Völkermord in Mariupolʼ

Russlands Kriegsführung in der Ukraine

Otto Luchterhandt, 14.4.2022

Zur Übersetzung ins Ukrainische

Das am Nordufer des Asowschen Meeres gelegene Mariupolʼ ist seit dem 2. März 2022 durch die am 24. Februar in die Ukraine eingefallenen Streitkräfte Russlands von der Außenwelt abgeriegelt. Seither wird die Stadt durch pausenlose Bombardements und schweres Artilleriefeuer systematisch zerstört und ist inzwischen nicht mehr bewohnbar. Die von einer halben Million auf etwa 150 000 Menschen abgesunkene Bevölkerung überlebt in den Kellern der zu über 80 Prozent zerstörten Wohnhäuser und hofft darauf, dass Russland der Evakuierung ihrer Zivilbevölkerung nichts in den Weg legt.

Mariupolʼ war seit über einem Jahrhundert neben Odessa die für die Wirtschaft der Ukraine bedeutendste Hafenstadt.[1] Bis zur Jahrtausendwende lebten und arbeiteten dort eine halbe Million Menschen. Administrativ und historisch gehört Mariupolʼ zum Industrierevier des Donecbeckens („Donbass“), dessen Zentrum die etwa 100 Kilometer nördlich von Mariupolʼ gelegene Millionenstadt Donecʼk ist. Mit gut 50 km ist die Grenze zur Russländischen Föderation in Richtung Taganrog und Rostov am Don noch näher.

Mariupolʼ liegt am Fluss Kalʼmius. Von Donecʼk kommend durchfließt er in Mäandern das östliche Stadtgebiet und mündet im Stadtzentrum, auf dem Gelände von Azovstalʼ, ins Asowsche Meer. Auf der Ostseite des Kalʼmius dehnt sich der Stadtbezirk „Linkes Ufer“, westlich davon erstrecken sich die drei anderen, dichter besiedelten Stadtbezirke (Centralʼnyj, Kalʼmius’kij, Primors’kij). Um sie herum liegt ein Kranz von Vororten, die seit der Einkesselung der Stadt teilweise zum Kessel Mariupolʼs gehören, Manguš im Westen, Staryj Krym und Sartana im Norden, Šyrokine im Osten.[2]

Mit seinem Zugang zum Schwarzen Meer und zu den Weltmeeren ist Mariupolʼ traditionell das Tor des Donbass zur Welt. Wegen seiner Lage am Meer war die Stadt aber auch immer ein Ort von Freizeit, Erholung und Tourismus. Weitaus berühmter war Mariupolʼ jedoch durch seine in der Sowjetepoche entwickelte Schwerindustrie, insbesondere durch seine Stahlwerke, die weltweit zu den größten gehörten und die aus den reichen Kohlegruben des Donbass befeuert wurden. Aber auch die Landwirtschaft spielte wegen der fruchtbaren Böden des ehemaligen Steppenlandes der Südukraine eine wichtige Rolle. So war Mariupolʼ neben Odessa der bedeutendste Ausfuhrhafen der Ukraine für Getreide und sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Die einer Flucht gleichende Abreise des letzten EU-Diplomaten aus Mariupolʼ, des griechischen Generalkonsuls Manolis Androulakis, am 17. März 2022, warf kurz vor dem Untergang der Stadt ein Schlaglicht auf die Geschichte Mariupolʼs.[3] Diese Geschichte kann als typisch für die Stadtentwicklung in „Neu-Russland“ (Novorossija) seit dem späten 18. Jahrhundert gelten: 1779, während der Regierung der Zarin Katharina der Zweiten, erhielt die kurz zuvor gegründete Stadt den griechischen Namen „Marienstadt“, nachdem dort in größerer Zahl orthodoxe Griechen angesiedelt worden waren. Ihre Vorfahren waren seit der frühen Antike im Süden der Krim ansässig gewesen, im Mittelalter Untertanen des Khans der Krimtataren geworden und seit der Annexion des Khanats durch Russland (1783) Untertanen der Zaren. Infolgedessen waren Mariupolʼ und seine Umgebung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts überwiegend von Griechen bewohnt. Als im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung insbesondere während der Sowjetzeit Ukrainer und Russen in großer Zahl nach Mariupolʼ zogen, behaupteten sich die Griechen mit knapp fünf Prozent als drittstärkste Volksgruppe in der Bürgerschaft noch in den 1950er Jahren. In den Handelsbeziehungen der infolge der Industrialisierung des Donbass bald steil aufstrebenden Hafenstadt spielten sie traditionell eine wichtige Rolle.

Mariupolʼ war zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch ein Zentrum der jüdischen Kultur in der Region.[4] Mit weitem Abstand vor Russen und Ukrainern bildeten die Juden bis zum Ersten Weltkrieg nach den Griechen die zweitstärkste Volksgruppe in der Stadt und stellten auch noch in der Sowjetzeit einen signifikanten Anteil der Bevölkerung. Der Zweite Weltkrieg und insbesondere die Zeit der deutschen Besatzung (8.10.1941–10.9.1943) bedeuteten einen tiefen Einschnitt in der Stadtgeschichte. Sie brachten auch Mariupolʼ starke Zerstörungen und schwerste Verluste. Schon zwei Wochen nach dem Einmarsch der Wehrmacht wurden von SS-Einsatzkommandos über 8000 Juden ermordet.[5] Zehntausende junger Menschen wurden 1942 als „Ostarbeiter“ ins Deutsche Reich deportiert. Die Bevölkerung sank von 241 000 (1940) auf 85 000 Menschen (1943). Es war die deutsche Besatzung, die Mariupolʼ in seiner Geschichte erstmals an den Rand der Vernichtung gebracht hat.

In der Sowjetzeit war Mariupolʼ nach Donecʼk zum bedeutendsten Industriezentrum des Donbass aufgestiegen. Das war auch der Tatsache zu verdanken, dass Mariupolʼ der Geburtsort Andrej Ždanovs, des zeitweiligen „Kronprinzen“ Stalins, war und von 1948 bis 1989 nach ihm benannt war. Diese herausgehobene Stellung nutzte der Stadt in der Nachkriegszeit und beschleunigte ihren rasanten Aufschwung und Wiederaufstieg.

Mariupolʼs Wirtschaft wird seither von einem Dutzend Großunternehmen beherrscht, an deren Spitze lange Zeit zwei Giganten der Stahlindustrie standen, die Mariupoler Metallurgischen Kombinate Ilʼičʼ und Azovstalʼ. Sie gehören zum Kern des Wirtschaftsimperiums von Rinat Achmetov,[6] der dank enger Beziehungen zu Viktor Janukovyč, des Gouverneurs des Gebiets Donecʼk und Chefs der den Donbass beherrschenden Partei der Regionen und späteren Präsidenten der Ukraine, zum reichsten „Oligarchen“ des Landes aufgestiegen war.[7]

Der Sieg des „Euromajdan“ in Kiew über das Regime Janukovyčs und dessen Flucht nach Russland im Februar 2014,[8] Russlands Annexion der Krim[9] im März 2014 und der unmittelbar darauffolgende, von Russland unterstützte Krieg prorussischer Separatisten in den Gebieten von Donecʼk und Luhansʼk gegen die Kiewer Zentralregierung[10] hatten für Mariupolʼ einschneidende Folgen. Wegen der Kampfunfähigkeit der Armee konnte die in Kiew an die Macht gekommene parlamentarische Übergangsregierung die Separatisten nicht daran hindern, Teile des Donbass unter ihre Kontrolle zu bringen.[11] Am 7. April 2014 wurde die „Volksrepublik Doneck“ (DNR) ausgerufen, und ihre Aktivisten versuchten bald darauf, auch Mariupolʼ zu beherrschen.[12] Auch dort entbrannte nun ein Kampf um die Macht. Drei politische „Lager“ versuchten, die Industrie- und Hafenstadt, die an der von Russland zur Halbinsel Krim führenden Magistrale liegt und daher in strategischer Hinsicht besonders wichtig ist, zu beherrschen: die DNR-Separatisten, die dem ukrainischen Innenministerium untergebenen, in einer „Anti-Terror-Operation“ gegen die Separatisten stehenden Sicherheitskräfte unter Einschluss der Nationalgarde sowie die Stadtverwaltung Mariupolʼs, die sich auf die lokale Miliz stützen konnte und die meisten in der Stadt beheimateten Institutionen auf ihrer Seite hatte. Welches „Lager“ die Oberhand haben würde, war im April 2014 nicht erkennbar. Politische Aktivitäten mit unterschiedlicher Stoßrichtung, Demonstrationen und gelegentliche Gewaltakte kennzeichneten die Lage. Ein Hauptobjekt der Auseinandersetzungen war das zeitweilig von DNR-Aktivisten besetzte Gebäude des Stadtrats.

Die Parteigänger der „Volksrepublik Doneck“ beschimpften die Anhänger der Kiewer Zentralregierung als „Banderovcy“,[13] als „Faschisten“ und „Nazis“. Teils propagierten sie Freiheit für den Donbass, teils den Anschluss an Russland. Eine schwankende Position zwischen den Lagern nahm der mächtigste Unternehmer des Donbass, Rinat Achmetov, ein.[14] Als langjähriger engster Verbündeter Janukovyčs stand er zwar den Separatisten näher als der Kiewer Zentralregierung, aber er sah seine für ihn allein maßgebenden Geschäftsinteressen weniger von Seiten der ukrainischen Regierung als von Seiten der Separatisten bedroht, deren Machtausübung schon nach kurzer Zeit ein abstoßendes Bild von organisierter Kriminalität, Willkür und administrativem Chaos darbot.[15]

Am 9. Mai 2014 kulminierte die Konfrontation in Gewalt. Die DNR-Separatisten konnten wichtige Machtpositionen in der Stadt gewinnen. Für einen Augenblick schienen sie Mariupolʼ in der Hand zu haben, als Rinat Achmetov der Kiewer Zentralregierung nahelegte, ihre Sicherheitskräfte im Interesse einer friedlichen Einigung aus der Stadt abzuziehen, und Kiew der Aufforderung folgte.

Die DNR-Separatisten beherrschten die Stadt jedoch nicht. Das zeigte sich, als Rinat Achmetov nur wenig später einen Schwenk vollzog, nun offen gegen die „Volksrepubliken“ Stellung bezog und er die große Teile der Bevölkerung erfassenden Belegschaften seiner Unternehmen insbesondere in Mariupolʼ zum friedlichen Widerstand gegen die Separatisten aufrief.[16] Das brachte die Wende im Machtkampf: Achmetovs offene Parteinahme für die ukrainische Zentralregierung und für ihren am 25. Mai frei und fair gewählten Staatspräsidenten Petro Porošenko entzog den Separatisten in Mariupolʼ die Unterstützung der bis dahin eher passiven Bevölkerung. Strategisch geschwächt, wurden ihre bewaffneten Kräfte Anfang Juni 2014 aus der Stadt vertrieben. Die Administration des nur noch teilweise von Kiew kontrollierten Gebiets Donec’k wurde nun nach Mariupolʼ, später in den Norden des Gebiets, nach Kramatorsʼk, verlegt. Mariupolʼ blieb aber das Zentrum der regionalen Sicherheitskräfte.

Bei der Befreiung Mariupolʼs von den Separatisten hatte das erst im Mai 2014 gegründete Bataillon Azov eine wesentliche Rolle gespielt und nahm unter den Sicherheitskräften der Stadt von nun an einen herausragenden Platz ein.[17] Das war aus politischer Sicht nicht unproblematisch, denn das Bataillon wurde etliche Zeit von Kommandeuren geführt, die chauvinistischen und ausgeprägt rassistischen Ideen anhingen und dazu neigten, Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten offensiv zu vertreten.[18] Namentlich der Mitgründer des Kampfbataillons, Andrij Bilecʼkij, war mit seinem rechtsradikalen Profil besonders exponiert.[19]

Azov und weitere radikal national-ukrainische und militant antimoskowitische, teilweise von völkisch-rassistischen Ideologien beeinflusste Freiwilligenbataillone waren eine typische Begleiterscheinung der revolutionären Umbruchsituation in der Spätphase der Ära „Janukovyč“. Sie waren die radikalste Form, in der sich das verletzte ukrainische Nationalbewusstsein aufbäumte gegen seine dauernde Kränkung und Verletzung durch die großrussische, antiukrainische Propaganda und ihre Unterstützer in der Ukraine.

Die im Westen und insbesondere in deutschen Medien daran geübte mehr oder weniger scharfe Kritik war verständlich, denn sie setzte die Ablehnung von auch in Deutschland vertretenen rechtsextremistischen Positionen und Ideologien mit guten Argumenten fort und verteidigte entschieden die vom Europarat proklamierten und daher auch für die Ukraine verbindlichen politischen Grundwerte, die auch durch den „Euromajdan“ verteidigt wurden.

Der von Seiten Moskaus nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion pauschal gegen den nationalukrainischen Widerstand erhobene Vorwurf des Faschismus war dagegen in der Sache nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch heuchlerisch, denn die Faschisten saßen im Kreml. Das Putin-Regime ähnelte schon damals in hohem Grade, wie Stefan Plaggenborg überzeugend dargelegt hat, dem Faschismus Mussolinis insbesondere in seiner Anfangsphase.[20] Geradezu grotesk aber nimmt sich der Faschismusvorwurf von Seiten der separatistischen „Volksrepubliken“ aus, denn die meisten ihrer Führer entstammten radikalen paramilitärischen Organisationen und Gruppen, die imperialen großrussischen, chauvinistischen und rassistischen Ideologien anhingen. Nicht wenige hatten „kriminelle Karrieren“ hinter sich.[21]

Die militärische Lage um Mariupolʼ spitzte sich erneut zu, als im August 2014 DNR-Verbände mit Unterstützung russländischer Panzer von Taganrog her bis zum Dorf Širokine vordrangen, das etwa zehn Kilometer östlich von Mariupolʼ liegt.[22] Der Angriff konnte vom Bataillon Azov zusammen mit der ukrainischen Armee zunächst abgewehrt werden, doch wurde der faktische Waffenstillstand im Februar 2015, während der in Minsk im „Normandie-Format“ laufenden Verhandlungen, durch einen erneuten Angriff von Seiten der Separatisten beendet. Die Kämpfe endeten im Frühsommer mit einem Patt: Šyrokine blieb weitgehend unter Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte und wurde von ihnen zum Schutze Mariupolʼs mit starken Verteidigungsanlagen versehen.[23] Die Verteidigungslinie hat bis zur Invasion Russlands Stand gehalten.

Durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim geriet das bilaterale Seerechtsregime des Asowschen Meeres, das Russland und die Ukraine 2003 in zwei Verträgen[24] vereinbart hatten und das die Interessen der Ukraine an einem ungehinderten Verkehr wahrten, in eine gefährliche Schieflage. Nun kontrollierte Russland de facto exklusiv die Zufahrt vom Schwarzen Meer durch den Kertsch-Jenikale-Kanal ins Asowsche Meer.[25] Für die beiden ukrainischen Häfen an der Nordküste des Asowschen Meeres, Berdjansʼk und Mariupolʼ, und ihre Anbindung an den internationalen Seeverkehr bedeutete das eine existentielle Bedrohung. Das sollte sich schon 2015 durch einen dramatischen Rückgang des Warenumschlags im Hafen Mariupolʼs zeigen:[26] Bei einer maximalen Auslastung von ca. 17 Millionen Tonnen Waren im Jahr[27] wurden im „Normaljahr“ 2013 noch 15 500 Mio. Tonnen umgeschlagen, 2014 13 Mio. und 2015 nur noch knapp 9 Mio. Tonnen. 2017 waren es dann nur noch 6,5 Mio. Tonnen.

Der Niedergang Mariupolʼs beschleunigte sich, als im Mai 2018 die mit 35 m über dem Wasserspiegel bei weitem zu gering dimensionierte Brücke über den Kertsch-Jenikale-Kanal in Betrieb genommen wurde und Russland in der Praxis dazu überging, das Asowsche Meer vertragswidrig als russländisches Binnenmeer zu behandeln.[28]

Die Brücke hat die Wirkung eines Flaschenhalses. Es bilden sich Staus, die zu langen Wartezeiten und kostentreibenden Verzögerungen im Verkehr führen. Die Hauptursache dafür war, dass die russländischen Grenzschutzbehörden seit der Fertigstellung der Brücke sämtliche Schiffe kontrollierten, und dies ohne konkreten Anlass und Angabe von Gründen.[29] Seit der 2021 begonnenen Einkreisung der Ukraine durch die russländischen Streitkräfte blockiert Russlands Schwarzmeerflotte auch die Nordküste des Asowschen Meeres und den Hafen von Mariupolʼ.[30] Die Stadt ist seither vom internationalen Seeverkehr abgeschnitten.

Seit 2014/2015 ist Mariupolʼ infolge der die Region Schlag auf Schlag treffenden schweren Völkerrechtsverletzungen Russlands nur noch ein Schatten seiner einstigen Größe. Bewirkt haben das die Annexion der Krim, der die Meerenge von Kertsch strangulierende Bau der Autobahnbrücke über den Kertsch-Jenikale-Kanal und die Russland dadurch erleichterte Usurpation des Asowschen Meeres (2018), der von Russland gegen die Ukraine verdeckt geführte Krieg und die Installierung von separatistischen Marionettenregimen im östlichen Donbass. Nun hat Russland durch seinen Krieg gegen die Ukraine Mariupolʼ weitgehend zerstört und die Stadt praktisch unbewohnbar gemacht. Ihre Wirtschaftsbetriebe sind zerstört oder stillgelegt. Die Metallbranche der Ukraine ist dadurch um ein Drittel geschrumpft.[31] Alle diese Verluste werden aber durch die schweren und schwersten Völkerrechtsverbrechen in den Schatten gestellt, deren Opfer die Bürgerinnen und Bürger Mariupolʼs geworden sind. Die Ausradierung der Stadt rückt Mariupolʼ, wie der am 16. März aus ihr entflohene griechische Konsul Androulakis unter der Wucht des Erlebten erschüttert festgestellt hat, in eine Reihe mit „Guernica, Coventry, Aleppo, Groznyj und Leningrad“.[32]

Von russischen Streitkräften in Mariupolʼ begangener Völkermord

Das Verbrechen des Völkermords ist in Art. II der Antivölkermordkonvention der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1948 definiert.[33] Russland und die Ukraine haben als UdSSR-Nachfolgestaaten den 1954 von der Sowjetunion vollzogenen Beitritt zu der Konvention als für sich verbindlich erklärt.[34] Der Völkermordtatbestand ist außerdem in Art. 6 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juni 1998[35] wortgleich mit Art. II. der Antivölkermordkonvention normiert. Russland und die Ukraine haben beide im Jahre 2000 das Statut unterzeichnet, den Vertrag aber nicht ratifiziert. Für den Zweck der hier vorgenommenen Untersuchung ist das jedoch unerheblich, weil sich beide Staaten der Antivölkermordkonvention unterworfen und damit die rechtliche Geltung des Völkermordtatbestandes anerkannt haben.

Der objektive Tatbestand des Völkermordverbrechens ist durch das Vorgehen der Streitkräfte Russlands erfüllt

Die Konvention schützt die Integrität von „Gruppen“ (group), und zwar von nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppen vor ihrer Zerstörung. Der Begriff der Gruppe ist im Interesse des von der Konvention beabsichtigten effektiven Schutzes gegen Zerstörung in quantitativer Hinsicht weit zu verstehen. Geschützt sind daher nicht nur kleine, schwache und daher besonders schutzwürdig erscheinende Gemeinschaften, sondern auch große Menschengemeinschaften seien es Nationen, Völker oder Religionsgesellschaften.

Im Falle von Mariupolʼ bereitet die Feststellung, dass eine geschützte Gruppe im Sinne der Konvention betroffen ist, keine Schwierigkeiten, denn es handelt sich um die Bürgerinnen und Bürger, die sich in der Hafenstadt befinden.[36] Sie sind durch die militärische Einkesselung der Stadt von Seiten der russländischen Streitkräfte noch besonders abgegrenzt.

Zu qualifizieren sind die Bürgerinnen und Bürger Mariupolʼs als nationale Gruppe, denn sie gehören aufgrund ihrer zu vermutenden und daher zu unterstellenden ukrainischen Staatsangehörigkeit dem „ukrainischen Volk“ (Präambel der Verfassung von 1996) an. Zwar bilden sie nur einen kleinen Teil der ukrainischen Nation, aber unter den Schutz der Antivölkermordkonvention fallen auch Teile einer nationalen Gruppe („in whole or in part“). Das gilt nach der internationalen Genozid-Rechtsprechung auch für (Teil-) Gruppen, die wie etwa eine kleine Region oder eine Stadt durch ihre geographische Begrenztheit konstituiert wird, und zwar erst recht, wenn es sich wie im Falle der eingekesselten Bürgerschaft Mariupolʼs um einen durch Isolierung signifikant herausgehobenen Teil des ukrainischen Volkes handelt.[37]

Dass Russlands Präsident Putin die „militärische Spezialoperation“ speziell gegen die Ukrainer richtet, zeigt sich darin, dass er am 2. April 2022 nach Meldungen russländischer Medien auf Bitten des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan sich bereit erklärte, den in Mariupolʼ noch befindlichen Ausländern eine sichere Evakuierung in Richtung Berdjansʼk zu ermöglichen.[38]

Als kriminelle Formen der Begehung von Völkermord kommen im Falle Mariupolʼs sämtliche von Art. II der Antivölkermordkonvention aufgelisteten „Handlungen“ in Betracht:

(a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;

(b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;

(c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;

(d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;

(e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.

Zu a): Das Kriterium „Tötung von Mitgliedern der Gruppe“ ist offenkundig erfüllt, denn durch die von den russländischen Streitkräften über Mariupolʼ nahezu pausenlos abgeworfenen Bomben und auf die Stadt abgefeuerten Raketen sind Tausende von Bürgern getötet worden. Am 13. März 2022 gab der Stadtrat von Mariupolʼ bekannt, dass 2187 Tote registriert worden seien.[39] Die tatsächlichen Zahlen lagen aber weitaus höher, denn wegen des ständigen Beschusses der weit ausgedehnten Stadt und wegen der Zerstörung des örtlichen Internets stieß die Ermittlung und Registrierung der Toten auf unüberwindliche Schwierigkeiten und Hindernisse. Oberbürgermeister Vadym Bojčenko war der Wirklichkeit daher näher, als er am folgenden Tage die zu beklagenden Opfer auf annähernd 20 000 schätzte.[40] Die Toten wurden notdürftig in Massengräbern verscharrt.[41]

Zu b): Die Bestimmung dessen, was „Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe“ heißt und welche Maßnahmen darunterfallen, ist in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur sehr umstritten und dementsprechend unklar.[42] Erkennbar ist aber die Tendenz, gezielte schädigende, spezifische und qualifizierte Angriffe auf einzelne Personen mit der Vorschrift erfassen und sanktionieren zu wollen, etwa Versuche an Menschen, an Folter grenzende Eingriffe in die körperliche Integrität oder sexuelle Erniedrigung. Folgt man diesem unter den Interpreten wohl herrschenden Ansatz, dann wird man die Qualen, die alle in Mariupolʼ eingeschlossenen Bürgerinnen und Bürger erleiden, wohl noch nicht als eine genozidale Behandlung im Sinne der Antivölkermordkonvention qualifizieren können, obwohl die in der Stadt ausharrenden, in feuchten und winterlich kalten Kellern eingeschlossenen Menschen, geschwächt von Hunger und Krankheiten sowie in ständiger Angst vor Bombeneinschlägen und Tod, nach eigenem Bekunden ihre Lage als „Hölle“ erleben.[43]

Zu c): Man kann die Entscheidung der interpretatorischen Streitfrage offen lassen, denn es ist evident, dass die von Art. II Buchstabe c) der Konvention normierte genozidale Begehungsform „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“, die in Mariupolʼ seit Anfang März 2022 bestehende Lage zwar in abstrakten, aber treffenden Worten beschreibt. Folgende Tatsachen liefern reichlich Belege für die Behauptung:

Erstens haben die russländischen Streitkräfte Mariupolʼ bis zum 2. März 2022 auf der Landseite von Westen, von Norden und von Osten eingekesselt und die Stadt auch im Süden, auf der Seite des Asowschen Meeres, mit Kanonenbooten abgeriegelt. Die Stadt ist infolgedessen von der Außenwelt nahezu vollständig abgeschnitten. Seither ist wegen der Blockade der Zufahrtsstraßen die Belieferung Mariupolʼs mit Lebensmitteln, Medikamenten und sonstigen Gütern des täglichen Bedarfs zum Erliegen gekommen.[44] Die an den „Blockposten“ auf der Landseite stehenden und die Zugänge zur Stadt kontrollierenden russländischen Soldaten haben die von der ukrainischen Zentralregierung nach Mariupolʼ gesendeten, teilweise vom Internationalen Roten Kreuz begleiteten Versorgungskonvois bislang ausnahmslos zurückgewiesen und in manchen Fällen die Hilfssendungen beschlagnahmt und an sich gebracht, in manchen Fällen wurden die Konvois durch Beschuss gezielt an der Weiterfahrt gehindert.[45]

Ungezählte in den Ruinen Mariupolʼs dahinvegetierende Menschen sterben inzwischen an Hunger.[46]

Zweitens besitzen die russländischen Streitkräfte die Lufthoheit über Mariupolʼ, sodass ihnen sämtliche Viertel der Stadt nahezu schutzlos ausgeliefert sind. Ein wesentlicher Aspekt der Lufthoheit ist der seit Wochen die Stadt treffende Raketen- und Artilleriebeschuss, den das Azov-Regiment, Kern der Verteidiger Mariupolʼs, nicht wirkungsvoll abwehren konnte und kann.[47] Zwar vermochten sie die westlichen Stadtbezirke gegenüber den vor allem von östlicher und nördlicher Seite angreifenden russländischen Panzern und Fußtruppen bis zum heutigen Tage effektiv zu verteidigen[48] und den Angreifern erhebliche Verluste zuzufügen, aber ihre Fähigkeiten reichten nicht aus, die Wohngebäude, die Versorgungsbetriebe, die Sozial- und Kultureinrichtungen der Stadt sowie ihre Wirtschaftsbetriebe vor der Zerstörung zu bewahren.[49] Für eine Entsetzung Mariupolʼs fehlen den ukrainischen Streitkräften wegen ihrer zu großen Entfernung und Bindung durch andere Kämpfe die Reserven.[50] Am 1. April 2022 erklärte die ukrainische Armeeführung, dass sie zwar alles unternehme, um die Verteidiger Mariupolʼs zu unterstützen, dass aber die Kräfte für eine Deblockierung Mariupol’s noch nicht ausreichten.[51] Gleichwohl haben die Verteidiger die Aufforderung Russlands abgelehnt zu kapitulieren.[52]

Drittens haben die russländischen Streitkräfte mit ihren systematischen Bombardements auch der Wohnviertel in wenigen Wochen nahezu 90 Prozent der Wohngebäude zerstört,[53] Mariupolʼ in eine Ruinenlandschaft verwandelt, die Stadt unbewohnbar und ein zivilisiertes, normales städtisches Leben auf unabsehbare Zeit unmöglich gemacht.[54]

Viertens haben die russländischen Streitkräfte die zivilen Versorgungsnetze der Bevölkerung – Wasser, Elektrizität, Energie-, Wärme- und Heizungssysteme – schon eine Woche nach dem Beginn des Krieges systematisch zerstört[55] und damit die in den Kellern der Wohnblocks ausharrende Bevölkerung der anhaltenden winterlichen Kälte schutzlos preisgegeben.[56] Wegen des auf die Wohngebiete in kurzen Abständen niedergehenden Raketenbeschusses und Artilleriefeuers können die Menschen nur unter großen Gefahren ihre Schutzräume verlassen, um sich an einigen Brunnenschächten der städtischen Wasserleitungen mit Trinkwasser zu versorgen und in den Höfen auf primitiven Feuerstellen warmes Essen zuzubereiten.[57]

Schon Anfang März haben die russländischen Streitkräfte das städtische Kommunikationssystem zerstört und insbesondere die Anbindung an das Internet ausgeschaltet, sodass die Menschen in der Stadt seither fast völlig voneinander isoliert sind.[58] Ihre Isolation aber können sie wegen der lebensgefährlichen Bombardements nur gering oder gar nicht durch persönliche Kontaktnahme ausgleichen oder unterlaufen. So verschlimmert die Kommunikationsblockade die Lage der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt zusätzlich.[59]

Fünftens hatte durch die systematischen Bombardierungen der Wohnviertel, also der Zivilbevölkerung, Mariupolʼ nicht nur viele Tote, sondern in hoher Zahl auch Verletzte zu beklagen. Das stellte die Stadt vor ein sehr ernstes praktisches Problem, denn wegen der Zerstörung der städtischen Wasser-, Elektrizitäts- und Wärmeversorgung war selbst eine elementare medizinische Versorgung kaum mehr möglich. Vollends wurde sie dadurch in Frage gestellt, dass inzwischen auch Krankenhäuser und sonstige medizinische Einrichtungen von den Bombardements nicht verschont wurden.

Am 9. März besetzten russländische Soldaten das Gebietskrankenhaus für intensivmedizinische Behandlung, blockierten das Gebäude und machten die Arbeit des Personals praktisch unmöglich.[60] Am 25. März zerstörten Bomben das „Kinder-ReHa-Zentrum“ Mariupolʼs, das erst im Oktober 2021, gefördert von der EBRD, eingeweiht worden war.[61]

Der schlimmste Fall der Zerstörung einer medizinischen Einrichtung war die gezielte Bombardierung der Geburts- und Kinderklinik auf dem linken Ufer Mariupolʼs am 9. März 2022. Auf seine näheren Umstände und seine rechtliche Bedeutung wird nicht hier, sondern weiter unten bei Art. II Buchstabe d) der Antivölkermordkonvention eingegangen (Abschnitt II d). .

Sechstens ist die Bevölkerung Mariupolʼs dadurch in die Verzweiflung getrieben worden, dass keiner der humanitären Fluchtkorridore aus der Stadt, die seit dem 26./27. Februar mit den russländischen Streitkräften vereinbart wurden, sicher vor Bombardements und Beschuss und im humanitären Sinne voll vertrauenswürdig war, und dass Russland sich weigerte, der Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Mariupolʼ zuzustimmen. Ende März hat Präsident Vladimir Putin eine dahingehende Bitte des französischen Staatspräsidenten Macron erneut abgelehnt.[62]

Die von der ukrainischen Regierung seit Anfang März beinahe täglich, hartnäckig und mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes unternommenen Versuche, „humanitäre Korridore“ auszuhandeln, haben sich als ein an Enttäuschungen reicher Nervenkrieg erwiesen. Die für humanitäre Fragen zuständige stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine, Irina Vereščuk, hat im Monat März mit Unterstützung des Internationalen Roten Kreuzes vom Kommando der russländischen Streitkräfte in Mariupolʼ fast für jeden Tag die Gestattung eines humanitären Korridors erbeten und Fluchtrouten in die von Kiew kontrollierte Stadt Zaporižžja zu vereinbaren gesucht.[63] Die Vereinbarungen betrafen im Ergebnis ausschließlich private PKW, später auch Busse. Bis Mitte März waren die Bemühungen erfolglos. Zwar konnte Frau Vereščuk einige Vereinbarungen treffen, aber sie wurden von russländischer Seite nicht eingehalten, sei es, dass die Routen gesperrt wurden, sei es, dass die wegfahrenden Autos beschossen wurden oder sei es, dass Routen vermint waren. Ein weiterer Grund für das Scheitern war, dass die russländische Seite zur Bedingung machte, dass die Ausreise in die Russländische Föderation erfolgte, was für die ukrainische Seite unannehmbar war.

Mitte März hat, aus dem tatsächlichen Geschehen zu schließen, das Kommando der russländischen Streitkräfte, welches die militärischen Operationen im Raum Mariupolʼ leitet, in der Frage der humanitären Korridore einen Schwenk vollzogen, denn nun konnten Hunderte und schon bald Tausende von Bürgerinnen und Bürgern mit ihren privaten PKWs und in Bus-Kolonnen aus Mariupolʼ in von Kiew kontrollierte Gebiete des Landes fahren.[64] Vollständig gefahrlos waren die Fluchtrouten nicht, denn die Konvois wurden immer wieder beschossen, und es gab Verletzte.

Am 31. März teilte Irina Vereščuk mit, dass ca. 45 000 Bürgerinnen und Bürger Mariupolʼs zwangsweise nach Russland deportiert worden seien, ca. 75 000 in von Kiew kontrollierte Gebiete hätten ausreisen können und ca. 100 000 Menschen sich noch in der Stadt aufhielten.[65]

Selbstverständlich geschah der Schwenk in der Frage der humanitären Korridore wegen der hochpolitischen Bedeutung der Entscheidung auf Anordnung des Verteidigungsministeriums in Moskau und nicht ohne die Zustimmung Präsident Putins. Dessen operative Einschaltung in das Vorgehen gegen Mariupolʼ lässt sich daran ablesen, dass er, wie bemerkt, Macron die Bitte abschlug, die Evakuierung der Zivilbevölkerung von Mariupolʼ zu erlauben. Die Behandlung des Falles „Mariupolʼ“ ist – mit allen Konsequenzen – Chefsache des Präsidenten und Oberkommandierenden der Streitkräfte Russlands (Art. 87 Abs. 1 Verfassung RF).

Zu (d): „Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind“ (Art. II Buchstabe d) Antivölkermordkonvention)?

Der schlimmste Fall der Zerstörung einer medizinischen Einrichtung war die gezielte Bombardierung der Geburts- und Kinderklinik auf dem linken Ufer Mariupolʼs am 9. März 2022. Die Klinik, in der jährlich bis zu 1700 Kinder zur Welt kamen und die seit 2017 von der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz (Deza) finanziert wurde,[66] wurde vollständig zerstört. Zu beklagen waren 17 Verletzte und drei Tote.[67] Gemessen an der Wucht des Angriffs war die Zahl der Opfer nur deswegen verhältnismäßig gering, weil die Klinik ihre Arbeit wegen der Bombardements weitgehend in die Kellerräume verlegt hatte.

Die internationale Öffentlichkeit reagierte auf das schwere und offensichtliche Kriegsverbrechen mit Empörung. UN-Generalsekretär António Guterres und die Generalsekretärin von UNICEF, Catherine Patton, erhoben scharfen Protest.[68] Präsident Zelensʼkyj sprach von „Völkermord“.[69] Russland reagierte unsicher.[70] Der Kreml bestritt zunächst, dass die russländischen Streitkräfte für die Bombardierung verantwortlich seien, und sprach von „Fake News“, doch schon wenig später gab Außenminister Lavrov zu, dass Russland die Klinik bombardiert habe, rechtfertigte die Maßnahme aber mit der Behauptung, die Klinik sei schon seit längerem nicht mehr in Betrieb gewesen. Das faschistische Azov-Regiment habe sie als Basis genutzt und sie damit zu einem militärischen Objekt gemacht. Dass diese Behauptung eine Lüge war, bestätigte Russland bald darauf selbst, als seine Streitkräfte am 29. März 2022 das Personal und die Patienten aus dem Klinikkomplex, insgesamt 70 Personen, zwangsweise nach Russland deportierten.[71]

Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Bombardierung und Zerstörung der Geburtsklinik eine „Maßnahme“ darstellt, die im Sinne von Art. II Buchstabe d) der Antivölkermordkonvention von russländischer Seite verhängt worden ist, um Geburten innerhalb der „nationalen Gruppe“, also der Bürgerschaft Mariupolʼs, zu verhindern und um dadurch – letztlich – ihre Reproduktionsfähigkeit zu schwächen?

Auf den ersten Blick mag sich der Angriff auf die Geburtsklinik nicht nur in unmittelbarer, tatsächlicher Hinsicht, sondern auch und gerade in „symbolischer“ Hinsicht als ein Fall dieser von der Konvention normierten genozidalen Begehungsform darstellen, doch bei näherer Prüfung stellen sich Zweifel ein. Nahegelegt werden sie durch das Merkmal der „Verhängung“ von Maßnahmen. Es impliziert Anordnungen, die ganz spezifisch darauf abzielen, strukturell und langfristig die biologische Fortexistenz der Gruppe zu schwächen oder sie gar zu zerstören. Typischerweise fallen darunter Heiratsverbote, Sterilisierungen, Zwangsabtreibungen und vergleichbare Vorschriften.[72] In diese Kategorie von Maßnahmen fällt die Zerstörung der Geburtsklinik offensichtlich nicht. Zwar bewirkt sie im Ergebnis eine Schwächung der weiteren Existenz der Bürgerschaft von Mariupolʼ, aber das gilt kaum weniger für die oben beschriebenen unerträglichen Verhältnisse, unter denen die Bürgerinnen und Bürger Mariupolʼs seit dem 24. Februar 2022 zu leben gezwungen sind.

Zu (e): gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.

Die stv. Ministerpräsidentin der Ukraine, Irina Vereščuk, teilte am 31. März 2022 offiziell mit, dass 45 000 Bürgerinnen und Bürger Mariupolʼs zwangsweise nach Russland deportiert worden seien. Davon seien vor allem Bewohner des östlichen, linksufrigen, von den russländischen Streitkräften kontrollierten Stadtbezirks von Mariupolʼ betroffen.[73] Das legt die Vermutung nahe, dass sich darunter auch Kinder befinden, und damit den Verdacht, dass hier Fälle vorliegen, die möglicherweise unter Art. II Buchstabe e) der Antivölkermordkonvention fallen. Ebenso wie die Tatbestandsvariante des Art. II Buchstabe d) will das Verbot verhindern, dass die normale, generative Fortexistenz einer Gruppe im Verlauf der Zeit gezielt bedroht und geschwächt wird. Unter Kindern sind nach international herrschender Meinung Menschen unter 18 Jahren zu verstehen.[74] Die bislang aus Mariupolʼ zu den Deportationen vorliegenden Informationen sind zu dürftig, zu allgemein und zu unbestimmt, um daraus mit Blick auf die Antivölkermordkonvention klare rechtliche Schlüsse ziehen zu können. Die Angaben zur Zahl der Deportierten weisen auf eine gezielte und massenhafte Maßnahme hin. Den bislang spärlichen Informationen kann man entnehmen, dass bei den Deportationen nicht gezielt Minderjährige ausgewählt und ausgesondert werden, sondern Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts betroffen sind. Informationen, dass deportierte Ukrainer zwangsweise in strukturschwache, entlegene Regionen Russlands gesendet werden, um den dort bestehenden Mangel an Arbeitskräften zu vermindern[75], weisen in eine ganz andere Richtung als der Zweck des Art. II Buchstabe e).

Man kann die Ausführungen zu der Frage, ob der objektive Tatbestand des Völkermordverbrechens realisiert ist, so zusammenfassen:

Die Bürgerschaft von Mariupolʼ stellt den Teil einer „nationalen Gruppe“, des ukrainischen Volkes, dar und ist dementsprechend durch die Antivölkermordkonvention grundsätzlich geschützt.

Sowohl der Tatbestand des Art. II Buchstabe a) – „Tötung von Mitgliedern der Gruppe“ – als auch der Tatbestand des Art. II Buchstabe c), d.h. „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“, ist durch die Streitkräfte Russlands nach ihrem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 in vielfältiger Weise und in großem Umfange in Mariupolʼ realisiert worden.

Ob die Streitkräfte Russlands mit ihrer Kriegsführung den Tatbestand des Art. II Buchstabe b) „Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe“ realisiert haben, dürfte man mit beachtlichen Argumenten vertreten können, wird hier aber offen gelassen, weil der normativ in der Nähe des Tatbestandes von Buchstabe b) liegende Tatbestand des Art. II Buchstabe c) völlig eindeutig erfüllt ist.

Die Tatbestände der Art. II Buchstabe d) „Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind“ und Buchstabe e) – „gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“ – sind durch die Kriegsführung der Streitkräfte Russlands nicht realisiert worden, weil sie in beiden Punkten die spezifischen genozidalen Zweckrichtungen nicht aufweist.

Der subjektive Tatbestand des Verbrechens ist ebenfalls erfüllt

Gemäß Art. II der Antivölkermordkonvention bedeutet der subjektive Tatbestand die „Absicht“ (intent), mit den im objektiven Tatbestand aufgelisteten Handlungen, „eine nationale … Gruppe als solche (as such) ganz oder teilweise (in whole or in part) zu zerstören (to destroy)“. Die Probleme, welche die Merkmale des subjektiven Tatbestandes und die an dessen Vorliegen zu stellenden Anforderungen aufwerfen, galten in der Wissenschaft und Praxis des Völkerstrafrechts lange Zeit als die Achillesferse der Begründung und des Nachweises dieses schwersten Verbrechens des Völkerstrafrechts.[76] Seit der „Srebrenica-Entscheidung“ des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und der Verurteilung des bosnisch-serbischen Generals Radislav Krstić am 2.8.2001, welche in Europa die erste Verurteilung wegen Völkermordes durch ein internationales Strafgericht überhaupt gewesen ist, können wichtige Zweifelsfragen aber als geklärt gelten.[77] Die Rechtsprechung liegt den folgenden Ausführungen zugrunde.

Der Nachweis der „Zerstörungsabsicht“ (intent to destroy) verlangt einen spezifischen Vorsatz (special/specific intent): Es muss dem Täter darauf ankommen, die geschützte Gruppe als solche zu zerstören. Auch wenn der Täter mit seinen genozidalen Handlungen nur eine begrenzte Zahl von Menschen erreicht, muss sich seine Zerstörungsabsicht – darüber hinaus gehend – auf die ganze Gruppe („as such“) erstrecken.

Was Mariupolʼ anbetrifft, folgt daraus, dass Objekt der genozidalen Zerstörungsabsicht nicht jene seit Beginn des Krieges zufällig getöteten Bürgerinnen und Bürger sind, sondern die Bürgerschaft der Stadt in ihrer Gesamtheit. Sie ist die „nationale (Teil-)Gruppe“, deren Zerstörung die russländischen Streitkräfte im Auge haben. Das lässt sich auch nachweisen, und zwar in einer Qualität, die den Anforderungen des Art. II der Völkermordkonvention genügt.

Nach der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe für Ex-Jugoslawien und für Ruanda ist nämlich nicht der Nachweis erforderlich, dass die Mordaktionen vom Täter nach einem vorgefassten „Plan“ ins Werk gesetzt werden, und es wird auch nicht verlangt, die Zerstörungsabsicht definitiv durch Beibringung irgendwelcher Dokumente nachzuweisen.[78] Vielmehr reicht ein indirekter Beweis der Zerstörungsabsicht aus, d.h. die Heranziehung und Auswertung von (objektiv festgestellten) Tatsachen, die den klaren Schluss auf die Absicht zulassen, die betreffende Gruppe, im vorliegenden Fall also die Bürgerschaft Mariupolʼs als einen qualifizierten Ausschnitt aus der gesamten ukrainischen Nation (als solche) zu zerstören.

Der Rückschluss von objektiv feststellbaren und festgestellten Tatsachen auf die subjektive Zerstörungsabsicht der Bürgerschaft Mariupolʼs kann nur auf dem Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung gezogen werden. Sie hat an erster Stelle die oben in Abschnitt II mit aussagekräftigen Belegen dargestellten genozidalen „Handlungen“ der russländischen Streitkräfte in den Blick zu nehmen, die in Art. II Buchstabe a) und Buchstabe c) der Antivölkermordkonvention abstrakt-juristisch definiert sind, und festzustellen, ob in jenen objektiven Vorgängen das subjektive Muster einer spezifischen Zerstörungsabsicht erkennbar ist. Zu diesem Zweck sind auch sonstige Tatsachen in die Betrachtung einzubeziehen, die eine Sonderbehandlung der Stadt Mariupolʼ bzw. ihrer Bürgerschaft von Seiten der Streitkräfte Russlands belegen.

Was die für den subjektiven Tatbestand des Völkermordes geforderte Feststellung der „Zerstörungsabsicht“ in Bezug auf die betroffene Gruppe betrifft, ist vorab noch kurz auf ein weiteres praktisches und juristisches Problem einzugehen, das die Wissenschaft lange Zeit kontrovers diskutiert hat. Es handelt sich um die Frage, ob der subjektive Tatbestand des Völkermordes nur dann erfüllt ist, wenn sich der oder die Täter allein und ausschließlich von der Zerstörungsabsicht hinsichtlich der geschützten Gruppe leiten lassen. Folgt man dieser Ansicht, dann können Taten, die neben der genozidalen Zerstörungsabsicht noch durch andere Bestrebungen politischer, ideologischer oder sonstiger Zielsetzungen motiviert sind, nicht mehr als Völkermord qualifiziert werden.

Für den Fall „Mariupolʼ“ würde das bedeuten, dass das von der Russländischen Föderation offenkundig verfolgte Kriegsziel, eine von ihr beherrschte durchgängige Landverbindung von Rostov am Don im Osten über das Nordufer des Asowschen Meeres zur Krim im Westen zu erreichen und Mariupolʼ und seine Bürgerschaft als Hindernis deswegen zu zerstören, zur Verneinung eines specific intent to destroy führen würde. Der subjektive Tatbestand des Völkermordes würde entfallen und damit auch eine mögliche Anklage wegen dieses Verbrechens.

Die internationale Rechtsprechung zum Völkermord lehnt diese Rechtsauffassung ab.[79] Es müsse beim subjektiven Tatbestand auf der Täterseite zwischen „specific intent“ und „motive“ unterschieden werden. Weitergehende oder sonstige Beweggründe für die Tat schlössen jedoch die Feststellung der genozidären Zerstörungsabsicht nicht aus. Der mit dem Zweck der Antivölkermordkonvention begründete Standpunkt leuchtet ein, denn es liegt auf der Hand, dass eine Verfolgung und Bestrafung wegen Völkermordes nahezu ausgeschlossen wäre, wenn sich der Täter auf alle möglichen sonstigen Motive für die Begehung der ihm vorgeworfenen Handlungen berufen und sich damit im Ergebnis vom Vorwurf des Völkermordes befreien könnte. Die Möglichkeit der Verfolgung von Völkermord würde dann de facto von der Phantasie und Beredsamkeit des Täters abhängen, und die Berufung auf irgendwelche Motive zur offenen Flanke der Antivölkermordkonvention.

Prüft man die Einzelheiten und die Ergebnisse der Darstellung des objektiven Tatbestandes, drängt sich die Schlussfolgerung geradezu auf, dass die Absicht der Zerstörung und der Vernichtung der Bürgerinnen und Bürger Mariupolʼs und ihrer Stadt den Generalnenner aller von den russländischen Streitkräften seit dem 24. Februar 2022 gegen Mariupolʼ und seine Bürgerinnen und Bürger ergriffenen Aktionen bildet: Die Einkesselung und Abriegelung der Stadt gegenüber dem Umland und den anderen Regionen der Ukraine, die systematischen, pausenlosen, auch nächtlichen Bombardements, denen gezielt auch die Wohngebiete unterworfen werden.

Die Absicht, Mariupolʼ unbewohnbar zu machen und die Bürgerschaft zu vernichten, spricht besonders deutlich aus der systematischen Zerstörung und Unbrauchbarmachung der Infrastruktur, also der Versorgung mit Trinkwasser, Elektrizität und Wärmeenergie, die zivilisiertes städtisches Leben erst ermöglichen.

Da die russländischen Streitkräfte bislang alle Versuche, auch solche mit Unterstützung vom Internationalen Roten Kreuz, die Stadt mit lebenswichtigen Gütern des täglichen Bedarfs sowie Arzneimitteln zu versorgen, systematisch unterbunden haben, wächst die Gefahr, dass Zigtausende in kalten und feuchten Kellern dahinvegetierende Menschen infolge von Hunger, Krankheiten und Entkräftung sterben.

Die Zerstörung von 90 Prozent der Gebäude Mariupolʼs hat die Stadt binnen weniger Wochen in eine Ruinenlandschaft verwandelt. Die Lage der Menschen ist verzweifelt, und zwar umso mehr, als sich die „humanitären Korridore“ zum Verlassen der Stadt, welche Mariupol’s Behörden mit den russländischen Streitkräften vereinbart hatten, mehrfach als Täuschung und Weg ins Verderben erwiesen.

Der Wille, Mariupolʼ und seine Bürgerschaft vollständig zu vernichten, die Metropole am Asowschen Meer, welche die Welt bislang kannte, „auszuradieren“, kommt unmittelbar und symbolträchtig in der Zerstörung zweier herausragender kultureller Stätten Mariupolʼs zum Ausdruck: des Dramatischen Theaters[80] und des Kunstmuseums[81], das den Namen Archip Kuindžis trägt, eines Sohnes der Stadt und eines der bedeutendsten Maler des späten Zarenreichs (1841–1910).[82]

Die Bilder von der Zerstörung des Theaters mit einer besonders schweren Bombe haben die internationale Öffentlichkeit mit der ganzen Brutalität und Rücksichtslosigkeit des Vorgehens der russländischen Streitkräfte gegen Mariupolʼ konfrontiert, denn in die Keller des Theaters hatten sich über 400 Bürger, meist Kinder, geflüchtet, worauf zwei große, aus der Luft gut lesbare Pflasteraufschriften „ДЕТИ“ (Kinder) vor und hinter dem Theater hinwiesen.[83] Einen noch stärkeren Schock versetzten die russländischen Streitkräfte der internationalen Öffentlichkeit mit der erwähnten Bombardierung der Geburtsklinik Mariupolʼ. Unter dem deprimierenden Eindruck dieser offenkundigen Kriegsverbrechen geriet aus dem Blick, dass auch alle sonstigen kulturellen und sozialen Institutionen Mariupolʼs den Bomben und Raketen der russländischen Angreifer zum Opfer gefallen sind. Russland schreckte nicht einmal davor zurück, die in Mariupolʼ verbliebenen Büros des Internationalen Roten Kreuzes[84] und der OSZE zu zerstören. [85]

Stärkstes Indiz für die Absicht, Mariupolʼ mitsamt seiner Bürgerschaft zu vernichten und den völkerrechtlich gerechtfertigten ukrainischen Widerstand mit allen Mitteln zu brechen, ist die Entsendung einer tschetschenischen Kampfeinheit Ende März nach Mariupolʼ. Die Tschetschenen sind für ihre zwar mutige, aber auch besonders rücksichtslose und grausame Kampfesweise bekannt. Nun sollen sie nach der Planung des Kremls die Eroberung Mariupolʼs vollenden.[86] Der Kampfeinsatz stand unter dem Kommando Ruslan Geremeevs,[87] eines berüchtigten militärischen Haudegens und Vertrauten des tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrov. Das von Geremeev geführte Bataillon hatte jedoch gegen das Mariupolʼ bislang am wirkungsvollsten verteidigende[88] Azov-Regiment keinen durchschlagenden Erfolg, wie schon wenig später Geremeevs schwere Verwundung und Abgabe des Kommandos vermuten lassen.[89] Zweifellos auf Weisung Präsident Putins übernahm Kadyrov nun selbst das Kommando in Mariupolʼ.[90] Darauf, dass er mehr Erfolg hat als Geremeev, deutet bislang allerdings nichts hin.

Ramzan Kadyrov demonstriert seine Vasallentreue zu Präsident Putin im Ukrainekrieg u.a. damit, dass er auf dessen Linie der imperialen, moskowitischen Herabsetzung des ukrainischen Volkes die Ukrainer durchweg als „banderovcy“ und „Šejtany“ bezeichnet.[91] Die Wahl dieser Begriffe ist so typisch wie entlarvend, denn mit dem Begriff „Banderovcy“ oder dem gleichbedeutenden Wort „Nazis“, das Kadyrov auch verwendet, streitet Kadyrov den Ukrainern das politische Existenz- und Selbstbestimmungsrecht ab; mit dem arabischen Schimpfwort „Šejtany“, d.h. Teufelsleute (Plural), geht er einen Schritt weiter und entmenschlicht die Ukrainer überhaupt. Die Konsequenzen verkündete Kadyrov am 29. März in Mariupolʼ: Friedensverhandlungen seien erst möglich, wenn „die Banderovcy und Šejtany“ in der Ukraine ausgelöscht seien.[92]

Wohl am schärfsten kommen terroristische Gesinnung, Brutalität, nihilistische Gewissenlosigkeit und Zynismus, welche die Kriegsführung der russländischen Streitkräfte unter Präsident Putin bereits im zweiten Tschetschenienkrieg (1999) und im Syrienkrieg (2015) auszeichneten und nun in der Ukraine charakterisieren, im Einsatz der tschetschenischen Kämpfer zum Ausdruck. Wenn nicht alles täuscht, dann gehen die Anfang März 2022 begangenen barbarischen Mordaktionen an Hunderten von Zivilisten in der nordwestlich von Kiew gelegenen Kleinstadt Buča auch auf das Konto des tschetschenischen Verbands, der am 24. Februar 2022 von Belarus aus auf Kiew vorstieß und sich nach einer zunächst erlittenen Niederlage noch bis zum 13. März 2022 im Kampfabschnitt von Buča, Irpin’ und Gostomelʼ aufhielt.[93]

Aus dem Blickwinkel der eingangs zum subjektiven Tatbestand referierten Genozid-Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe zur Aburteilung der Verbrechen im früheren Jugoslawien (ICTY) und in Ruanda (ICTR) zwingen die realen Verhältnisse, unter denen die Bürgerinnen und Bürger Mariupolʼs bis Mitte März existierten und die in der Wirklichkeit des Alltages zweifellos noch weitaus schlimmer waren als es in diesen wenigen, skizzenhaften Sätzen eingefangen werden konnte, zu der Feststellung, dass das Mariupolʼ auferlegte Regime von der Absicht beherrscht wurde, die Bürgerinnen und Bürger zusammen mit der Stadt zu zerstören und zu vernichten (specific intent to destroy). Das aber bedeutet vollendeten Völkermord, da sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand des Verbrechens im Sinne von Art. II der Antivölkermordkonvention erfüllt war.

Ändert sich etwas an dieser Feststellung dadurch, dass sich Mitte März die Lage der Bürgerinnen und Bürger insofern verbesserte, als Besitzer privater PKWs sowie weitere Personen mit Bussen Mariupolʼ in Richtung Zaporižžja verlassen konnten? Hat die Tatsache, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung Mariupolʼs durch ihre von russländischer Seite geduldete Flucht vor dem Verderben gerettet worden ist, für die Qualifizierung des Geschehens in Mariupolʼ als Völkermord Relevanz? Ist dadurch der Vorwurf des Völkermords hinfällig?

Die Frage lässt sich nur beantworten, wenn man prüft, ob die Mitte März eingetretene Veränderung Einfluss auf den objektiven und den subjektiven Tatbestand des Verbrechens hat. Was den objektiven Tatbestand anbetrifft, hat sich für die Lebensverhältnisse der Menschen in Mariupolʼ selbst nichts verändert. Nach wie vor werden Menschen in der Stadt durch Beschuss getötet, bleibt die Stadt wegen ihrer fortdauernden Blockade ohne Versorgung von außen, verhungern und erfrieren Menschen, kurz: die Lage ist nach wie vor unerträglich. Die in Art. II Buchstabe a) und Buchstabe c) genannten Handlungen werden von den russländischen Streitkräften nach wie vor begangen.

Was den subjektiven Tatbestand des Art. II der Antivölkermordkonvention anbetrifft, ist eine Änderung insofern zu vermerken als die Absicht, die Bürgerschaft Mariupolʼs als Teil der ukrainischen Nation („nationale Gruppe“) als solche zu zerstören, durch die Zulassung der Flucht von ca. 70 000 Bürgerinnen und Bürgern aus der Stadt eine deutliche Einschränkung erfahren hat. Sie besteht allerdings nur de facto, denn allem Anschein nach beruhen die seit Mitte März befahrenen „humanitären Korridore“ nicht auf förmlichen, zuverlässigen Vereinbarungen mit der russländischen Seite, denn die aus der Stadt fliehenden Kraftfahrzeuge sind vor Beschuss nicht sicher. Auch hat in diesem Zusammenhang die Tatsache Gewicht, dass Präsident Putin eine vollständige Evakuierung der Zivilbevölkerung Mariupolʼs bislang strikt abgelehnt hat.

Unter diesen Umständen haben wir es mit einem Schwebezustand zu tun, bei dem ungewiss ist, erstens wie lange er anhält, und zweitens, wie viele PKWs und Busse in Mariupolʼ noch vorhanden sind, um die Flucht aus der Stadt zu realisieren. Das spricht dafür, die Antwort auf die Frage vorläufig offen zu halten, ob der subjektive Tatbestand, die Zerstörungs- und Vernichtungsabsicht von russländischer Seite aufgegeben worden ist oder nicht, und die weitere Entwicklung zu beobachten. Die Aussichten dürften eher düster sein.

Schlussbemerkung

Der Völkermord in Mariupolʼ ist keineswegs das einzige völkerrechtliche Verbrechen, das die Streitkräfte Russlands und seine führenden Militärs bis hinauf zu ihrem Oberkommandierenden, Präsident Vladimir Putin, begangen haben. Die Völkerrechtsverletzungen wurden eingeleitet mit der militärischen Einkreisung der Ukraine, die spätestens im Herbst 2021 begann und eine massive Bedrohung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine darstellte und daher eine schwere Verletzung des allgemeinen Gewaltverbots der UNO-Charta war (Art. 2 Nr. 4).[94] Diese ernste Verletzung eines der bedeutendsten Prinzipien des universellen Völkerrechts und der darauf seit 1945 beruhenden internationalen Ordnung ist durch den von Präsident Putin angeordneten militärischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 in den Schatten gestellt worden. Präsident Putin hat damit eines der schwersten völkerrechtlichen Verbrechen begangen, das Verbrechen der Aggression (Art. 5 Abs. 1 Buchstabe d) des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998.

Der verbrecherische Überfall auf die Ukraine bildet die Grundlage und ist daher auch die Ursache aller weiteren seither von den russländischen Streitkräften und ihrer politischen und militärischen Führung an allen Frontabschnitten begangenen Völkerrechtsverbrechen. In Mariupolʼ ist nicht nur Völkermord, sondern auch alle anderen schweren Verbrechen, die das Rom-Statut in Art. 5 Abs. 1 auflistet, nämlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7) und Kriegsverbrechen (Art. 8) begangen worden. Die vorgenommene ausführliche Behandlung der Tatbestandsvarianten des Völkermordes, die Tötung von Mitgliedern geschützter Gruppen (Art. II Buchstabe a) der Antivölkermord-Konvention) und „die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche und seelische Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“ (Art. II Buchstabe c), behandelt Sachverhalte und Tatsachen, die bei der Prüfung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Rom-Statut) und von Kriegsverbrechen (Art. 8 Abs. 2 Rom-Statut) wiederkehren. Die Kriegsführung der Streitkräfte Russlands in Mariupolʼ fällt in einem erschreckenden Ausmaß nicht nur unter Völkermord, sondern auch unter Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Es ist Aufgabe der Spezialisten des Völkerstrafrechts, die Kriegsführung Russlands (und die der Ukraine) in dem seit dem 24. Februar 2022 in der Ukraine tobenden Krieg aus dem Blickwinkel jener beiden völkerrechtlichen Verbrechenstatbestände zu untersuchen und damit eine Vorarbeit – hoffentlich – für Anklagen beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und, gemäß dem strafrechtlichen Weltrechtsprinzip, auch vor nationalen Strafgerichten zu leisten.

Manuskript abgeschlossen am 11.4.2022

Otto Luchterhandt (1943), Dr. iur. habil., Prof. em. für Öffentliches Recht und Ostrecht, Universität Hamburg

Zum Beitrag auf Ukrainisch


[1] Karl Schlögel hat nach 2014 den wohl bekanntesten und zugleich auch bedeutendsten Städten der Ukraine meisterliche Porträts gewidmet; z.B. Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen. München 2015. Mariupol’ ist leider nicht darunter.

[2] Dazu die Karte: Detal’naja karta – Mariupol’ – onlajn karta googlemap, 24timezomes.com.

[3] Alena Mazurenko: Grečeskij diplomat o Mariupole: to, čto ja videl’, nadejus’, nikto nikogda ne uvidet. Ukrainskaja Pravda, 21.3.2022. – Volker Papst: Die letzten Griechen am Schwarzen Meer. NZZ, 28.3.2022, S. 3.

[4] Evrei v Mariupole, <cyclowiki.org>.

[5] <https://de.wikipedia.org/wiki/Mariupol>.

[6] <https://ru.wikipedia.org/wiki/Ахметов,_Ринат_Леонидович>.

[7] Kerstin Zimmer: Die Kohle, der Clan und die Macht. Zur politischen Anatomie des Gebiets Donec’k, in: Osteuropa, 1/2005, S. 34–49. – Dies.: Machteliten im ukrainischen Donbass. Bedingungen und Konsequenzen der Transformation einer alten Industrieregion. Münster 2006, S. 84ff. – Dies.: Donbass. Das kranke Herz. FAZ, 28.7.2014, S. 8.

[8] Otto Luchterhandt: Der Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukovyč im Februar 2014 und seine rechtliche Bewertung, in: Osteuropa-Recht, 4/2014, S. 387–397.

[9] Otto Luchterhandt: Die Krim-Krise von 2014. Staats- und völkerrechtliche Aspekte, in: Osteuropa, 5/2014, S. 61–86.

[10] Zu dem gesamten revolutionären Komplex Gerhard Simon: Zusammenbruch und Neubeginn. Die ukrainische Revolution und ihre Feinde, in: Osteuropa, 5–6/2014, S. 25–41.

[11] Nikolay Mitrokhin: Bandenkrieg und Staatsbildung. Zur Zukunft des Donbass, in: Osteuropa, 1–2/2015, S. 5–19.

[12] Protivostojanija v Mariupole, <https://ru.wikipedia.org/wiki/Противостояние_в_Мариуполе #9_мая>.

[13] Zu Stepan Bandera: Frank Grelka: Die ukrainische Nationalbewegung unter deutscher Besatzungsherrschaft 1918 und 1941/42. Wiesbaden 2006.

[14] Iryna Solonenko: Interessengeflecht und Machtstrategien. Die Oligarchen und der Umbruch in der Ukraine, in: Osteuropa, 5–6/2014, S. 197–215, S. 204ff.

[15] Nikolay Mitrokhin: Transnationale Provokation. Russische Nationalisten und Geheimdienstler in der Ukraine, in: Osteuropa, 5–6/2014, S. 157–174. – Maksim Aljukov: Von Moskaus Gnaden. Genese und Geist der „Volksrepublik Donezk“, in: Osteuropa, 3–4/2019, S. 123–131.

[16] Solonenko, Interessengeflecht und Machtstrategien [Fn. 14], S. 205.

[17] Andreas Heinemann-Grüder: Geiselnehmer oder Retter des Staates? Irreguläre Bataillone in der Ukraine, in: Osteuropa, 3–4/2019, S. 51–80, S. 58ff.

[18] Ulrich Schneckener: Das Dilemma der Milizen. Ukrainische Freiwilligenbataillone und das Gewaltmonopol, in: Osteuropa, 9–10/2014, S. 135–146.

[19] Heinemann-Grüder, Geiselnehmer [Fn. 17], S. 60 m. w. N.

[20] Stefan Plaggenborg: Die Faschisten sitzen im Kreml. FAZ, 21.3.2014, S. 13.

[21] Mitrokhin, Transnationale Provokation [Fn. 15], S. 158ff.

[22] Rudolf Hermann: Werweissen über Putins Ziele im Donbass. NZZ, 3.9.2014, S. 5.

[23] <https://ru.wikipedia.org/wiki/Широкино>. – Marco Seliger: Freiwillig unter Beschuss. FAZ, 21.11.2018, S. 3.

[24] 1. Der Vertrag zwischen der Russländischen Föderation und der Ukraine vom 28.1.2003 über die russländisch-ukrainische Staatsgrenze, Text: Vidomosti Verchovnoì Rady Ukraìny (VVRU) 32/2004, Pos. 386. Sobranie Zakonodatelʼstva Rossijskoj Federacii (SZRF) 7/2004, S. 47. Der Vertrag trat am 23. April 2004 in Kraft. 2. Der Vertrag zwischen der Russländischen Föderation und der Ukraine vom 24. Dezember 2003 „über die Zusammenarbeit bei der Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch“, Text: Vidomosti Verchovnoji Rady Ukrajiny 2004, Nr. 32, Pos. 387. Der Vertrag wurde am 20. April 2004 ratifiziert und ist damit voll wirksam.

[25] Otto Luchterhandt: Gegen das Völkerrecht. Die Eskalation des Konflikts im Asowschen Meer, in: Osteuropa, 1/2019, S. 3–21, S. 9ff.

[26] <https://ru.wikipedia.org/wiki/Мариупольский_морской_торговый_порт>.

[27] Weit an der Spitze der Ausfuhr standen mit ca. 80 Prozent Stahl und weitere Metallprodukte, gefolgt von Kohle, Erzen, Weizen und Sonnenblumenöl.

[28] Luchterhandt, Gegen das Völkerrecht [Fn. 25], S. 14ff.

[29] Zur diskriminierenden, willkürlichen und zeitraubenden Praxis: Florian Hassel: Däumchen drehen auf hoher See. SZ, 31.1.2019, S. 7.

[30] Otto Luchterhandt: Russlands Geisel. Die militärische Einkreisung der Ukraine und das Völkerrecht, in: Osteuropa, 10–12/2021, S. 5–36.

[31] Ukraina poterjala 30 % metallurgičeskich moščnostej iz-za vojny – „Metinvest“. Ėkonomičeskaja pravda, 30.3.2022.

[32] Grečeskij diplomat o Mariupole: To, čto ja videl, nadejus’, kikto nikogda ne uvidit. Pravda Ukrainy, 22.3.2022.

[33] Bundesgesetzblatt (BGBl) 1954 II, S. 730. Zum Völkermord: Otto Luchterhandt: Völkerrecht versus Völkermord: bedeutende Fortschritte – ungelöste Probleme, in: Zeitschrift für Genozidforschung, 2/2008, S. 10–67.

[34] <https://treaties.un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=0800000280027fac.>

[35] BGBl 2000 II, S. 1394.

[36] Der Tatbestandsbegriff der „Gruppe“ wirft im Einzelfall unter Umständen schwer zu entscheidende Probleme auf, nicht aber im vorliegenden Fall. Zu den Problemen eingehend William A. Schabas: Genozid im Völkerrecht. Hamburg 2003, S. 144ff.

[37] So mit überzeugender Begründung das Internationale Jugoslawien-Tribunal im Fall „Krstić“ (2001), para. 589 m. w. N.; Quelle: <krs-tj010802e.PDF> (icty.org).

[38] Okkupanty obeščajut vypustit’ iz Mariupolja inostrancev – rosSMI. Pravda Ukrainy, 4.3.2022.

[39] V Mariupole rossijane ubili 2187 graždan – gorodskoj sovet. Ukrainskaja pravda, 13.3.2022.

[40] Sovetnik mėra Mariupolja govorit, čto v gorode pogibli 20 tysjač graždanskich. Ukrainskaja pravda, 14.3.2022.

[41] OON raspolagaet dannymi o massovych zachoronenijach v Mariupole, v odnom iz nich 200 tel. Ukrainskaja pravda, 25.3.2022.

[42] Schabas, Genozid [Fn. 36], S. 211ff.

[43] Augenzeugenbericht der aus Donec’k stammenden Foto-Journalisten Sergej Vaganov und Irina Gorbačeva, 22.3.2022: <www.pravda.com.ua/rus/articles/2022/93/22/7333639/>. – Ferner das Tagebuch der Anna Kotel’nikova (2.–14.3.2022), das Michail Krigel’ in der Pravda Ukrainy veröffentlicht hat: „My povtorjaem, kak mantru: Nam nužno vyžit’ʻ. Chronika Mariupolja v osade pod bombami i raketami. Ukrainsjaka pradva, 22.3.2022. – Grečeskij diplomat [Fn. 32].

[44] Tagebuch der Anna Kotel’nikova [Fn. 43]. – Kurzbericht von Alena Mazurenko: Mariupol’ v blokade: vrag faktičeski vzjal v plen 400 tysjač ukraincev. Ukrainskaja pravda, 5.3.2022. – V Mariupol’ ne doechala gumpomošč’. Gorod polnost’ju zablokirovan. Ukrainskaja Pravda, 10.3.2022.

[45] Rossijskie Vojska častično razvorovali i vzjali pod kontrol’ gumpomošč’ dlja Mariupolja. Ukrainskaja Pravda, 12.3.2022. – Gumanitarnyj gruz snova ne doechal do Mariupolja – iz-za obstrelov. Ukrainskaja Pravda, 13.3.2022. – S okkupantami vedut peregovory – prosjat vypustit’ ljudej iz Mariupolja, Berdjanska, Ėnergodara. Ukrainskaja Pravda, 29.3.2022.

[46] Sbežavšie iz goroda na okrainy nariupol’cy umirajut ot goloda. Ukrainskaja pradva, 19.3.2022. – Mariupol’ umoljaet o pomošči: Ljudi umirajut ot goloda. Ukrainskaja pravda, 24.3.2022.

[47] Der Beschuss hat seit Anfang März nahezu ununterbrochen stattgefunden.

[48] Die Abwehr war, beginnend mit dem 27.2.2022, erfolgreich. Mėr: Na Mariupol’ rvalis’ tanki, ich ostanovili. Podchodili korabl’. Ukrainskaja pravda, 27.2.2022.

[49] Oborona Mariupolja: uničtožena bronetechnika i živaja sila vraga. Ukrainskaja pravda, 14.3.2022. – „Azov“ uničtožil 2 tanka i 17 okkupantov i potopil vražeskij kater. Ukrainskaja pravda, 21.3.2022.

[50] So Aleksej Arestovič von der Präsidialverwaltung: Arestovan ob”jasnil, požemu v Mariupol’ ne možet prijti voennaja podmoga. Ukrainskaja pravda, 18.3.2022.

[51] OGA: Mariupol’ tjaželo deblokirovat’, no delaem vse, čtoby pomoč’ bojcam. Ukrainskaja pravda, 1.4.2022.

[52] Minoborony RF predlagaet kapituljaciju zaščitnikam Mariupolja. Ukrainskaja pravda, 18.3.2022.

[53] Mariupol’ razbomblen na 80–90 % – zamestitel’ mėra. Ukrainskaja pravda, 17.3.2022.

[54] Satellitenaufnahmen der Fa. Machar Technologies, die der Guardian verbreitete: Černye ot kopoti doma i uničtožennyj TRC: foto Mariupolja so sputnika i video iz drona. Ukrainskaja pravda, 18.3.2022.

[55] Erklärung der Gebietsverwaltung: Okkupanty chotjat sozdat’ v Mariupole gumanitarnuju katastrofu. Ukrainskaja pravda, 3.3.2022. – Mėr Mariupolja o rossijskich obstrelach: uže 12 časov gorod „utjužat“ bez ostanovki. Ukrainskaja pravda, 2.3.2022.

[56] Vadym Bojčenko: Mariupol’ ostaetsja praktičeski bez sveta. Ukrainskaja pravda, 1.3.2022. – Okupat’ povredili gazoprovod Doneck-Mariupol’, ljudi budut bez gaza – glava oblasti. Ukrainskaja pravda, 6.3.2022. – Bericht des AP-Journalisten Mstislav Chernov: <https://apnews.com/hub/russia-ukraine>.

[57] Die Bilder solcher Szenen der primitiven Versorgung gingen über das Fernsehen um die Welt. Ol’ga Kirilenko: Rossija ne razrešaet otkryt’ v Mariupole gumanitarnye koridory, gorod bez svjazi i sveta. Ukrainskaja pravda, 26.3.2022.

[58] Katerina Tiščenko. Pravda Ukrainy, 3.3.2022. – Erklärung von „Ärzte ohne Grenzen“: Gumanitarnaja situacija v Mariupole katastrofičeskaja. Ukrainskaja pravda, 6.3.2022.

[59] Augenzeugenbericht von Vaganov, Gorbačeva [Fn. 43].

[60] Okkupanty vzjali v založniki bol’nicu v Mariupole – glava oblasti. Ukrainskaja pravda, 15.3.2022.

[61] Mariupol’: okkupanty razrušili Detskij reabilitacionnyj centr. Ukrainskaja pravda, 25.3.2022.

[62] Macron hatte die Bitte in seinem Telefonat mit Putin am 29.3.2022 vorgetragen. U Makrona posle razgovora s Putinym zajavili, čto ėvakuacija iz Mariupolja nevozmožna. Ukrainskaja pravda, 29.3.2022.

[63] Zwischen dem 2. und dem 28. März 2022 hat die Pravda Ukrainy 31 offizielle Verlautbarungen der stv. Ministerpräsidentin Vereščuk bzw. offizielle Mitteilungen über die Ergebnisse der Vereinbarungen und über die tatsächliche Nutzung der Fluchtwege veröffentlicht. Auf das Material kann hier aus Platzgründen nur pauschal verwiesen werden.

[64] Der erste Korridor vom 14.3.2022 wurde für etwa 50 private PKW geöffnet. Sie konnten über Berdjans’k nach Zaporižžja fahren. V Mariupole podtverdili naličie gumkoridora iz goroda. Ukrainskaja pravda, 14.3.2022. – Zur Beschießung: Mariupol’: rossijane obstreljali ėvakuacionnye avtobusy s det’mi, est’ postradavšie. Ukrainskaja pravda, 21.3.2022.

[65] Denis Karlovskij: Uničtožennoj voennoj techniki rossijan uže bol’še, čem est’ u armij stran ES – Šmigal’. Ukrainskaja Pravda, 31.3.2022:

[66] Andreas Ernst: Das bombardierte Kinderspital in Mariupol im Strudel des Informationskrieges. Neue Zürcher Zeitung, 12.3.2022, S. 3.

[67] Obstrel bol’nicy v Mariupole: 3 pogibšich, 17 postradavšich. Ukrainskaja pravda, 10.3.2022.

[68] V OON „ochvačeny užasom“ ot napadenija na rodil’nyj v Mariupole. Ukrainskaja pravda, 10.3.2022.

[69] Zelenskij: Obstrel roddoma v Mariupole – okončatel’noe dokazatel’stvo genocida. Ukrainskaja pravda, 9.3.2022.

[70] Ernst, Das bombardierte Kinderspital in Mariupol [Fn. 66].

[71] Okkupanty pochitili i vyvezli v RF personal i pacientov roddoma Mariupolja. Ukrainskaja pravda, 29.3.2022.

[72] Schabas, Genozid [Fn. 36], S. 228ff.

[73] Žitelej Mariupolja massovo zachvatyvajut i deportirujut v RF. Ukrainskaja pravda, 24.3.2022.

[74] Zur Diskussion und Auslegung der Bestimmung Schabas, Genozid [Fn. 36], S. 232ff.

[75] Okkupanty nasil’no vyvozjat ljudej iz Mariupolja na territoriju RF. Ukrainskaja pravda, 19.3.2022.

[76] Luchterhandt, Völkerrecht versus Völkermord [Fn. 33], S. 32ff.

[77] Siehe die Paragraphen 569ff. der Entscheidung; Quelle: <krs-tj010802e.PDF> icty.org.

[78] Para. 572.

[79] Schabas, Genozid [Fn. 36], S. 295ff.

[80] Luftaufnahmen vom Theater bei Denis Karlovskij: Sputniki sumeli zafiksirovat’, kak vygljadit teatr v Mariupole posle bombardirovok. Ukrainskaja pravda, 16.3.2022.

[81] Rossijskie okkupanty uničtožili muzej im. Kuindži v Mariupole. Ukrainskaja pravda, 23.3.2022.

[82] Kuindži war einer der bedeutendsten Vertreter der „Peredvižniki“, Lehrer u.a. von Nikolaj Rerich (Roerich). S.V. Krivondenćikov: Archip Kuindži. Moskva 2001, <Куїнджі Архип Іванович – Вікіпедія>.

[83] Rossijane sbrosili sverchmočnuju bombu na dramteatr Mariupolja, gde skryvajutsja sotni čelovek. Ukrainskaja pravda, 16.3.2022. – V dramteatre Mariupolja ljudi vyžili, zdanie vyderžalo udar bomby. Ukrainskaja pravda, 17.3.2022.

[84] Okkupanty special’no bomjat zdanie s kracnym krestom v Mariupole. Ukrainskaja pravda, 30.3.2022, <www.pravda.com.ua/rus/news/2022/03/30/7335738/>.

[85] Offizielle Mitteilung: Ofis OBSE v Mariupole obstreljali, Missija okončatel’no pokidaet Ukrainu. Ukrainskaja pravda, 7.3.2022.

[86] Geremeev – v Mariupole zasvetilsja kadyrovec Geremeev. Unian.net, 27.3.2022. – Friedrich Schmidt: Putins tschetschenischer Vollstrecker, Kadyrow: Seine Kämpfer waren wohl in Butscha im Einsatz. Faz.net, 5.4.2022.

[87] Geremeev war nach allen vorliegenden ud bewiesenen Tatsachen der Organisator der Ermordung Boris Nemcovs am 27.2.2015. Kto takoj Ruslan Geremeev, i počemu advokaty sčitaju ego organizatorom ubijstva Borica Nemcova. Currenttime.tv, 7.12.2016.

[88] Centr Mariupolja ostaetsja pod kontrolem Ukrainy – razvedka Britanii. Evropejskaja Pravda, 29.3.2022.

[89] „Azov“ trolit toktokerov Kadyrova za postanovku „boja“ v Mariupole. Ukrainskaja pravda, 29.3.2022.

[90] V Čečne zajavili, čto Kadyrov v Mariupole – s general’skimi pogonami ot Putina. Ukrainskaja pravda, 28.3.2022.

[91] Siehe dazu die im Internet stehenden zahlreichen Youtube-Auftritte Kadyrovs.

[92] Kadyrov vystupil protiv peregovorov: Nado uničtožit’ banderovcev, a potom rešat’. Ukrainskaja pravda, 29.3.2022.

[93] Posle značitel’nych poter’ na vojne v Ukrainu „ kadyrovcev“ otpravili v Čečnju. Ukrainskaja pravda, 20.3.2022.

[94] Otto Luchterhandt: Russlands Geisel. Die militärische Einkreisung der Ukraine und das Völkerrecht, in: Osteuropa, 10–12/2021, S. 5–36.