Wahlfälschung in Belarus
Svjatlana Cichanoŭvskaja hat beim belarussischen Verfassungsgericht Klage gegen das offizielle Wahlergebnis eingereicht. Die gemeinsame Analyse von drei Wahlbeobachtungsorganisationen zeigt, worauf sich die Beschwerde stützen kann.
Abschlussbericht zu den Wahlen in Belarus
Gemeinsame Veröffentlichung der Wahlbeobachtungsorganisationen Golos, Zubr und „Čestnye ljudi“.
Die Auswertung aller verfügbaren offiziellen Protokolle aus den Wahlbüros und der eingesandten Fotos von Wahlzetteln erlaubt klare Schlussfolgerungen: Die Wahlen sind ungültig, da in jedem dritten Wahllokal Fälschungen nachweisbar sind. Das von der Zentralen Wahlkommission bekanntgegebene Gesamtergebnis weicht von den offiziellen Resultaten in den Wahllokalen ab. Aljaksandr Lukašenka ist nicht mehr der legitime Präsident. Die Wahlkommissionen haben im großen Stil Stimmen unterschlagen, die für Svjatlana Cichanoŭvskaja abgegeben wurden.
Die offiziellen Protokolle
Den Initiativen „Golos“ (Stimme), „Zubr“ (Wiesent) und „Čestnye ljudi“ (Ehrliche Menschen) ist es gemeinsam gelungen, die offiziellen Protokolle von 1310 der insgesamt 5767 Wahllokale in Belarus zu erhalten. Diese Protokolle stammen aus allen Regionen des Landes und aus städtischen wie ländlichen Wahllokalen. Die Kommissionen der übrigen 4457 Wahllokale haben die Protokolle entweder nicht veröffentlicht, sie nicht unterzeichnet oder ein Abfotografieren der ausgehängten Protokolle verhindert.
Die Stimmen für Svjatlana Cichanoŭvskaja wurden nicht korrekt gezählt
In den 1310 Wahllokalen, aus denen die Protokolle vorliegen, ist der Stimmanteil von Svjatlana Cichanoŭvskaja um das 13fache höher als in jenen Wahllokalen, die ohne Veröffentlichung des Protokolls Ergebnisse an die Zentrale Wahlkommission weitergeleitet haben.
In diesen 1310 Wahllokalen wurden 81 Prozent jener Stimmen abgegeben, die nach Angaben der Zentralen Wahlkommission insgesamt auf Svjatlana Cichanoŭvskaja entfallen sind: 471 709 von 588 619. Das bedeutet, dass Cichanoŭvskaja in den 4457 Wahllokalen, aus denen keine Protokolle vorliegen, nur 116 910 Stimmen erhalten haben müsste.
In 22,7 Prozent der Wahllokale hätte sie also 81,1 Prozent aller für sie abgegebenen Stimmen erhalten, in 77,3 Prozent der Wahllokale die übrigen 19,9. In den 4457 Wahllokalen ohne Protokolle hätten dementsprechend im Durchschnitt 26 Wähler für Cichanoŭvskaja gestimmt. In den Wahllokalen, aus denen Protokolle vorliegen, stimmten im Durchschnitt 360 Menschen für Cichanoŭvskaja.
Gegen jede Wahrscheinlichkeit
Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission entfielen in Minsk auf Cichanoŭvskaja 126 861 Stimmen in 731 Wahllokalen. Alleine in den 432 Wahllokalen, aus denen die Protokolle vorliegen (59%), hat sie gemäß dieser Protokolle bereits 132 941 Stimmen erhalten.
Ähnliches gilt für das Gebiet Minsk. In allen 993 Wahllokalen des Gebiets haben nach Angaben der Zentralen Wahlkommission 115 304 Wähler für Cichanoŭvskaja gestimmt. Allein in jenen 257 Wahllokalen des Gebiets, aus denen die Protokolle vorliegen (26%), entfielen auf Cichanoŭvskaja 114 553 Stimmen. Dies sind 99,7 Prozent aller Stimmen, die nach Angaben der Zentralen Wahlkommission für sie im Gebiet Minsk abgegeben worden seien. In den übrigen 736 Wahllokalen (74%), aus denen die Protokolle fehlen, wären also nur 0,7 Prozent aller im Gebiet Minsk auf Cichanoŭvskaja entfallenen Stimmen abgegeben worden.
Gesamtresultat falsch
Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission haben 80,1 Prozent der Wähler für Aljaksandr Lukašenka gestimmt. Gemäß den offiziellen Protokollen aus jenen 1310 Wahllokalen, aus denen diese vorliegen, hat Lukašenka 61,7 Prozent der Stimmen erhalten. Um auf das offizielle Gesamtergebnis von 80,1 Prozent zu kommen, müssten in allen übrigen 4457 Wahllokalen im Durchschnitt 88,9 Prozent der Stimmen auf Lukašenka entfallen sein.
Doch auch die 61,7 Prozent aus den offiziellen Protokollen sind nur durch Fälschungen zustandegekommen. Golos hat die Wähler aufgefordert, ihre Stimmzettel vor dem Einwurf in die Urne abzufotografieren. Ein Vergleich der Protokolle mit den eingesandten Fotos der Wahlzettel zeigt, dass in mindestens 400 der 1310 Wahllokale mit offiziellem Protokoll dieses Protokoll falsche Zahlen enthält. Somit sind mindestens 30 Prozent der Protokolle falsch, die Wahlen daher ungültig.
Angaben der Zentralen Wahlkommission falsch
Nach den vorliegenden 1310 offiziellen Protokollen hat Aljaksandr Lukašenka in 1115 Wahllokalen die meisten Stimmen erhalten, Svjatlana Cichanoŭskaja in 195. In diesen 195 Wahllokalen hat sie nach offiziellen Angaben 56,7 Prozent der Stimmen erhalten, Lukašenka 31,3 Prozent. In den 1115 Wahllokalen, in denen er nach den offiziellen Protokollen die Mehrheit erreichte, erhielt er im Durchschnitt 66,6 Prozent der Stimmen, Cichanoŭskaja 20,4 Prozent. In den übrigen 4457 Wahllokalen, für die keine Protokolle vorliegen, wurden 3 942 957 Stimmen abgegeben. Diese verteilen sich nach Angaben der Zentralen Wahlkommission so: 116 910 für Cichanoŭskaja, 3 503 283 für Lukašenka. Cichanoŭskaja hätte also in 4457 Wahllokalen im Durchschnitt nur 2,97 Prozent der Stimmen erhalten, Lukašenka hingegen 88,85%. Die Ergebnisse in den 1310 Wahllokalen, aus denen die Protokolle vorliegen, würden sich also – legt man die Zahlen der Zentralen Wahlkommission zugrunde – fundamental von den Ergebnissen in den übrigen 4457 Wahllokalen unterscheiden.
195 Wahllokale |
1115 Wahllokale |
rechnerische Verteilung in 4457 Wahllokalen ohne veröffentlichtes Protokoll, wenn Lukašenka insgesamt 81,1% der Stimmen erhalten hat |
|
für Cichanoŭskaja |
56,7% |
20,4% |
2,97% |
für Lukašenka |
31,3% |
66,6% |
88,85% |
Eine solche Verteilung ist unmöglich.
Abfotografierte Wahlzettel
1 261 127 Wähler haben sich bei der Organisation Golos registriert. 1 047 933 haben zum Abgleich ihre Telefonnummer angegeben. Golos hat mehr als 550 000 Fotos von Wahlzetteln ausgewertet, die der Organisation bis zum 18. August 2020 zugesandt wurden.
Haben mehr Wähler eines Wahllokals einen abfotografierten Wahlzettel geschickt, auf denen für einen bestimmten Kandidaten gestimmt wurde, als dieser Kandidat laut offiziellem Ergebnis in diesem Wahllokal erhalten hat, sind die offiziell gemeldeten Ergebnisse falsch. Dies ist in 30 Prozent der Wahllokale, aus denen ein offizielles Protokoll vorliegt, der Fall. Für diese Wahllokale lässt sich anhand der Fotos der Wahlzettel belegen, dass Svjatlana Cichanoŭskaja mehr Stimmen erhalten hat, als die Protokolle es ausweisen.
Auf der von Golos eingerichteten Seite partizan-rusults.com sind die Abweichungen zwischen den über Fotos belegten Stimmen und den offiziellen Ergebnissen auf der Ebene der Wahllokale einzusehen.
Die Organisation Zubr hat Informationen über Unregelmäßigkeiten in den Wahllokalen gesammelt. Über 1403 Wahllokale liegen Informationen vor. In 822 Wahllokalen weicht die über abfotografierte Stimmzettel belegte Wahlbeteiligung von der offiziell angegebenen ab. In 817 Wahllokalen wurden offiziell registrierte Wahlbeobachter nicht in die Wahllokale gelassen, in 563 an ihrer Arbeit gehindert. In 705 Wahllokalen wurden Wähler abgewiesen.
Weitere Informationen
Protokolle der lokalen Wahlkommissionen und Fotografien von Wahlzetteln
(leicht gekürzte Fassung, russisches Original hier)
Übersetzung: Volker Weichsel, Berlin