Männer, Mittler, Migranten
Marktgesetze des "Menschenhandels"
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Abstract in English
Abstract
Die Debatte über Prostitution und Menschenhandel ist von zwei gegensätzlichen Positionen geprägt. Für Abolitionisten ist Prostitution per se eine Ausbeutung der Frau. Sie fordern, die Vermittler oder sogar die Kunden von Prostituierten zu bestrafen, um so Sexsklaverei und Menschenhandel auszurotten. Ihre liberalen und libertären Gegner betrachten hingegen Sex als eine Ware wie jede andere. Sie erhoffen sich von der gesellschaftlichen Anerkennung und staatlichen Regulierung der Prostitution eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Prostituierten. Beide Positionen sind verkürzt. Prostitution und Migration können freiwillig und selbstbestimmt, aber auch mit Gewalt und Ausbeutung verbunden sein. Eine Politik, die wirklich die Menschen in den Herkunftsländern im Auge hat, muß sich nicht um Bekämpfung des "Menschenhandels", sondern um die Reduzierung der Armut in den Herkunftsländern der Migranten kümmern.
(Osteuropa 6/2006, S. 720)
Volltext
Feministische und religiös inspirierte Abolitionisten betrachten die männliche Nachfrage nach kommerziellem Sex seit langem als Hauptursache von Prostitution und damit verbundenen Formen von Mißbrauch wie sexuelle Ausbeutung von Kindern, Gewalt, „Menschenhandel“, mißbräuchliche und sklavereiähnliche Beschäftigung. Bis Mitte der 1990er Jahre stießen Forderungen, Männer, die Sex kaufen, zu kriminalisieren und zu reformieren, oftmals auf taube Ohren. Seit einigen Jahren scheinen jedoch immer mehr politische Entscheidungsträger auf das Problem aufmerksam zu werden. Seit Mitte der 1990er Jahre sind in den USA, Kanada und Großbritannien sogenannte john schools („Freier-Schulen“) entstanden, in denen Männer umerzogen werden sollen, die auf der Straße und an anderen öffentlichen Plätzen Prostituierte angeheuert haben. 1998 führte Schweden eine Gesetzgebung ein, die den Kauf von Sex kriminalisiert. Vor allem aber hat das zunehmende internationale Interesse an Phänomenen des „Menschenhandels“ die Einstellung zu Prostitution verändert und neue politische Strategien gefördert. Die Vorstellung, daß diejenigen, die kommerziellen Sex konsumieren, ein soziales Problem darstellen, bekommt immer mehr Anhänger. Ihr liegt die Annahme zugrunde, es sei die Nachfrage nach jungen und ausländischen Prostituierten, die Menschenhandel zu einem profitablen Geschäft mache. So hat etwa der schwedische Ombudsmann für Gleichberechtigung, Claes Borgström, vor kurzem einen Boykott der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland verlangt, da diese die Nachfrage nach Prostitution stimulieren und damit zu einem Anstieg des Menschenhandels und der Sexsklaverei führen werde. Die Sonderberichterstatterin der UN-Menschenrechtskommission gegen Menschenhandel, Sigma Huda, merkt in ihrem jüngsten Bericht an, daß „reguläre“ Prostitution in die Kategorie Menschenhandel falle, und erklärt, daß das effektivste Mittel, um die Nachfrage nach Menschenhandel zu senken, eine Kriminalisierung des Kaufs von sexuellen Dienstleistungen sei. Unter internationalen politischen Entscheidungsträgern kann man immer öfter die Meinung hören, es sei nötig, bei der „Nachfrageseite des Menschenhandels“ anzusetzen. In letzter Zeit ist eine Reihe von Studien zu diesem Phänomen in Auftrag gegeben worden. Obwohl die Vorstellung, daß „Menschenhandel“ durch die Nachfrage nach kommerziellen sexuellen Dienstleistungen stimuliert sein könnte, recht plausibel klingt, sind die Beziehungen zwischen ausbeuterischen und mißbräuchlichen Praktiken im Bereich Sexarbeit auf der einen und der Nachfrage nach kommerziellen sexuellen Dienstleistungen auf der anderen Seite komplexer, als gemeinhin im Anti-Menschenhandel-Diskurs angenommen wird. Was ist die Nachfrageseite des „Menschenhandels“? Bis Ende der 1990er Jahre gab es kein internationales Abkommen, das eine klare gesetzliche Definition des Begriffs „Menschenhandel“ anbot. Nach einer intensiven Debatte verabschiedete die UN-Vollversammlung im November 2000 das Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (sog. Palermo-Konvention), von zwei Protokollen ergänzt wird, dem Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg und dem Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels (Palermo-Protokoll). In letzterem wird Menschenhandel folgendermaßen definiert: […] die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Mißbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder Position der Verletzbarkeit, des Gebens oder der Annahme von Zahlungen oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfaßt mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen […] (Art. 3a) Das „Palermo-Protokoll“ trat im Dezember 2003 in Kraft. Bis Mitte 2006 hatten es 117 Staaten unterzeichnet, und es wird oftmals davon ausgegangen, daß das Protokoll die mit dem Begriff „Menschenhandel“ verbundenen Definitionsprobleme und politischen Streitpunkte zufriedenstellend gelöst habe. Dies ist nicht der Fall. Das Protokoll spiegelt durch seine Einbettung in das Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und seine Verknüpfung mit einem Protokoll über Schleuserei eine Konzentration auf das Problem der „illegalen Immigration“ als wesentlichem Bestandteil des Sicherheitsrisikos, welches das internationale organisierte Verbrechen darstelle, wider und weniger eine Sorge um die Menschenrechte von Migranten. Das Protokoll gibt zwar eine Definition von „Menschenhandel“, die konstituierenden Merkmale dieses „Menschenhandels“ legt es aber nur ungenau fest. So werden etwa die Begriffe „sexuelle Ausbeutung“ (sexual exploitation) und „Ausnutzung der Prostitution anderer“ (exploitation of the prostitution of others) nicht definiert. Die mangelnde Präzision in diesen Punkten gestattete es zwar, daß das Protokoll „ohne Voreingenommenheit bezüglich der Frage, wie die Vertragsstaaten Prostitution in ihren jeweiligen Gesetzen behandeln“, verabschiedet werden konnte. Gleichzeitig machte er es praktisch unmöglich, die Nachfrageseite von „Menschenhandel“ im Bereich des kommerziellen Sexmarkts zu diskutieren, ohne in eine allgemeinere Debatte über das Für und Wider von Prostitution verwickelt zu werden, eine Debatte, die hochgradig polarisiert ist und ungeheuer emotional geführt wird. Aus einer politischen Perspektive, die sich vereinfachend auf das Stichwort „abolitionistisch“ bringen läßt, stellt Prostitution eine Form männlicher sexueller Gewalt gegen Frauen dar. Nach dieser Position reduziert ein Markt für kommerzielle sexuelle Dienstleistungen Frauen und Mädchen unvermeidlich zu reinen Waren. Dementsprechend gibt es keinen Unterschied zwischen „erzwungener“ und „freiwilliger“ Prostitution. Eine Frau könne sich nicht freiwillig dazu hergeben, durch Prostitution entwürdigt zu werden, ebenso wie man nicht sinnvoll davon sprechen könne, eine Frau willige darin ein, sich selber in die Sklaverei zu verkaufen. Eine Frau als Prostituierte anzustellen, bedeutet nach dieser Logik per definitionem, diese Frau „auszubeuten“. Für kommerzielle Sexdienstleistungen zu zahlen, heißt demnach automatisch, einen Akt der „sexuellen Ausbeutung“ zu begehen. Interessengruppen, die diese Position verfechten, bestehen daher darauf, daß die Nachfrage nach kommerziellen Sexdienstleistungen den Menschenhandel stimuliere – denn gäbe es keinen Markt für Prostitution, dann gäbe es auch keinen Menschenhandel. Gruppen wie die Coalition against Trafficking in Women (Koalition gegen den Frauenhandel, CATW) und die European Women’s Lobby (Europäische Frauenlobby, EWL), in der nationale Dachorganisationen von Frauenorganisationen aus den EU-Staaten zusammengeschlossen sind, fordern unnachgiebig, daß der Staat Männer, die Sex kaufen, ebenso wie Vermittler, die Prostitution organisieren und/oder finanziell davon profitieren, bestrafen müsse. Für die liberalen oder libertinären Vertreter des anderen Endes des politischen Spektrums ist diese Position natürlich inakzeptabel. Sie betrachten kommerziellen Sex als etwas, das sich unter moralischen und politischen Aspekten nicht wesentlich von jedem beliebigen anderen Dienstleistungsmarkt unterscheidet. Die Idee, den kommerziellen Sexmarkt vollständig auszurotten, um das Problem des Menschenhandels zu Prostitutionszwecken in den Griff zu bekommen, ist für sie ebenso drakonisch und verbohrt wie etwa die Idee, die Nachfrage nach Teppichen müsse eliminiert werden, um das Problem der Zwangs- und Kinderarbeit in der Teppichindustrie zu lösen. Durch diese Brille betrachtet entsteht das Problem des Menschenhandels zum Zwecke der Prostitution nicht durch eine Nachfrage der Konsumenten, sondern durch eine Nachfrage der Arbeitgeber nach Zwangsarbeit. Protagonisten beider Seiten der „Sexsklaverei oder Sexarbeit“-Debatte übergehen häufig mit Schweigen, daß die Realität viel komplexer ist. Prostitution ist ein immens vielfältiges Phänomen – in Hinblick auf ihre soziale Organisation, Arbeitspraktiken/-bedingungen, Einkünfte sowie die unterschiedlichen subjektiven Bedeutungen, die sie für die Verkäufer und Käufer von Sex haben. Nicht nur die Umstände, unter denen Transaktionen zwischen Prostituierten und Kunden arrangiert und durchgeführt werden, sind sehr unterschiedlich, sondern auch Art und Umfang der Beteiligung von Vermittlern – einige Prostituierte arbeiten unabhängig, andere werden direkt oder indirekt von Vermittlern beschäftigt, manche gehen Arbeitsverträge ein, manche sind an Bordelle gefesselt und werden dazu gezwungen, sich zu prostituieren usw. Die Art der Beteiligung von Vermittlern ist nicht durch den jeweiligen Ort festgelegt, an dem Prostituierte arbeiten. Unabhängig davon, ob die Prostitution in geschlossenen Räumen oder im Freien stattfindet, können Prostituierte Opfer extremer Ausbeutung durch Vermittler sein oder aber völlig unabhängig arbeiten; zwischen diesen Extremen gibt es eine große Bandbreite. Der Grad der wirtschaftlichen Ausbeutung, der Prostituierte ausgesetzt sind, erstreckt sich über ein breites Kontinuum von absolut – wenn ein Vermittler alles Geld, das ein Individuum durch seine Prostitution einnimmt, beschlagnahmt – bis nicht existent – wenn eine Person, die sich prostituiert, ihren gesamten Verdienst für sich behält. Ebenso unterschiedlich sind die Erfahrungen, die Prostituierte mit Gewalt durch Vermittler oder aber durch Kunden machen. Obwohl ein Teil der auf dem Sexmarkt Beschäftigten – gleich ob Selbständige oder Angestellte – mit einem hohen Risiko von tätlichen Übergriffen leben müssen, gibt es durchaus auch Gegenbeispiele. Der Begriff „Prostitution“ beschreibt also keine einheitliche Erfahrung. Die Arbeitsbedingungen einer erwachsenen Frau, die selbständig als Escort-Dame arbeitet, teils weil es ihrem eigenen, ganz persönlichen Interesse an anonymem Sex entspricht, teils weil sie damit mehr als 2000 Euro pro Woche verdienen kann, als „Sexsklaverei“ zu bezeichnen, kann nicht zufriedenstellen; ebenso wie es unbefriedigend wäre, im Falle einer Minderjährigen, die gekidnappt, eingesperrt und physisch dazu gezwungen worden ist, sich zu prostituieren, von einer „Sexarbeiterin“ zu sprechen. Aber das Problem wird auch nicht wirklich dadurch gelöst, daß man, wie dies viele Anhänger liberaler und libertinärer Ansichten tun, eine scharfe Trennlinie zwischen dem Vorgehen gegen Zwangs- und Kinderprostitution auf der einen und dem Umgang mit freiwilliger Prostituierung von Erwachsenen auf der anderen Seite zieht, indem man erstere gesetzlich verbietet und letztere reguliert oder toleriert. Denn der exakte Punkt zwischen diesen beiden Extremen, an dem Prostitution zur „freien Wahl“ wird, ist nicht leicht zu identifizieren. Egal, ob man nun von Sexarbeit oder einer beliebigen anderen Form von Arbeit spricht, die Linie zwischen Zwang und Einwilligung ist meist nicht eindeutig zu ziehen. Wenn Alternativen fehlen oder es große Anreize gibt, können Menschen sich auf etwas einlassen, das ihnen möglicherweise schadet und das sie unter anderen Umständen nicht tun würden. Die Tendenz, die Analyse und Debatte auf die Frage zu verengen, ob Prostitution Sexsklaverei oder Sexarbeit ist, behindert eine ernsthafte Diskussion des komplexen Gemischs von Faktoren – einschließlich des Faktors Nachfrage –, die dem Problem der Zwangs- bzw. unfreien Arbeit auf dem Sexmarkt zugrunde liegen. Statt dessen kann man drei Typen von Nachfrage unterscheiden, die jeweils in verschiedener Weise mit dem Phänomen der erzwungenen bzw. unfreien Prostitution zusammenhängen. Die Nachfrage nach kommerziellem Sex Die Sexindustrie ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten rapide expandiert und hat sich massiv diversifiziert: [D]ie Bandbreite des Geschäfts mit dem Sex umfaßt inzwischen: Live-Sexshows, alle möglichen Arten von pornographischen Texten, Videos und Bildern (gedruckt oder on-line); Fetischclubs; „Sextempel“ mit Lap-dancing und Wall-dancing, Escort-Agenturen; Telefonsex und Cybersex-Kontakte; „drive-through“-Striptease-Shows; und organisierte Sextouren in Entwicklungsländer. Nie zuvor hat es in Europa ein größeres, vielfältigeres Angebot an käuflichem Sex gegeben als heute; kommerzieller Sex kann sowohl legal als auch illegal konsumiert werden, und die Grenzen zwischen kommerziellem Sex und anderen Formen des Konsums (Freizeit-, Tourismus- und Unterhaltungsangebote usw.) verschwimmen zunehmend. Heizt die Expansion dieses Markts den „Menschenhandel“ an? Es gibt keine eindeutige Beziehung zwischen der Nachfrage von Konsumenten und spezifischen Formen von Beschäftigungsverhältnissen in der Sexindustrie. Theoretisch kann die Nachfrage nach einer beliebigen kommerziellen Sexdienstleistung ebenso gut von jemandem befriedigt werden, der selbständig und unter guten Bedingungen arbeitet, wie von jemandem, der Mißbrauch und sklavereiähnlichen Praktiken ausgesetzt ist. Und dennoch gibt es einige plausible Gründe für die Annahme, daß die rapide Expansion eines Marktes, der nur schwach reguliert, in hohem Maße stigmatisiert und in Teilen kriminalisiert ist, mitverantwortlich für die Zunahme mißbräuchlicher Arbeitspraktiken ist. In diesem Sinne ist eine wachsende Nachfrage von seiten der Konsumenten zweifelsohne einer der Faktoren, die zur Förderung des Phänomens Zwangsarbeit in der Sexindustrie beitragen. Das soll nicht heißen, daß jede Nachfrage heutzutage durch unfreie Arbeit befriedigt wird – insgesamt gesehen stellen sicherlich formal „freie“ Angestellte oder Selbständige die große Mehrheit der Beschäftigten im europäischen Sexsektor. Dennoch gibt dieser Zusammenhang Anlaß zur Sorge über die Expansion der Nachfrage nach kommerziellem Sex. Wie erklärt sich die Nachfrage nach kommerziellem Sex? Sie wird, wie alle Formen von Konsumnachfrage, in starkem Maße durch soziale, kulturelle und historische Faktoren bestimmt. Sie ist zudem abhängig vom Angebot, von der Verfügbarkeit und von der Erschwinglichkeit. Man könnte fast sagen, daß eher das Angebot die Nachfrage erzeugt als umgekehrt. Es gibt beispielsweise in einer Gesellschaft kein absolutes oder vorgegebenes Niveau der Nachfrage nach Lap-dancern: Vor dem Aufkommen von Lap-dance-Clubs in den 1990er Jahren fehlte niemandem etwas. Doch mag ein Angebot auch eine notwendige Bedingung für Nachfrage sein, so ist es doch nicht in allen Fällen eine ausreichende Bedingung. Nachfrage muß vielmehr auch sozial „konstruiert“ werden, Menschen müssen zu der Vorstellung erzogen werden, daß sie ein bestimmtes Produkt wollen oder brauchen. Konsum ist eine Form von Zurschaustellung in doppeltem Sinne: Zum einen markiert er Identität und sozialen Status, zum anderen dient er dazu, an bestimmten Punkten ritualistisch und öffentlich unseren Weg durch Tag, Woche, Jahr, durch unser Leben zu markieren. Der Mensch wird z.B. genauso wenig mit dem Wunsch geboren, sich kommerzielle Sexdienstleistungen zu kaufen oder Lap-dance-Clubs zu besuchen, wie ihm das Bedürfnis in die Wiege gelegt wird, Lotto zu spielen oder Coca-Cola zu trinken. Er muß erst lernen sich vorzustellen, daß es Vergnügen bereiten kann, eine fremde Person dafür zu bezahlen, daß sie nackt vor ihm tanzt; ihm muß erst beigebracht werden, daß die Inanspruchnahme derartiger Dienste „Spaßhaben“ signalisiert, daß sie ein Marker für seine soziale Identität und seinen Status als „echter Mann“, „Erwachsener“, „Nicht-Schwuler“ oder was auch immer ist. Märkte sind ein soziales Konstrukt und historisch bedingt. Die Bildung eines Marktes setzt „die kulturelle Konstruktion von Tauschobjekten, die kulturelle Konstruktion der am Tausch beteiligten Parteien und die kulturelle Konstruktion von Normen des Tauschs“ voraus. Diese Einsicht gilt für den Prostitutionsmarkt ebenso wie für jeden anderen Markt. Dennoch ist jedes einzelne der drei Elemente in bezug auf den Prostitutionsmarkt umstritten. Umstritten ist etwa die These, daß man die Fähigkeit, einem anderen Menschen sexuelles Vergnügen zu bereiten, als Objekt betrachten könne, das man auf einem Markt veräußern kann. Feministische Abolitionisten, die Prostitution als Form männlicher sexueller Gewalt, als eine Art Vergewaltigung betrachten, lehnen die Idee vehement ab, daß sexuelle Dienstleistungen gleichsam von der Person abstrahiert auf einem Markt verkauft werden könnten, ohne daß dabei die weibliche Prostituierte Schaden erleide. Aber es sind durchaus nicht nur Leute aus diesem politischen Lager, die Schwierigkeiten haben sich vorzustellen, sexuelle Dienstleistungen seien nichts anderes als Objekte eines Markttauschs und Prostituierte mithin gewöhnliche Marktakteure. Obwohl Prostitution gemeinhin als Markt aufgefaßt wird – schließlich hat sich das Bild vom „ältesten Gewerbe der Welt“ eingebürgert, das unausrottbar sei –, haben die meisten Menschen doch eine ambivalente Einstellung zu ihr oder mißbilligen diesen Markt. Sicherlich sind die am Tausch der „Ware“ Prostitution Beteiligten nicht in derselben Weise kulturell „konstruiert“ wie die Teilnehmer an anderen Märkten. Das immense Stigma, das der weiblichen Prostitution traditionell anhaftet, hat zur Folge, daß Frauen, die mit Sex handeln, typischerweise nicht als reine Marktakteure betrachtet werden. Statt dessen werden sie weithin als lasterhaft sowie sexuell und moralisch verdorben, als Überträgerinnen von Krankheiten, als gefallene oder verlorene Frauen oder defekte Opfer dargestellt und wahrgenommen. Viele betrachten auch diejenigen, die Sex kaufen, als pervers, und es gibt die wachsende Tendenz, den „Kunden“ als ein Individuum zu pathologisieren, das „sexgeil“ ist oder an einem anderen psychologischen Problem bzw. einer Persönlichkeitsstörung leidet. All diese Diskurse über Prostitution finden gleichzeitig mit einer generell zu beobachtenden Sexualisierung und sogar Pornographierung der Konsumkultur statt, bei der sehr explizite sexuelle Bilder zur Vermarktung aller möglichen Produkte eingesetzt werden. Parallel dazu verwischt eine andere Grenze zunehmend: Seit langer Zeit besteht ein gesellschaftlicher Konsens darüber, daß der weiblichen Sexualität ein ökonomischer Wert innewohnt und daß dieser Wert in eine Ehe mit einem finanziell erfolgreichen Mann umgesetzt werden kann und sollte. Die Sexualität von Frauen wird somit implizit oder explizit als etwas verstanden, das einen Tauschwert hat, und dennoch wird sie im allgemeinen nicht als etwas wahrgenommen, das von der Person losgelöst und ohne moralischen Schaden als „Ware Prostitution“ gehandelt werden könnte. Die Sexualität der Frau ist „eine unvollständige Ware“. Dies hat für viele Frauen, die mit Sex handeln, eine Reihe negativer Konsequenzen. So besteht das Stigma, mit dem die Prostitution behaftet ist, fort – und damit auch das Risiko, Ablehnung, Feindseligkeit oder sogar Gewalt durch Familie und Gemeinschaft ausgesetzt zu sein. Zudem bleibt Prostituierten oftmals der Zugang zu grundlegenden Rechten einschließlich des Rechts auf Schutz und Gerechtigkeit versperrt. In vielen Ländern bedeutet die Tatsache, daß Sexualität eine „unvollständige Ware“ ist, darüber hinaus, daß es kein wirksames Regulativ gibt, das die Einhaltung von Verträgen erzwingen und diejenigen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, vor schlechten Arbeitsbedingungen und ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen schützen würde. Aber auch in Ländern, in denen Prostitution legal und reguliert ist, wird der Prostitutionsmarkt nicht als ein Warentausch wie jeder andere und Prostituierte nicht als gewöhnliche Marktakteure betrachtet, was dazu führt, daß das Regulierungssystem Sexarbeitern häufig Beschränkungen und Unfreiheiten auferlegt, die es anderen Gruppen von Beschäftigten oder Bürgern nicht auferlegen würde. Kurz gesagt bedeutet die Tatsache, daß Sexualität eine „unvollständige Ware“ ist, für die Prostituierten, daß sie sogar dort, wo ihr Tun nicht wirklich illegal ist, ausgeschlossen sind aus der „Gesellschaft“ im Sinne eines „sozialen, kulturellen und ethischen Systems, zu dem der Markt, das Rechtssystem und Vereine gehören, die zusammen für das Wohlergehen der Gemeinschaft verantwortlich sind.