"Die herrschenden Klassen der westlichen Länder sind ihrem Wesen nach übernational und globalistisch"

Rede von Präsident Putin bei einer Zusammenkunft mit der Leitung der Staatsduma und den Fraktionsführern am 7.7.2022


Osteuropa dokumentiert eine Rede des russländischen Präsidenten am 7.7.2022. Es ist ein Zeugnis des magischen Sprechens. Eine Realität, die nicht da ist, wird beschworen, um sie zu schaffen. Mit Lob, das in Wahrheit Befehl ist, und mit Drohungen, an alle, die nicht gehorchen.



Guten Tag, geehrte Kollegen, geehrter Vjačeslav Viktorovič!

Gestern, am 6. Juli, ist das Frühjahrssemester der Staatsduma zuende gegangen, und ich möchte betonen, dass alle Abgeordneten, ja die Abgeordneten aller Fraktionen ihren wichtigen Beitrag zur gemeinsamen Arbeit geleistet haben.

[…]

Besonders möchte ich allen Parteien des Parlaments für die von ihnen organisierte humanitäre Unterstützung der Bewohner des Donbass danken. Ich betone: allen Parteien, denn über deren Tätigkeit wurde in den Medien unterschiedlich berichtet, ich weiß jedoch aus den mir vorliegenden Berichten, dass alle sich daran aktiv beteiligen.

Mir ist bekannt, dass viele Abgeordnete eigens Urlaub genommen haben, um in die Kampfzone zu fahren und um dort persönlich, oft unter realer Gefahr für das eigene Leben, vor Ort für die reibungslose Anlieferung von Lebensmitteln, Medikamenten und Erstversorgungsgütern zu sorgen und humanitäre Hilfszentren aufzubauen. Einige Ihrer Kollegen sind gerade jetzt als Freiwillige dort. Eine solche Initiative, eine solche selbstlose Hilfe ist auch wirklich notwendig, sie wird dringend gebraucht.

Gesondert erwähne ich, dass die Staatsduma gemeinsam mit der Regierung angesichts der sich rasch wandelnden Lage für permanente Nachbesserungen gesorgt und eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung der zentralen Sektoren der russländischen Wirtschaft sowie der Belegschaften der Betriebe, einschließlich der kleinen und mittleren Unternehmen, der IT-Industrie und anderer wichtiger Branchen verabschiedet hat.

[…]

In kürzester Zeit wurden seit Anfang März in engem Kontakt mit der Regierung mehrere Pakete mit Maßnahmen zur Abwehr der Sanktionen verabschiedet. Dank diesen sind die Auswirkungen der unfreundlichen, offen feindseligen Aktionen der westlichen Länder gering gehalten worden. Natürlich ist uns klar, dass diese illegal gegen Russland verhängten Sanktionen uns Schwierigkeiten bereiten, aber bei weitem nicht so große, wie es sich die Initiatoren dieses wirtschaftlichen Blitzkriegs gegen Russland ausgerechnet hatten.

Es ist offenkundig, dass sie nicht nur der russländischen Wirtschaft einen möglichst harten Schlag versetzen wollten. Ihr Ziel war es, Streit zu säen, Unfrieden in unsere Gesellschaft zu tragen, die Menschen zu demoralisieren. Aber da haben sie sich verkalkuliert. Ihr Plan ist nicht aufgegangen, und er wird auch in Zukunft nicht aufgehen, da bin ich sicher.

In diesem Zusammenhang ist gerade das Vorbild des russländischen Parlaments als höchstem Vertretungsorgan von Bedeutung. Die Politik des Parlaments stützt sich auf den Willen des russländischen Volks, auf eine feste Position, auf die Überzeugung, dass wir historisch im Recht sind, auf die nicht zu leugnende Entschlossenheit der überwiegenden Mehrheit der Bürger dieses Lands, die Souveränität Russlands zu verteidigen und unseren Leuten im Donbass zu helfen. Genau dies liegt der gesamten Politik unseres Staates zugrunde.

Der sogenannte kollektive Westen unter der Führung der USA betreibt seit Jahrzehnten eine äußerst aggressive Politik gegenüber Russland. Unsere Vorschläge zur Schaffung eines Systems gleicher Sicherheit in Europa wurden abgelehnt. Die Initiativen zur gemeinsamen Arbeit am Problem der Raketenabwehr zurückgewiesen. Die Warnungen, dass eine Erweiterung der NATO, insbesondere um ehemalige Sowjetrepubliken, inakzeptabel ist, wurden ignoriert. Allein schon die Idee einer möglichen Integration Russlands in die Nordatlantik-Allianz, in der Phase, als unsere Beziehungen zur NATO scheinbar noch durch nichts getrübt waren, kam deren Mitgliedern offenbar absurd vor.

Und warum? Weil sie ein Land wie Russland einfach nicht gebrauchen können. Deshalb. Deshalb haben sie den Terrorismus und Separatismus in Russland gefördert, die destruktiven Kräfte im Inneren, die „fünfte Kolonne“. Sie alle wurden und werden von eben diesem kollektiven Westen bis heute rückhaltlos unterstützt.

Heute wirft man uns vor, wir hätten einen Krieg im Donbass, in der Ukraine begonnen. Falsch, es ist der kollektive Westen, der diesen entfesselt hat, indem er im Jahr 2014 einen verfassungswidrigen bewaffneten Umsturz in der Ukraine organisiert und unterstützt hat und anschließend den Genozid an den Menschen im Donbass befeuert und gerechtfertigt hat. Der kollektive Westen ist der unmittelbare Täter, er trägt die Schuld an dem, was heute geschieht.

Wenn dieser Westen einen Konflikt mit Russland provozieren wollte, um in eine neue Phase des Kampfs mit Russland einzutreten, eine neue Phase der Eindämmung unseres Lands, dann kann man sagen, dass ihm dies in gewissem Maß durchaus gelungen ist. Der Krieg ist entfesselt, und die Sanktionen sind verhängt. Unter normalen Bedingungen wäre es wahrscheinlich schwierig gewesen, diese einzuführen.

Doch ich will Ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken: Eigentlich hätte ihnen klar sein müssen, dass sie schon vom ersten Tag unserer Spezialoperation an verloren hatten, denn deren Eröffnung markiert den Anfang vom Ende der amerikanischen Weltordnung. Mit ihr beginnt der Übergang vom liberal-globalistischen amerikanischen Egozentrismus zu einer wirklich multipolaren Welt – einer Welt, die nicht auf Regeln beruht, die irgendjemand sich zu seinem eigenen Nutzen ausgedacht hat und hinter denen nichts steht als sein Streben nach Hegemonie; nicht auf heuchlerischer Doppelmoral, sondern auf Völkerrecht, auf wahrer Souveränität der Völker und Zivilisationen, auf ihrem Willen, ihre historische Bestimmung zu erfüllen, gemäß ihren eigenen Werten und Traditionen zu leben und eine Zusammenarbeit auf der Grundlage von Demokratie, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu entwickeln. Es ist offensichtlich, dass diese Entwicklung nicht mehr zu stoppen ist.

Der Verlauf der Geschichte ist unerbittlich, und die Versuche des kollektiven Westens, der Welt seine neue Weltordnung aufzuzwingen, sind zum Scheitern verurteilt.

Ich möchte in diesem Zusammenhang anmerken und unterstreichen, dass wir viele Verbündete haben, auch in den USA und in Europa, und erst recht auf den anderen Kontinenten und in anderen Ländern. Und es werden mehr und mehr werden, daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben.

Ich wiederhole, selbst in den Ländern, die bislang noch Satelliten der USA sind, wächst das Verständnis, dass die blinde Unterwerfung ihrer herrschenden Eliten unter den Souzerän in aller Regel nicht ihren nationalen Interessen entspricht, sondern diesen meist diametral zuwiderläuft. Diese Stimmungen werden in der Gesellschaft immer stärker werden, darüber wird irgendwann niemand mehr hinwegsehen können.

Einstweilen aber erhöhen diese herrschenden Eliten noch den Druck, mit dem sie das öffentliche Bewusstsein in ihren Ländern manipulieren. Die herrschenden Klassen der westlichen Länder sind ihrem Wesen nach übernational und globalistisch, und da sie verstehen, dass ihre Politik sich immer mehr von der Realität entfremdet, vom gesunden Menschenverstand, von der Wahrheit, da sie dies verstehen, setzen sie immer offener auf despotische Methoden.

Der Westen, der einst Prinzipien der Demokratie wie Freiheit des Worts, Pluralismus und Wertschätzung für die Meinung des Anderen hochgehalten hat, degeneriert heute zum genauen Gegenteil – zum Totalitarismus. Dazu gehören Zensur, die Schließung von Medien und die willkürliche Behandlung von Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens.

Dieser Verbotskurs wird in den westlichen Ländern nicht nur auf die Medien angewendet, sondern auch auf Politik, Kultur, Bildung und Kunst – auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Mehr noch, man drängt dieses Modell – das Modell des totalitären Liberalismus, einschließlich der berüchtigten cancel culture, der allgegenwärtigen Verbote – der ganzen Welt auf, oder man versucht es zumindest.

Aber die Wahrheit ist, die Realität ist, dass die Menschen in den meisten Ländern ein solches Leben und eine solche Zukunft nicht wollen, dass sie in Wirklichkeit nicht nach formaler, dekorativer Souveränität streben, sondern nach substanzieller, echter; dass sie es einfach satt haben, auf den Knien zu liegen und sich zu erniedrigen vor diesen Leuten, die sich für etwas Besseres halten und zu ihrem eigenen Schaden deren Interessen zu bedienen.

Heute hören wir, dass sie uns auf dem Schlachtfeld bezwingen wollen. Was soll man dazu sagen? Sollen sie es doch versuchen. Wir haben schon oft gehört, dass der Westen uns "bis zum letzten Ukrainer" bekämpfen will. Für das ukrainische Volk ist das eine Tragödie, aber wie es scheint, läuft alles darauf hinaus. Aber es sollte jeder wissen, dass wir im Grunde noch nicht mal richtig losgelegt haben.

Gleichzeitig lehnen wir Friedensverhandlungen nicht ab, aber diejenigen, die sie ablehnen, sollten wissen, dass es mit jedem Tag schwieriger werden wird, mit uns übereinzukommen.

Sehr geehrte Kollegen!

Ihr patriotisches Verhältnis zum Staat zeigt sich in der ganzen Arbeit der Staatsduma, im Grunde bestimmt es die gesamte gesetzgeberische politische Arbeit. So soll es in einem demokratischen und wahrhaft unabhängigen Staat auch sein.

Ich bin überzeugt, dass für alle führenden Parteien Russlands an oberster Stelle die Sorge um das Wohl unseres Landes und unseres Volkes steht, um die Menschen, die ihre Stimme an Sie delegiert haben, Ihnen diese anvertraut haben, die Ihnen das hohe Amt des Gesetzgebers verliehen haben und von den Abgeordneten einen ehrlichen und aufrichtigen Dienst erwarten, die Verabschiedung wirksamer, gerechter und gründlichst durchdachter Gesetze. Die Menschen sind es denn auch, die über jede Partei ihr objektives Urteil fällen, das nächste Mal im September, bei den nächsten Regional- und Kommunalwahlen.

Ich hoffe, dass die Rivalitäten des Wahlkampfs der gemeinsamen partnerschaftlichen Arbeit in der Duma der gegenwärtigen, achten Legislaturperiode nicht entgegenstehen.

Aus dem Russischen von Volker Weichsel, Berlin

Quelle: http://kremlin.ru/events/president/news/68836