Die Hungersnot in Kazachstan
Historiographische Aufarbeitung im Wandel
Abstract
Die Hungersnot gehörte zu den großen „weißen Flecken“ der sowjetischen Historiographie Kazachstans. Mit der Unabhängigkeit des Staates wurde diese Katastrophe Gegenstand der historischen Forschung – auch als ein nationales Projekt in staatlichem Auftrag. Die Hungersnot wurde lange noch als „Betriebsunfall“ oder als „Verletzung Leninscher Prinzipien“ erklärt. Mit wachsender Distanz zur Sowjetzeit wird sie zunehmend als Folge der gewaltsamen Nivellierungs- und Disziplinierungspolitik des als totalitär verstandenen Stalinschen Systems interpretiert. Zwar diskutieren wie in der Ukraine auch in Kazachstan Historiker und Demographen über Opferzahlen, Dimension und Wirkmächtigkeit der als Katastrophe bzw. Tragödie codierten Ereignisse und ihre Folgen. Diese Debatte steht aber nicht im Zentrum des wissenschaftlichen Diskurses.
(Osteuropa 12/2004, S. 112130)