Titelbild Osteuropa 8-10/2008

Aus Osteuropa 8-10/2008
Teil des Dossiers Menschen

Den Krieg überwinden
Jan Bloch: Unternehmer, Publizist, Pazifist

Manfred Sapper

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Abstract in English

Abstract

Jan Bloch ist ein typischer Vertreter der aufstiegsorientierten Juden des 19. Jahrhunderts. Er arbeitete sich aus ärmlichen jüdisch-ostpolnischen Verhältnissen zu einem der bedeutendsten Unternehmer im Russischen Reich hoch. Während des „geborgten Imperialismus“ finanzierte er dem Staat Eisenbahnstrecken. Blochs größtes Verdienst sind seine Initiativen, den Krieg zu überwinden. Er gab den Anstoß zur Haager Friedenskonferenz. In seinem fundamentalen Werk „Der Zukunftskrieg“ prognostizierte er die totale Vernichtung durch die industrialisierte Kriegführung. Er forderte den Abschied von Clausewitz und plädierte für Rüstungskontrolle sowie für die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs. Diesem Werk gebührt der Platz eines Klassikers in der historischen Friedensforschung.

(Osteuropa 8-10/2008, S. 303–312)

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Overcoming War

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Ivan Blioch? Nie gehört? Macht nichts. Wahrscheinlich gehört die Große Sowjetenzyklopädie aus Brežnevs Zeiten nicht zu Ihrer Hausbibliothek. Dort heißt es ideologisch klipp und klar über diesen Blioch: „bürgerlicher Ökonom, Statistiker, Finanzier und Sohn eines polnischen Fabrikanten“. Aber vielleicht ist Ihnen der Herr unter der deutschen Variante seines Namens als Johann von Bloch ein Begriff. Ebensowenig? Das ist kein Drama, denn Sie befinden sich in bester Gesellschaft: Der Brockhaus in seiner populären Taschenbuch-Version muss passen. Der in den USA zu Ruhm gelangte Schweizer Komponist Ernest Bloch ist vertreten, der Philosoph der Hoffnung Ernst selbstverständlich ebenso, aber ein Johann? Nein. Das ist kein Einzelfall. Das Staatslexikon, Hort katholischer Gelehrsamkeit, weiß sehr viel über den deutschen Reichseiniger Otto von Bismarck zu berichten und etwas über Theodor Blank, den katholischen Sozialpolitiker und ersten Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Aber über Bloch – Fehlanzeige. So geht es weiter, wohin der Blick auch schweift: Nimmt man Enzyklopädien aus Frankreich und Italien, immerhin zwei Gründungsstaaten der Europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg, zur Hand, etwa die Encyclopédie Française oder den Grande Dizionario Enciclopedico Utet, ist der Befund nicht anders. Selbst die edelste unter den europäischen Enzyklopädien der Vor-Wikipedia-Zeit, die gute, alte Britannica, macht da keine Ausnahme: no John Bloch at all. Begreift man die englischen, deutschen, italienischen und französischen Wissensspeicher als repräsentativ für das westliche Europa, steht es nicht gut um die Verankerung von Blioch oder Bloch im europäischen Gedächtnis. Kommt darin die Trennung zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Europa zum Ausdruck? Reproduziert sich hierin die Spaltung des Kontinents aus der Zeit des Ost-West-Konflikts. Oder hat dieses Phänomen tiefere Ursachen? Dass Bloch im heutigen historischen Gedächtnis Europas so wenig präsent ist, war zu seinen Lebzeiten nicht zu erwarten. Im Gegenteil. Alles schien darauf hinzudeuten, dass er einmal in einem Atemzug mit Andrew Carnegie (1835–1919) und Alfred Nobel (1833–1896) genannt werden würde. Alle drei waren Kinder der Industriellen Revolution. Sie machten während der Blüte des 19. Jahrhunderts mit Stahl, Kohle und Chemie ein Vermögen und wurden zu weltberühmten Unternehmern und Stiftern. Alle scheinen dem Frieden besonders verpflichtet gewesen zu sein. Der Friedensnobelpreis ist der prestigeträchtigste unter den Auszeichnungen, die jährlich in Stockholm vergeben werden. Die Carnegie-Stiftung für Friedenssicherung und Völkerverständigung setzt durch ihre Tätigkeit und ihre schier unbegrenzten Ressourcen im Dienste des Friedens und der Aufklärung weltweit Maßstäbe. Dabei gehört es zur Ironie der Geschichte, dass über dem Engagement der Stifter für den Frieden unfriedliche Schatten liegen: Der Chemiker Nobel schuf als Erfinder des Dynamits, das seinen Reichtum begründete, sowie der Sprenggelatine und des Pulvers Ballistit maßgebliche Voraussetzungen für die Massenvernichtung in den Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts. Den Stahl-Tycoon Carnegie zeichnete eine von keinerlei Moral oder Gerechtigkeit gebremste Härte aus, wenn es um die Durchsetzung eigener Interessen ging. Während der Schwede und der gebürtige Schotte heute in der kollektiven Erinnerung verankert sind und zum europäischen und globalen Allgemeinwissen gehören, ist Ivan Blioch alias Jan Bloch in den kulturellen Erinnerungsspeichern Europas kaum zu finden. Bloch droht damit nach jüdischer Vorstellung endgültig zu sterben: „Ein Mensch ist erst dann ganz tot, wenn auch die Erinnerung an ihn gestorben ist“, heißt es im Talmud. Zu sperrig für jede Schublade Natürlich ist es kein Zufall, dass die Lexika schweigen und dass ausgerechnet Bloch Gefahr läuft, aus der kollektiven Erinnerung herauszufallen. Wenn Enzyklopädien und Lexika das konsolidierte Wissen einer Epoche zum Zeitpunkt ihres Erscheinens wiedergeben, dann handelt es sich hier um ein Lehrstück über die Lücken des europäischen Gedächtnisses. Die kollektive Erinnerung der Europäer nimmt bis heute das Randständige und Sperrige aus dem Osten Europas nicht oder nur in Ausnahmefällen zur Kenntnis. Bloch war zweifellos einer, der sich jedem Schubladendenken entzog. Europa kannte ihn unter vielen Namen: auf polnisch als Jan Bloch, auf russisch als Ivan Stanislavovič Blioch, auf französisch als Jean de Bloch und in den Niederlanden und Deutschland war er als John Bloch oder Johann von Bloch bekannt. Der erfolgreiche Unternehmer, der begnadete Autodidakt, der nie ein reguläres Studium abgeschlossen hatte, aber neben Polnisch und Russisch auch Französisch, Englisch und Deutsch beherrschte, sich mit volkswirtschaftlichen Problemen ebenso beschäftigte wie mit den Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung im Ansiedlungsrayon des Russischen Reiches, der rastlose und herausragende Friedensaktivist und geistige Vater der Haager Friedenskonferenz von 1899 war schon zu seinen Lebzeiten mit keinem dogmatischen Instrumentarium zu fassen und einzuordnen. Jedem groben Raster entzog er sich: Den Militärs in Ost und West war er zu pazifistisch, den Pazifisten zu militärtechnisch, den Linken zu konservativ und den Reaktionären zu liberal. Polnischen Nationalisten, die ihn gerne für ihre Sache, ein unabhängiges Polen, vereinnahmt hätten, war er zu russisch. Den russischen Kommunisten galt der Unternehmer Blioch nach der erfolgreichen Oktoberrevolution wiederum nur noch als ein „Element“ der historisch zum Aussterben verdammten Klasse der Bourgeoisie. Und für die Antisemiten aller Länder war und blieb er vor allem eines: Jude. Daran vermochte weder seine Konversion zum Christentum noch seine Assimilationsbereitschaft, seine enorme Produktivität und am wenigsten der kosmopolitische Horizont seines Denkens und Handelns etwas zu ändern. Da hatte es die Nachwelt in Europa nicht leicht, ihn in ihre kollektive Erinnerung aufzunehmen. Bis heute gibt es keine kritische Biographie über Ivan Blioch, die der Vielfalt seiner Persönlichkeit und seines Wirkens gerecht würde und wissenschaftlichen Anforderungen standhalten könnte. Der Macher Bloch wurde am 24. August 1836 als siebtes von neun Kindern in einer jüdischen Familie im ostpolnischen Radom geboren, das seit dem Wiener Kongress unter russischer Herrschaft stand. Seine Eltern waren arm. Sein Vater arbeitete als Wollfärber. Seit dem polnischen Novemberaufstand 1830 und den daraufhin verhängten Zollrestriktionen gingen seine Geschäfte miserabel. Als Vierzehnjähriger wurde Jan nach Warschau geschickt, wo er in der Bank von Szymon Toeplitz ein Praktikum machte. Unter dessen Einfluss konvertierte er 1851, also als Fünfzehnjähriger, zum Calvinismus. Fünf Jahre später konvertierte Bloch anlässlich seiner Eheschließung ein zweites Mal, diesmal zum Katholizismus. Die Konversion war paradigmatisch für die Bereitschaft aufstiegsorientierter Juden, mit der eigenen Religion und Tradition zu brechen, wenn es zur Verbesserung der sozialen Lage erforderlich schien. In den folgenden Jahren stieg Bloch vom Botenjungen zum Bankier auf. 1856 ging er in die Hauptstadt Sankt Petersburg, wo er bis 1864 bleiben sollte. Es waren die Jahre des „geborgten Imperialismus“ (Dietrich Geyer). Nach dem militärischen Debakel im Krimkrieg (1853–1856) setzte Russland mit gewaltigen finanziellen Anleihen aus Westeuropa zur nachholenden Industrialisierung und Modernisierung an. Ein auch militärisch nutzbares Mittel der Industrialisierung war der Eisenbahnbau. Die Regierung plante die Strecken, baute ausgewählte Projekte mit eigenen Mitteln, legte spezielle Anleihen für den Eisenbahnbau auf und bemühte sich um die Akquisition privater Investoren. Jan Bloch beteiligte sich an der Errichtung der Strecke zwischen Petersburg und Warschau. Diese hatte wegen der politischen Unruhen im ehemaligen Königreich Polen für die Regierung in Petersburg auch militärstrategische Bedeutung. Zunächst wirkte er als Zulieferer von Baumaterial. In der letzten Bauphase ließ Bloch auf eigene Rechnung alle Bahnhöfe zwischen St. Petersburg und Warschau errichten. Ende 1862 wurde die Linie in Betrieb genommen. Er baute weitere Verbindungen, so die nach Łódź, und machte damit ein enormes Vermögen. In Warschau gründete er ein eigenes Bankhaus, wurde Hauptanteilseigner der Südwestlichen Eisenbahngesellschaft, die Linien von Brest nach Kiew und von Brest nach Odessa betrieb und neue Eisenbahnstrecken baute. Nun galt Bloch als einer der erfolgreichsten „Eisenbahnbarone“. Gleichzeitig betrieb er das, was heute „Diversifizierung der Geschäftsfelder“ heißen würde: Er investierte Kapital in die Zucker-, Holz- und Papierindustrie, erwarb Ländereien und beteiligte sich an Aktiengesellschaften. In der zweiten Hälfte der 1870er Jahre hatte er den Zenit seiner Laufbahn erreicht. Bloch war Mitbegründer der Handelsbank, saß im Aufsichtsrat der Bank von Polen, war Vorsitzender der Handelsvereinigung und Präsident der Warschauer Aktienbörse. Jan Bloch (1836–1902) In dieser Phase startete er eine zweite Karriere als wissenschaftlicher Publizist. Zunächst beschäftigte er sich im Rahmen seiner zahlreichen und ausgedehnten Auslandsreisen unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin extensiv mit volkswirtschaftlichen Problemen. Seine Produktivität war auch auf diesem Sektor enorm und mit seiner Rastlosigkeit als Unternehmer vergleichbar: Den Auftakt machte 1875 sein Werk „Über die russischen Eisenbahnen“. Darauf folgte eine fünfbändige statistische Untersuchung über den Einfluss des Eisenbahnbaus auf die volkswirtschaftliche Entwicklung des Landes. Dazu gesellten sich Studien über „Russlands Finanzen im 19. Jahrhundert“, die Fabrikindustrie in Polen sowie über landwirtschaftliche Kreditpolitik. In all diesen Werken bediente er sich der Untersuchungsergebnisse eines Statistikbüros, das er selbst aus der Taufe gehoben hatte. Ins Fadenkreuz der Kritik aus unterschiedlichen politischen Milieus brachten ihn zwei andere Werke: das erste über die Lage der Juden, das zweite über die Zukunft des Krieges. Nachdem es wiederholt zu Pogromen gegen die Juden im Ansiedlungsrayon (čerta osedlosti) im Südwesten des Russischen Reiches gekommen war und in der Öffentlichkeit immer wieder das antisemitische Stereotyp von der „jüdischen Ausbeutung“ des Landes zur Begründung herhalten musste, wandte sich Bloch der Wirtschaftstätigkeit der Juden zu. Zunächst legte er Mitte der 1880er Jahre der Russischen Regierung ein Memorandum vor, in dem er sich mit den volkswirtschaftlichen Effekten der Landverpachtung an Juden auseinandersetzte. Es gelang ihm, den empirischen Nachweis zu führen, dass die jüdische Wirtschaftstätigkeit einen wichtigen Beitrag zur Volkswirtschaft leiste. Durch direkten Zugang zu Aleksandr III. gelang es Bloch ebenfalls, die Ausweitung der russischen Gesetzgebung, nach der die wirtschaftliche Tätigkeit von Juden beschränkt werden sollte, auf das ehemalige Königreich Polen zu verhindern. Als der Aufklärung verpflichteter Denker war er der Überzeugung, dass Vorurteile durch empirische Fakten zu entkräften und so auch der staatliche Antisemitismus zu überwinden wären. 1891 legte er eine mehrbändige systematische, vergleichende Untersuchung über Wirtschaftsleistung und Wohlstand vor. Auch sie ergab, dass die Wirtschaftsleistung des Ansiedlungsrayons höher war als die Wirtschaftsleistung im Inneren Russlands. Wegen seiner Parteinahme für die Interessen der Juden geriet Bloch ins Visier antisemitischer, reaktionärer Gruppen. Ohne dass die Hintergründe jemals aufgeklärt worden wären, wurde nahezu die gesamte Auflage seines Werks bei einem Brand in der Druckerei vernichtet. Die Ergebnisse wurden aber in einer nach seinem Tode von A.P. Subbotin erarbeiteten Kurzfassung unter dem Titel Die jüdische Frage im rechten Licht bekanntgemacht und verbreitet. Der Zukunftskrieg International erregte Bloch erst mit seinem Hauptwerk das Aufsehen, das vorübergehend seinen Ruf als einer der einflussreichsten Pazifisten Europas begründete. Blochs Interesse für militärische Fragen war während des Russisch-Türkischen Kriegs von 1877 geweckt worden. Er hatte die Eisenbahntransporte kontrolliert und die Truppenverpflegung organisiert und dabei den Eindruck gewonnen, dass die Militärs die Folgen der Industrialisierung für die Kriegführung nicht einmal in Ansätzen verstanden. Daraus entstand eine jahrelange Beschäftigung mit militärischen und technischen Fragen. Zunächst wollte er nur die logistischen und infrastrukturellen Probleme der Truppentransporte optimieren. Im Laufe der Arbeit wurde der wegen seiner Verdienste um den Eisenbahnbau 1883 zum Staatsrat geadelte Johann von Bloch zum überzeugten Pazifisten. Nach etlichen kleineren Vorstudien war das Resultat dieser Beschäftigung mit dem technologischen Wandel des Kriegswesens oder – modern gesprochen – der Rüstungsdynamik eine fundamentale Studie über den Krieg: Sie trug den Titel Buduščaja vojna v techničeskom, ėkonomičeskom i političeskom otnošenijach (Der künftige Krieg in technischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht). Das russische Original erschien 1898 in Sankt Petersburg, die deutsche Version ein Jahr später in dem auf Staats- und Rechtswissenschaft spezialisierten renommierten Verlag Puttkammer & Mühlbrecht in Berlin. Gleichzeitig wurde es auf Französisch veröffentlicht. Blochs Buch ist kein moralischer Appell wie Bertha von Suttners 1888 publizierter Roman Die Waffen nieder! Und mit Lev Tolstojs großartigen, religiös motivierten, radikalpazifistischen Flugschriften gegen Staat und Krieg, die fast gleichzeitig erschienen, hat Blochs Werk formal, argumentativ, sprachlich und stilistisch nichts gemeinsam. Blochs Studie ist ein knochentrockenes, methodisch aber vorbildliches Meisterwerk empirischer Sozialforschung. Das sechsbändige Werk enthält eine Fülle von Abbildungen, Tabellen, Faltplänen und Skizzen aller Art. Es ist nicht übertrieben, das Buch zu den Klassikern der Friedens- und Konfliktforschung sowie der Militärgeschichte zu zählen – nur, dass es ein weithin unentdeckter „Klassiker“ geblieben ist. Dieses Werk steht in einer Reihe mit Immanuel Kants Zum ewigen Frieden, Carl von Clausewitz’ Vom Kriege und Quincy Wrights unübertroffener empirischer Arbeit A Study of War. Auf 3474 Seiten liefert Bloch den Nachweis, dass angesichts des erreichten Rüstungsniveaus und der totalen Vernichtungskraft sich der Charakter des Krieges völlig verändert habe und zwischen den modernen, industrialisierten Staaten nicht mehr geführt werden könne. Letztlich bedeute das, Abschied von Clausewitz zu nehmen: „Krieg als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ werde, so Bloch, insofern obsolet, als dieser nicht mehr auf dem Schlachtfeld zu entscheiden sei. Dort drohe eine Materialschlacht, die einen derartigen Aufwand an finanziellen und humanen Ressourcen bedeute, dass ihn kein Staat aushalten könne. Letztlich sei der Kollaps der Volkswirtschaften vorgezeichnet – allen voran der russischen. Mehr noch: Wo die Zivilbevölkerung massenhaft in den Krieg hineingezogen werde und Soldaten demoralisiert durch die enormen Verluste und die sinnlosen Materialschlachten nach Hause zurückkehrten, seien innenpolitische Auswirkungen unvermeidlich. Der Krieg würde subversive und revolutionäre Bewegungen fördern. Um all dies zu verhindern, forderte er präventive Maßnahmen, um Konflikte zwischen Staaten auf nichtmilitärischem Wege zu regulieren. Insbesondere machte er sich für ein internationales Forum zur Rüstungskontrolle und einen internationalen Gerichtshof stark. Bloch war der erste, der in einer systematischen Weise ein Friedenskonzept als Prävention gegen die Revolution entwarf. Das machte ihn unter den Mitgliedern der Sozialistischen Internationale suspekt, die den militärkritischen Geist des Werkes ansonsten begrüßten. Blochs grundsätzliche Kritik des Rüstungswettlaufs und des Kriegswesens stieß in Kreisen des Militärs auf scharfe Ablehnung. In der russischen Militärpresse wurde das Buch ignoriert, sein Autor als Parvenü und konvertierter Jude diffamiert. Es ging ihm damit nicht anders als seiner Mitstreiterin Bertha von Suttner in der Habsburger Monarchie oder Alfred Fried im Deutschen Kaiserreich. Doch in einer Hinsicht war er erfolgreich: Nach dem Erscheinen des Buches verwandte Bloch seine schier unendliche Energie darauf, seine Ideen zu propagieren. In ganz Europa wurden Blochs Buch, seine Broschüren und Vorträge als Sensation aufgenommen. In Russland gelang es ihm, die Aufmerksamkeit des Zaren zu wecken. Blochs Einfluss auf den Vorschlag, eine Konferenz zur Abrüstung oder zumindest zur Rüstungsbegrenzung durchzuführen, ist unbestritten. Auf Initiative von Nikolaj II. trafen sich die europäischen Mächte vom Mai bis Juli 1899 zur ersten Haager Friedenskonferenz. Auch wenn der Althistoriker Theodor Mommsen vor der Eröffnung der Konferenz die Nase rümpfte und sie als einen „Druckfehler der Weltgeschichte“ verhöhnte, blieb sie nicht ohne Folgen. Die Bemühungen um Abrüstung scheiterten zwar angesichts des imperialistischen Aufbruchs der europäischen Mächte. Dagegen erzielte die Konferenz auf dem Feld der friedlichen Streitbeilegung einen Erfolg. Mit dem Haager Schiedsgerichtshof wurde die erste internationale Institution zur Streitbeilegung geschaffen. Noch vor der Erfindung der Nichtregierungsorganisationen, die heute zum Tross von G-8 Gipfeln und UN-Konferenzen gehören, traten Bloch und seine Gesinnungsgenossen am Rande der Haager Konferenz als pressure group auf. Mit Bertha von Suttner und anderen trug er dazu bei, dass mit der Abschlussresolution die Konvention über eine friedliche Regelung internationaler Streitfälle angenommen wurde. Die Ideen der Vermittlung und der Einsetzung von Untersuchungskommissionen wirkten über die Haager Konferenz hinaus bis in die Gegenwart. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im August 1914 Blochs zentrale These, Krieg sei nicht mehr führbar, Lügen gestraft wurde. Seine grundsätzliche Diagnose über den Charakter des industrialisierten Massenkrieges im 20. Jahrhundert war erstaunlich präzise. Sein Buch über den Zukunftskrieg ist eine beklemmend genaue Vorhersage des massenhaften Tötens in den Schützengräben und auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges. Und auch mit seiner Verbindung von Krieg und sozialer Revolution traf der aufgeklärte Konservative ins Schwarze. Sie liest sich im Rückblick wie das Drehbuch für die Russische Revolution, die ohne den Ersten Weltkrieg als Geburtshelfer überhaupt nicht vorstellbar ist. Die Substanz des Buches über die Zukunft des Krieges sowie sein Lebenswerk waren es, welche die Krakauer Akademie der Wissenschaften 1901 veranlassten, Johann von Bloch für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Unterdessen bereitete er eine Stiftung vor, um in Luzern ein Friedensmuseum zu gründen. Dessen Eröffnung erlebte er nicht mehr, und wegen Unterfinanzierung und organisatorischer Mängel war ihm kein dauerhafter Erfolg beschieden. Auch die Nobelpreiskommission befasste sich nicht mehr mit dem Vorschlag aus Krakau. Am 7. Januar 1902 starb der erfolgreiche Unternehmer, Publizist und Pazifist, der sich aus kleinen jüdisch-polnischen Verhältnissen in Radom herausgearbeitet hatte. Menschen wie er sind in Europa heute in Vergessenheit geraten. Dabei stünde es dem europäischen Gedächtnis gut an, sich bemerkenswerter Leistungen und Menschen aus der östlichen Hälfte des Kontinents zu erinnern. Johann von Bloch gebührt ein Platz im kollektiven Gedächtnis Europas.

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