee aus.

Erbarmungslose Mobilisierung in der Ukraine

Die Nachschubkrise der Ukraine an der Front verschärft sich. Ein Zitat aus einem im The Economist veröffentlichten Artikel bringt es auf den Punkt: „Wir versuchen mit aller Kraft, unsere Verluste auf dem Schlachtfeld zu kompensieren. Sie [die Russen] können ein Bataillon Soldaten zu einer Stellung schicken, die wir mit vier oder fünf Soldaten besetzt haben“, sagte Oberst Pavlo Fedosenko, Kommandeur taktischen Gruppierung der ukrainischen Armee im Donbas.

Kiew berichtet täglich über Maßnahmen, mit denen versucht wird, die Löcher zu stopfen. Nikolaj Ščur, Berater der Abteilung für nationale Sicherheit des Präsidialamtes der Ukraine, sagte in der vergangenen Woche, dass der Verchovna Rada „in den nächsten Tagen“ Vorschläge zur Änderung der Gesetzgebung über die Einberufung von Männern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren unter den Bedingungen eines freiwilligen Vertrages vorgelegt werden. Freiwillige dieses Alters können indes schon jetzt gegen ein beträchtliches Gehalt zu den Einheiten gehen.

Unterdessen wird jeder, der greifbar ist, in die Schlacht geworfen. Beispielsweise wurde nach Angaben russländischer Kriegsberichterstatter eine Einheit von 750 Grenzschützern von der Westgrenze an die Grenze zur Region Kursk gebracht. Dort versuchten sie einen Strom von Deserteuren abzufangen, die durch die Berge in die EU einreisen wollten. In die Infanterie soll nach Angaben von Sofia Fedina, Mitglied der Verchovna Rada, und des lettischen Filmregisseurs Vitālijs Manskis die L’viver Militärkapelle entsandt worden sein, die zuvor bei den Beerdigungen gefallener Soldaten gespielt hatte. Am 24. Januar erklärte der ukrainische Abgeordnete Oleksiy Hončarenko in seinem Telegram-Kanal, dass Personal, das die deutschen IRIS-T-Luftabwehrsysteme wartet, zur Infanterie geschickt wird. Wenig später fügte er hinzu, dass Spezialisten für Kommunikation und elektronische Kampfführung aus den Regionen Kiew, Poltava, Ivano-Frankivs‘k und Černihiv zur Infanterie versetzt würden. Das Luftwaffenkommando erklärte jedoch, die ausgebildeten Spezialisten hätten nichts zu befürchten, man halte sich an den kürzlich ergangenen Befehl, solche Versetzungen zu stoppen. Am 29. Januar erklärte der ukrainische Präsident Volodymyr Zelens‘kyj, dass es notwendig sei, Lehrer von Militäruniversitäten und Lyzeen an die Front zu schicken. Ohne Fronterfahrung seien sie angeblich nicht in der Lage, neue Rekruten auszubilden.

Offenbar ist die Lage jedoch nicht so kritisch, dass die Soldaten des mindestens 30 000 Mann starken Territorialen Zentrums für Rekrutierung und soziale Unterstützung und ihre zahlreichen „freiwilligen Helfer“ an die Front geschickt werden. Diese mobilen Patrouillen sind etwa für die busificirovanie zuständig, bei der mit Kleinbussen Männer im wehrfähigen Alter von der Straße gesammelt werden.

Personalfieber im ukrainischen Militärapparat

Die Woche endete mit der Nachricht, dass das Ukrainische Amt für Korruptionsbekämpfung gegen den ukrainischen Verteidigungsminister Ruslan Umerov ein Strafverfahren wegen möglichem Macht- und Amtsmissbrauchs eingeleitet hat. Grund dafür war ein handfester Skandal um fehlgeschlagene Waffenkäufe im Verteidigungsministerium.

Am 25. Januar suspendierte Umerov selbst eine Gruppe von Mitarbeitern des Ministeriums, die für die Versorgung der Armee mit Waffen zuständig waren. Unter anderem reichte er beim Kabinett die Entlassung seines Stellvertreters Dmytro Klimenkov ein, der daraufhin am 28. Januar entlassen wurde. Zudem weigerte sich Umerov, den Vertrag mit der Direktorin der Agentur für die Beschaffung von Militärgütern, Marina Bezrukova, zu verlängern, obwohl der Aufsichtsrat der Organisation dies beschlossen hatte. Umerov teilte außerdem mit, dass zwei staatliche Vertreter im Rat, Taras Čmut und Yuriy Džygir, die für die Verlängerung des Vertrags von Bezrukova gestimmt hatten, aus dem Rat abberufen würden. Zudem plante er einen vollständigen Umbau der Agentur.

Ukrainischen Medien zufolge sagte Umerov, dass „die Abteilung in den vergangenen sechs Monaten statt die Truppen schnell mit Munition zu versorgen, mit politischen Spielchen, Informationslecks und ergebnisloser PR beschäftigt gewesen ist. Die Waffenbeschaffung hat sich zu einem 'Amazon' entwickelt, bei dem Details der Geschäfte publik wurden, nur die Armee an der Front hat die versprochenen Lieferungen nicht erhalten.“ Ein möglicher Grund dafür ist der seit mehr als einem Monat andauernde Skandal um die Lieferung qualitativ minderwertiger Minen für die Mörser der Infanterieeinheiten, die vom Staatskonzern Ukroboronprom bezogen wurden. Die Minen wurden offenbar schief hergestellt, sie passten nicht in die Läufe bzw. konnten nicht verschossen werden.

Darüber hinaus gab es in der vergangenen Woche auch Veränderungen beim Militärpersonal. Am 26. Januar ernannte Zelens‘kyj Michajlo Drapatyj zum Kommandeur der operativ-strategischen Gruppe Chortyca. Die Gruppe ist in der Region Donec‘k aktiv. Zelens‘kyj begründete die Entscheidung damit, die Truppen stärken zu wollen. Drapatyj löste damit Andrej Gnatov ab, der zum stellvertretenden Chef des Generalstabs der ukrainischen Armee ernannt worden war, „um die Interaktion des Hauptquartiers mit der Front zu verbessern“. Drapaty wird nun zwei Ämter gleichzeitig bekleiden: Er ist nun Befehlshaber der ukrainischen Landstreitkräfte und der Gruppe Chortyca.

Luftkrieg

Im Januar nahm die ukrainische Armee ihre Angriffe auf große Ölraffinerien, Treibstoffdepots und einige Rüstungsunternehmen in Russland wieder auf. Am 29. Januar wurde beispielsweise in der Raffinerie Lukoil Nižegorodnefteorgsintez in der Stadt Kstovo, im Gebiet Nižnij Novgorod, ein Großbrand verursacht. Die Taktik der ukrainischen Streitkräfte bei diesen Angriffen ist nun wesentlich erfolgreicher als zuvor. Die Angriffe werden von großen Gruppen schwerer Kamikaze-Drohnen mit 30 bis 50 Kilogramm Munition durchgeführt. So ist es mit einem einzigen Schlag möglich, große Treibstofftanks in Brand zu setzen oder Ausrüstung zu beschädigen. So brennt nach einem Angriff nicht mehr nur ein Treibstofftank, was früher als großer Erfolg galt, sondern mindestens zwei. Es stellt sich jedoch heraus, dass viele der Tanks leer sind. Das heißt, sie fangen nach dem Treffer kein Feuer.

Vom britischen Geheimdienst veröffentlichte Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung der Angriffe auf das Kombinat Kristall in Engels in der Region Saratov am 8. und 14. Januar. Mehrere Tage hatten dort Brände nicht gelöscht werden können. Insgesamt wurden vier Treibstofftanks zerstört und zehn weitere beschädigt. Mindestens 16 Tanks blieben unversehrt. Dies deutet darauf hin, dass selbst bei den spektakulärsten Bränden und nach den erfolgreichsten Angriffen die Infrastruktur selbst in der Regel funktionsfähig bleibt.

In der vergangenen Woche haben jedoch erstmals nicht nur Ölraffinerien, sondern auch einige Rüstungsbetriebe nach solchen Angriffen die Einstellung ihres Betriebs bekannt gegeben. Am 27. Januar kündigte die Ölraffinerie in Rjasan, eine der fünf größten Russlands, die Einstellung ihres Betriebs an. Es waren kurz hintereinander zwei Drohnenangriffe erfolgt, bei denen einige ihrer Anlagen zerstört worden waren. Am 24. Januar stellte das Werk Gruppa Kremnij Ėl in Brjansk die Arbeit ein. Dort werden Mikrochips und Komponenten für die Interkontinentalrakete Topol-M, die U-Boot-gestützte ballistische Rakete Bulava, die Flugabwehrraketensysteme S-300 und S-400 sowie für Bordelektronik von Kampfflugzeugen hergestellt.

Die ukrainischen Luftstreitkräfte nehmen verstärkt Knotenpunkte des Öltransports wie Pumpstationen ins Visier. Das soll die Effektivität von Angriffen steigern. So wurde in der Nacht zum 29. Januar die Ölpumpstation Transneft Baltika im Bezirk Toropec im Gebiet Tver‘ angegriffen. Dabei kam es zu einem Brand, der nach zwei Stunden gelöscht werden konnte. In der Nacht zum 30. Januar wurde die Verteilstation der Družba-Ölpipeline im Bezirk Novozybkovskij im Gebiet Brjansk erneut angegriffen, was ebenfalls zu einem Brand führte.

Es ist insbesondere in den Fällen von Rjasan und Kstovo bemerkenswert, dass viele der Angriffe nicht von Luftabwehrmaßnahmen oder gar dem Abschuss mobiler Sicherheitskräfte begleitet wurden. Dies zeigen auch Videos und davon berichten Augenzeugen. Offensichtlich verfügt die Russische Föderation nicht über genügend Luftabwehrsysteme, um alle Standorte abzudecken. Zudem gibt es Probleme, die vorhandenen Systeme mit Raketen auszustatten, um alle Drohnen zu zerstören.

Putins Militär schlägt einmal pro Woche (zuletzt am 20. und 28. Januar) mit einem starken kombinierten Raketen- oder Drohnenangriff zurück. Meist richten sich diese Angriffe gegen Energie- und Verteidigungsanlagen sowie Flugplätze. Die ukrainischen Behörden halten Informationen über Schäden und Opfer zunehmend zurück. Nach offiziellen Angaben hat die AFU am 28. Januar 63 von 100 Drohnen abgefangen. Die Drohnen griffen Ziele in mindestens sechs Regionen an.

Aus dem Russischen von Felix Eick, Berlin

Hinweis zu den Quellen: Die Berichte stützen sich auf die Auswertung Dutzender Quellen zu den dargestellten Ereignissen. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.

Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen wie jene von Deep State (https://t.me/DeepStateUA/19452) – werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter „Rybar’“ (https://t.me/rybar), Dva Majora (https://t.me/dva_majors), und „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonel cassad. livejournal.com/). Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift.