Trauer um die Opfer der russländischen Raketenangriffe auf Kiew am 24.4.2025. Foto: Rasal Hague CC BY-SA 4.0
Trauer um die Opfer der russländischen Raketenangriffe auf Kiew am 24.4.2025. Foto: Rasal Hague CC BY-SA 4.0

Verhandlungen im Schatten der Offensive

Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 161. und 162. Kriegswoche

Nikolay Mitrokhin, 28.4.2025

Während die USA mit wirtschaftlichen Forderungen an Kiew und indirekten Gesprächen mit Moskau neue Bedingungen diktieren wollen, stocken die internationalen Friedensverhandlungen. Russland verstärkt derweil seine militärischen Operationen in mehreren Regionen, darunter in der Oblast Sumy und bei Pokrovs’k. Technologische Entwicklungen wie glasfasergesteuerte Drohnen, improvisierte Panzer und neue elektronische Kampfsysteme verändern die Kriegsführung. Die Mobilmachung auf beiden Seiten wird forciert, während an der Front massive Verluste und taktische Verschiebungen auf eine erneut eskalierende Kriegsdynamik hindeuten.

Internationale Lage

Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand sind faktisch zum Erliegen gekommen. Die Trump-Regierung widmet sich inzwischen anderen Projekten. Das letzte nennenswerte Signal politischen Interesses am Friedensprozess im Ukraine-Krieg datiert vom 4. April, als US-Außenminister Marco Rubio auf einer Pressekonferenz erklärte: „Ein echter vollständiger Waffenstillstand würde bedeuten, dass es keine Explosionen mehr gibt. Doch Russland ist dazu nicht bereit. Sie stellen Forderungen, halten sich aber nicht an die Absprachen. Es gab Gespräche über einen teilweisen Waffenstillstand, doch einer der Gründe, warum wir diesen nicht weiterverfolgen, ist, dass sofort Diskussionen darüber beginnen, wo Angriffe erlaubt wären und wo nicht.“ Und weiter: „Wir werden das nicht endlos so fortführen, es gibt ein Zeitfenster, in dem wir abwarten und sehen werden, ob beide Konfliktparteien für einen Frieden bereit sind oder nicht. Und dieses Zeitfenster schließt sich bald.“ Rubio erklärte außerdem, dass der US-Kongress bereits an einem Sanktionsgesetz arbeite. Allerdings wirken diese Aussagen eher wie schwache Drohgebärden. Die Hoffnung ist geschwunden, die noch vor einem Monat in der Luft lag.

Auch mit der Ukraine wurden bislang keine entscheidenden Abkommen geschlossen. Im Gegenteil: Das US-Militär hat eine zentrale Versorgungsbasis für die Ukraine am polnischen Flughafen Rzeszów aufgegeben – die Kontrolle ging an die NATO über. Einige russländische Quellen sehen darin eher eine schlechte Nachricht für Russland, da der Flughafen künftig stärker für die technische Unterstützung der Ukraine genutzt werden könnte.

Parallel verlaufen mehrere Verhandlungsformate. In Sankt Petersburg und Istanbul fanden indirekte Gespräche zwischen Trump und Putin über Mittelsmänner statt. Ein von Trumps Sondergesandtem Keith Kellogg ausgearbeiteter Plan sah eine faktische Aufteilung der Ukraine in Einflusszonen vor, mit der Stationierung französischer und britischer Truppen im Westen des Landes. Präsident Zelens’kyj reagierte empört, da das Abkommen offenbar auch die Festschreibung der russländischen Kontrolle über fünf ukrainische Regionen vorsieht. Trumps Umfeld schwankt zwischen öffentlicher Zuversicht über eine baldige Einigung mit Putin und immer schärferer Rhetorik gegenüber Russland.

Ein zweites Verhandlungsfeld umfasst direkte Gespräche zwischen Zelens’kyjs und Trumps Vertretern über ein Abkommen zur Schaffung eines Stabilisierungsfonds, der den USA de facto wirtschaftliche Kontrolle über die Ukraine verschaffen würde. Laut Berichten fordern die USA umfassenden Zugriff auf Rohstoffe und Transportinfrastruktur.

Ein drittes Thema ist die militärische Unterstützung durch die EU. Im Rahmen des Ramstein-Formats am 11. April wurde ein umfangreiches Paket angekündigt: Großbritannien stellt der Ukraine 100 000 Drohnen, Radarsysteme und Ersatzteile, Norwegen unterstützt sie mit einer Milliarde Euro, Deutschland liefert vier IRIS-T-Systeme, 300 Abfangraketen, 15 Leopard-1-Panzer und 100 000 Granaten.

Ein weiteres Verhandlungsfeld betrifft Gespräche im Viererformat Russland–Ukraine–USA–Türkei über ein mögliches Waffenstillstandsabkommen im Schwarzen Meer. Diese scheinen am weitesten fortgeschritten – wohl auch, weil beide Seiten ein Interesse daran haben, den Getreide- und Rohstoffexport zu stabilisieren. Vom 13. bis 16. April fanden in Istanbul und Ankara mehrere Konsultationen statt, unter anderem im Format Russland–Türkei–USA sowie Ukraine–Türkei–Frankreich–Großbritannien. Parallel verschärfte sich die Lage für Russland beim Export über die Ostsee. Deutschland beschlagnahmte einen russländischen Tanker, der manövrierunfähig war, Estland stoppte einen weiteren mit gefälschten Papieren. Diese Maßnahmen stehen im Zusammenhang mit den jüngsten NATO-Manövern als Reaktion auf russländische Sabotageakte an baltischen Seekabeln.

Aufrüstung und Erhalt der Streitkräfte

Ein unmissverständliches Zeichen, dass weder Russland noch die Ukraine ernsthaft an einer Friedenslösung interessiert sind, sind die größeren Anstrengungen zur Stärkung der Armeen. In Russland läuft die Frühjahrsrekrutierung mit großer Härte. Es ist die erste Einberufungswelle seit Anhebung der Wehrpflichtgrenze auf 30 Jahre. Ziel ist, die Armee um 160 000 Wehrpflichtige aufzustocken. Viele werden rasch an die Front geschickt. Russländische Medien berichteten von zwei Fällen, in denen in Moskauer Fitnessstudios mutmaßliche Wehrpflichtige gewaltsam festgenommen wurden. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei Personen, die kürzlich die russische Staatsbürgerschaft erhalten haben, aber noch nicht im Wehrregister erfasst sind, jährlich etwa 700 000 Menschen, vor allem aus Zentralasien.

In der Ukraine zeichnen sich zwei gegenläufige Entwicklungen ab: Einerseits wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt. Diese soll die Rekrutierungspraxis der Wehrersatzämter „zivilisieren“. Andererseits gibt es Berichte über gewaltsame Rekrutierungen durch kriminelle Gruppen, die sich als „Freiwillige“ ausgeben. Das Verteidigungsministerium bereitete ein Initiative vor, wonach Freiwillige nach 18 Monaten Frontdienst demobilisiert werden sollten. Doch der Generalstab lehnt dies ab. Stattdessen sollen die finanziellen Anreize besser werden: Freiwillige, die zwischen 2022 und 2024 im wehrpflichtigen Alter den Streitkräften beitraten, sollen künftig dieselbe finanzielle Entlohnung erhalten wie Rekruten unter 24 Jahren, die nach dem neuen Gesetz zum Dienst antreten – ein Gesamtpaket von rund 60 000 US-Dollar im ersten Dienstjahr. Am 9. April erklärte der Oberbefehlshaber Oleksandr Syrs’kyj in einem Interview mit der Tageszeitung Levyj Bereh, die ukrainische Armee benötige einen monatlichen Zuwachs von 30 000 Soldaten. Laut Syrs’kyj verweigern indes rund sechs Millionen Ukrainer die Aktualisierung ihrer Daten in der staatlichen App „Dija“ – was de facto bedeutet, dass diese sich dem Wehrdienst entziehen. Zudem hätten etwa 100 000 Soldaten ihre Einheiten verlassen oder seien nicht aus dem Urlaub zurückgekehrt.

Einen Skandal löste die Gefangennahme zweier chinesischer Staatsbürger durch die Ukraine aus. Diese hatten sich erfolglos bei der ukrainischen Armee beworben und wurden später von der russländischen Armee aufgenommen. Insgesamt befinden sich laut ukrainischen Medien 133 chinesische Kämpfer sowie weitere aus Nepal, Indien, Serbien, Deutschland und mehreren afrikanischen Staaten in russländischen Diensten. Laut Syrs’kyj wurden auch nordkoreanische Einheiten mehrfach aufgefüllt.

Lage an der Grenze zwischen Kursk und Belgorod

Syrs’kyjs gestand ein, dass Russland eine Offensive in der Oblast Sumy gestartet habe. Der Vorstoß aus Kursk sei seit August 2024 vorbereitet worden. Er wurde möglich, weil Russland Truppen aus der Region Kursk nach Charkiv verlegt hatte. Diese Truppenverlegung war bereits seit Mai 2024 bekannt, als ukrainische Drohnen und Artillerie eine der sich zurückziehenden Kolonnen angriffen. In der Woche bis zum 9. April übernahmen russländische Truppen vollständig die Kontrolle über Gujevo, rückten bis zum Grenzübergang Sudža vor, eroberten Basivka zurück und nahmen Loknja ein. Der Durchbruch bei Loknja verschaffte ihnen operative Flexibilität, auch wenn bei den Angriffen mindestens zehn wertvolle Fahrzeuge, darunter Räumungspanzer, verloren gingen. In der Nacht zum 9. April griffen Drohnen ein Fahrzeug des russländischen Innenministeriums in Krasnaja Jaruga an. Unter den Verletzten war der Abteilungsleiter für Anti-Terror-Fragen, Oberstleutnant Vjačeslav Pojlov.

Am 15. April wurden Kämpfe um Vodolahy und Belovody gemeldet. Russländische Truppen stießen bis nach Vladimirovka vor. Die Dörfer Veselovka und Žuravka wurden eingenommen. Dieses Eindringen geht über das übliche Grenzgeplänkel hinaus und deutet auf eine russländische Absicht hin, ein siebtes dauerhaft besetztes ukrainisches Gebiet zu etablieren – zusätzlich zu den fünf offiziell annektierten Regionen und der Präsenz in der Region Charkiv. In Belgorod wurde der Zugang zur Stadt Krasnaja Jaruga am 10. April wegen der „operativen Lage“ gesperrt. In der Region Brjansk baten Dorfbewohner freiwillig um Evakuierung, nachdem durch Drohnenangriffe sieben Häuser abgebrannt waren.

Kämpfe im Norden, Zentrum und Süden der Front

Russländische Truppen setzen ihre Operation westlich des Oskil-Flusses nördlich von Kup’jans’k fort. Ziel scheint nun weniger die Einnahme von Kup’jans’k selbst, sondern die Zerschlagung des ukrainischen Frontbogens im Nordosten zu sein. Eine ukrainische Einheit musste mehrere Kilometer westlich verlegt werden und stand auch dort unter schwerem Beschuss. Zudem meldeten mehrere russländische Militärkanäle, dass die russländische Armee fast vollständig die Kontrolle über Torec’k zurückgewonnen habe. Drohnenaufnahmen zeigen eine weitgehend zerstörte Stadt und deuten auf einen ukrainischen Rückzug an den westlichen Stadtrand hin.

Im Süden war besonders die Region Pokrovs’k umkämpft, wo die russländische Offensive nach einer zweimonatigen Pause wieder aufgenommen wurde. Zuvor war der Vormarsch an der Kontrolle über eine einzige asphaltierte Zufahrtstraße gescheitert, die im März durch Tarnnetze geschützt wurde. Russländische Einheiten haben erneut den strategisch wichtigen Ort Ševčenko angegriffen. Ukrainische Elitetruppen berichteten, allein dort über 800 russländische Soldaten getötet und 300 verwundet zu haben. Auch in Volkove und Udačne ist Bewegung erkennbar. Im Südosten nahe der Dnipro-Grenze verlieren ukrainische Einheiten schrittweise Boden. Nordwestlich von Velyka Novosilka rückten russländische Truppen bis zur Grenze der Oblast Dnipro vor. Dabei eroberten sie das Dorf Vesele vollständig und ein weiteres teilweise. Besonders auffällig: Die russländischen Streitkräfte setzen bei diesen Angriffen stark modifizierte Panzer ein – eine Art „mobile Blockhütten“, bestehend aus Baumstämmen, Gummimatten und elektronischen Störsendern auf dem Dach, die Schutz gegen Drohnenangriffe bieten und unter deren Hülle ganze Infanteriegruppen mitgeführt werden können.

