Titelbild Osteuropa 10/2005

Aus Osteuropa 10/2005

Kulturscheide
Bekenntnisse eines Unpolitischen

Michał Witkowski

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Abstract in English

Abstract

Die polnische Gesellschaft ist kulturell tief gespalten. Das links-liberale Milieu, das Emanzipation und Freizügigkeit lebt, hat nicht einmal eine politische Vertretung. Auch die bei den Wahlen schwer geschlagene postkommunistische Linke ist alles andere als libertär. Das nationalkatholische rechte Milieu hingegen versucht, seine prüden Sitten der gesamten Gesellschaft aufzuzwingen, und setzt homosexuelle Liebe mit Pädophilie gleich. Dieses Lager hat einen Sieg bei den Parlamentswahlen davongetragen. Den Anhängern liberaler Werte stehen schwere Zeiten bevor.

(Osteuropa 10/2005, S. 156–167)

Volltext

Ich muß gestehen, daß ich mich nicht besonders für das politische Leben in Polen interessiere. Denn wie viele andere sehe ich keinerlei Übereinstimmung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. Wir leben in unserer eigenen Welt und verfolgen das politische Geschehen nicht. Vielleicht würden wir es aufmerksamer verfolgen, wenn es weniger primitiv, banal und voraussehbar wäre, wenn all die Parteiführer nicht immer das gleiche versprechen und dann immer von neuem vergessen würden, ihre Versprechen zu halten; wenn schließlich die Rhetorik der Linken und der Rechten nicht so durchschaubar wäre. Viele Intellektuelle sind bemüht, kühle Distanz zu dieser unappetitlichen Rhetorik zu wahren. Was bleibt dann erst den Schriftstellern, die eine weitaus raffiniertere Sprache gewohnt sind! Dennoch kann man nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Deshalb habe ich mich entschlossen, das Wort zu ergreifen. Dank meines Romans Lubiewo gelte ich in Polen als links-liberaler Autor. Eine solche politische Strömung gibt es aber in Polen eigentlich gar nicht. Nur schwerlich kann man die postkommunistische SLD als eine solche freiheitliche Bewegung bezeichnen, versammelt sie doch vor allem Altfunktionäre des totalitären Staates, die bekanntlich ebenso vehement gegen eine liberalere Moral eintraten, wie es die heute zur Macht strebende Rechte tut. Unter den heutigen Bedingungen halte ich es für wenig wahrscheinlich, daß in Polen eine neue und frische Linke entstehen könnte, die der starken und aggressiven Rechte etwas entgegenzusetzen hätte. Sollte aber eine solche historisch unbelastete Linke entstehen, würde ich mit ihr sympathisieren und ihr vielleicht sogar zur Macht verhelfen wollen. Zum Verständnis der kulturellen Dimension der Begriffe „rechts“ und „links“ muß man sich ihren Bezug zum Bereich der Sitten im weiteren Sinne vor Augen führen. Bekanntlich hegt die Linke gewisse Sympathien für Emanzipationsbewegungen (Feminismus, Befreiung der sexuellen Minderheiten, Bewegung für die Abtreibung). Die Rechte hingegen verschanzt sich im Hort von Tradition und Fremdenfeindlichkeit, wo sie Faschismus, Fremdenfeindlichkeit, ostentative, geheuchelte Prüderie und frömmlerische Religiosität fördert. Ich verhehle nicht, daß ich mich in der polnischen „rechts-links“-Debatte einer Seite anschließen muß. Das ist zwar nicht die Sprache der Literatur mit ihren Abstufungen und Schattierungen, sondern die zugespitzte Sprache der Ideologie. Doch die Diskussion verlangt klare Standpunkte. In Polen haben wir es mit mindestens zwei Erzählungen (Deutungen) zu tun. In der ersten – und, das sage ich offen, mir näher stehenden – kämpfen die guten Schwulen, Feministinnen, Linken ihren Kampf um Freiheit und Offenheit der Kultur gegen die bösen Rechten. Auf der Seite der „Bösen“ stehen in dieser Erzählung der Radiosender Maryja, die Liga der Polnischen Familien und ihre „Kampftruppe“, die Młodzież Wszechpolska (Allpolnische Jugend), sowie jene Partei, die gerade an die Macht gekommen ist. Diese Erzählung handelt von den „Bösen“, die Abtreibung, Marihuana und gleichgeschlechtliche Beziehungen verbieten, die Gleichstellung der Frauen in der Politik bekämpfen und das Rad der Kultur zurückdrehen wollen, und den „Guten“, die sich für die Liberalisierung und Legalisierung von allem, was den anderen nicht schadet, und für eine endgültige Öffnung dieser Kultur eintreten. Das ist natürlich ein zugespitztes und ideologisiertes Bild. In der Diskussion über „links“ und „rechts“ trifft es aber zu. Leider findet diese Diskussion aber gar nicht statt, weil beide Seiten sich in ihren Lagern verschanzen und nicht versuchen, die Argumente der anderen Seite zu verstehen. Ich glaube, zu einer solchen Verständigung kann es einfach nicht kommen, weil das Weltbild beider Seiten sich zu sehr unterscheidet. Wenn es drauf ankommt, entscheide ich mich von beiden Übeln für das kleinere, also für die Linke, und so interpretieren mich auch die Medien und meine Leser. Diese Linke hat in Polen jedoch, wie gesagt, keine institutionalisierte Vertretung, denn der SLD ist nur dem Namen nach links. In Wirklichkeit kümmert er sich vor allem um die Pfründe der ehemaligen Funktionäre der Vereinigten Arbeiterpartei. Die Stimmen echter Linker hört man am ehesten aus gesellschaftlichen Nischen, etwa von jungen Intellektuellen um die Zeitschrift Krytyka Polityczna wie Sławomir Sierakowski, den in Polen sehr aktiven feministischen Gruppen um die Zeitschriften Zadra oder Ośka (Kinga Dunin, Kazimiera Szczuka, Agnieszka Graff), oder Aktivisten der Schwulenbewegung, die wie etwa Robert Biedroń mit der in Polen fast nicht existenten Partei der Grünen sympathisieren. Diese Kreise sind aber leider in der Minderheit, und die Politiker der Hauptströmung tun so, als ob sie nicht existierten, oder behandeln sie als enfant terrible. Daher hat diese Bewegung keine politische Bedeutung, sie ist im Off, in den Medien und in den Köpfen der Polen kaum präsent. Dabei solidarisieren sich die Künstler und Intellektuellen noch am ehesten mit diesen Kreisen. Natürlich nicht alle, aber doch eine erhebliche Zahl. So wie im Frankreich der 1950er Jahre die Künstler überwiegend links eingestellt waren, beobachten wir heute in Polen besonders unter den Schriftstellern Vergleichbares. Sieht man sich die Argumente an, stellt man fest, daß auch die polnische Kulturszene, und besonders die Bewertung der sogenannten „Jungen Kunst“, der Dichotomie „links – rechts“ unterworfen ist. Als „skandalträchtig“ geltende Werke der jungen Kreativen wecken Begeisterung bei linken Feministinnen und den entsprechenden Medien, Abscheu dagegen bei den alten Professoren, die leider die geschätzten Jurys der Literaturpreise dominieren. Das gleiche Phänomen gilt für die Bewertung der Weltliteratur: Die linke Literaturkritik begeistert sich für die Werke der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek – bei uns hätte sie keine Chance gehabt! –, Pelevin, Sorokin oder die Theaterstücke von Sarah Kane, die Rechte dagegen bleibt lieber bei Miłosz, Mickiewicz, Szymborska oder Wojciech Wencel, der in gereimten Oden die Gottesmutter besingt. In der Diskussion um die sogenannte „junge Kunst“ geht es also gewöhnlich nicht um künstlerische Werte, sondern um die Weltanschauung, und insbesondere um die Einstellung zur Sexualität, zum Körper oder zur Rolle der Frau. Damit wird es jetzt bestimmt nicht besser. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ab, welche Auswirkungen der Wahlsieg der Rechten auf einen jungen Schriftsteller haben kann. Es geht gar nicht nur darum, daß jemand wie ich keine Stipendien- oder Förderanträge mehr zu stellen braucht, die bekanntlich der Kulturminister bewilligen muß. Sei’s drum! Heute ist die Kulturförderung größtenteils Sache nichtstaatlicher, also europäischer oder privater, Organisationen. Wichtiger ist das politische und moralische Klima, in dem ich die nächsten vier Jahre werde arbeiten müssen. Natürlich wird der Druck der herrschenden Rechten die im Untergrund verschanzte Linke stärken, wird ihr jene Durchsetzungskraft verleihen, die sich aus dem Zorn der Unterdrückten speist, wird beim Aufbau einer eigenen, starken Identität in Opposition zu den Regierungsparteien helfen. Aber das allgemeine Klima wird vergiftet bleiben, und die Kultur wird gewiß darunter leiden. Die ersten beunruhigenden Symptome machen sich schon bemerkbar. Wie ich der Gazeta Wyborcza entnehme, hat die PiS kurz vor den Parlamentswahlen an viele Kirchengemeinden in Polen einen Brief mit einer Informationsbroschüre verschickt. Was man dort zu lesen bekam, dürfte jeden, der sich in einem weltanschaulich freien Land wähnt, tief beunruhigen. Den Pfarrern wird versichert, daß die nun siegreiche Partei enge Verbindungen zur katholischen Kirche und zur polnischen katholischen Tradition habe und ihre Führer sich auch als künftig Regierende „Gott verantwortlich” fühlen werden. Lebendig wie eh und je ist der aus der polnischen Geschichte bekannte Mißbrauch der Gottesautorität und die Berufung auf traditionelle Werte. Den Verdiensten der Partei rechnet die Broschüre u.a. den Kampf Lech Kaczyńskis als Oberbürgermeister von Warschau gegen die Organisatoren der Gleichheitsparade, des polnischen Christopher Street Day und die Erotikmesse Eroticon zu. Die Pfarrer erfahren außerdem in fetten Lettern, daß Lech Kaczyński es geschafft habe, 45 Bordelle in Warschau zu schließen. Die – in den Augen der PiS allzu freizügige – Sexualkunde an den Schulen sei eine „Verfallserscheinung“, welche die Broschüre gleich neben der Pädophilie erwähnt. Jede Minderheit – auch die Teilnehmer besagter Gleichheitsparade, die für die Schwulen in Polen die einzige Form ist, für ihre Rechte zu kämpfen – kann sich besonders bedroht fühlen in einem Land, in dem die Regierungspartei den Kampf gegen sie als besonderes Verdienst betrachtet, dessen sie sich öffentlich rühmt. Abgesehen von den beschriebenen Details ist die Berufung auf die Autorität der Kirche und höhere Werte dort, wo es im Grunde um die Macht und die aus ihr fließenden ganz irdischen Vorteile geht, besonders verabscheuenswert. Auf diesem Standpunkt standen auch die Führer der katholischen Kirche, die dieses Vorgehen als Instrumentalisierung der Kirche und der Religion verurteilt hat. Nicht minder verabscheuenswert ist der vielfache Mißbrauch des kürzlich verstorbenen Papstes als Symbolfigur für spektakuläre Aktionen der Rechten im Kampf gegen die Legalisierung homosexueller Ehen oder die Legalisierung der Abtreibung. Tote haben keine Stimme, das weiß die polnische Rechte sehr gut, deshalb untermauert sie bei jeder Gelegenheit ihre Partikularinteressen mit den Worten: „Der Heilige Vater hätte es so gewollt“. Besondere Aufmerksamkeit verdient die bigotte Rhetorik, mit der die Rechte zum Schutz des „ungeborenen Lebens“ aufruft. In einer Situation, in der die PiS es sich hoch anrechnet, die Rechte der Minderheiten – die in Polen ohnehin schwach entwickelt sind – oder den harmlosen Erotikmarkt zu bekämpfen und sich gleichzeitig auf christliche Traditionen zu berufen, darf man Polen eine düstere Zukunft prophezeien. Das neue Klima ist der Entwicklung einer freien Kunst gewiß nicht zuträglich, und der Druck auf „kontroverse“ Künstler – man denke nur an den Fall Dorota Nieznalska, die angeklagt und zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt wurde, weil eine ihrer Installationen ein Kreuz zeigt, auf das ein Photo eines Penis geklebt war – könnte noch zunehmen. Andererseits darf man sich damit trösten, daß Druck noch immer belebend auf die polnische Kunst gewirkt hat und der Mangel an Freiheit nur dazu führte, daß das eingeschmuggelte oder illegal vervielfältigte Wort an Bedeutung und Gewicht gewann. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl, Berlin

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