“ Dies hat sehr ernste Konsequenzen für ihren sozialen Status und ihr Wohlbefinden. Eine mögliche Antwort auf dieses Problem ist, sich dafür einzusetzen, daß die Sexualität zu einer „vollständigen Ware“ wird, die Prostitution also zu einem ganz gewöhnlichen Dienstleistungsangebot. Ziel dieses Ansatzes wäre es, das Beziehungsgefüge von Objekten, Tauschpartnern und Normen auf diesem Markt jenem „anständiger Märkte“ anzupassen. Als Begründung führen die Anhänger dieser Lösung an, daß es Sexarbeitern so ermöglicht würde, ethisch und rechtlich in die Gesellschaft integriert zu werden – mit allen daraus resultierenden Vorteilen. Diese Strategie verfolgen viele für die Rechte von Sexarbeitern kämpfenden Aktivisten, die sich für eine Entstigmatisierung und Entkriminalisierung der Prostitution und die Anwendung der geltenden Arbeitsgesetzgebung auf den Sexsektor einsetzen. Ihre Argumentation beruht auf der These, daß die Prostitution, würde sie als anständiger, normaler Markt wie jeder andere betrachtet, sich auch an die Normen des Tausches auf den legalen und sozial akzeptierten Märkten angleichen würde. Eine solche Position erscheint mir allzu optimistisch – sowohl in bezug auf die Möglichkeit, sexuelle Dienstleistungen zu gesellschaftlich akzeptierten oder sogar moralisch neutral bewerteten Tauschobjekten zu machen, als auch auf die erwarteten Konsequenzen. Auf Verbrauchermärkten – seien es nun solche für Sex, andere Dienstleistungen oder Güter – reproduzieren sich die Statushierarchien einer Gesellschaft, und dies bedeutet nun einmal unweigerlich, daß Ungleichheiten, die auf Klassen-, Rassen-, nationalen, Alters- und Geschlechtsunterschieden beruhen, symbolisch ausgespielt und in Konsumgewohnheiten verfestigt werden. Man braucht kein konservativer Moralapostel, Verfechter der Abschaffung der Prostitution oder Verächter von sexuellem Vergnügen zu sein, um ein leichtes Unbehagen etwa bei der Vorstellung zu verspüren, daß in einem Land wie Spanien, in dem es keine schwarzen weiblichen Politiker und nur eine Handvoll schwarzer weiblicher Fachleute gibt, in dem schwarze Frauen im Fernsehen und anderen Medien fast ausschließlich als Hausangestellte oder Prostituierte präsentiert werden und wo Rassismus gegenüber Afrikanern zum Alltag gehört, ein großer Markt entsteht, auf dem Frauen aus Westafrika ihre Dienste anbieten. Noch gefährlicher erscheint mir jedoch die abolitionistische Antwort auf das Problem. Maßnahmen, die Männer davon abhalten sollen, Sex bei Straßenprostituierten zu kaufen und/oder dazu dienen, die sichtbarsten Formen von Prostitution zu unterdrücken, werden zunehmend als „Maßnahmen gegen Menschenhandel“ dargestellt und gerechtfertigt. Einmal abgesehen von den vielen Einwänden gegen eine solche Haltung aus den Reihen von NGOs, die sich für die Sicherheit, Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten von Frauen einsetzen, die in der Straßenprostitution arbeiten, ist klar, daß dies eine inadäquate Antwort auf den Zusammenhang zwischen der Nachfrage von Seiten der Konsumenten und Zwangsarbeit im gesamten Sexsektor ist. Die Nachfrage nach Straßenprostitution zu ersticken, wird die Nachfrage in anderen – legalen und illegalen – Segmenten des Markts, wo Zwangs- bzw. unfreie Arbeit ebenfalls ein Problem darstellt (Pornographie, Escort-Agentur-Prostitution, Lap- und Tabledance-Clubs, Internet-Webcam-Sex), mitnichten drosseln, sondern möglicherweise sogar noch steigern. Natürlich könnte man die Logik des „Bestraft den Käufer“-Ansatzes auf alle Formen des Sexgeschäfts ausweiten, also einen totalen Bann über alle Formen von sexualisierter Unterhaltung und Pornographie verhängen, bei der Schauspieler und Models beschäftigt werden, Razzien in Privatwohnungen veranstalten, private Bankkonten überprüfen, um sicherzugehen, daß niemand über das Internet Kontakt zu Sexarbeitern herstellt, und Telefone abhören, um zu verhindern, daß Telefonsex konsumiert wird. Aber die meisten Staaten würden wohl wegen des damit verbundenen Eingriffs in die bürgerlichen Freiheiten davor zurückschrecken. Angesichts der politischen und moralischen Probleme, die eine Politik der gesetzlichen Unterdrückung mit sich bringen würde, sollten diejenigen, die den kommerziellen Sexmarkt austrocknen wollen, vielleicht mit kreativeren und langfristigeren Lösungen aufwarten, statt auf strikte Sanktionierung zu setzen. Die Nachfrage nach Arbeit Vermittler, die Sexarbeiter in Bordellen, Nachtclubs, Escort-Agenturen und Lapdance-Clubs beschäftigen, sowie Zuhälter, welche die Prostitution einer anderen Person organisieren und davon finanziell profitieren, treffen ihre Entscheidungen über Beschäftigungspraktiken, Arbeitskontrolle und -organisation nicht in einem Vakuum. Wie alle Arbeitgeber entscheiden sie auf der Grundlage von Strategien, die in dem betreffenden sozialen, rechtlichen und institutionellen Kontext, in dem sie operieren, praktikabel und profitabel sind. Solche Entscheidungen sind eindeutig davon beeinflußt, ob es klare staatliche Standards für Beschäftigungsbedingungen an Orten wie Lapdance-Etablissements und – wo diese legal sind – Bordellen sowie regelmäßige und effektive Überprüfung und Kontrolle an legalen und „irregulären“ Arbeitsplätzen gibt. Zu bedenken ist auch, daß Zuhälter und andere im Sexgeschäft tätige Vermittler oft als widerwärtige und unmoralische „Fleischhändler“ angesehen werden. Tatsächlich gehören jedoch diejenigen, die Arbeitskräfte für das Sexgeschäft rekrutieren und/oder Arbeiter in dieser Branche beschäftigen, keiner sozial, moralisch oder politisch homogenen Personengruppe an und teilen nicht alle dieselbe Einstellung zu ihrer Wirtschaftstätigkeit. Einige wenige mögen verrückte Soziopathen sein, auf der anderen Seite findet man sicherlich auch Leute, die sich ethischen Geschäftsprinzipien stark verpflichtet fühlen. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es eine große Gruppe von „einfachen“ Leuten, die sich, wie dies in der Natur des Menschen liegt, einreden, daß ihr Handeln normal, natürlich, notwendig oder unvermeidlich und daher gerechtfertigt ist. Soziale Normen spielen also eine wichtige Rolle für das individuelle Verhalten von Menschen als „Arbeitgeber“ im legalen wie im illegalen Segment des kommerziellen Sexmarkts. Diese Normen bilden sich in starkem Maße dadurch heraus, daß Menschen beobachten, was andere tun und wie weit sie der Staat damit durchkommen läßt. Es ist deprimierend zu beobachten, wie formbar die Moral der meisten Menschen ist, die auf einem beliebigen Markt tätig sind, und wie schnell sie Praktiken übernehmen, die sie zuvor als ausbeuterisch beurteilt hätten – vorausgesetzt, niemand gebietet ihnen Einhalt und andere handeln ebenso. Ein bezeichnendes Beispiel für eine solche Haltung liefern Interviews, die wir bei unseren Forschungen zur Arbeitgebernachfrage nach Migranten als Hausangestellte geführt haben: So stellte sich heraus, daß in Thailand ansässige Europäer, die in Europa nicht im Traum daran gedacht hätten, einen einheimischen Arbeiter 14 oder 15 Stunden pro Tag, sechs oder sieben Tage pro Woche, für ein Almosen für sich arbeiten zu lassen, in Bangkok ohne Gewissensbisse Hausangestellte unter solchen Bedingungen bei sich beschäftigten. Als Begründung gaben sie an, die lokalen Arbeitgeber täten dasselbe und die Behörden schritten nicht dagegen ein. Die meisten als Vermittler im Sexgeschäft tätigen Arbeitgeber denken nicht anders. Im Zusammenhang mit „Menschenhandel“ ist ebenfalls zu bedenken, daß Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile gegen ethnische Minderheiten es für Arbeitgeber, sei es in der Sexindustrie, sei es in einem anderen Sektor, bedeutend leichter machen, sich einzureden, daß ausbeuterische Arbeitspraktiken gerechtfertigt seien. Der rassisch bzw. ethnisch „andere“ Arbeiter zählt nicht als vollwertiger Mensch und kann daher auf eine Art und Weise benutzt und mißbraucht werden, wie dies bei jemandem derselben Rasse oder Volkszugehörigkeit undenkbar wäre. Die Arbeits-migranten kommen aus einem verarmten, „unzivilisierten“, „rückständigen“ Land und können daher angeblich nicht dieselben Rechte, Freiheiten und denselben Respekt erwarten, wie sie einem einheimischen Arbeiter gebühren. Frauen und Mädchen aus Gruppen, die als sozial minderwertig gelten und sozial, politisch und wirtschaftlich marginalisiert sind, werden von Arbeitgebern wie Kunden ebenfalls für weniger wert erachtet und gelten demzufolge als „natürliche“ oder „ideale“ Besetzung für die untersten Positionen in der Sexindustrie. Ähnlich wie im Falle der Nachfrage von seiten der Konsumenten lassen sich aus diesen Beobachtungen keine eindeutigen Implikationen ableiten. Soweit mangelnde Anwendung und Durchsetzung von Arbeitsstandards in der Sexindustrie dazu beitragen, daß eine Umgebung entsteht, in der es möglich und profitabel ist, sich unfreie Arbeit zunutze zu machen, stimme ich denjenigen zu, die fordern, den Sexsektor aus der Illegalität zu holen und ihn wie jede andere Industrie zu regulieren. Einschränkend muß jedoch hinzugefügt werden, daß aus verschiedenen Gründen der Gewinn, der sich daraus ziehen ließe, gering wäre. Der Sexsektor weist bestimmte Merkmale auf, die es sehr schwierig und sehr teuer machen, ihn effektiv zu regulieren – die „Unternehmen“ sind klein, die Anfangsinvestitionen gering, die Fluktuation von Arbeitskräften und Arbeitsstätten ist hoch, die Mobilität groß. Zudem sind Regierungen – ganz gleich ob im Sexsektor oder in jedem beliebigen anderen „schwer zu regulierenden“ Sektor – selten gewillt, in dem Umfang zu investieren, der nötig wäre, um einen angemessenen Schutz aller Arbeiter zu garantieren. Darüber hinaus gibt es in vielen Ländern Gewohnheiten und Praktiken, die es schwierig machen, eine Regulierung durchzusetzen – etwa wenn Vermittler, die von der Organisation und Kontrolle der Prostitution profitieren, sich selbst nicht als direkte Arbeitgeber sehen, sondern Prostituierte als selbständige Unternehmer betrachten, die verschiedene Dienstleistungen bei diesem Vermittler kaufen und/oder von ihm Einrichtungen mieten. Dies ist ein Arrangement, das häufig der Verschleierung miserabler Arbeitsbedingungen und hochgradig ausbeuterischer Beschäftigungsverhältnisse dient. Gleichzeitig aber kann man nicht davon ausgehen, daß diejenigen, die Sex verkaufen, ein solches Arrangement ablehnen und ein reguläreres, direktes Beschäftigungsverhältnis bevorzugen würden – dem ist sicherlich nicht so. Viele von denen, die sich prostituieren, tun dies unregelmäßig. Sie benutzen Sex z.B. als Mittel, um Schulden abzuzahlen oder auf ein bestimmtes Ziel hin zu sparen, und es wäre gar nicht in ihrem Sinne, in ein dauerhaftes, sichtbares und direktes Arbeitsverhältnis eingespannt zu sein. Die Sichtbarkeit, die so zentral für die Durchsetzung minimaler Arbeitsstandards und für den Schutz der Beschäftigten ist, bringt im Zusammenhang mit Prostitution noch andere Dilemmata mit sich. Auch hier gilt wieder: Arbeitgeber im Sexsektor sind, ähnlich wie beim Beispiel der Hausarbeit in Privathaushalten, oftmals an Migranten interessiert, weil ihre prekäre Situation, die von einem „unsicheren legalen Status im Gastland“ herrührt, sie anspruchsloser und flexibler hinsichtlich der Arbeitszeiten macht. Für viele Migranten, die käuflichen Sex anbieten, bedeutet jedoch eine größere Sichtbarkeit in dem Sinne, daß ihre Beschäftigungssituation einer stärkeren staatlichen Regulierung unterliegt, wahrscheinlich eher, daß sich für sie die Gefahr vergrößert, abgeschoben zu werden, als daß sie mehr Rechte und einen besseren Arbeitsschutz erhalten würden. Auch Prostituierte mit Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsgenehmigung, die mit dem Verkauf von Sex ihre Sozialhilfe aufbessern, laufen bei mehr Sichtbarkeit eher Gefahr, des Sozialbetrugs bezichtigt zu werden, als daß sie mehr Rechte genießen würden. Dies verweist auf ein grundsätzlicheres Dilemma: Diejenigen, die Sex verkaufen, sind keine homogene Gruppe, und ihre Haltung zur „Prostitution“ ist sehr unterschiedlich, komplex und veränderlich. Gegenwärtig findet ein Großteil des Sexgeschäfts in einem nicht regulierten Graubereich als eine Art „Notwirtschaft“ statt, die außerhalb der Gesellschaft liegt. Daran ändert auch die Schaffung eines geregelten formalen Sektors nichts, da die Existenz eines legalen Sektors nicht zwangsläufig bedeutet, daß der illegale oder informelle Sektor verschwindet. Die Tatsache, daß Prostitution eine „unvollständige Ware“ ist, ist sicherlich mitverantwortlich dafür, daß diejenigen, die der Prostitution nachgehen, nach wie vor stigmatisiert und von Mißbrauch und Ausbeutung bedroht sind. Dies erklärt aber auch, warum diejenigen, die bereits aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind – d.h. die Ärmsten der Armen, jugendliche Ausreißer, Drogenabhängige, Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung – gerade zur Prostitution als Mittel zum Überleben Zuflucht nehmen. Würde die Prostitution professionalisiert und in die „moralische“ Wirtschaft als eine legitime und „anständige“ Form der Arbeit integriert, wie dies einige Aktivisten, die für die Rechte von Sexarbeitern streiten, fordern, so wäre sie nicht mehr offen für solche Gruppen. Diese müßten Sex immer noch in einem dunklen, illegalen und ungeschützten Raum verkaufen. Hinzu kommt, daß viele Menschen, die der Prostitution nachgehen, weil sie heimat-, besitz- und rechtlos sind, in ihr keinen echten Beruf sehen, sondern lediglich eine Überlebensstrategie. Es ist keineswegs selbstverständlich, daß sie sich wünschen würden, als „Sexarbeiter“ in die Gesellschaft integriert zu werden, selbst wenn ihnen diese Option offenstünde. Nicht jeder, der käuflichen Sex anbietet, sieht sich selbst als einen „Sexarbeiter“ oder möchte als solcher wahrgenommen werden. Schließlich trägt die Regulierung der kommerziellen Sexindustrie an sich nichts dazu bei, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Vorurteilen gegen Migranten und ethnische Minderheiten entgegenzuwirken. In Wirklichkeit kann vielmehr das Bestreben, gesetzliche Arbeitsstandards in der Sexindustrie anzuwenden und durchzusetzen, mit dem Wunsch einhergehen, Migrantinnen aus dem Sektor zu verdrängen. Solange die Regierungen nicht das Problem der sozialen Ausgrenzung von Migranten und ihrer sozialen, politischen und ökonomischen Marginalisierung angehen, besteht die Gefahr, daß Regulierung lediglich dazu dient, bestehende rassische, ethnische und nationale Hierarchien in der Sexindustrie zu befestigen. Aber noch einmal: Abolitionismus ist nicht die Lösung für die genannten Probleme, denn alle Versuche, den Prostitutionsmarkt zu unterdrücken, ganz gleich ob sie Sexarbeiter oder ihre Kunden ins Visier nehmen, führen fast zwangsläufig dazu, daß diejenigen, die Sex verkaufen, der Abwertung und den Gefahren des Schwarzmarktes ausgesetzt werden oder sich gezwungen sehen, mit anderen Methoden Geld zu verdienen, die ihnen weniger erstrebenswert erscheinen als die, ihren Körper zu verkaufen. Die Nachfrage nach Migrationsgelegenheiten Es gibt einen starken politischen Druck, „Menschenhandel“ als ein rein juristisches und polizeiliches Problem zu begreifen und ihn nicht in den Kontext des umfassenderen Problems der Migration zu stellen. Wenn man es jedoch als wichtigste Aufgabe betrachtet, die Nachfrage nach Zwangsarbeit, Sklaverei und Zwangsdienstbarkeit zu lokalisieren, zu erklären und zu bekämpfen, dann gibt es keinen moralischen oder analytischen Grund mehr, zwischen Zwangsarbeit zu unterscheiden, die von „illegalen Immigranten“ und „geschleusten“ Personen oder „Opfern von Menschenhandel“ geleistet wird. Sicherlich ist der bzw. die Prostituierte, der/die gemäß der Definition des „Palermo-Protokolls“ „gehandelt“ worden ist, für den skrupellosen, ausbeuterischen Arbeitgeber gerade deshalb attraktiv, weil er/sie isoliert ist und keine Chance hat, den Job zu quittieren oder eine Entschädigung für nicht gezahlten Lohn oder eine andere Form von Ausbeutung zu erstreiten. Aber „geschleuste“ Personen und Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung können ebenso leicht Opfer von Mißbrauch und Ausbeutung in der Prostitution (oder jedem anderen Sektor) werden. Mit anderen Worten, es gibt keine Nachfrage nach Arbeit bzw. Dienstleistungen von gehandelten Personen an sich, sondern nur nach billiger und ungeschützter Arbeit. Die Reduzierung des Menschenhandels auf Schleuserkriminalität mag für diejenigen klar sein, deren politisches Hauptaugenmerk der Grenzkontrolle und der nationalen Souveränität gilt. Hingegen ist sie keineswegs offensichtlich für Menschen, denen in erster Linie daran liegt, die Rechte von Arbeitsmigranten zu stärken und zu schützen. Und wie viele Beobachter richtig bemerken, können Strategien, die darauf abzielen, Immigration zu kontrollieren und zu begrenzen, in Wirklichkeit die Märkte für „Menschenhandel“ und „Schleusertum“ noch anheizen und das Problem der Anwerbung irregulärer („gehandelter“, „geschleuster“ oder sonstiger) Migranten als billige und schutzlose Arbeitskräfte noch verschärfen. Neben der Nachfrage nach billiger Arbeit bzw. Dienstleistungen in Zielländern muß daher auch den Gelegenheiten zur Migration in den Herkunftsländern erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. „Menschenhandel“ wird oft beschrieben als eine Art moderner Sklavenhandel, und bei den meisten Menschen ruft das Wort Bilder von Frauen und Kindern hervor, die in ihrer Heimat geraubt und gewaltsam in ein anderes Land verschleppt werden. Die Forschung kommt jedoch im allgemeinen zu einem anderen Ergebnis, daß nämlich „Menschenhandel“ in der großen Mehrzahl der Fälle eine „korrumpierte“ Art von Migration ist, bei der sich ganz spezifische Migrationsprojekte – der Wunsch, durch Arbeitsmigration und die Annahme eines Jobs als Hausangestellter, in Landwirtschaft, Gastronomie oder Sexindustrie Ersparnisse anzusammeln oder seine Verwandten in der Heimat zu unterstützen; der Traum, seinen Kindern eine bessere Zukunft zu sichern, indem man sie zu Erziehung und Ausbildung ins Ausland schickt; das Bestreben, sein eigenes Leben durch eine „vorteilhafte“ Ehe zu verändern – in einen Albtraum verwandeln. Die überwiegende Mehrheit der Frauen und Mädchen aus Osteuropa, Afrika, Lateinamerika und Südostasien, die als Prostituierte in der Zwangsarbeit in westeuropäischen Ländern landen, wollten emigrieren – wenngleich nicht immer mit dem Ziel, als Prostituierte zu arbeiten, und natürlich wohl kaum mit der Absicht, Zwangsarbeit zu leisten. Hinzu kommt, daß all diese Frauen und Mädchen gute Gründe für ihre Emigration haben. Nur in den seltensten Fällen wird daher eine öffentliche Debatte oder sogar persönliche Erfahrung der Gefahren, die mit illegaler Migration verbunden sind, solche Menschen davon abhalten können, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Aus diesem Grund nennen Kritiker die Rückführung von „geschleusten“ Personen oder „Opfern von Menschenhandel“ „umgekehrten Menschenhandel“. Ein Beispiel: Die Analyse einer Stichprobe von 256 albanischen Kindern, die zwischen 1998 und 2000 von Italien nach Albanien rückgeführt worden waren, zeigte, daß 2001 „nur 98 der rückgeführten Kinder sich noch immer in Albanien aufhalten, während 155 erneut emigriert sind“. Diese Kinder waren zwar nicht unbedingt alle in die Prostitution geraten (einige aber möglicherweise sehr wohl); dennoch hilft diese Analyse zu erklären, warum es Fälle gibt, in denen sich sogar Kinder, die unter den armseligsten Bedingungen arbeiten mußten, ihrer Rückführung widersetzen. Von den 256 in ihre Heimat zurückgebrachten Kindern fanden danach nur sechs in Albanien eine Arbeit. Ein ähnliches Resultat erbrachten Interviews mit 60 Jugendlichen aus Moldova, die in ihre Heimat zurücktransportiert worden waren: Fast alle, einschließlich derer, die im Ausland als Prostituierte gearbeitet hatten, wollten erneut ausreisen – zudem waren einige der Befragten bereits mehr als zweimal „gehandelt“ worden. Dieses Ergebnis kann nicht überraschen, wenn man bedenkt, daß mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Moldovas unter einer Armutsgrenze von 11,50 US-Dollar pro Monat lebt und daß 30 Prozent der Einwohner unter 18 Jahre alt sind, wovon ca. 17 000 in trostlosen, unterfinanzierten Institutionen für „Sozialwaisen“ – also Einrichtungen für Kinder, deren Familien nicht in der Lage sind, sie zu unterstützen – leben, um nicht zu sagen: vegetieren. In Moldova wird Arbeitsmigration für Kinder und Erwachsene gleichermaßen als der einzig praktikable Weg zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation gesehen, und Geldüberweisungen von Migranten belaufen sich auf etwa 50 Prozent von Moldovas Staatshaushalt. Da verwundert es nicht, daß Moldawier neben Albanern an der Spitze der Nationalitäten mit dem höchsten Anteil an Opfern von „Menschenhandel“ stehen, die von Strafverfolgungsbehörden und Nichtregierungsorganisationen im Sexgeschäft auf dem Balkan identifiziert wurden. Angesichts der Tatsache, daß die Lebensbedingungen, denen viele Migranten zu entkommen suchen, dermaßen trostlos, brutal und entwürdigend sind, fällt es auch schwer zu verstehen, warum irgend jemand, dem ehrlich daran liegt, die Menschenrechte zu schützen und zu fördern, Maßnahmen zur Eindämmung der Nachfrage nach kommerziellem Sex auf Platz eins der politischen Agenda setzt. Viel wichtiger ist es, in den Zielländern eine humanere, nicht-diskriminierende und die Rechte von Migranten in den Mittelpunkt rückende Migrationspolitik zu fördern und vor allem Armut, globale Einkommensungleichheiten, Arbeitslosigkeit, geschlechtliche Diskriminierung, ethnisch-rassische Konflikte und politische Instabilität in den Herkunftsländern der Migranten zu bekämpfen. Aus dem Englischen von Andrea Huterer, Berlin
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