Drohnen- und Luftkrieg

In der Nacht auf den 15. April griffen ukrainische Drohnen Ziele in Kursk an, am Morgen des 16. April folgte ein Angriff auf Šuja – möglicherweise sind dies Wohnorte russländischer Kommandeure. In Kursk wurden rund 20 Wohnblocks beschädigt, erstmals kamen Drohnen mit Metallkugelsplittern zum Einsatz. Offiziell wurden drei Todesopfer bestätigt, inoffiziell sprechen russländische Quellen von hohen Verlusten in der 448. Brigade. Syrs’kyj erklärte in einem Interview, dass der russländische strategische Bomber Tu-22M3, der in der Region Irkutsk abstürzte, beim Landeanflug von einer ukrainischen Drohne getroffen worden sei. Sollte dies zutreffen, wäre es eine herausragende Operation des ukrainischen Geheimdienstes – mit dem Einsatz von Drohnenlenkern und möglicherweise FPV-Drohnen in über 4000 Kilometern Entfernung von der Frontlinie.

Am 4. April schlug eine russländische Iskander-Rakete in einem Wohngebiet der Stadt Krywyj Rih ein. Dabei wurden 19 Zivilisten getötet und rund 80 verletzt, darunter neun Kinder. Die Explosion ereignete sich zwischen einem Wohnhaus, einem Spielplatz und einem Familienrestaurant. Die russländische Seite übernahm umgehend die Verantwortung und behauptete, an diesem Ort habe ein Treffen von bis zu 80 NATO-Offizieren stattgefunden. Diese Darstellung wurde jedoch durch Aufnahmen aus dem Restaurant widerlegt – es war leer. Zwei Tage später, am 6. April, folgten massive Angriffe mit 24 Raketen und 40 Drohnen, unter anderem auf Kiew.

Am Morgen des 13. April griffen russländische Raketenbrigaden aus den Regionen Voronež und Kursk mit zwei Iskander-M/KN-23-Raketen das Zentrum von Sumy an. Ziel war ein Universitätsgebäude, in dem entweder eine Auszeichnung für die 117. Territorialverteidigungsbrigade stattfand (ukrainische Version) oder eine Kommandositzung der ukrainischen „Seversk“-Gruppe (russische Version). Eine Rakete traf das Gebäude direkt, die zweite explodierte über der Straße. Dabei kamen mindestens 35 Menschen ums Leben, viele davon Zivilisten, darunter Passagiere eines vorbeifahrenden Busses. Über 100 Menschen wurden verletzt. Die Zahl der getöteten Soldaten ist unklar, russländische Quellen sprechen von über 60, ukrainische von mindestens drei bekannten Fällen.

Rüstungsdynamik und technologischer Wandel

Der Krieg treibt eine massive Aufrüstung beider Seiten voran. Die Schwächen westlicher Technik gegenüber FPV-Drohnen und elektronischen Gegenmaßnahmen werden deutlich. Gleichzeitig gewinnen neue Technologien an Bedeutung, etwa per Glasfaserkabel gesteuerte Drohnen und britische Lasersysteme. Deutschland könnte sich zum führenden Produzenten für Panzer, Luftabwehrsysteme und Drohnen entwickeln. Auch die Drohnenentwicklung schreitet rasch voran. Russland setzt auf mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Drohnen mit Satellitenkommunikation, die in Gruppen angreifen und die ukrainische Luftabwehr überlasten. Die Ukraine setzt zur elektronischen Kriegsführung Aufklärungsdrohnen ein sowie Kampfdrohnen mit montierten Schrotflinten zur Luftabwehr. Besonders die Glasfaserdrohnen, Drohnen, die durch Lichtwellenleiter gesteuert werden, führen auf beiden Seiten zu taktischen Innovationen: Mechanische Fallen, Netzbarrieren und andere Abwehrmaßnahmen nehmen zu. Die Produktion russischer Angriffsdrohnen wurde massiv gesteigert. Im März setzte Russland im Durchschnitt 135 Drohnen pro Nacht ein – zum Vergleich: 2023 waren es noch 70. In Städten wie Charkiv dauern die Luftalarme mittlerweile fast rund um die Uhr an.

Aus dem Russischen von Anna Guminska, Berlin

Hinweis zu den Quellen: Die Berichte stützen sich auf die Auswertung Dutzender Quellen zu den dargestellten Ereignissen. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.

Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen wie jene von Deep State (https://t.me/DeepStateUA/19452) – werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter „Rybar’“ (https://t.me/rybar), Dva Majora (https://t.me/dva_majors), und „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonel cassad. livejournal.com/). Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift.