Demokratieförderung in der Sackgasse
Europa versagt in Belarus
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Abstract
Mit der Charta von Paris legte die KSZE 1990 die Grundlagen für eine demokratische Wertegemeinschaft in Europa. Doch die Transformation in Osteuropa zu Demokratien ist ins Stocken geraten. Die Doktrinen eines "starken Staates" und "gelenkter Demokratie" haben Konjunktur. In Belarus erteilt das autoritäre Regime Lukašenka jeglichen Reformbestrebungen eine Absage. Die deklamatorische Solidarität der Europäischen Union mit der unterdrückten demokratischen Bewegung im Lande reicht nicht aus. Gefordert ist eine proaktive Unterstützung der demokratischen Alternative zum autoritären Unrechtsstaat.
(Osteuropa 9/2006, S. 5772)
Volltext
In Belarus beherrscht Präsident Aljaksandr Lukašėnka mit seinem Präsidialamt und einer von ihm abhängigen Verwaltung und Justiz das politische und gesellschaftliche Geschehen. Die Oppositionsparteien und freien Medien werden verfolgt und nur als Randerscheinungen geduldet. Das Regime mißachtet europäische Kriterien für demokratische Verfassungen und Menschenrechte. 1996 beseitigte Lukašėnka die demokratische belarussische Verfassung, 2004 verschaffte er sich durch eine weitere Verfassungsänderung die Möglichkeit einer unbegrenzten Wiederwahl. Als einziges Land in Europa ist Belarus nicht Mitglied des Europarats. Die Europäische Union und die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) verhängten 1997 politische und wirtschaftliche Sanktionen und erneuerten diese nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen im März 2006. 1997 war eine OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk mit dem Auftrag eingerichtet worden, die Bildung demokratischer Institutionen zu unterstützen und die Einhaltung von OSZE-Kriterien auf den Gebieten der Demokratie und Menschenrechte zu beobachten. Bei der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der OSZE-Staaten im November 1999 in Istanbul erkannte Präsident Lukašėnka die international verankerte Verpflichtung zur Transformation zur Demokratie durch seine Unterschrift an. Im Widerspruch zu diesen Verpflichtungen hat sich Lukašėnka dem Drängen der EU auf demokratische Reformen und die Beachtung der Menschenrechte besonders auf politischem Gebiet widersetzt. Die politische und gesellschaftliche Opposition ist seiner Willkür schutzlos ausgesetzt und bedarf mehr als nur der deklamatorischen internationalen Solidarität und Unterstützung. Die EU und einzelne europäische Regierungen unterstützten die Reformprojekte der OSZE-Mission in Belarus in den Jahren 1997–2001, können diese Unterstützung aber seit der Abschwächung des OSZE-Mandats 2003 nicht mehr fortsetzen. Nur ein Bruchteil der finanziellen Mittel, die über das Gemeinschaftsprogramm TACIS zur Förderung der Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und marktwirtschaftlichen Transformation in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion für Belarus vorgesehen sind, wird für Demokratie- und Menschenrechtsprojekte ohne Beteiligung der belarussischen Regierung eingesetzt. Aus Sicht der politischen und gesellschaftlichen Opposition in der belarussischen Zivilgesellschaft mangelt es weniger an europäischer Solidarität mit den bedrängten demokratischen Kräften in Belarus als vielmehr an einer effizienten Umsetzung dieser Solidarität in eine tatsächliche Unterstützung. Diese Kritik ist berechtigt. Im vorliegenden Aufsatz werden Wege gewiesen, wie die EU ihrer politischen Verpflichtung zur Förderung der Demokratisierung in Belarus wirkungsvoller und aussichtsreicher nachkommen kann als bisher. Die Voraussetzung hierfür ist, daß die europäische Staatengemeinschaft in weit stärkerem Maße als bisher auf eine enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft setzt statt wie bisher auf einen erfolglosen Dialog mit dem Lukašėnka-Regime. Die Forderung nach einem konzeptionell durchdachten, proaktiven Engagement für die politischen Ziele der belarussischen Zivilgesellschaft richtet sich auch an die einzelnen EU-Mitgliedstaaten, die diese seit Jahren vorgebrachte Forderung bislang nur zögerlich und mit beschränktem finanziellem und politischem Engagement aufgegriffen haben, obschon es an offiziellen Erklärungen der Solidarität mit der Zivilgesellschaft und Kritik am Lukašėnka-Regime nicht mangelt. Denn ungeachtet ihrer politischen Solidarität mit den Zielen der Opposition in Belarus – wie in anderen Ländern Osteuropas – favorisieren die Europäische Union und die meisten Mitgliedstaaten bislang den Dialog mit den entsprechenden Regierungen, um diese zu substantiellen Reformen auch auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Demokratie zu bewegen. Demokratieförderung in Osteuropa: die Rolle der KSZE/OSZE Als Zielvorgabe für die Demokratisierung der ost- und ostmitteleuropäischen Staaten dienten nach dem Zusammenbruch des Kommunismus die Dokumente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zur Menschlichen Dimension und zu den Menschenrechten, die im Juni 1990 in Kopenhagen bzw. im November 1990 in Paris unterzeichnet wurden. In der Charta von Paris bekannten sich die Regierungen der osteuropäischen Staaten zu einer demokratischen Ordnung und verpflichteten sich, entsprechende Reformen durchzuführen. Die Charta regelt Schlüsselfragen der gesellschaftlichen und politischen Ordnung sowie die Sicherung der Stellung des einzelnen in der Zivilgesellschaft. Ein Zusatzdokument enthält Einzelheiten wie etwa zur Einrichtung eines Büros für Freie Wahlen (ab 1992 Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, ODIHR – Office for Democratic Institutions und Human Rights). Das Kopenhagener Dokument über die Menschliche Dimension der KSZE vom Juni 1990 betont u.a. die Bedeutung fairer und freier Wahlen. Diese international eingegangene Verpflichtung haben einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion jedoch nicht oder nur in einem formalistischen Sinne eingelöst. Internationale Wahlbeobachter haben nur beschränkte Möglichkeiten, eventuelle Unregelmäßigkeiten im Laufe des Wahlverfahrens zuverlässig feststellen zu können. Eine effektive Kontrolle des gesamten Wahlprozesses ist nur auf dem Wege eines vernetzten einheimischen Wahlbeobachtungsverfahrens möglich. Ein solches System läßt sich angesichts der fehlenden finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen in den postsowjetischen Staaten nur mit internationaler Hilfe aufbauen. In Belarus hat Lukašėnka nach den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2001, bei denen ein weitverzweigtes Netz einheimischer, unabhängiger Wahlbeobachter vorhanden war, auf administrativem und gesetzlichem Wege deren Handlungsspielraum systematisch eingeengt, ja ihre Tätigkeit praktisch unmöglich gemacht. In ähnlich substantieller Weise wie die freien Wahlen werden in den Dokumenten von Paris und Kopenhagen die Komplexe „Demokratische Ordnung“, „Unabhängigkeit der Rechtsordnung“, „Minderheitenschutz“ und „Marktwirtschaft“ behandelt. Die Rolle der OSZE bei der Unterstützung der Transformation hin zu Demokratie hat sich im letzten Jahrzehnt verändert. Bei der Umwandlung der KSZE in eine permanente Organisation – die OSZE u.a. mit einem Ständigen Rat – blieb es beim Konsensprinzip: Maßnahmen der OSZE können nur im Einvernehmen zwischen den teilnehmenden Regierungen beschlossen werden, minus einer Stimme, nämlich der des betroffenen Landes. Sobald sich daher in einzelnen Staaten, vor allem in Osteuropa, politischer und also auch amtlicher Widerstand gegen eine Demokratisierung regte, büßten die OSZE und ihre Organe ihre Handlungsfähigkeit auf diesem sensitiven Gebiet weitgehend ein. Damit sind eine erhebliche Verwässerung der Glaubwürdigkeit und eine Schwächung der Durchsetzungsfähigkeit der OSZE eingetreten, was die Gefahr in sich birgt, daß die angestrebte Wertegemeinschaft in Europa zu einer Interessengemeinschaft reduziert wird. Als politisches Gegengewicht zu dem nur beschränkt handlungsfähigen Ständigen Rat hat sich die Parlamentarische Versammlung der OSZE erwiesen, in der tatsächlich mit Mehrheitsentscheidung kritische Entschließungen zu den Demokratiedefiziten in einzelnen Mitgliedstaaten verabschiedet werden. Seit 1992 ist die OSZE unglücklicherweise gezwungen, vorwiegend Krisenmanagement zu betreiben. Demgegenüber ist die Unterstützung der Demokratisierung in Osteuropa in den Hintergrund gerückt. Demokratiedefizite in Osteuropa Die politische Führung von Belarus steht in Osteuropa nicht allein mit dem Bemühen, den demokratischen Transformationsprozeß in ihrem Sinne umzulenken und Konzepte wie die des „starken Staates“ und der „gelenkten Demokratie“ durchzusetzen. Am Ende haben wir es mit autoritären Systemen zu tun, in denen oppositionelle Kräfte allenfalls geduldet, meist aber verfolgt werden. Deutlicher noch als in Rußland manifestiert sich in Belarus die Tendenz hin zu einem neosowjetischen, autoritären Obrigkeitsstaat. Der 1994 auf der Grundlage einer demokratischen Verfassung gewählte Aljaksandr Lukašėnka setzte sehr schnell alles daran, die Gewaltenteilung aufzuheben und im November 1996 durch ein manipuliertes Referendum eine Verfassung zu oktroyieren, die alle Macht in der Person bzw. dem Amt des Staatspräsidenten konzentrierte. 2004 ließ er durch ein weiteres Referendum die unbegrenzte Wiederwahl des jeweils amtierenden Präsidenten legitimieren. Moskau folgte allen diesen verfassungspolitischen Kapriolen, während der Westen – die Europäische Union, der Europarat, die Parlamentarische Versammlung der OSZE, aber auch die Vereinigten Staaten – Sanktionen gegen das Regime verhängte und die Umsetzung genuiner demokratischer Reformen in Verfassung und Gesellschaft anmahnte. Auch dort, wo es vor allem dank US-amerikanischer Hilfe beim Aufbau effizienter einheimischer Wahlbeobachtungsstrukturen die sogenannten „Blumenrevolutionen“ gab – in Georgien und in der Ukraine –, hapert es heute an der Entfaltung weiterer demokratischer Reformen in Staat und Gesellschaft. In Georgien setzen sich clangestützte Seilschaften durch und fördern einen autoritären Regierungsstil, der angesichts der starken Einflußnahme Rußlands auf die inneren Prozesse in gewissem Umfang verständlich ist. In der Ukraine wurde nach dem überzeugenden Wahlsieg von Präsident Viktor Juščenko im Dezember 2004 die neue Verfassung, welche die Rechte des Parlaments zulasten des Präsidenten stärkt, zu einem Hemmschuh für eine Demokratisierung in den Bereichen Gesetzgebung, Verwaltung und Wirtschaft. Nach dem Sieg der pro-rußländischen Kräfte in den Parlamentswahlen 2006 haben wir es in der Ukraine mit einer Kohabitation widerstreitender politischer Kräfte zu tun, die Reformen nach den EU-Kriterien unwahrscheinlicher und ein Eingehen auf rußländische Interessen wahrscheinlicher werden lassen Solange es keine begründete Hoffnung auf eine EU- und NATO-Mitgliedschaft gibt, bleiben die demokratischen und marktwirtschaftlich orientierten Kräfte in der Ukraine und in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion in der Defensive, weil ja nur eine solche Perspektive als glaubwürdige Alternative zur sonst unvermeidlich erscheinenden Anbindung an die Rußländische Föderation und letztlich zu einer strategischen Abhängigkeit von Moskau den Reformkräften den nötigen Aufwind im Lande geben kann. Der Weg nach Europa mag langwierig sein, aber ein glaubwürdiges Signal ist erforderlich, daß die Mitglieder der Europäischen Union diesen Gürtel von Ländern zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, zwischen der Rußländischen Föderation und den heutigen Ostgrenzen der EU als Staaten anerkennen, die bei Erfüllung der Voraussetzungen durchaus Mitglieder der EU werden können. Ein Blick in die Geschichte dieser Völker unterstreicht ihre jahrhundertealte Zugehörigkeit zum westeuropäischen Kulturkreis. Die Defizite in der demokratischen Transformation beruhen vor allem auf der Unwilligkeit der autoritären Regierungen, diesen Pfad zu beschreiten, bzw. auf Unterdrückungsmaßnahmen gegen eine Bevölkerung, die sich in einer repressionsfreien Situation eher westwärts als ostwärts orientieren würde. Defizite der deutschen Demokratieförderung in Osteuropa Angesichts der düsteren Aussichten für eine Transformation zur Demokratie in fast allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion scheinen die deutschen Regierungsstellen und politischen Bildungseinrichtungen, darunter die politischen Stiftungen, resigniert zu haben. So ist leider zu konstatieren, daß sie bei ihren Bemühungen auf eine umfassende, konkrete und systematische Förderung demokratischer Kräfte in Osteuropa weitestgehend verzichten. Die TRANSFORM-Programme der Bundesregierung sind praktisch beendet worden und konzentrierten sich ohnehin vornehmlich, wenn nicht ausschließlich, auf die Reform staatlicher Einrichtungen und gesetzlicher Regelungen. Das angesehene Deutsch-Russische Forum, das u.a. mit der Gestaltung des Petersburger Dialogs der Zivilgesellschaften beauftragt wurde, wird auf beiden Seiten als Dialogforum für die staatlich geförderten Einrichtungen angesehen und eignet sich eben nicht als Runder Tisch für gesellschaftliche Kräfte mit unterschiedlichen Interessen in den jeweiligen Staaten. Einzelne Ressorts verfolgen Einzelprojekte auf dem Wege der technischen Kooperation. Der Handlungsspielraum von politischen Stiftungen und NGOs in Osteuropa bewegt sich in den Grenzen, die ihnen die eigenen Ziele, die bereitgestellten Mittel und der Grad, in dem die betreffenden Regierungen ihre Aktivitäten hinnehmen, setzen. Selbst humanitär motivierte Hilfsprogramme wie die für Opfer der Tschernobyl-Katastrophe stoßen in einem Lande wie Belarus auf erhebliche Schwierigkeiten. Mißtrauisch werden Aktivitäten von Menschenrechts- und anderen Nichtregierungsorganisationen wie dem Deutsch-Russischen Austausch oder kirchlich gestützten Strukturen wie dem Diakonischen Werk oder Renovabis beobachtet. Das seit Jahren in Minsk von der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft in der von Deutschland finanzierten Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte (IBB) durchgeführte „Minsker Forum“ kann zwar weiterhin stattfinden, aber das belarussische Außenministerium siebt die deutschen Teilnehmer bei der Visaerteilung nach genehmen und nichtgenehmen Teilnehmern und nimmt selber an dem Forum nicht mehr teil. Doch das Problem liegt auch auf seiten der NGOs und Stiftungen. Seit den politischen Umbrüchen an der Wende zu den 1990er Jahren haben die deutschen politischen Stiftungen kein strategisches Konzept für die großen Bildungsaufgaben bei der Förderung von demokratischen Reformkräften in den Zivilgesellschaften Osteuropas entwickelt. In der Regel engagieren sie sich punktuell, um Präsenz zu zeigen, personelle Netzwerke aufzubauen und um Unterlagen für die eigene Beurteilung der Entwicklung in diesen Gebieten des „gemeinsamen Hauses Europa“ zu erarbeiten. Diese begrenzten Zielsetzungen müssen angesichts der Dimension der zu bewältigenden Aufgabe als unzureichend eingestuft werden. Ein strategisches Konzept würde Perspektiven dieser Länder auf der Basis der gemeinsamen Werte, wie sie im November 1990 in Paris verankert wurden, identifizieren, abgestimmte Programme, ja gemeinsame Einrichtungen mit anderen politischen Stiftungen beinhalten und Instrumente entwickeln, mit denen die noch schwachen demokratischen und gesellschaftlichen Kräfte systematisch gestärkt werden können (Medien, Politikberatung, Aufbau von Wahlbeobachtungsnetzwerken, internationale Vernetzung). Das mangelnde strategische Engagement ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, daß die politischen Stiftungen weder von der Bundesregierung noch vom Deutschen Bundestag Ermutigung und finanzielle Unterstützung bei der Entwicklung einer strategisch angelegten, finanziell aufwendigen Konzeption für die Demokratieförderung in Osteuropa erfahren haben. Ansätze zu einer solchen Konzeption in Belarus auf europäischer Ebene hat es durchaus gegeben. Während meiner vierjährigen Tätigkeit als Leiter der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk habe ich an zahlreichen internationalen Konferenzen von Stiftungen aus westlichen Ländern teilgenommen, die ihre Programme für Belarus in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und Ausbildung diskutierten und sich über die Lage vor Ort austauschten. Beobachter von Regierungen waren dabei, gelegentlich auch Vertreter von Ministerien oder Botschaften, die Kooperationsprogramme mit Belarus durchführten. Vereinzelt nahmen Vertreter politischer Stiftungen teil. Ansätze zu Strategien für die substantielle Beratung der politischen und gesellschaftlichen Kräfte in Belarus mit dem Ziel, die Transformation zur Demokratie aus der belarussischen Gesellschaft selbst wiederzubeleben, gab es auch in Verbindung mit den Aktivitäten der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk. Ihren Niederschlag fanden diese in der Abschlußerklärung des Istanbuler OSZE-Gipfels im November 1999, die auch von den Präsidenten der Rußländischen Föderation und Belarus’ unterzeichnet wurde. Die Erklärung nennt ausdrücklich die politischen Oppositionsparteien als Dialogpartner der belarussischen Regierung – eine Opposition, die sich in einem Beratenden Ausschuß zur Ausarbeitung einer Verhandlungslinie erfolgreich vereinigt hatte. Die Projekte der OSZE-Mission wurden finanziell von mehreren Regierungen, darunter der Bundesregierung, unterstützt. Nachdem diese Tätigkeit der OSZE Ende 2001 auf Drängen von Lukašėnka zum Erliegen gekommen war, wurde die Demokratieförderung und insbesondere die Unterstützung der politischen Opposition in Belarus von der Bundesregierung, von der Europäischen Union, von den politischen Stiftungen in keiner strategischen Dimension fortgeführt, sondern nur mit Kleinstprojekten von marginaler politischer Bedeutung. Die politische Struktur der Opposition in Belarus konnte von Lukašėnka ungestört zerschlagen werden. Kooperation mit der Opposition statt Dialog mit dem Regime Die EU, die Bundesregierung und mehrheitlich auch die politischen Stiftungen setzten bei ihrem Bestreben, Schritt für Schritt demokratische Reformen und gleichzeitig damit eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu erreichen, auf den Dialog mit Lukašėnka und seinem Machtapparat. Eine neue Strategie für die Kooperation mit den politischen Oppositionskräften wurde nicht entwickelt. Bei der mit einigem Aufwand betriebenen Förderung der Zivilgesellschaft standen unpolitische Themen im Vordergrund. Diese Situation hat sich bis 2006 nicht substantiell verändert. Auch die Europäische Kommission strich das Land Belarus von der Prioritätenliste für Programme auf dem Felde „Demokratie und Menschenrechte“ (bis Oktober 2005). Allerdings gab es Appelle der EU an die belarussische Regierung, demokratische Reformen einzuleiten, damit bilaterale EU-Belarus-Programme im Rahmen des Konzepts der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) ausgearbeitet werden können. Diese Appelle blieben jedoch ohne positive Resonanz. Seit einiger Zeit zeichnen sich immerhin erste Initiativen für ein stärkeres Engagement der politischen Stiftungen sowie der Europäischen Kommission in Belarus ab, die auf eine direkte Förderung der belarussischen Zivilgesellschaft und eine Kooperation mit der politisch-gesellschaftlichen Opposition setzen. Die Frage ist jedoch, ob man über diesen zaghaften Anfang hinauskommen wird. Dies läßt sich nur schwer prognostizieren. Auf jeden Fall werden die USA das Demokratiedefizit weiterhin zum Anlaß nehmen, um die bedrängte Opposition im Lande aktiv zu unterstützen. Die politische und gestalterische Zurückhaltung innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft mag außenpolitische Gründe haben. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist sicherlich die Rücksichtnahme auf Interessen der Rußländischen Föderation. Neben konzeptionellen Mängeln in den Stiftungen und Amtsstuben spielt sicherlich auch die Überlegung eine Rolle, ob die Demokratieförderung in Belarus und anderen osteuropäischen Ländern nicht falsche Erwartungen hinsichtlich einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft und einer substantiellen finanziellen Unterstützung bei den inneren Reformen wecken könnte. Manche mögen auch die Demokratiefähigkeit der Nachfolgestaaten der Sowjetunion prinzipiell in Frage stellen. Ungeachtet der international eingegangenen Verpflichtung der osteuropäischen Staaten zur Umsetzung von demokratischen Reformen zögern westliche Institutionen, im Falle gegenläufiger Entwicklungen in einzelnen Ländern wie z.B. in Belarus, die Kräfte der politischen Opposition und direkt zu fördern. Fehlende Konzepte für eine Förderung der Zivilgesellschaft in Belarus Das Denken in staatlichen Kategorien und in solchen der internationalen Beziehungen hat die Oberhand. Das Denken und Handeln in Kategorien grenzüberschreitender gesellschaftlicher Strukturen auch auf dem Gebiet der Demokratie und Menschenrechte scheint demgegenüber unterentwickelt zu sein. Der bisherige Mangel an deutschen wie europäischen Gesamtkonzepten wird von den demokratischen, regimekritischen Kräften in Rußland und in Belarus leicht als Verbeugung der Europäischen Union und der EU-Mitgliedstaaten, nicht zuletzt auch Deutschlands, vor den herrschenden Autokraten in Moskau und Minsk, als Hintansetzung demokratischer Werte gegenüber politischen oder wirtschaftlichen Staatsinteressen angesehen. Es wäre zu wünschen, daß die politischen Stiftungen in Sachen systematischer Demokratieförderung in Belarus gemeinsam an einem Runden Tisch den Fragenkomplex gründlich studieren und gemeinsame Konzepte für eine nachhaltige und wirksame Demokratieförderung vereinbaren würden. Eine Abstimmung mit Regierung und Parlament wäre unverzichtbar. Ob das dabei helfen würde, zu einer Konzeption zu gelangen, die den Namen auch verdient, zu einer Konzeption, die sich nicht auf die Kooperation mit der Regierung des in Frage stehenden Landes stützen würde, sondern im wesentlichen auf die demokratisch ausgerichteten Teile der Zivilgesellschaft, ist eine offene Frage. Es mag vielleicht den USA leichter fallen als den europäischen Nachbarn von Rußland und Belarus, das eigene politische Prestige und finanzielle Mittel für eine politisch und strategisch ausgerichtete Förderung der Zivilgesellschaft in Belarus einzusetzen und dafür außenpolitische und wirtschaftliche Nachteile sowie das Risiko in Kauf zu nehmen, scharfe Kritik aus Moskau und Minsk wegen angeblicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes zu ernten. Während es der EU und ihren Mitgliedstaaten bei ihrem politischen und finanziellen Engagement in Osteuropa um den verbindenden demokratischen Wertekatalog im „gemeinsamen Haus Europa“ geht, spielen bei den USA auch andere, nämlich strategische Ziele eine Rolle. Gerade deswegen sollte die eigenständige europäische Politik in Sachen Demokratieförderung nicht im Bereich des Verbalen verbleiben, sondern gestalterisch wirken. Wie dem auch sei, für die politische Opposition in Belarus stellt die im wesentlichen verbale Solidarität der eigenen Nachbarn in Europa und der europäischen Institutionen (EU, Europarat, Parlamentarische Versammlung der OSZE) eine schmerzhafte Erfahrung dar. Es scheint, daß unsere politischen Meinungsbildner und Entscheidungsträger dafür eine geringe Sensibilität entwickelt haben. Demokratieförderung in Osteuropa à l’americaine und à l’européenne Die europäische Demokratieförderung ist kurzfristig gesehen bislang nicht ergebnisbezogen orientiert, sondern hebt auf Langzeitwirkungen ab. In einem Aufsatz zur Rolle politischer Bildungsarbeit und Förderung der Zivilgesellschaft bei der Demokratieförderung in Ostmitteleuropa stellt Matthias Freise fest: Politische Bildung und ihr englisches Pendant Civic Education nehmen unter den Instrumenten externer Demokratieförderung in den postsozialistischen Gesellschaften Ostmitteleuropas eine herausgehobene Stellung ein. Konzentrierte sich die Arbeit ausländischer Organisationen anfangs auf die Beratung zur Implementierung demokratischer Wahlverfahren, Verfassungen und Rechtssysteme sowie auf die Parteienlandschaften, ist spätestens seit Mitte der 1990er Jahre die Zivilgesellschaft in das Zentrum externer Förderanstrengungen gerückt. Dahinter steht folgende Annahme: Demokratische Institutionen und Verfahren reichen keineswegs aus, ehemalige Autokratien in liberal-demokratische Systeme zu überführen. Es braucht viel mehr als das: eine politische Kultur, die durch demokratische Werte und Verhaltensmuster geprägt ist und somit dem neuen demokratischen System Legitimität verleiht; ein starkes Vereins- und Verbandswesen, das die demokratische Konsolidierung stützt sowie ein hohes Maß an bürgerschaftlichem Engagement. Und dies läßt sich nur mit Hilfe politischer Bildungsarbeit erreichen. Der inhaltlichen Aussage ist grundsätzlich zuzustimmen. Es muß aber betont werden, daß erfolgreiche politische Bildungsarbeit mit den Menschen und Einrichtungen anderer Länder nur auf dem Wege des Dialogs und nicht nach einem von außen verordneten, quasi-schulischen Unterrichtsverfahren erfolgen sollte. Die USA haben mit der in den 1980er Jahren mit amtlichen Mitteln geschaffenen Stiftung National Endowment for Democracy und deren Unterorganisationen wie dem International Republican Institute (IRI) und dem National Democratic Institute for International Affairs (NDI) eine Institution geschaffen, deren Aufgabe es ist, in nicht demokratischen Staaten durch gezielte Förderung eine freie Presse, eine unabhängige Justiz sowie selbständige politische Parteien zu stärken und demokratische Konzepte für die Zivilgesellschaft und für die staatlichen Institutionen zu entwickeln. Der von diesen Instituten geförderte Aufbau von landesweiten unabhängigen Wahlbeobachtersystemen ist von entscheidender Bedeutung für das politische Ringen der demokratischen Kräfte in einem autoritär geführten Land. Die US-Einrichtungen aktivieren für diese Aufgabe in Osteuropa auch Fachleute aus dem ostmittel- und südosteuropäischen Raum und waren mit dieser Methode bislang recht erfolgreich. Einen kritischen Blick auf die Herangehensweise der deutschen politischen Stiftungen an das Problem der Demokratieförderung in Osteuropa im Vergleich zur Strategie US-amerikanischer foundations wirft Winfried Schneider-Deters: Wo sich der Konflikt zwischen einem autokratischen Regime und einer demokratischen Opposition durch die eklatante Mißachtung des Wählerwillens in einem unerträglich gewordenen Maße revolutionär zuspitzte, gilt es selbstkritisch einzuräumen, daß die amerikanische Konfrontationsstrategie [der Unterstützung einheimischer Partner-NGOs in deren Opposition zu den demokratisch nur bedingt legitimierten Regimes] als opportun und die auf Ausgleich gerichtete Haltung der deutschen politischen Stiftungen [i.e. die Befürwortung der Zusammenarbeit zwischen Staat und NGO-Sektor] eher als opportunistisch einzuschätzen ist. Dieser Befund gilt für die Entwicklung in Georgien im Herbst 2003 und die Ukraine im Winter 2004 gleichermaßen. Dem spontanen Protest verhalfen dort von amerikanischen Institutionen geschulte Gruppen zum Sieg; deutsche politische Stiftungen spielten hingegen keine Rolle. Dieser Einschätzung ist voll zuzustimmen. Im Lichte der erfolgreichen „Blumenrevolutionen“ in der Ukraine und Georgien entwickelte die deutsche Bertelsmann-Stiftung zusammen mit der US-amerikanischen NGO Open Society eine Belarus-Initiative mit dem Ziel, die EU noch vor den Parlamentswahlen in Belarus 2004 und den Präsidentschaftswahlen 2005 zu einer proaktiven Politik gegenüber der dortigen Zivilgesellschaft zu bewegen. Die Initiative führte aber weder in der EU noch in Berlin oder bei den politischen Stiftungen zu einer nachhaltigen Verstärkung des strategischen Engagements für eine direkte Demokratieförderung in Osteuropa bzw. Belarus. Einige Aktivitäten wurden gestartet, z.B. die Förderung von auf Belarus gerichteten Radio- und Fernsehprogrammen und die Durchführung von Besuchsreisen belarussischer Politiker und spezifischer Gruppen in die EU. Belarus wurde, wie dem Autor inoffiziell bekannt wurde, auch wieder auf die Prioritätenliste der Europäischen Kommission für Projekte auf dem Gebiet Demokratie und Menschenrechte gesetzt. Die kritische Beurteilung des autoritären Regimes nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen im März 2006 durch die europäischen Institutionen und ein entsprechendes Echo in den Parlamenten und bei den Regierungen von EU-Mitgliedstaaten steht außer Frage. Den mutigen Demonstrationen junger Menschen gegen die Fälschung der Wahlergebnisse wird Respekt gezollt und die strafrechtliche Verfolgung von Demonstranten, Wahlbeobachtern und Präsidentschaftskandidaten scharf verurteilt. Sanktionen gegen Schlüsselpersonen im Regierungssystem wurden beschlossen. Aber es bewegt sich kaum etwas bei der Antwort auf die Frage, wie der unterdrückten Opposition wirksam geholfen werden soll. Die Zeit drängt, denn im Januar 2007 werden Kommunalwahlen stattfinden, und die Opposition bereitet ihre Teilnahme daran vor. Einige der ostmitteleuropäischen Länder wie Polen und Litauen, die vor wenigen Jahren selbst durch den politischen Befreiungskampf gingen, drängen die europäischen Institutionen zu wirksameren Maßnahmen, während sie gleichzeitig offen mit amerikanischen NGOs zusammenarbeiten. Die OSZE auf Konfrontationskurs mit Belarus In Belarus hatte die OSZE-Berater- und Beobachtergruppe von 1998 bis 2001 ein relativ weitgehendes Handlungsmandat. Auf der Grundlage des Belarus-Passus in der erwähnten Erklärung der Präsidenten und Regierungschefs auf dem Istanbuler OSZE-Gipfel 1999 konnte die Gruppe eine Reihe wichtiger demokratiefördernder Maßnahmen durchführen. Zu den Ergebnissen ihrer Arbeit zählen ▪ der Aufbau eines weitverzweigten Netzes unabhängiger belarussischer Wahlbeobachter; ▪ eine Vereinbarung mit der Regierung über Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition über eine begrenzte demokratische Reform mit einer unterstützenden Funktion der OSZE-Mission; ▪ die Bildung eines ständigen „Beratenden Ausschusses der politischen Oppositionsparteien“; ▪ die kontinuierliche Förderung unabhängiger Medien; ▪ die Bildung einer Belarus-Troika aus Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie der Parlamentarischen Versammlungen der OSZE und des Europarats; ▪ eine Übereinkunft zwischen der Europäischen Kommission, dem OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) und der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Belarus über ein Demokratieprogramm mit einem Jahresetat von etwa einer Million Euro. Diese Maßnahmen wurden z.T. gemeinsam mit der belarussischen Regierung durchgeführt. Nationale Regierungen (z.B. Deutschland, die Niederlande, Großbritannien, Kanada) stellten finanzielle Mittel für die Projekte zur Verfügung. Diese positive Entwicklung brach jedoch ab, als sich die Regierungen in Europa ebenso wie das OSZE-Sekretariat von Lukašėnka beeindrucken ließen, als dieser dem Westen im Jahre 2001 zu verstehen gab, der damalige Leiter der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk, Botschafter Wieck, habe sein Mandat überschritten. Der belarussischen Erklärung über die Verletzung des Mandats widersprach allein der US-Außenminister auf der OSZE-Außenminister-Tagung in Bukarest im November 2001. Nachdem die OSZE eine substantielle Einschränkung des OSZE-Mandats in Belarus akzeptiert hatte, wurde im Januar 2003 ein neuer Leiter des künftigen OSZE-Büros (OSCE Office) in Minsk entsandt. Der Stein des Anstoßes für die ablehnende Haltung von Präsident Lukašėnka gegenüber der OSZE-Mission war ganz offenbar der Aufbau des Netzwerkes einheimischer Wahlbeobachter. So wurde kurz vor den Präsidentschaftswahlen in einer Sonderausgabe der staatseigenen Zeitung Sovetskaja Belarussija dem damaligen US-Botschafter Michael Kozak und dem Leiter der OSZE-Mission Wieck öffentlich vorgeworfen, sie organisierten nicht nur die Wahlbeobachtung, sondern auch einen Aufstand am Abend des Wahltages (9. September 2001). Ausweg aus der Sackgasse: eine proaktive europäische Belarus-Politik Die EU, die Regierungen der Mitgliedstaaten, aber auch der Europarat verfolgten weiterhin die Strategie, Fortschritte in der Demokratisierung des belarussischen Staates auf gütlichem Wege im Dialog mit Lukašėnka herbeizuführen. Gleichzeitig sahen und sehen sie sich wegen des fortdauernden und im Zusammenhang mit den Wahlen von 2005 und 2006 sogar noch verschärften staatlichen Unterdrückungskurses dazu gezwungen, weitere Sanktionen gegen das Regime zu verfügen, etwa die Sperrung von Konten und die Verweigerung von Einreisevisen für Regierungsmitglieder. Heute kann das OSZE-Büro in Minsk Projekte nur noch mit Genehmigung der Regierung umsetzen und davon unabhängig nur noch Lageberichte an den Ständigen Rat der OSZE erstatten. Die europäischen Institutionen, in erster Linie der Ständige OSZE-Rat, die EU und der Europarat haben sich in bezug auf die Demokratieförderung in Belarus in eine politische Sackgasse manövriert. Sie befinden sich in einem Dilemma: Entweder sie halten den Dialog mit Lukašėnka aufrecht und verzichten wegen anderer Interessen auf die praktische Umsetzung weitreichender Konzepte zur demokratischen Transformation in Belarus, oder aber sie führen konsequent konzeptionell abgestimmte Direktprogramme mit den politischen und gesellschaftlichen Oppositionskräften innerhalb der Zivilgesellschaft durch und riskieren eine weitere Verschlechterung der Beziehungen mit der belarussischen Regierung. In Deutschland ist weder bei den politischen Stiftungen noch an wissenschaftlichen Instituten wie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) oder in den politischen Parteien ein Bemühen zu erkennen, eine Strategie der systematischen und proaktiven Förderung der politischen und gesellschaftlichen Opposition in Belarus auszuarbeiten. Dies scheint immer noch ein Tabu zu sein. In Deutschland haben offenbar Regierung und Parlament ebenso wie politische Stiftungen und wissenschaftliche Institute nach wie vor vage Vorbehalte gegenüber den Strategien, die von den US-amerikanischen Organisationen unter dem Dach des National Endowment for Democracy auf der Grundlage des am 20. Oktober 2004 von Präsident Bush unterzeichneten Belarus-Gesetzes („Belarus Democracy Act“) des amerikanischen Kongresses durchgeführt werden. Seit August 2006 liegt dem US-Kongreß auf der Grundlage des 2004 verabschiedeten Rahmengesetzes ein Haushaltsvorschlag in Höhe von mehr als 40 Mio. US-Dollar für Demokratieförderung in Belarus in den Jahren 2007–2008 vor. Gleichzeitig applaudieren die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten nach den Erfolgen einer effektiven einheimischen Wahlbeobachtung in Ländern wie Georgien und der Ukraine, deren Aufbau und Wirken über Jahre hinweg durch amerikanische NGOs finanziell und konzeptionell gefördert worden waren. Europa begrüßte die demokratische Wende in den genannten Ländern und würde es zweifellos auch in Belarus begrüßen, wenn die amerikanischen Anstrengungen und die Bemühungen der politischen Opposition in Belarus zum Erfolg führen würden. Aber schon das Studium der Arbeitsweise der US-Einrichtungen und der Methoden einheimischer Wahlbeobachtung in Ländern unter autoritären Regimen ist bislang unterblieben. Keine deutsche politische Stiftung hat je ein solches Projekt für Belarus oder irgendein anderes Land in Osteuropa entwickelt. Erstmals schrieb die Europäische Kommission im Frühjahr 2006 Projekte auf diesem Gebiet aus, die von NGOs im EU-Raum mit Partner-NGOs in Belarus ohne Einschaltung der belarussischen Regierung durchgeführt werden können. Das OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) widersetzte sich lange den amerikanischen Bemühungen und denen von Nichtregierungsorganisationen in Belarus und anderen postsowjetischen Ländern, die solche Programme entwickeln wollten. Erst 2002 gab das Büro schließlich einen Leitfaden für eine einheimische Wahlbeobachtung heraus, den NGOs in Belarus und anderen postsowjetischen Ländern benutzen können. Die Europäische Union sollte sich von der Furcht vor negativen rußländischen Reaktionen emanzipieren. Rußland entscheidet ohne Konsultation mit der EU oder einzelnen Mitgliedstaaten über seine Belarus-Politik, und dasselbe Prinzip muß auch für die EU und ihre Mitgliedstaaten gelten. Es darf in Europa keine machtpolitischen und ideologischen Reservate für Moskau oder auch für die Europäische Union geben. Wenn die Belarussen über die Staatsform von Belarus in freien und fairen Wahlen entscheiden können sollen, so ist es unabdingbar, daß die dortige Zivilgesellschaft die längst überfällige direkte Hilfe durch offizielle Einrichtungen und über zivilgesellschaftliche Kanäle erhält, um solche Wahlen politisch durchzusetzen. Der belarussischen Herausforderung sollten sich die EU als ganzes und die Regierungen der Mitgliedstaaten mit der Entwicklung einer eigenen Handlungsstrategie und -politik stellen und nicht mit abwartender Skepsis auf den Erfolg der amerikanischen Anstrengungen warten. Es ist zu bedauern, daß der Europäische Rat – die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten – in dieser Frage keine gemeinsame Richtlinie, keine gemeinsame politische Doktrin für die Zusammenarbeit mit den Zivilgesellschaften in Osteuropa im allgemeinen und in Belarus im besonderen vereinbart hat, die den OSZE-Kriterien für pluralistische Demokratien, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der individuellen Menschenrechte entspricht. An Vorschlägen für umfassende Aktionsprogramme mangelt es nicht. Sie kommen u.a. von privaten Stiftungen wie der Bertelsmann-Stiftung und von der Vereinigung Menschenrechte in Weißrussland e.V., aber auch von litauischer und polnischer Seite. Doch werden solche Programme im europäischen Kontext vornehmlich unter taktischen Gesichtspunkten diskutiert. Man ist bereit, etwas zu machen, um gegenüber der bedrängten Opposition in Belarus irgend etwas vorzuweisen zu haben und um im Vergleich zu den weitergehenden US-Programmen nicht ganz mit leeren Händen dazustehen. Auch zeigt man damit sein Bestreben, dem Drängen vor allem der Polen und Litauer nachzugeben. Mit einzelnen Maßnahmen aus diesen Aktionsplänen wird ein Zeichen gesetzt, das allerdings weitgehend wirkungslos bleibt, weil die Maßnahmen nicht Teil eines umfassenden Programms sind, sondern lediglich einzelne Teile eines Puzzles, die mehr oder weniger willkürlich zusammengesetzt sind, weil sie aus offenen Ausschreibungen hervorgehen. Radio- und Fernsehprogramme aus dem Ausland, die nicht alle Teile des Landes, vor allem nicht Minsk erreichen, sind zwar ein guter Anfang, aber im ganzen dennoch ineffektiv. Mit einer solchen Politik ist es unmöglich, ein Vertrauensverhältnis zwischen einem Belarus-Team der EU und ihrer Mitgliedstaaten und einem Team der belarussischen politischen und gesellschaftlichen Oppositionskräfte herzustellen. Dies jedoch ist die Grundvoraussetzung für eine gemeinsame politische Strategie. Es ist an der Zeit, einen solchen europäisch-belarussischen Arbeitskreis zu bilden, dessen Aufgabe es wäre, ein gemeinsames Programm zu erarbeiten. Bedauerlicherweise unterlassen es die politischen Parteien und die nationalen Parlamente in Europa, von den Regierungen eine proaktive Politik einzufordern und zivilgesellschaftlichen Strukturen die Mittel an die Hand zu geben, die erforderlich sind, um sich in Belarus wirksam im Sinne der Demokratieförderung zu engagieren. Die Europäische Union sollte die Denkanstöße zu einer solchen Politik, die von Polen und Litauen ausgehen, aufgreifen und in eine europäische Doktrin „Freie und faire Wahlen für Belarus“ einbeziehen. Europa hat in Belarus einen Ruf verloren – das Versprechen, sich aktiv für demokratische Reformen in allen Teilen Europas einzusetzen, wie es mit der Charta von Paris im Jahre 1990 und der Gipfelerklärung von Istanbul 1999 gemeinsam gegeben worden war. Diesen Ruf gilt es wiederzugewinnen. Ein politisches Belarus-Programm für Deutschland und Europa Voraussetzung für eine effektive Demokratieförderung in Belarus ist ein erfahrener Koordinator auf europäischer und ebenso auf nationaler Ebene. Der erste Schritt eines solchen Koordinators in Deutschland könnte in der Bildung eines Koordinationsausschusses, etwa eines Runden Tisches der deutschen politischen Stiftungen und anderer zu beteiligender Einrichtungen bestehen. Die politischen Stiftungen verfügen zwar über beachtliche Erfahrung auf dem Gebiet des politischen Dialogs in Transformationsländern, haben aber bislang kaum wirksame Instrumente entwickelt, um demokratische Institutionen und Zivilgesellschaften in autoritären Staaten wie Belarus koordiniert und nachhaltig zu fördern. Diese Defizite gilt es zu beheben. Aufbauen läßt sich auf den Erfahrungen, die im Zuge der breitgefächerten humanitären Hilfe für Belarus nach der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 gemacht wurden. Den Ansatz für ein deutsches Belarus-Programm könnte u.a. die durch die Bundesregierung geförderte Tätigkeit von NGOs, von deutschen und belarussischen Initiativgruppen bilden, die auf den Gebieten Bildung, Gesundheit, kommunale Selbstverwaltung und Marktwirtschaft zur Entwicklung von Bürgerverantwortung und Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Diese Entwicklungskooperation auf dem Weg über die Zivilgesellschaft ist zu begrüßen, aber sie ist kein Substitut für das, was auf politischer Ebene in der Kooperation mit der Opposition in Belarus zu geschehen hat und wofür weiter unten konkrete Beispiele gegeben werden. Nur auf einem solchen Wege können im Lande selbst die politischen Voraussetzungen für freie und faire Wahlen geschaffen werden. Die amerikanischen NGOs sind aus guten Gründen primär auf diesem politischen Gebiet tätig. Sie bauen bei ihrer Arbeit auch auf Freiwillige aus Ländern Ostmitteleuropas, u.a. aus der Ukraine, der Slowakei und Polen. Nach Auffassung der belarussischen Opposition ist die von den USA gewährte Unterstützung eigentlich etwas, das man in erster Linie von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten erwartet hatte. Aber die Hilfe von dieser Seite blieb – abgesehen von Einzelmaßnahmen einzelner Mitgliedstaaten und von dem kohärenten Programm der OSZE-Berater- und Beobachtermission 1998–2001 – aus. Wie könnte ein europäisches Demokratieprogramm für Belarus aussehen? Ein politisches Richtlinienpapier des Europäischen Rates zur Demokratieförderung in Belarus sollte folgende Punkte enthalten: Ein Beauftragter der EU für Belarus ist zu ernennen, dem ▪ das Management eines Demokratiefonds; ▪ die Bildung einer europäischen Beratergruppe für Belarus; ▪ die Bildung einer Gruppe von Vertretern der belarussischen politischen und gesellschaftlichen Opposition und deren Beratung durch die europäische Gruppe; ▪ die Koordinierung und Genehmigung von Belarus-Projekten; ▪ die Beobachtung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Belarus und deren Bewertung in Kooperation mit dem Politischen Ausschuß der EU; ▪ die Kooperation mit internationalen und nationalen Nichtregierungsorganisationen (z.B. Amnesty International, International Helsinki Federation for Human Rights; politische Stiftungen in Deutschland und anderen Ländern); ▪ die Kooperation mit dem Europarat und der OSZE sowie mit anderen an der Transformation von Belarus interessierten Ländern sowie ▪ die Initiierung von Studien über die demokratische Transformation in Belarus und ▪ die Betreuung der belarussischen Medien obliegen sollte. Diese Zusammenstellung der vielfältigen Aufgaben eines Koordinators macht die Komplexität des Problems deutlich. Welche konkreten Aufgaben wären anzupacken? 1. Ausstrahlung von TV- und Radioprogrammen in russischer und belarussischer Sprache mit einer landesweiten Reichweite und auf Frequenzen, zu denen die Bürgerinnen und Bürger Zugang haben; Übernahme der wichtigsten Programme ins Internet; 2. Förderung regionaler und lokaler Zeitungen in Belarus; 3. Bildung von beratenden Ausschüssen der Opposition für kontinuierliche Beratungen mit dem zukünftigen Europa-Beauftragten für Belarus und seiner Beratergruppe. Hierzu wären wichtige Repräsentanten der politischen Parteien und Mitarbeiter von gesellschaftlichen Organisationen sowie im Exil lebende Politiker einzuladen; 4. Unterstützung bei der Ausarbeitung von Grundsatzpapieren für die Zukunft von Belarus und für Regierungsprogramme; 5. europaweite Belarus-Informationsveranstaltungen; 6. Erstellung von Informationsmaterial für Belarus über die Entwicklungen in Europa; 7. Ausbildung von Bürgerinnen und Bürgern für Wahlkampf/Wahlbeobachtung; 8. Unterstützung beim Aufbau eines einheimischen Netzes von Wahlbeobachtern und Kontaktpersonen für exit-polls (Beobachter, Juristen, Mediensprecher); 9. Veranstaltung von internationalen Sponsoren-Treffen; 10. Schaffung von Ausbildungsmöglichkeiten für Belarussen in Europa; 11. Betreuung von politisch Verfolgten. Sobald sich in Zukunft das belarussische autoritäre Regime für eine genuine demokratische Transformation öffnet, ist die Kooperation des Belarus-Beauftragten und seiner Berater auf Regierungsvertreter und staatliche Strukturen auszudehnen. Unter den heutigen Bedingungen wird jedoch vorläufig ein Großteil der hier diskutierten Tätigkeiten des Belarus-Beauftragten der EU und seiner Berater außerhalb des Landes abgewickelt werden müssen, insbesondere die Zusammenarbeit mit der politischen und gesellschaftlichen Opposition. Durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sollte erreicht werden, daß die belarussische Opposition jederzeit politische Verantwortung in Belarus übernehmen kann. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wann der erhoffte Kurswechsel in Belarus eintreten wird. Wichtig ist es, daß der Bevölkerung fortlaufend ein umfassendes Bild der Situation vermittelt wird und daß eine politische und gesellschaftliche Opposition in der Lage ist, im Lande Vertrauen zu gewinnen und im entscheidenden Moment handlungsfähig zu sein. Die Europäische Union wiederum sollte jederzeit in der Lage sein, in einem solchen Falle unverzüglich erste finanzielle Starthilfe und wirksame politische Unterstützung zu leisten. Gleiches gilt für den Europarat und die OSZE sowie für nationale Regierungen und Nichtregierungsorganisationen.
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