Verhandlungen vertagt, Angriffe verstärkt
Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 160. Kriegswoche
Nikolay Mitrokhin, 4.4.2025
US-Präsident Donald Trump sorgt mit scharfer Kritik an Vladimir Putin und Volodymyr Zelens’kyj für Unruhe. Während sich ein bilaterales Abkommen zwischen Washington und Kiew zur Ressourcengewinnung abzeichnet, schwinden die Hoffnungen auf eine rasche Verhandlungslösung. An der Front eskaliert die Lage: Russland startet neue Offensiven in fünf Regionen, verschärft seine Angriffe an der Grenze zu Sumy und Charkiv und intensiviert die Kämpfe um Časiv Jar. Zugleich wandelt sich die Technologie der Kriegsführung. Drohnen mit KI, Satellitensteuerung oder Glasfaseranbindung sowie neue Taktiken auf beiden Seiten verändern das Gefecht – und lassen ein Ende der Gewalt in weiter Ferne erscheinen.
Internationaler politischer Kontext des Krieges
Das Hauptereignis der Woche war die scharfe Kritik des US-Präsidenten Donald Trump am 30. März sowohl gegenüber Vladimir Putin als auch Volodymyr Zelen’skyj. Trump erklärte in einer Stellungnahme gegenüber dem US-amerikanischen Fernsehsender NBC, dass er „sehr wütend“ auf Putin sei, da dieser vorgeschlagen habe, die Ukraine unter die Verwaltung der UNO zu stellen. Danach kritisierte er Zelen‘skyj dafür, dass dieser die Unterzeichnung des bilateralen Abkommens zur gemeinsamen Rohstoffförderung hinauszögere.
Diese Aussagen durchbrachen die seit der Vorwoche andauernde angespannte Lage, in der russländische und ukrainische Drohnen jede Nacht weiterhin gezielt die Energie- und zivile Infrastruktur des Gegners angriffen, ohne dass es Anzeichen für ein tatsächliches Innehalten der Kampfhaltungen gab.
In den vergangenen vier Nächten ist jedoch ein deutlicher Rückgang der Angriffe auf die Energieinfrastruktur zu beobachten. Auch im Verhandlungsprozess gab es spürbare Fortschritte: Laut US-Regierungsvertretern vom 2. April ist ein Abkommen mit der Ukraine über die Ressourcengewinnung ausgearbeitet und soll bald unterzeichnet werden. Aus Moskau wiederum sind die Stimmen zu einer möglichen Übergabe der Ukraine unter fremde Kontrolle verstummt.
Gleichzeitig scheinen sich die Hoffnungen Russlands zu bestätigen, dass Donald Trump sich anderen Themen zuwenden würde, falls keine schnellen Fortschritte in den Friedensverhandlungen erzielt würden. Am 3. April ließ seine Administration verlauten, dass ein entsprechendes Abkommen voraussichtlich nicht bis zum 20. April, wie zuvor angekündigt, unterzeichnet werde. Schon am selben Tag unterzeichnete Trump ein Dekret zur Einführung differenzierter, teils sehr hoher Zölle gegenüber rund hundert Staaten weltweit und löste damit unter anderem einen Handelskrieg mit China aus. Zudem mehren sich Hinweise, dass sich die USA auf einen direkten militärischen Konflikt mit dem Iran vorbereiten. Vor diesem Hintergrund verschieben sich die Aussichten auf einen umfassenden Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine unter US-Vermittlung mindestens auf den Sommer, wenn nicht noch weiter.
Westliche Unternehmen, darunter bekannte Marken aus der Mode- und Elektronikbranche wie Samsung, zeigten Interesse an einer Rückkehr nach Russland, vor allem, wenn dort noch eigene Produktionsstätten bestehen. Viele dieser Überlegungen fielen in den Zeitraum zwischen Ende Februar und Mitte März, als eine gewisse Hoffnung auf diplomatische Entspannung spürbar war. Doch inzwischen scheint sich dieser Optimismus wieder zu verflüchtigen. Russländische Regierungsvertreter äußerten rasch, dass eine Rückkehr ausländischer Firmen nicht ohne Bedingungen erfolgen werde: Man wolle genau prüfen, wer zurückkomme, und der Wiedereintritt in Russland Markt werde keineswegs als selbstverständlich betrachtet.
Lage an der Frontlinie
Das wichtigste militärische Ereignis der vergangenen Woche war die Wiederaufnahme großangelegter russländischer Offensivoperationen auf mindestens fünf Frontabschnitten: nördlich von Kup’jans‘k, im Raum Lyman, am Pokrovs’ker Bogen, bei Kurachove sowie nordwestlich von Velyka Novosilka. Die russländische Armee hat laut Angaben von Deep State im März 2025 lediglich 133 Quadratkilometer ukrainischen Territoriums eingenommen – sechsmal weniger als noch im November 2024. Ein ähnlich „ruhiger“ Verlauf ist für den April jedoch kaum zu erwarten. Nach Angaben derselben Quelle erreichte die Gefechtsintensität am Pokrovs’ker Frontabschnitt in der zweiten Märzhälfte das Niveau vom Jahresende 2024.
Ausschlaggebend dafür waren vor allem die verbesserten Wetterbedingungen: Der Winter fiel weniger schneereich aus als erwartet, und unerwartet frühe Frühlingstemperaturen trockneten die Felder rasch ab. Hinzu kam, dass die russländischen Streitkräfte die „Befreiung“ der Oblast Kursk weitgehend abgeschlossen hatten und nicht auf die von den ukrainischen Truppen inszenierte Offensive an der Grenze zur Oblast Belgorod hereinfielen.
Entsprechend verstärkte Russland seine Offensivbemühungen nördlich von Kup’jans’k, wo die Armee in der vergangenen Woche ein weiteres Dorf einnahm und nun versucht, mehrere Brückenköpfe am Westufer des Oskil zu einem zusammenhängenden Frontabschnitt zu verbinden. Auch im Raum Lyman gelang der russländischen Seite ein weiterer Vorstoß mit der Einnahme eines Dorfes. Ukrainische Quellen rechnen dort bald mit einer größeren Offensive, die auf die Einnahme von Lyman abzielt. Allerdings müsste das russländische Militär rund zwölf Kilometer durch stark bewaldetes Gelände vorrücken, das den Nordrand des Flusstals des Sivers‘kyj Donec‘ in diesem Abschnitt säumt und von dem internationalen Bataillon Azov verteidigt wird. Eine „Spazierfahrt“ ist hier kaum zu erwarten – zumal die russländischen Truppen in diesem Gebiet bislang lediglich drei Kilometer binnen eines Jahres vorankamen.
Die Kämpfe um Kursk und Belgorod
Trotz der Priorität, die die russländischen Medien und Politiker der Befreiung der Region Kursk beimessen, hat die russländische Armee in der Realität nur begrenzte Fortschritte erzielt. Die Frontlinie bewegt sich nur langsam von Norden nach Süden, und obwohl bereits einige Gebiete in der Region Sumy erobert wurden, bleibt der südlichste Teil der Region Kursk weiterhin unter der Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte. In der vergangenen Woche überschritten die russländischen Streitkräfte die Grenze westlich des bereits bestehenden Keils in das ukrainische Gebiet bei der russländischen Siedlung Nikolo-Dar'ino mit einem Frontabschnitt von bis zu fünf Kilometern. Allerdings stießen sie offenbar auf die erste Linie der ukrainischen Verteidigung. Hier sind sie konstanten Angriffen durch ukrainische Drohnen und Artillerie sowie Luftangriffen der nun stärker aktiven ukrainischen Luftwaffe ausgesetzt. Zum Beispiel wurde bei einem HIMARS-Raketenangriff der ukrainischen Streitkräfte auf die Positionen der russländischen Rosgvardija-Spezialtruppen im Dorf Čerkaskoe Porečnoe in der Region Kursk, etwa 14 Kilometer hinter der Frontlinie der Major Marat Tibilov getötet. Er war der Kommandeur einer Feuergruppe der Spezialkräfte des Rosgvardija-Zentrums und wurde erst vor einem Monat im Kreml mit dem Titel „Held der Russländischen Föderation“ ausgezeichnet.
Der aus der Region Vologda stammende Anatolij Kostin, der im 237. Luftlandesturmregiment der russländischen Streitkräfte diente, nahm ein Abschiedsvideo im Grenzdorf Noven‘ke in der Region Sumy auf, das die russländische Truppen noch Mitte März besetzten. Laut Kostin erreichten die Besatzer das benachbarte Dorf Basovka, mussten aber aufgrund von Angriffen der ukrainischen Streitkräfte nach Noven‘ke zurückweichen, wo sie sich in den Häusern versteckten. Er und seine Kameraden verpassten die Evakuierung und warteten auf eine Gelegenheit zur Flucht. Später fiel er im Kampf.
An der russländisch-ukrainischen Grenze dauern die intensiven Kämpfe im Kreis Krasnojaružskij in der Region Belgorod an. Die ukrainischen Streitkräfte sind nicht über zwei Grenzdörfer hinausgekommen, obwohl die russländischen Streitkräfte am 2. April einen Luftangriff auf den Damm des Stausees am Fluss Udava im Gebiet des von den Gegnern besetzten Dorfes Popovka flogen, um deren weiteren Vormarsch zu stoppen. Die militärische Lage bleibt in allen Grenzgebieten der Region Belgorod angespannt. Der oppositionelle Kanal „Pepel“ aus Belgorod führt eine tägliche Chronik, in der Angriffe ukrainischer Drohnen und Raketen auf mindestens vier bis fünf Bezirke dokumentiert werden.
Zum Beispiel wurde am 27. März der Leiter der Sicherheitsabteilung der Region Belgorod, Evgenij Vorob‘ëv, bei einem Angriff der ukrainischen Streitkräfte verletzt und erlitt eine Gehirnerschütterung. Am 30. März wurde bei einem Drohnenangriff auf ein Munitionslager im Dorf Ivanovskaja Lisica der Sekretär des Sicherheitsrates des Grajvoron-Bezirks, Vjačeslav Radčenko, verletzt. Laut „Pepel“ hatten die Militärs das Lager in einem unbewohnten Mehrfamilienhaus eingerichtet, das nach dem Drohnenangriff in Brand geriet. Laut einer Quelle von „Pepel“ in den operativen Diensten wurden das Gebäude der Dorfschule und mehrere Dutzend Häuser beschädigt. Der Grajvoron-Bezirk liegt mehr als 30 Kilometer von der Durchbruchszone der ukrainischen Streitkräfte entfernt, war jedoch 2023 mehrmals Ziel ukrainischer Grenzangriffe.
Am selben Tag veröffentlichte der ehemalige Leiter der Odessa-Abteilung des „Rechten Sektors“ und populäre ukrainische Blogger, Serhij Sternenko ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Drohnen in vier Raketenwerfer „Grad“, zwei Panzer und andere militärische Ausrüstungen sowie Fahrzeuge, die im Gebiet des Rakitjanskij-Bezirk verwendet wurden, einschlagen.
Am 28. März kam es trotz des Waffenstillstands in der Region Belgorod zu einer Abschaltung der Hochspannungsleitung von Borisovka nach Krasnaja Jaruga, die dem Unternehmen „Rosseti Centr“ – „Belgorodėnergo“, gehört. Dadurch blieben mehr als 8000 Haushalte im Borisovskij-Bezirk ohne Stromversorgung. Laut dem russländischen Verteidigungsministerium war dies das Ergebnis eines Angriffs durch eine ukrainische Drohne.
Proukrainische Quellen werfen wiederum den russländischen Militärpiloten regelmäßig vor, Bomben über dem Gebiet der Region Belgorod verloren zu haben. Laut dem Telegram-Kanal ASTRA wurde eine gelenkte Bombenhülle auf einem Feld nahe des Dorfes Krasnoe im Šebekinskij-Bezirk und die zweite in der Ortschaft Nižnee Berezovo-Vtoroe gefunden.
Die Verluste auf der ukrainischen Seite der sind deutlich schwerwiegender, obwohl die Bevölkerung der Grenzgebiete in den Regionen Sumy und Charkiv größtenteils evakuiert wurde. Russländische Drohnen und Luftangriffe zerstören grenznahe Städte und größere Siedlungen. So wurde am 30. März das Stadtzentrum von Kup’jans‘k mit einer gelenkten Luftbombe getroffen, die laut dem Leiter der Oblastverwaltung Charkiv, Oleh Sinjehubov, ein fünfstöckiges Gebäude traf. Bei dem Angriff wurden zwei Frauen im Alter von 53 und 61 Jahren sowie ein 27-jähriger Mann verletzt.
Kämpfe am Severskij Vystup, in Torec‘k und Časiv Jar
Die Kämpfe im zentralen und nördlichen Teil der Region Donec’k bleiben weiterhin heftig. Der neue russländische Vorstoß, der am 27. März begann, stieß auf die gleichen Probleme wie vorherige Offensive: Die vorrückenden Kolonnen werden von ukrainischen Drohnen, Raketen und Artillerie auf dem Weg zu den Stellungen beschossen. Nachdem die Fahrzeuge in Brand geraten sind, wird die sich ausbreitende Infanterie mit Streumunition unter Beschuss genommen und dann von Drohnen angegriffen.
Am 30. März berichtete das „Luhans‘k“-Operationsteam der ukrainischen Streitkräfte von der Zerschlagung einer russländischen Kolonne, die bis zu den Stellungen der 5. Sturmbrigade Kiew vorgedrungen war. Die Kolonne bestand aus drei gepanzerten Fahrzeugen, zwei Lastwagen und achtzehn Motorradfahrern. Laut einem Video erreichten sie zwar die ukrainischen Stellungen, verloren jedoch 109 Soldaten, die entweder getötet oder verwundet wurden.
Am 1. April veröffentlichte die 12. Brigade der Nationalgarde „Asov“, die südlich und westlich von Torec‘k kämpft, ein Video, das zwanzig gefangene russländische Soldaten aus drei verschiedenen Einheiten zeigt. Etwa ein Drittel von ihnen gehört zu der 9. selbstständigen Garde-Mot-Schützenbrigade „Mariupol-Chingan‘“, die früher als „9. separates Marineinfanterie-Regiment“ der Volksmiliz der „Volksrepublik Donec’k“ bekannt war. Diese Einheit war zuvor an der Erstürmung von Avdijivka beteiligt und erhielt später vom russländischen Verteidigungsminister Andrej Belousov eine Auszeichnung für die Einnahme des Orts N‘ju Jork südlich von Torec‘k. Die Mehrheit der Gefangenen stammt aus dem 20. motorisierten Schützenregiment. Über diese Einheit ist fast nichts bekannt, aber aus den Aussagen der Kriegsgefangenen geht hervor, dass die meisten von ihnen aus der Region Irkutsk stammen.
Laut ukrainischen Quellen handelt es sich bei den Soldaten um sogenannte „Öffner“, Soldaten die gezielt eingesetzt werden, um die Positionen ukrainischer Panzer zu enttarnen. Ihre Geschichte lässt sich in etwa so zusammenfassen: Kaum von der Ausbildungseinheit angekommen, wurden sie direkt in den Kampf geschickt. Unter Beschuss durch Abwurfsysteme ukrainischer Drohnen wurden sie mitten auf einer Straße abgesetzt. Der Lkw, mit dem sie transportiert wurden, wurde zerstört, gleichzeitig kreiste eine russländische Aufklärungsdrohne über ihnen. Man sagte ihnen nur, sie sollten geradeaus laufen – dort würden sie von eigenen Kräften erwartet. Natürlich war dort niemand. Stattdessen kam ihnen ein ukrainischer Panzer entgegen, den die Drohne offenbar ausfindig machen wollte. Die Soldaten flüchteten in einen Keller, wurden jedoch durch Direktbeschuss des Panzers getroffen. Später wurden sie verschüttet und mussten ausgegraben werden.
Ähnliches passierte auch in Časiv Jar, das die russländische Armee bereits seit neun Monaten stürmt. Am 18. März hinterließ der Autor des Kanals „Notizen über die Gegenwart“ eine Nachricht, in der er die Situation als „Im Westen nichts Neues“ beschrieb:
„Das dreifach verfluchte Časiv Jar zermalmt Truppen beider Seiten in riesigen Mengen und kann einfach nicht satt werden. Seit fast einem halben Jahr treten wir praktisch auf einer Stelle, zerstören ein Viertel nach dem anderen. Kein einziges intaktes Gebäude mehr, aber in Kellern, nur hundert Meter voneinander entfernt, sitzen unsere und feindliche Truppen. Es scheint, als ob unsere Angriffe ständig weitergehen, wir schlagen die feindliche Technik, aber wir kommen einfach nicht weiter.
Man sitzt morgens im Dienst, und plötzlich hageln die Ziele nur so rein. Unsere Truppen greifen an! Wir beginnen zu arbeiten. Eine Menge Fahrzeuge stürmen die feindlichen Positionen, feuern im Vorbeifahren auf alles, was sich bewegt. Bachmut dröhnt und Tonnen von Granaten fliegen in Richtung Časiv Jar. Auf den Bildschirmen sehen wir, wie Trümmer der Häuser, in denen der Feind saß, in die Luft fliegen. Die Fallschirmspringer scheinen abzuspringen, die Technik scheint sich zurückzuziehen, und es scheint, dass sie sich festgesetzt haben, aber nach einem Tag bekommen wir wieder Ziele in diesem Gebiet, wo unsere Truppen gerade eingesetzt wurden … Für die Verstärkung der Sturmabteilungen wissen sie mittlerweile nicht mehr, wo sie die Schuldigen herbekommen sollen. Jetzt gibt es den neuesten schlauen Plan: diejenigen zu schicken, die früher einmal verurteilt wurden … Also nicht im Krieg, sondern noch davor. Wer sich schuldig gemacht hat, seine Strafe abgesessen hat, als Freiwilliger aus der Zivilgesellschaft gekommen ist und genauso gedient hat wie alle anderen … und plötzlich! Geh und stürme! Eine großartige Motivation für die Soldaten. Aber jedes Mal wird daran erinnert, dass neue Vertragssoldaten für die Einheiten rekrutiert werden, wenn man in den Urlaub fährt. Sozusagen: „Bringt eure Kameraden mit!“ … Es ist besser, nicht weiterzumachen, sonst lande ich wegen Diskreditierung in denselben Reihen – Gott bewahre.
Die Ukrainer versuchen hartnäckig wie Schafe, Truppen in die Gebiete zu verlegen, wo sie noch die Verteidigung halten. Mit voller Geschwindigkeit rasen sie auf Einzelfahrzeugen oder gepanzerten Fahrzeugen aus Richtung Konstantinovka. Wir begrüßen sie mit Granaten- und FPV-Drohnen. Nicht immer, aber wir treffen sie. Aus der Luft sehen wir, wie die Soldaten unter den Trümmern nach Unterschlupf suchen. Wenn sie in ein Haus oder einen Keller rennen, kommen sie lebendig nicht mehr raus. Wir werden mit allem, was wir haben, weiter zuschlagen, bis sie auf null reduziert sind …“
Vor zwei Wochen wurde einer der Bekannten des Autors, Aleksandr Andrjuščenko, schwer verletzt und starb letzte Woche im Krankenhaus. Andrjuščenko war ein enger Vertrauter des verstorbenen Metropoliten von Kiew, Volodymyr (Sabodan), und hatte in den letzten Jahren in den Abteilungen der Kiewer Metropolie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche gearbeitet. Zudem veröffentlichte er zwei Bücher zu kirchlicher Medizin und ging als Freiwilliger in die Infanterie. Ein nicht-veröffentlichtes Video, das von Drohnen aufgenommen wurde und von gemeinsamen Bekannten kam, zeigte, unter welchen Bedingungen ukrainische Soldaten wirklich kämpfen müssen. In den Evakuierungswagen trafen innerhalb weniger Minuten mehrere FVP-Drohnen und mindestens ein Artilleriegeschoss. Der Wagen fuhr den Verwundeten aus dem Einsatzgebiet, obwohl er selbst in Brand gesteckt wurde und auch die Besatzung verletzt war.
Kämpfe im südlichen Frontabschnitt
Besonders aktiv waren die russländischen Truppen nordwestlich von Velyka Novosilka an der Front in Zaporižžja sowie im Bereich von Andrijivka an der Kurachover-Stellung an der Front von Donec‘k. In der ersten Region drangen die russländischen Truppen bis auf etwa zwei bis drei Kilometer an die Grenze der Region Dnipro. Am 27. und 28. März unternahmen sie einen erheblichen Vorstoß und eroberten noch zwei Dörfer, doch ihr Vormarsch wurde schließlich durch ukrainische Gegenangriffe gestoppt.
Von Osten her, aus dem besetzten Kurachovo, griffen die russländischen Streitkräfte ukrainische Positionen im Bereich von Andrijivka an, mit dem Ziel, die ukrainische Verteidigung im gesamten südöstlichen Frontabschnitt zu durchbrechen. Sie streben an, sich mit ihren Einheiten in der Gegend von Velyka Novosilka zu verbinden und die ohnehin schon komplexe und ressourcenintensive Frontlinie im Süden der Region Donec‘k zu stabilisieren. Die Angriffe hören keinen Moment auf, sodass viele verzweifelte Sturmtruppen in ukrainische Gefangenschaft geraten. Am Morgen des 3. April veröffentlichte die ukrainische Armee ein beeindruckendes Video, das die Zerschlagung einer russländischen Kolonne am Rand von Andrijivka zeigt.
Veränderung der Militärtechnologien
In den letzten zwei Monaten ist eine intensive Veränderung der Drohneneinsatztechnologien zu beobachten, und zwar auf beiden Seiten.
Die russländischen Streitkräfte begannen, ihre Aufklärungsdrohnen mit einer hohen Flugobergrenze und großer Reichweite mit künstlicher Intelligenz auszustatten, die es ihnen ermöglicht, auszuweichen, wenn sie von ukrainischen Kamikaze-Drohnen angegriffen werden. Vermutlich funktioniert diese Technologie auch gegen propellergetriebene Flugzeuge, die zur Abwehr mit Schützen aus der Passagierkabine geschickt werden. Sobald ein solcher Drohnenangriff erkannt wird, taucht die Drohne scharf ab und weicht zur Seite aus, sodass es für Verfolger schwierig wird, sie zu erreichen.
Für die Kamikaze-Drohnen vom Typ „Geran-2“ haben die russländischen Streitkräfte neue Steuerungstechnologien und Taktiken entwickelt. Jetzt werden zumindest einige dieser Drohnen mit Satellitenkommunikationssystemen ausgestattet, die es den Bedienern ermöglichen, ständig Kontakt zu halten und präzise auf Ziele zu lenken.
Taktisch hat sich der Einsatz von Drohnen ebenfalls verändert: Statt dass die Drohnen einzeln mit wenigen Minuten Unterschied zum Ziel fliegen, versammeln sie sich nun in der Nähe des Ziels, außerhalb der Reichweite der meisten ukrainischen Luftabwehrsysteme. Von dort aus stürzen sie entweder gemeinsam auf das Ziel oder sinken schnell auf eine minimale Höhe und greifen dann an. Infolgedessen ist das ukrainische Luftabwehrsystem nur in der Lage, einen kleinen Teil der Drohnen abzuschießen, während das Ziel mit bis zu einem Dutzend Treffer konfrontiert wird, was zu seiner vollständigen Zerstörung oder umfangreichen Bränden führt.
Im Winter hat Russland die Produktion von Angriffsdrohnen stark gesteigert. So wurden beispielsweise im März durchschnittlich 135 Drohnen pro Nacht gegen Ziele in der Ukraine eingesetzt, im Vergleich zu etwa 70 im vergangenen Jahr und 35–40 im Jahr 2023. Sogar eine bekannte Nachrichtenagentur wie UNIAN hat die Rubrik zur Warnung vor Drohnenangriffen abgeschafft, da solche Angriffe nun jede Nacht stattfinden und mehrere Stunden andauern. Informanten des Autors in Charkiv berichten, dass die Luftalarm-Sirenen fast rund um die Uhr aktiv sind.
Zudem hat die Zahl der Drohnen, die auf Glasfasernetzen basieren, sowie deren Einsatzumfang deutlich zugenommen. Ende März tauchten Aufnahmen auf, die zeigten, wie ein russländisches Militärfahrzeug in der Region Kursk in den Fäden von Drohnen, die auf Glasfasernetzen operieren, stecken blieb. Die Menge und der Grad der Verschmutzung durch diese Fäden sind mittlerweile so groß, dass sie ein Problem für den Einsatz anderer Drohnen darstellen, die sich in den hinterlassenen Fäden verfangen. Als Reaktion darauf hat die ukrainische Armee die russländische Taktik übernommen, entlang der Frontstraßen dichte Netze zu installieren, um Drohnen mechanisch abzufangen.
Laut russländischen Militärkorrespondenten führt die ukrainische Armee nach wie vor den Krieg mit Front-Drohnenangriffen, da sie sowohl die Technologie von Glasfaserdrohnen weiterentwickelt als auch FVP-Drohnen mit dreiphasigem zufälligem Kanalwechsel einsetzt. Diese Technologie hilft die russländischen Graben-Radarsysteme zu umgehen, deren Bedeutung laut den Militärkorrespondenten mittlerweile weitgehend verschwunden ist, da sie kaum noch Schutz bieten. Stattdessen gewinnen Schrotflinten, die Drohnen mit Schrotpatronen abfangen können, sowie mechanische Fallen aus Netzen und Schnüren zunehmend an Bedeutung. In Belgorod werden ähnliche Netze, die entlang der gesamten Gebäude-Fassade vom ersten bis zum letzten Stock gespannt sind, bereits zum Schutz von Hochhäusern verwendet.
Die ukrainische Armee setzt auch Drohnen mit montierten Schrotflinten ein, um russländische FVP-Drohnen in großen Höhen abzufangen. Darüber hinaus beginnt die ukrainische Armee, auf Drohnenaufklärern Antennen für elektronische Aufklärung hinzugefügt, die es ermöglichen, die Aktivitäten der russländischen Luftabwehr zu erfassen und diese Informationen in Echtzeit an ukrainische Operatoren zu übermitteln. Diese können dann nach weiterer Aufklärung Zerstörungswaffen auf die russischen Luftabwehrsysteme lenken. Das Wettrennen der Technologien geht weiter und sorgt für immer neue unangenehme Überraschungen für die Beteiligten.
Aus dem Russischen von Anna Guminska, Berlin
Hinweis zu den Quellen: Die Berichte stützen sich auf die Auswertung Dutzender Quellen zu den dargestellten Ereignissen. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.
Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen wie jene von Deep State (https://t.me/DeepStateUA/19452) – werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter „Rybar’“ (https://t.me/rybar), Dva Majora (https://t.me/dva_majors), und „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonel cassad. livejournal.com/). Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift