Titelbild Osteuropa 9-10/2004

Aus Osteuropa 9-10/2004

Handlungsbedarf
Die Energiepolitik der Europäischen Union

Kirsten Westphal

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Abstract

Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit sind die Ziele von Energiepolitik. Die EU beschränkt sich weitgehend auf die ersten beiden und damit auf eine nachfrageorientierte Politik. Sie konzentriert sich auf die interne Dimension der Energiepolitik und vernachlässigt die externe. Die Sicherung der Energieversorgung besteht für die EU primär darin, Lieferverbindungen vor allem für Gas aus Rußland auszubauen. Darin liegt eine Schwäche: Die Bezugsquellen sind zuwenig diversifiziert, die Abhängigkeit von Rußland ist zu groß. Der Grund liegt in der Konzentration auf die Kräfte des Marktes. Energieträger aber sind kein reines Handelsgut, sondern strategisch wichtige Güter, deren Produktion, Handel und Verbrauch geopolitischen Kalkülen unterliegt. Der EU fehlt eine Koordination der Energiepolitik, um strategische Konzeptionen zur Sicherung der Energiever-sorgung zu entwickeln, die auch mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt werden sollten.

(Osteuropa 9-10/2004, S. 39–54)

Volltext

Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit sind die Ziele von Energiepolitik. Die EU beschränkt sich weitgehend auf die ersten beiden und damit auf eine nachfrageorientierte Politik. Sie konzentriert sich auf die interne Dimension der Energiepolitik und vernachlässigt die externe. Die Sicherung der Energieversorgung besteht für die EU primär darin, Lieferverbindungen vor allem für Gas aus Rußland auszubauen. Darin liegt eine Schwäche: Die Bezugsquellen sind zuwenig diversifiziert, die Abhängigkeit von Rußland ist zu groß. Der Grund liegt in der Konzentration auf die Kräfte des Marktes. Energieträger aber sind kein reines Handelsgut, sondern strategisch wichtige Güter, deren Produktion, Handel und Verbrauch geopolitischen Kalkülen unterliegt. Der EU fehlt eine Koordination der Energiepolitik, um strategische Konzeptionen zur Sicherung der Energieversorgung zu entwickeln, die auch mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt werden sollten. Am Beginn der Europäischen Einigung standen zwei Verträge über die Koordination der Energieversorgung. Die Koordination der für die Schwerindustrie zentralen Sektoren Kohle und Stahl wurde mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) als Instrument der Friedenssicherung 1951 festgeschrieben. Auch der Euratom-Vertrag zur friedlichen Entwicklung und Nutzung der Kernenergie bildete ein zentrales Element der Römischen Verträge von 1957. Nach der Suez-Krise sollte der Vertrag nicht nur die Abhängigkeit von Öllieferungen aus dem Nahen Osten reduzieren, sondern auch die Grundlage schaffen, eine eigenständige europäische Position gegenüber den beiden Supermächten zu entwickeln. Dennoch wurde in die Römischen Verträge kein eigenständiges Energiekapitel integriert. Dies war und ist die zentrale Determinante der Energiepolitik in der EU: Die Kompetenzen für Energiepolitik liegen auf nationaler Ebene. Energiepolitische Entscheidungen werden in anderen Politikfeldern getroffen, die sich auf die interne Dimension, also den europäischen Markt, konzentrieren, etwa in der EU-Umwelt-, Forschungs- und Wettbewerbspolitik sowie beim Ausbau transnationaler europäischer Infrastrukturen. Im eigentlichen Kernbereich fehlen der EU die Kompetenzen. Die Mitgliedstaaten wollten in diesem strategischen Feld der Energiepolitik ihre nationale Souveränität behalten. Weder die Ölkrisen der siebziger Jahre noch die Gründung der Europäischen Union änderten etwas an dieser Lage. Selbst in der 1974 von den OECD-Mitgliedstaaten gegründeten Internationalen Energieagentur (IEA) sind noch immer die einzelnen EU-Staaten Mitglieder, trotz eines nun ausgestalteten Energie-Binnenmarktes. Auch der Anti-Krisenmechanismus der IEA, der die Maßnahmen im Fall einer physischen Unterbrechung so koordinieren soll, daß Preissteigerungen die Mitgliedstaaten nicht empfindlich treffen würden, ist für den EU-Raum veraltet, weil er sich noch an den nationalen Gegebenheiten orientiert. Überhaupt schlugen alle Versuche, in die Verträge von Maastricht (1993) und Amsterdam (1997) ein Energiekapitel aufzunehmen, wegen der strukturellen Unterschiede der nationalen Energiemärkte und der divergierenden Interessenlagen der Mitgliedstaaten fehl, obwohl der weitgehend integrierte Binnenmarkt die Situation grundlegend verändert hat. Zunächst war in der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 nicht einmal ein Binnenmarkt für Energie vorgesehen. Er wurde erst 1988 anvisiert, als klar wurde, wie sehr die Gesetzgebung zum Binnenmarkt auch die Energiemärkte beeinflussen würde. Mit der Schaffung des Binnenmarktes wurden der Strom- und der Gasmarkt liberalisiert. Die Strom- und Gasnetze wurden für alle Anbieter geöffnet und ihnen ein Durchleitungsrecht gegeben. Dies war ein erster Schritt in der Privatisierung, Demonopolisierung und Deregulierung, die dann mit der stufenweisen Liberalisierung der Märkte für Strom (1997) und Gas (1998) beschlossen wurden. Die meisten Mitgliedstaaten setzen die Direktiven schneller als vorgesehen um. Die vollständige Liberalisierung des Marktes soll bis 2005, für die privaten Haushalte bis 2007 erfolgen. Die EU verfolgt seit der Festschreibung umweltpolitischer Ziele im Amsterdamer Vertrag das Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien von 5,2 Prozent 1995 auf zwölf Prozent im Jahr 2010 in der EU-15 zu erhöhen. Mit der Liberalisierung wurde es auch möglich, Strom aus erneuerbaren Energien ins Netz einzuspeisen. Mehrere entsprechende EU-Direktiven wurden seit 2000 verabschiedet. Die EU ist Vorreiter beim internationalen Klimaschutz und hat sich mit der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2012 um acht Prozent gegenüber 1990 zu senken. Ein verbindliches Emissionshandelssystem soll im Januar 2005 in Kraft treten. Allerdings klaffen hier Anspruch und Wirklichkeit auseinander, denn nur Großbritannien, Luxemburg und Deutschland haben bisher die klimaschädlichen Emissionen wie vorgesehen reduziert. Auch was den Ausbau erneuerbarer Energien angeht, hinkt die EU den eigenen Zielen hinterher, denn nur Dänemark, Deutschland, Spanien und Finnland sind bei der Umsetzung im Soll. Auf dem Papier definiert die EU, daß neben der Liberalisierung des Energiebinnenmarktes und der nachhaltigen Entwicklung auch die Versorgungssicherheit ein vorrangiges Ziel der Energiepolitik sei. De facto wurden aber in den 1990er Jahren die Liberalisierung des Binnenmarktes und der Umwelt- und Klimaschutz konsequenter verfolgt als die Versorgungssicherheit. Wegen der hohen Abhängigkeit der EU von Energieimporten ist diese externe Dimension von besonderer Bedeutung. Das Weißbuch „Eine Energiepolitik für die Europäische Union“ von 1995 konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Schaffung des Binnenmarktes, die Wettbewerbsfähigkeit und den Schutz der Umwelt. Immerhin findet sich die Formulierung, daß die außenwirtschaftliche Dimension von zentraler Bedeutung sei und daß eine gezielte und koordinierte Politik zur Sicherung der Energieversorgung nötig sei. Erst das Grünbuch der Europäischen Kommission von 2000 „Die Sicherheit der Energieversorgung der Europäischen Union“ bildet eine neue Diskussionsgrundlage. Die wachsende Importabhängigkeit wird vor dem Hintergrund steigender Energienachfrage, Veränderungen im Energiemix und sinkender Eigenproduktion als Herausforderung für die Sicherheit der europäischen Energieversorgung definiert. Als Gefahrenquellen und Schwachstellen für die Energieversorgung werden physische Risiken lang- oder kurzzeitiger Unterbrechung der Energielieferungen, wirtschaftliche und soziale Risiken, die mit den Schwankungen der Weltmarktpreise einhergehen und die wiederum zu einer Erhöhung sozialer Spannungen führen können, sowie das Risiko ökologischer Schäden genannt. Mit der Energieversorgung von außen sind auch geopolitische Risiken wie außenpolitische Erpreßbarkeit verbunden. Obwohl das Grünbuch zu Recht sehr drastisch auf die Gefahr wirtschaftlicher und sozialer Verteilungskonflikte verweist und diese in den möglichen Konsequenzen sogar mit der Getreideknappheit im 19. Jahrhundert vergleicht, konzentrieren sich die in Antwort auf die Risiken entwickelten politischen Prioritäten weitgehend auf die interne Dimension wie die Vollendung des Binnenmarktes, die Besteuerung, Energiesparmaßnahmen und Veränderungen im Energiemix. Um mit der Abhängigkeit von Energieimporten umzugehen, werden oberflächlich der enge Dialog mit Energielieferanten, technische und finanzielle Hilfsprogramme, sowie die Investitionen in den Upstream- und Midstream-Sektor im Ausland genannt. Zwar unterstreicht das Grünbuch die Bedeutung der Energieträger Öl und Gas, die in Zukunft in noch größerem Umfang importiert werden müssen, aber strategische Überlegungen, wie damit umzugehen sei, unterbleiben. Obwohl das Grünbuch damit die brisanten Fragen bereits außen vor läßt, reagierten die Mitgliedsländer abwehrend gegenüber einer als solcher verstandenen, angeblich ausufernden Bürokratisierung und einem Kompetenzübergriff der Europäischen Kommission. Angesichts der wachsenden Abhängigkeit von Energielieferungen aus dem Ausland und der damit verbundenen weitreichenden Risiken ist eine gemeinsame Strategie und Koordinierung jedoch dringend geboten, um die Energiesicherheit der EU zu gewährleisten. DIE EU: GRÖßTER NETTOIMPORTEUR VON ENERGIE Die Europäische Union war bereits mit 15 Mitgliedstaaten der weltweit größte Nettoimporteur von Energie. Mit der Erweiterung vom Mai 2004 hat sich die Importabhängigkeit noch erhöht. Dies stellt besondere Herausforderungen an die Politik zur Sicherung der Energieversorgung in der EU, wo 2004 fast 20 Prozent der Weltölproduktion verbraucht werden. 2002 konsumierte die EU 18 Prozent der Weltölproduktion und 15 Prozent der Weltgasproduktion. Der Energieverbrauch der EU besteht zu vier Fünfteln aus fossilen Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Kohle. Zwei Drittel davon werden importiert. Erdgas und Erdöl sind die wichtigsten primären Energieträger. Der Energiemix in der EU besteht zu 41 Prozent aus Erdöl, 22 Prozent Gas, 16 Prozent Kohle, 15 Prozent Kernenergie und sechs Prozent erneuerbare Energien. Bei der heimischen Energieproduktion machte die Kernenergie mit 28,6 Prozent den größten Anteil aus, gefolgt von Erdgas, Erdöl und Steinkohle, wobei die Anteile an der nationalen Energieproduktion in den einzelnen Mitgliedsländern erheblich variieren. Schon heute bedeutet das eine hohe Abhängigkeit von Erdöl- und Erdgasimporten, die sich in den nächsten Jahren verschärfen wird, da in Großbritannien, den Niederlanden und in Norwegen die Produktion sinkt. Dem steht eine steigende Nachfrage vor allem bei Gas gegenüber. Nach den konservativen Szenarien des Grünbuchs wird der Energiemix auch 2030 von fossilen Brennstoffen dominiert werden und zu 38 Prozent aus Öl, 29 Prozent aus Gas, 19 Prozent aus festen Brennstoffen wie Kohle, acht Prozent aus erneuerbaren Energien und zu sechs Prozent aus Kernenergie bestehen. Die Nachfrage nach Energie wird bis 2020 um knapp 20 Prozent steigen. Die erneuerbaren Energien können die steigende Nachfrage nur zu einem geringen Teil abdecken, wenn sich die Verbrauchsstruktur nicht signifikant verändert. Die Importabhängigkeit von heute 50 Prozent wird bei einem erwarteten Wachstum von zwei Prozent künftig auf 70 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs und auf 90 Prozent bei Erdöl und auf 70 Prozent bei Erdgas bis 2020 steigen. Da die Reserven des wichtigsten Energieträgers Öl in der EU und der OECD schrumpfen und die Produktion abnehmen wird, wird sich die Ölproduktion in anderen Regionen wie dem Nahen Osten, Rußland und dem Kaspischen Raum konzentrieren. Dabei sind die Steigerungen im Kaspischen Raum für Europa interessant, denn sie könnten in etwa den Rückgang der europäischen Produktion ausgleichen. Die weltweit steigende Nachfrage kann aber nur durch die Länder des Nahen Ostens gesättigt werden, wo 65 Prozent der Weltölreserven liegen und mit einer R/P Ratio von 92 Jahren ausgewiesen werden. Um die Nachfrage aber zu erfüllen, müßten die Golfstaaten der OPEC ihre Produktion bis 2030 verzweieinhalbfachen und ihren Anteil an der Weltproduktion von 28 Prozent auf 43 Prozent hochfahren. Damit würde sich aber auch die errechnete Dauer der Reserven signifikant reduzieren. Schon heute kommen die Ölimporte der EU-15 zu 51 Prozent aus den OPEC-Staaten und damit zu rund 40 Prozent aus dem Nahen Osten, zu 21 Prozent aus Norwegen, zu 21 Prozent aus der GUS, vor allem aus Rußland, und zu acht Prozent aus anderen Quellen. 2004 dürfte der Anteil aus Rußland für die EU-25 noch steigen. Der Gasmarkt ist regional strukturiert, da Gas zumindest kostengünstig leitungsgebunden über Pipelines transportiert werden muß. Der flexiblere Transport von Flüssiggas ist ungefähr doppelt so teurer. Die benötigte Infrastruktur verlangt hohe Investitionen, was wiederum dazu führt, daß sich der Verbrauch des relativ jungen Energieträgers Gas hauptsächlich auf die reichen Industriestaaten Nordamerika und Europas sowie auf Rußland konzentriert. Die EU ist dabei in einer vorteilhaften Position, denn 80 Prozent der Weltreserven lagern in einem Umkreis von 5000 km. In Europa lagern 4,5 Prozent der Erdgasreserven. 30,5 Prozent der Weltreserven befinden sich in Rußland, 4,2 Prozent in Zentralasien, 36 Prozent im Nahen Osten und 7,6 Prozent in Afrika. Schon heute kommen die Gasimporte der EU-15 zu 41 Prozent aus Rußland, zu 29 Prozent aus Algerien, zu 25 Prozent aus Norwegen und zu fünf Prozent aus anderen Bezugsquellen. Auch hier dürfte 2004 der Anteil der rußländischen Gaslieferungen steigen, denn Rußland liefert den neuen Mitgliedsländern zwischen 74 und 100 Prozent ihrer Gasimporte. Für die künftige Erdöl- und Erdgasversorgung der EU wird die sogenannte strategische Ellipse eine zentrale Rolle spielen, die Westsibirien, den Kaspischen Raum, Zentralasien und den Persischen Golf umfaßt. Das stellt besondere Herausforderungen an die Politik zur Sicherung der Energieversorgung: Mit der Ausnahme Westsibiriens ist die politische, gesellschaftliche und ökonomische Situation in den Regionen instabil oder erodiert zunehmend, womit sich nicht nur enge energie- und handelspolitische, sondern auch außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen an die Energieversorgungspolitik stellen. Die Staaten entziehen sich zudem einem multilateralen ordnungsrechtlichen und ordnungspolitischen Rahmen. Kein Staat der Ellipse ist Mitglied der WTO und deren Handelsregeln unterworfen. In Zentralasien dominieren autoritäre Regime, in denen der Energiesektor einen hohen Prozentsatz der Staatseinnahmen generiert. Die (politische) Rolle des Islam ist hier keineswegs abschließend definiert. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 ist außerdem deutlich geworden, daß selbst Saudi-Arabien, bislang verläßlicher Swing Supplier in der OPEC, nicht mehr uneingeschränkt als Alliierter des Westens gesehen werden kann. Der Krieg gegen das Saddam-Regime im Irak und der verschärfte Israel-Palästina-Konflikt haben die Kluft zwischen den Industriestaaten des Westens und der islamischen Welt weiter vergrößert, in der 90 Prozent der Erdölreserven lagern. Die jüngsten Preissteigerungen bei Rohöl reflektieren nicht nur Krisenerscheinungen im Bereich der Energieversorgung , sondern auch eine wachsende Nachfrage aus der EU und dem OECD-Raum, vor allem von China und Indien. Damit entsteht eine zunehmende Konkurrenz unter den Verbraucherländern. Wie diese kooperativ zu bearbeiten ist, stellt die EU in ihrer Energiepolitik vor eine weitere große Herausforderung. DEFIZITE IN RISIKOREDUZIERUNG UND KRISENMANAGEMENT Bislang hat die EU die Energiesicherheit vernachlässigt. Angesichts der einseitigen Ausrichtung auf Rußland als Energielieferant und der wachsenden relativen Konzentration der Energiereserven in instabilen Regionen schafft dies einen dringenden politischen Nachholbedarf. Generell ist die Sicherung der Energieversorgung eine zentrale außenwirtschaftliche und sicherheitspolitische Zielsetzung von Staaten. Für den Grad der Verwundbarkeit ist relevant, inwieweit Staaten oder Staatengruppen von einer signifikanten Unterbrechung der Energieversorgung bedroht werden. Energie stellt einen eigenen Produktionsfaktor dar. Energiepreise beeinflussen erheblich die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft. Rußland ist der Hauptenergielieferant der EU und deckte 44 Prozent der Gasimporte und 18 Prozent der Ölimporte der EU-15. Das waren für Gas 19 Prozent und für Öl 16 Prozent des Gesamtverbrauchs. In der EU-27 wäre der Anteil von Gas aus Rußland mit 26 Prozent am Gesamtverbrauch noch höher. Ähnliches dürfte für Öl gelten. Im Vergleich zu anderen Ländern der Ellipse ist Rußland zwar ein Hort der Stabilität. Die EU konzentriert sich außerdem auf einen Partner, mit dem seit über 30 Jahren Erdgaslieferbeziehungen bestehen. Gleichzeitig werden aber entscheidende Risiken vernachlässigt. Zum einen bestehen physische Risiken von Lieferunterbrechungen und -schwierigkeiten, da Rußland seine Lieferbeziehungen auch mit anderen Energiekonsumenten wie den USA, Japan und China konsequent ausbaut. Nach der rußländischen Energiestrategie vom August 2003 sollen die Gasexporte in die EU bis 2020 nur um 23 Prozent steigen. Angesichts des wachsenden Erdgasbedarfs Europas, der im September 2000 im sogenannten Prodi-Plan thematisiert wurde, wo von einer Verdoppelung der Gasimporte aus Rußland die Rede ist, wird eine Kluft in den langfristigen Planungen zwischen dem Konsumenten EU und dem Hauptlieferanten Rußland deutlich. Dies hat Auswirkungen auf die Energielieferungsbeziehungen mit der EU. Rußland stärkt seine Position, da es im Gegensatz zur EU seine Abhängigkeit vom großen Kunden durch den Ausbau anderer Lieferbeziehungen reduziert und damit einen größeren Spielraum in der Preisgestaltung gewinnen kann. Überdies ist die Frage berechtigt, ob Rußland künftig überhaupt in der Lage sein wird, seine Lieferverpflichtungen zu erfüllen. Zum anderen birgt die Konzentration auf den Energielieferanten Rußland auch wirtschaftliche, soziale und politische Risiken, die mit möglichen Preiserhöhungen und wachsender Anfälligkeit für außenpolitischen Druck einhergehen könnten. Da die EU in ihrer Gasversorgung stark von Rußland abhängt, während Rußland sein Gas an mehrere Kunden verkauft, ergibt sich eine erhebliche Asymmetrie in der Abhängigkeitsbeziehung. Die EU unterhält mit Rußland seit Oktober 2000 einen Energiedialog, der vor allem dazu dient, Rußlands zentrale Rolle als Gas- und Öllieferant zu unterstreichen, Energieimporte zu erhöhen und die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Lieferungen zu erreichen. Die EU verfolgt damit das Ziel, die Handelsströme zu steuern und die Gegensätzlichkeiten der unterschiedlich strukturierten Märkte zu überwinden und somit einen integrierten Energiemarkt aufzubauen. Dieser integrierte Energiemarkt soll nach EU-Vorstellungen einen politischen Ordnungsraum bilden, der auf international gültigem Recht basieren soll. Hierin liegt die Crux: Während in der EU ein fast liberalisierter Markt herrscht, ist der rußländische Energiesektor weitgehend staatlich reguliert. Insbesondere der für die EU wichtige Gasmarkt wird vom staatlich kontrollierten Monopolisten Gazprom dominiert. Der Energiedialog mit Rußland wurde begonnen, um die Nicht-Ratifizierung des Energiecharta-Vertrags durch die rußländische Staatsduma zu kompensieren. Einer Ratifizierung stand schon damals die Monopolstellung Gazproms als exklusiver Gaslieferant für Europa entgegen. Die rußländische Staatsduma folgte der Argumentation Gazproms, daß eine Ratifizierung des Energiecharta-Vertrags den rußländischen Interessen entgegenstehen würde. Ursprünglich war die Europäische Energiecharta von der EU initiiert worden, um den Energiehandel zwischen Ost und West nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu verregeln. Diese Energiecharta war 1990 vom niederländischen Ministerpräsidenten, Ruud Lubbers, beim Rat der Europäischen Staats- und Regierungschefs in Dublin vorgeschlagen und im Dezember 1991 unterzeichnet worden. Auf dieser Basis wurde dann der Energiecharta-Vertrag ausgehandelt. Im Dezember 1994 unterzeichnet, trat er 1998 in Kraft. Heute sind 51 europäische und asiatische Staaten Mitglieder, darunter die EU, alle ost- und ostmitteleuropäischen Staaten, die zentralasiatischen und die kaukasischen Staaten sowie Japan und Australien. Der Energiecharta-Vertrag ist ein bindendes internationales Vertragswerk und damit ein zentrales Element multilateraler Steuerung des internationalen Energiehandels. Das fundamentale Ziel ist es, die Verrechtlichung von Energiefragen voranzutreiben und eine gleiche Ausgangsbasis für alle beteiligten Akteure für marktwirtschaftliches Handeln zu schaffen, die von den teilnehmenden Regierungen gewährleistet werden soll. Der Energiecharta-Vertrag ist das erste multilaterale und bindende Abkommen im Energiesektor, um Investitionen zu schützen, das erste multilaterale Abkommen, das sowohl Handel, als auch Investitionen abdeckt, das erste Abkommen, das Transitregeln für Energietransportnetze aufstellt und der erste multilaterale Vertrag, der einen bindenden Streitschlichtungsmechanismus bereitstellt. Damit umfaßt der Energiecharta-Vertrag die wichtigsten Tätigkeitsfelder wie den Energietransit, Investitionen im Energiesektor, den Energiehandel sowie im Protokoll Fragen der Energieeffizienz und mit dem Energiehandel verwandte Umweltaspekte. Die Wirksamkeit des Energiecharta-Vertrags zur Sicherung der Energieversorgung der EU wird dadurch stark eingeschränkt, daß der größte Energielieferant – Rußland – den Vertrag nicht ratifiziert hat. Das eigentliche Ziel der EU, einen integrierten und liberalisierten Energiemarkt, der auf einem internationalen Rechts- und Ordnungsraum beruht, wurde damit nicht erreicht. Was die Gestaltung der internationalen Beziehungen angeht, klaffen die Positionen der EU und Rußlands auseinander. Auch auf dem Gipfel Ende Mai 2004 zwischen der EU und Rußland zum Beitritt Rußlands zur WTO hat die EU Rußland konkrete Zugeständnisse gemacht. Die EU-Forderung, den rußländischen Gasmarkt zu liberalisieren, wurde auf die Verpflichtung Rußlands reduziert, den Inlandsgaspreis für industrielle Verwender langsam und schrittweise anzuheben. Zudem beschränkte sich Rußland, dem eine Schlüsselrolle für das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls zukommt, abermals auf die generelle Aussage, die Ratifizierung des Protokolls zu prüfen. Schon im Vorfeld hatte sich eine Abkehr der EU von der Forderung, Rußlands Gasmarkt zu liberalisieren und für ausländische Unternehmen zu öffnen, abgezeichnet, um Rußland dazu zu bewegen, der Übertragung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens auf die zehn neuen EU-Mitgliedsländer zuzustimmen. Damit steht die EU bei der Energiepolitik vor der paradoxen Situation, daß ihre wichtigsten multilateral angelegten Projekte im Energiebereich, der Energiecharta-Vertrag und das Kyoto-Protokoll, vom zentralen Energiepartner Rußland blockiert werden. Nicht nur die Vorstellungen der beiden Partner über internationale Ordnungspolitik gehen auseinander, sondern auch die eingesetzten Instrumente. Die Energiepolitik der EU weist ein strategisches Defizit auf. Die EU beschränkt sich auf ihr bekanntes Handlungsmuster, das auf die Kräfte des Marktes und des internationalen Rechts setzt, um Stabilität und Sicherheit Vorschub zu leisten. Die EU folgt dem Muster, den Raum ihrer Wirtschafts- und Handelsbeziehungen konzentrisch auszuweiten und mit der Erweiterung der Wirtschaftsaktivitäten auch ihre Normen, Regeln und Richtlinien in die Nachbarländer zu exportieren. Die Erweiterung der EU ist dafür ein prominentes Beispiel. Die Risiken einer externen Energieversorgung können zwar mit einer Verrechtlichung und einer Liberalisierung abgemildert werden, doch hängt die Wirksamkeit sowohl von der Entfaltung der Marktkräfte als auch von der internationalen Durchsetzung und Anwendung der Rechtsnormen ab. AMBIVALENZEN ZWISCHEN MARKT UND GEOPOLITIK Zwar ist jeder Schritt zur Schaffung eines auf internationaler Ebene funktionierenden Angebots- und Wettbewerbsmarktes ein Beitrag zur Versorgungssicherheit, aber die energiepolitischen Ansätze der EU, die auf die Marktkräfte bauen, greifen wegen der unvollkommenen Wettbewerbsstrukturen, der unterschiedlich strukturierten Märkte, vor allem aber wegen des fehlenden oder allenfalls punktuell entwickelten internationalen rechtlichen Ordnungsrahmens zu kurz. Energieträger werden nicht nur als kommerzielle, sondern als strategisch wichtige Güter gehandelt. Ihre Produktion, der Handel und Transport unterliegen geo- und machtpolitischen Ambitionen und Handlungskalkülen. Wichtige staatliche Akteure auf den Energiemärkten entziehen sich einer wie von der EU angestrebten multilateralen Verregelung und Liberalisierung, da sie ihre strategischen und materiellen Interessen auf anderem Weg verfolgen. Ein Blick auf die Erdgashandelsbeziehungen im Dreieck EU-Rußland-Zentral-asien/Kaspische Region macht deutlich, daß die physischen Gegebenheiten kombiniert werden mit macht- und geopolitischen Überlegungen, die Hand in Hand gehen mit dem Erhalt und Ausbau günstiger Marktpositionen. Die Energiebeziehungen zwischen der EU und Rußland nennen sich zwar strategische Partnerschaft, aber von europäischer Seite fehlt es an einer umfassenden Strategie zur Energiesicherheit, denn sie baut in zu großem Maße auf die Gaslieferungen aus Rußland und vernachlässigt dabei, daß Rußland seinerseits strategisch vorgeht und eine konsequente Diversifizierung der Energielieferungen anstrebt. Auf der anderen Seite hat Rußland seine Stellung als Hauptlieferant Europas gefestigt. Über das Fehlen einer klaren EU-Strategie, die über die Steigerung von Importen aus Rußland hinausgeht, und mit der Beschränkung auf Initiativen zur multilateralen rechtlichen und marktwirtschaftlichen Gestaltung des Energiemarktes zwischen der EU und Rußland oder eines eurasischen Energiemarktes hat die EU eine geopolitisch motivierte Gestaltung des zentralasiatischen Raumes noch gefördert. Rußland hat den Energiecharta-Vertrag nicht ratifiziert, da es von Beginn an den kommenden Wettbewerb um Anteile, vor allem auf dem Gasmarkt der EU, vorausgesehen hat. Gazprom diente bei der Gestaltung eines von rußländischen Interessen strukturierten und dominierten Energie-„Marktes“ als wichtiges außenwirtschaftliches und -politisches Instrument. Denn Gazprom ist ein starker politischer und wirtschaftlicher Akteur, der auf den westlichen Märkten als multinationaler globalisierter Akteur agiert, aber in Rußland eine protektionierte Monopolstellung genießt. Die zentralasiatischen und kaspischen Gasproduzenten sind vom Pipelinenetz der Gazprom abhängig. Rußland ist nicht nur ein wichtiger Exporteur, sondern auch ein wichtiges Transitland für den europäischen Markt. Die zentralasiatischen Gasproduzenten können Gas außerhalb der eigenen Märkte gewinnbringend nur nach Rußland verkaufen oder durch Rußland exportieren. Rußland hat über diese Politik, das Transitprotokoll des Energievertrages nicht zu akzeptieren, auch seinen Einfluß in der Region bewahren können, indem es bestehende Abhängigkeiten instrumentalisiert hat. Gazprom hat diese Stellung für hohe Windfall-Profite genutzt, indem zentralasiatisches Gas zu niedrigen Preisen für den rußländischen Markt abgekauft und dadurch freiwerdendes eigenes Gas zu höheren Preisen nach Europa exportiert wurde. Das zentralasiatische Gas kann außerdem über die im Dezember 2002 eröffnete Pipeline Goluboj potok („Blauer Strom“), die auf dem Boden des Schwarzen Meeres verläuft, von Rußland in die Türkei weiterverkauft werden. Um diese vorteilhafte Stellung zu erhalten und neben den zentralasiatischen und kaspischen Staaten auch den Iran als Konkurrenten außen vor zu halten, schlug Putin 2002 vor, eine „eurasische Gas-Allianz“ zwischen Rußland, Kazachstan und Turkmenistan zu gründen. Diese häufig als „Gas-OPEC“ bezeichnete Allianz wurde de facto dank der guten Verhandlungsposition Rußlands mit dem Abschluß bilateraler langfristiger Lieferverträge realisiert. Die Tatsache, daß auch die wichtigsten Ölpipelines aus dem Kaspischen Raum über rußländisches Territorium führten und vom staatlich kontrollierten Pipeline-Monopolisten Transneft’ betrieben wurden, gab der rußländischen Politik nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepubliken in den 1990er Jahren ebenso ein politisches Druckmittel an die Hand wie der schwebende rechtliche Status des Kaspischen Meeres. Während Moskau einige wenige sogenannte Produktionsteilungsabkommen im Öl- und im Gassektor in Rußland und Direktinvestitionen aus dem Ausland in diesem Sektor, der als „vitales nationales Interesse“ definiert wurde, nur bedingt zuließ, haben rußländische Firmen im postsowjetischen Raum investiert und sind an den meisten Konsortien im kaspischen Raum beteiligt. Rußland hat seinen Einfluß in der Region und seine Stellung als wichtigstes Transitland weitgehend bewahrt, insbesondere nach seinem Schulterschluß mit den USA im „Kampf gegen den Terror“. Diese Ausführungen zeigen zweierlei. Zunächst sind sie ein Beispiel dafür, daß der Handel von Öl und Gas nur eingeschränkt der marktwirtschaftlichen Logik folgt, weil er vielmehr machtpolitischen und geostrategischen Überlegungen untergeordnet wird. Das bedeutet, daß der EU-Ansatz, der stark auf die Marktkräfte, einen liberalisierten Handel und internationales Recht zur Sicherung der Energieversorgung setzt, höchstens partiell funktionieren kann. Die jüngsten Entwicklungen in Rußland zeigen, daß der staatliche Einfluß von zentraler Bedeutung bleibt und im Öl- und Gassektor wieder wächst. Dies betrifft nicht nur den konsequenten Schutz der Monopolisten Gazprom und Transneft’, sondern auch die grundsätzliche Einflußnahme auf Exportgeschäfte. Die Festnahme des Jukos-Chefs Michail Chodorkovskij, der Teile an US-Firmen verkaufen wollte und Pipelines außerhalb des Transneft’-Netzes plante, liefert dafür ein ebenso beredtes Beispiel wie die Überprüfung der Sachalin-3-Konzession, welche die Weiterbeteiligung der US-amerikanischen ExxonMobil in Frage stellt. Neben Rußland begreifen auch die USA als größter Energiekonsument die Energiepolitik als Teil ihrer Außen- und Sicherheitspolitik. Der Umgang mit ihrer Abhängigkeit von Energieimporten umfaßt außenwirtschaftliche und handelspolitische Instrumente wie die Nordamerikanische Freihandelszone und die vor dem Abschluß stehenden Verhandlungen über eine Freihandelszone der beiden Amerikas, die beide nicht nur eine energiepolitische, sondern auch eine klare geostrategische Komponente haben. Die USA bauen außerdem auf die potentielle Sicherung von Produktionsstätten und Transportrouten von Energie mit militärischen Mitteln. Dieses potentielle militärische Krisenmanagement der USA zeigt sich an den Militärbasen, die entlang der schon erwähnten strategischen Ellipse in Zentralasien und im Nahen Osten sowie in den energiereichen Regionen Südamerikas und Westafrikas unterhalten werden. Vor allem aber haben die USA eine konsequente Strategie der Diversifizierung ihrer Bezugsquellen und -routen betrieben, im klaren Gegensatz zur EU, die hier strukturelle Schwächen aufweist. Diversifizierung verlangt eine klare Strategie und ist neben der Preisstabilität und der Wirtschaftlichkeit ein wichtiges Element der Energiesicherheit. Die strategische Energiepartnerschaft mit Rußland erfüllt nur eine Dimension dieser Diversifizierung. Die Substitution von Kohle und Öl durch saubereres Gas ist zwar ein Schritt, den Energiemix zu diversifizieren, aber Diversifizierung bedeutet auch, die Energie bzw. die einzelnen Energieträger jeweils aus unterschiedlichen Ländern zu beziehen. Entscheidungen für Transportnetze erfolgen in einem langfristigen Zeitrahmen und erfordern hohe „gesunkene Investitionskosten“. Die EU ist Rußland in dieser Frage entgegengekommen, indem sie Langzeitverträge akzeptiert, die eine Amortisierung der hohen Investitionen garantieren. Pipelines legen Versorgungsstrukturen langfristig fest. Deswegen ist es um so mehr ein Problem, daß die von der EU anvisierten Großprojekte wie der Ausbau der Jamal-Pipeline oder die Nordische Transeuropäische Pipeline sich auf Rußland konzentrieren. Das einzige alternative Transportprojekt, das die Kaspische Region an den Europäischen Markt anbinden könnte, die Baku–Ceyhan-Ölpipeline von Baku durch Georgien an den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan, wurde lange und konsequent von der US-Regierung betrieben. Die EU hat es versäumt, durch eine klare strategische Entscheidung für eine alternative Transportroute aus dem kaspischen Raum zu agieren und damit die eigene Abhängigkeit von Rußland zu reduzieren. Diversifizierung der Lieferbeziehungen ist nicht nur ein Gebot für die Energiesicherheit der EU, sondern auch für das Funktionieren des liberalisierten Energiemarktes der EU, da die zu hohe Abhängigkeit von einem Lieferanten allein im Hinblick auf die Preisgestaltung Probleme aufwirft. Der Markt lebt von Konkurrenz, so daß ein Netz von Energielieferbeziehungen aufgebaut werden muß, um den Marktkräften über Wettbewerb und kompetitive Preisbildung zur Durchsetzung zu verhelfen. Die EU-Initiativen, die auf Marktkräfte und Rechtsgeltung aufbauen, greifen zu kurz, da Diversifizierung nicht allein von Marktkräften geleistet werden kann, denn Firmen tendieren schon aus ihrer Shareholder-value-Logik dazu, kurz- und mittelfristige Gewinne zu suchen und Aktivitäten in bekannten Märkten auszuweiten. Gemeinsame außen- und sicherheitspolitische Konzepte, um andere energiereiche Regionen an die EU anzubinden, wären nötig. Die Energieversorgung lebt von langfristigen Investitionszyklen. Die Planung von Infrastrukturprojekten wie Pipelines und Öl- oder Flüssiggasterminals erfordert verläßliche, stabile Rahmenbedingungen, die bisher in der Region der strategischen Ellipse faktisch nicht gegeben sind. Aber die Schwäche der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik schlägt sich auch in der Energiepolitik nieder. Seit 2002 scheint die Diskussion in der EU und den Mitgliedstaaten über eine verstärkte Koordinierung der Energieversorgungspolitiken zu greifen. Zumindest in Gemeinschaftsorganen wie der Kommission wächst die Einsicht, daß der gemeinsame Binnenmarkt eine neue Lage geschaffen hat, die auch einen neuen Zugang zum Problem der Energiesicherheit erfordert. Auch die Sicherheitsstrategie Javier Solanas spricht von der Energieversorgungssicherheit als besonderer Herausforderung. Ein wichtiger Schritt ist gemacht, denn der Entwurf für die Europäische Verfassung enthält nun ein – wenn auch knappes – Kapitel über die Energiepolitik, die als Politikfeld von gemischter Kompetenz definiert wird. Allerdings wurden die ursprüngliche Version etwas verwässert und die Position der Mitgliedstaaten auch durch das Einstimmigkeitsprinzip entscheidend gestärkt. Großbritannien fürchtete einen Zugriff in Krisenzeiten auf die Reserven der Nordsee. Die Energiepolitik ist zwar ein Stiefkind in der EU, in vielen Mitgliedstaaten jedoch eben ein Lieblingskind. Unter den Energieproduzenten wie den Niederlanden, Großbritannien oder Deutschland mit der Kohleindustrie hat Energiepolitik höchste Priorität. In Frankreich sind die Energiekonzerne immer noch wichtige staatliche und halbstaatliche Betriebe. Aus diesen Gründen wird nationale Souveränität in einem strategisch wichtigen Politikfeld ungern aufgegeben. Was bisher eine Koordinierung der Energieversorgungspolitik verhindert hat, sind also unterschiedliche Politikpräferenzen und fehlendes gemeinsames Interesse, die sich aus den strukturellen Unterschieden der einzelnen Mitgliedstaaten erklären lassen. Außerdem herrscht Uneinigkeit über die Kernenergie, deren Proliferations- und Entsorgungsrisiko unterschiedlich bewertet wird und die im Energiemix der Mitgliedstaaten unterschiedlich hohe Anteile hat. Während einzelne Mitgliedstaaten den Ausstieg aus der Kernenergie gemacht haben, bauen andere Staaten ihre Kapazitäten aus. Generell tendierten energiearme Mitgliedstaaten wie Belgien oder Spanien eher zu einer Koordination auf EU-Ebene als energiereiche Mitglieder. Gleichzeitig hat Großbritannien jedoch früh seine Märkte liberalisiert, während Frankreich an der staatlichen Regulierung festhielt. Außerdem tendieren Mitgliedsländer mit starken Global Players wie Royal Dutch, Shell, BP, TotalFinaElf, die über Eigentums- und Verfügungsrechte mit dem Staat verbunden sind oder zumindest waren, dazu, diesen Firmen über nationale Energiepolitiken exklusive und partikulare Vorteile und Marktzugänge zu wahren. PERSPEKTIVEN UND HANDLUNGSBEDARF Wenn auch das negative Außenhandelssaldo mit Blick auf die Energieimporte wegen der wirtschaftlichen Stärke und der Marktmacht der Europäischen Union als Exporteur nicht beunruhigend ist, können die Strukturen der Energieimporte der EU zu einem Problem werden, denn die EU ist hierüber verwundbar, und das in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. Das stellt besondere Forderungen an eine künftige EU-Politik. Erstens muß die EU weiterhin konsequent den Klima- und Umweltschutz vorantreiben. Der Ausbau erneuerbarer Energien dient der Energieversorgungssicherheit und der Klimapolitik gleichermaßen, da er die Abhängigkeit reduziert. Dazu muß eine politische Entscheidung getroffen werden, wie die fossilen Brennstoffe durch saubere Energieträger ersetzt und effizientere Technologien politisch forciert werden können. Die hohen Energiepreise sollten einer konsequenten Strategie zum Ausbau der Energieversorgung unter Klimaschutzgesichtspunkten Vorschub leisten, denn die Preise für technologisch anspruchvolle erneuerbare Energien haben sich vergleichsweise verbilligt, so daß ordnungsrechtliche Vorgaben nun auch mit dem Argument der Wirtschaftlichkeit zu vertreten sind. Zweitens sind multilaterale Verträge wie der Energiecharta-Vertrag wichtig, um den Energiehandel gerechter zu gestalten, denn mit der wachsenden Nachfrage und Verknappung billiger Energien können internationale Spannungen entstehen. Um den Energiebedarf zu decken, werden hohe Investitionen nötig sein. Deswegen muß ein klarer gesetzlicher Rahmen für Investitionen durchgesetzt werden. Dabei schafft ein multilateraler Rahmen allgemein gültige Regeln sowie mehr Transparenz. Es muß daher Ziel der EU als größtem Nettoimporteur von Energie sein, weiter für die Durchsetzung eines (ausgeweiteten) multilateralen Vertragswerkes zu agieren, das für die Produktion, den Transport und den Handel von Energie allgemeingültige Standards, Vertragsbestimmungen und Richtlinien setzt. Auch hierbei sind die USA und Rußland zentrale Akteure, die für ein solches Vertragswerk gewonnen werden müssen. Die EU muß drittens die Diversifizierung als eines der klassischen Ziele der Energiepolitik umsetzen. Dazu sind zum einen Infrastrukturentscheidungen nötig, wie sie in einem Kommissionspapier vom Mai 2003 für den Elektrizitäts- und den Gasmarkt vorgeschlagen werden. Vorrangiges Ziel muß es sein, über Transportnetze den kaspischen und zentralasiatischen Raum, den Iran eingeschlossen, als Brücke in die Golfregion, sowie Nordafrika und Nigeria an den Europäischen Markt stärker anzubinden. Mit diesen wichtigen Ländern sollte ebenfalls ein Energiedialog nach europäisch-rußländischem Vorbild initiiert werden. Außerdem müssen Hafenanlagen im Schwarzmeer- und Mittelmeerraum ausgebaut werden, die auch die Möglichkeit bieten, Flüssiggas zu transportieren. Dazu bedarf es einer intensiveren Infrastrukturplanung in Südosteuropa und im Schwarzmeerraum, welche die Nordische Dimension der Strom- und Gasleitungen aus Rußland und Norwegen ergänzt. Insbesondere bedarf es aber einer Konzeption, die der Türkei als bedeutenden Energiekorridor aus dem Kaspischen Raum, Zentralasien und über den Iran auch aus der Golfregion nach Europa Rechnung trägt. Rußland bleibt auf Dauer zwar der wichtigste Energielieferant. Doch mit dem liberalisierten Binnenmarkt und aufgrund ihrer günstigen geographischen Lage bietet sich der EU so die Chance, einen Teil ihrer Gasversorgung auf dem freien Markt abzudecken und den Bezug zu diversifizieren. Hier wird deutlich, daß die EU einen Konsens zur Ausgestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erarbeiten muß, um diese Strukturprojekte nicht nur voranzutreiben, sondern auch zu flankieren. Denn viertens muß an einem politischen Konzept gearbeitet werden, das zur inneren Stabilität in den Lieferländern beitragen kann. Dabei geht es um die Golfregion, die Kaspische Region, aber auch um den Maghreb und die westafrikanischen Staaten. In den meisten Lieferländern geht bad governance in der Politik Hand in Hand mit schlechtem Wirtschaftsmanagement. Gemeinsam mit multinationalen Unternehmen und NGOs sind stärkere Anstrengungen nötig, um die Lebenssituation der Menschen in den Fördergebieten zu verbessern. Auch in diesem Sinne muß nachhaltige Entwicklung ein Hauptbezugspunkt der Energiepolitik werden. Eine solche Politik, die dem beschriebenen Ansatz der EU folgt, durch die Ausweitung von Wirtschaftsaktivitäten und Rechtsnormen Stabilität zu schaffen, verspricht langfristig mehr Erfolg als die Verlegung von Truppen und die Ausübung von Kontrolle durch die USA, was Widerstand und Abwehrreaktionen gerade in islamischen Ländern hervorruft. Wie das Erdgasröhrengeschäft zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren demonstriert, können Energiebeziehungen zur Vertrauensbildung genutzt werden, denn Energiebeziehungen verlangen ein Mindestmaß an Kooperation und Abstimmung. Deswegen ist fünftens die EU gefordert, ihre Instrumente in der Energiepolitik zu erweitern. Auf die externe Abhängigkeit von Energielieferungen sollte mit einem Mix aus außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen, rechtlicher Rahmengebung und außenwirtschaftlichen Entscheidungen reagiert werden. Dazu sollten die Mitgliedsländer ihre Energiepolitik nicht nur stärker koordinieren, sondern der EU auch Kompetenzen übertragen. Energiepolitik sollte zu einem Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werden. Dies erfordert eine konzeptionelle Fortschreibung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik für die energiereichen Regionen. Die bisher graduell und selektiv entwickelte GASP muß daher der Ausweitung der konzentrischen Kreise nachfolgen und Konzeptionen auch für entferntere Regionen entwickeln, die über die Nachbarschaftspolitik des Wider Europe-Konzepts hinausgehen, um dort Rechtsnormen und Stabilität zur Durchsetzung zu verhelfen. Die wirtschaftlichen Risiken des Energiehandels können mit einer Liberalisierung des Marktes und des Energiehandels reduziert werden. Die politischen, physischen und sozialen Risiken verlangen nach einer außen- und sicherheitspolitischen Konzeption, die im kleinsten Kern die EU umfassen muß, aber nach anderen Partnern für ein multilaterales Herangehen suchen sollte. Die internationalen Energiebeziehungen sollten angesichts der ökologischen Folgen des Energieverbrauchs, des 11. September 2001 und der Folgen des Irak-Krieges nicht von traditioneller Geopolitik, nationalen Interessen und strategischen Great Games dominiert werden, sondern von einer Politik, welche die mit der Produktion, dem Handel und dem Verrauch von Energie verbundenen Fragen mit nachhaltiger Entwicklung, good governance und sozialer Gerechtigkeit verbindet. Die EU ist gefordert, sowohl ihre Anstrengungen in der Klima- und Umweltpolitik, der Effizienzsteigerung auf dem Binnenmarkt und beim Aufbau eines multilateralen und kooperativen Ordnungsrahmens fortzuführen. Gleichzeitig muß die EU die Energiekomponente in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik stärken, um ihre Instrumentarien in den internationalen Energiebeziehungen zu erweitern.

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