Wir wenden uns kategorisch gegen den Militäreinsatz der Russländischen Föderation auf dem Gebiet der Ukraine

Wir, Absolventen, Studenten, Doktoranden und Mitarbeiter des Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen beim Außenministerium der Russländischen Föderation, die wir diesen Brief unterzeichnen, wenden uns kategorisch gegen den Militäreinsatz der Russländischen Föderation auf dem Gebiet der Ukraine.

Es ist moralisch inakzeptabel, sich nicht einzumischen und zu schweigen, wenn im Nachbarstaat Menschen sterben. Die Schuld an diesem Sterben tragen diejenigen, die den Waffen den Vorzug vor Diplomatie gegeben haben.

Russland hat in seiner Geschichte mehr als einmal die Schwachen verteidigt und unterstützt, selbst wenn dafür ein hoher Preis zu zahlen war. Unsere Staatsmänner haben schwierigste Krisen auf friedliche Weise gelöst, trotz aller ideologischer Differenzen. Wir rufen dazu auf, diese außenpolitische Tradition fortzusetzen: Die Truppen müssen aus der Ukraine abgezogen, die Bombardierung ukrainischer Städte eingestellt und ein aufrichtiger Friedensprozess begonnen werden. Ohne Ultimaten und Aufforderung zur Kapitulation.

Viele von uns haben Freunde und Verwandte in den Gebieten, in denen die Kampfhandlungen stattfinden. Aber der Krieg ist nicht nur in ihre Heimat gekommen, sondern zu jedem von uns. Die Folgen werden noch unsere Kinder und Enkel spüren. Viele Generationen zukünftiger Diplomaten werden damit beschäftigt sein, das verspielte Vertrauen wieder aufzubauen und erneut gute Beziehungen zwischen Russland und seinen Nachbarn herzustellen.

Besonnenheit, kritisches Denken, ein Bewusstsein für die Komplexität globaler Zusammenhänge und Toleranz gegenüber anderen Meinungen – all dies sind zweifellos Eigenschaften, die die Absolventen unserer Hochschule auszeichnen. Doch unsere Toleranz endet bei der Anwendung von Gewalt in einer Situation, in der dies hätte verhindert werden können.

Wir wurden dafür ausgebildet, in einer offenen Welt zu leben und zu arbeiten. Wir haben uns darauf vorbereitet, ein Land zu vertreten, dem die gesamte Welt offen steht – und darauf, dass auch Russland offen für die gesamte Welt ist. In unserem Studium haben wir uns mit diplomatischem Handeln, Völkerrecht und journalistischer Ethik befasst. Man hat uns beigebracht, wie wertvoll internationale Zusammenarbeit und Kulturaustausch sind. Besonderes Gewicht lag dabei stets auf der Bedeutung der Bemühungen zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt.

Das Vorgehen der russländischen Truppen in der Ukraine hat zu einer Situation geführt, in der eine praktische Umsetzung der Werte, die wir uns in unserem Studium angeeignet haben, nicht mehr möglich ist.

Wir, Absolventen, Studenten, Doktoranden und Mitarbeitern des MGIMO, wollen die außenpolitischen Werte verteidigen, die Russland traditionell vertreten hat: Sicherheit, friedliche Kooperation und Dialog. Auch wenn diese Werte gegenwärtig im Widerspruch zur offiziellen Position des Außenministeriums und des gesamten Staates stehen, fürchten wir uns nicht, öffentlich für sie einzutreten.

Aus dem Russischen von Volker Weichsel, Berlin

Am 3.3.2022 hatten 1450 Menschen unterzeichnet, am 5.3.2022 waren es 1534. Anschließend schlossen die Initiatoren die Liste wegen der Gesetzesänderung zur strafrechtlichen Verfolgung angeblicher Falschmeldungen über den Krieg. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner haben überwiegend zwischen 2010 und 2020 an den verschiedenen Fakultäten des MGIMO einen Abschluss in den Bereichen Internationale Beziehungen, Völkerrecht, internationales Wirtschaftsrecht, Journalismus u.a. gemacht. Unter ihnen sind auch einige gegenwärtige Studenten sowie eine größere Zahl von Absolventen früherer Jahre bis zurück in die späten 1970er Jahre.

Quelle: https://docs.google.com/document/d/1uAiGSF97ysGKbzC3-6qDGNb0xb6xjvHcKChsQtx9Af4/mobilebasic