Titelbild Osteuropa 6/2010

Aus Osteuropa 6/2010

„Ihr Programm heißt Destruktivität“
Über Ungarns Rechte und die politische Kultur

Laszlo Kornitzer

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Abstract

Der Wahlerfolg der völkischen Partei Jobbik ist ein Alarmsignal. Anstatt sich von ihrem Treiben und dem ihrer paramilitärischen Handlanger Magyar Gárda zu distanzieren, hat sich der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz unter Viktor Orbán den Rechtsextremen angeglichen. Rassistische und antisemitische Thesen kursieren. Weltberühmte Intellektuelle wie Imre Kertész, Péter Nádas, György Konrád, Péter Esterházy stehen als „falsche Ungarn“ am Pranger. Weil es der Rechten an einer Vorstellung von Zukunft mangelt, knüpft sie an Werte und Traditionen.

(Osteuropa 6/2010, S. 19–30)

Volltext

Der Wahlerfolg der völkischen Partei Jobbik ist ein Alarmsignal. Anstatt sich von ihrem Treiben und dem ihrer paramilitärischen Handlanger Magyar Gárda zu distanzieren, hat sich der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz unter Viktor Orbán den Rechtsextremen angeglichen. Rassistische und antisemitische Thesen kursieren. Weltberühmte Intellektuelle wie Imre Kertész, Péter Nádas, György Konrád, Péter Esterházy stehen als „falsche Ungarn“ am Pranger. Weil es der Rechten an einer Vorstellung von Zukunft mangelt, knüpft sie an Werte und Traditionen. Osteuropa: In Ihrer Heimat Ungarn passiert Beunruhigendes. Bei den Parlamentswahlen im April zog die rechtsextreme Bewegung Jobbik mit 17 Prozent ins Parlament ein. Der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz erreichte 53 Prozent. Was bedeutet das? LASZLO KORNITZER: Ob Ungarn noch meine Heimat ist, kann ich nur schwer sagen. Ich glaube, Heimat ist der Ort, an den man kulturell gebunden und von dem man politisch nicht direkt angewidert ist. Die Wahlergebnisse und auch der Ausgang der Europawahlen, als die Rechtsradikalen – als Produkt der über sechzig Jahre währenden Gegenaufklärung – bereits mit 15 Prozent ins EU-Parlament gewählt worden waren, sind schockierend. Für Leute wie mich beginnt die „Entheimatung“. Osteuropa: In welchem Sinn sind sie „Rechtsradikale“? Sind sie mit den Neonazis in Deutschland vergleichbar? KORNITZER: Vergleichbar hinsichtlich der dumpfen Gesinnung, und doch auch spezifisch ungarisch. Die Bezeichnung „Rechtsradikale“ ist nur Schminke. Von Imre Kertész stammt der Gedanke, dass derjenige, der heute, nach Auschwitz, für faschistische Ideen, Rassismus und Antisemitismus eintritt, als potentieller Mörder zu bezeichnen ist. Diesem Satz stimme ich uneingeschränkt zu. Folglich sind die Jobbik-Wähler nicht Rechtsradikale, sondern potentielle Mörder. Anders als in Deutschland leben in Ungarn kaum Ausländer. Der Hass der Rechten richtet sich daher gegen Inländer: gegen Juden, Zigeuner und im Grunde alle, denen Nationalismus jeder Couleur ein Greuel ist. Osteuropa: Woher kommt diese Radikalität? Aus der Sehnsucht nach starken Führern oder nach vergangener Größe? KORNITZER: Die gegenwärtigen Verheerungen haben mit der spezifischen Interpretation von Politik der bisherigen Oppositionspartei Fidesz zu tun. Acht Jahre in der Opposition, acht Jahre Rachefeldzug gegen die regierenden Pseudosozialisten von der MSZP und gegen alles, was nicht von ihr selbst kommt. Damit hat Fidesz erfolgreich Geburtshilfe für die blutrünstige militante Rechte geleistet. Und statt sie zu isolieren oder sich von ihr wenigstens aus Schamgefühl zu distanzieren, hat sie sich ihr im Ton und Inhalt mehr und mehr angeglichen. Einmal danach befragt, wie ihr Parteichef Viktor Orbán, der sich „Vezér“ – Stammesfürst, Führer – nennen lässt, denn mit der Jobbik umzugehen gedenke, antwortete er: „Sie kriegen von mir noch zwei Ohrfeigen und damit hat sich’s.“ Das war ein Zitat vom Reichsverweser und Nazikollaborateur Miklós Horthy aus der Zwischenkriegszeit, der das sagte, als er nach seiner Haltung zu den Pfeilkreuzlern gefragt wurde. Wir wissen, wie es weiterging. Osteuropa: Warum sprechen Sie von „Pseudosozialisten“? KORNITZER: „Pseudo-“, weil sozialdemokratische Regierungen nach gängiger Auffassung alles dafür tun, um extremistische Exzesse zu unterbinden. Für die ungarische Regierung schien dieser Aspekt aber nie relevant zu sein. Sie unternahm nichts, um die Strömungen von rechts einzudämmen. Vielleicht hat sie die rechte Gefahr unterschätzt oder es fiel ihr keine Lösung ein. Sie hat es versäumt, die „kleinen Leute“ – und in Ungarn sind sie besonders klein – vor dem Absturz ins Elend zu bewahren und ihnen eine Zukunftsperspektive zu vermitteln. Dafür hat die MSZP nun bei den Parlamentswahlen die Quittung bekommen. Demzufolge hatte die nationale Rechte in Ungarn leichtes Spiel. Sie ist insofern rechtsradikal, als dass sie demokratische Regeln nicht akzeptiert und jeden parlamentarischen Dialog verweigert. Osteuropa: Inwiefern? KORNITZER: Jedes Mal, wenn ein Abgeordneter der Regierungspartei das Wort ergriff, marschierten die Abgeordneten der Opposition demonstrativ aus dem Saal. Die Regierung sei illegal gewählt und daher auch nicht legitimiert. Tatsächlich erhoben sie diesen Vorwurf gegen eine regulär in die Regierung gewählte Partei, ohne dass sich jemand darüber aufgeregt hätte. Gemessen an dem, was die Arbeit einer verantwortlichen Opposition ausmachen sollte, hat sich die Rechte völlig disqualifiziert. Argumente sind ihnen fremd, „Streitkultur“ ist ein lästiges Fremdwort. Stattdessen haben sie den neuen Primitivismus nach dem schäbigen Grundsatz ausgerufen: „Man muss alles so lange wiederholen, bis es geglaubt wird.“ Wären die Folgen dieser Politik nicht so bedrohlich, würden einen ihre einstudierten Abwehrreflexe und Parolen zu Tode langweilen. Ihr Programm heißt Destruktivität. Durch ihren jahrelangen parlamentarischen Boykott untergruben sie die Regierungsautorität und luden die Leute auf der Straße mit Ressentiments auf. Dadurch wurde das Aufkommen der völkisch-nationalen, faschistischen Jobbik begünstigt. Osteuropa: Das erinnert an die Weimarer Republik, wo die konsequente Missachtung der Spielregeln zur Zerstörung der Demokratie führte. Auch die Nationalsozialisten erkannten im Parlament keine Gegner an, sondern bekämpften sie als Feinde. Und oft war die Justiz „auf dem rechten Auge blind“. Gilt ähnliches für Ungarn heute? KORNITZER: Einzelnen Politikern von Fidesz und Jobbik ist der Beifall für ihre rassistischen und antisemitischen Thesen sicher. Niemand ruft sie öffentlich zur Ordnung. Ihre verleumderischen Kampagnen gegen Andersdenkende sind zur Normalität geworden. Die so heraufbeschworene aggressive Stimmung hat den Horden auf der Straße Rückenwind verschafft und sie zudem aufgehetzt, was zu Mordanschlägen auf Zigeuner führt. 2008 und 2009 wurden offiziell fast sechzig Anschläge auf Roma registriert. Elf Menschen wurden dabei umgebracht, etliche schwer verletzt. Begleitet wurde dies durch eine Kette von Diffamierungen in den rechten Medien. Erst nachdem das FBI seine Hilfe bei der monatelangen, vergeblichen Suche der ungarischen Behörden nach den Tätern angeboten hatte, wurden einzelne Verdächtige verhaftet. Vertreter des Fidesz insinuierten, die Verbrechen seien Folge „innerethnischer Konflikte“. Bei einem der Mordanschläge Ende Februar 2009 in der Nähe von Budapest wurde das Haus einer Roma-Familie mit Brandbomben angezündet. Anschließend erschossen die Täter den aus dem brennenden Haus flüchtenden 27jährigen Vater und seinen fünfjährigen Sohn. Die Polizei gab als Todesursache Rauchvergiftung an. Erst die Obduktion brachte die Wahrheit ans Licht. Eines der Probleme ist, dass es zwar eine Legislative gibt, aber keine handlungsfähige Exekutive. Der schwammigen Rechtslage – unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit ist praktisch alles erlaubt – begegnet die Behörde mit bemerkenswerter Laschheit. Osteuropa: Wie konnte es soweit kommen? Ausgerechnet in Ungarn, von dem wir das Klischee halbwilder Romantik mit Charme und Schnurrbart pflegen. … LESEN SIE DAS GANZE GESPRÄCH, DAS PETER ZWEY MIT LASZLO KORNITZER FÜHRTE IN: Osteuropa, 6/2010, S. 19-30 Laszlo Kornitzer (1954), Übersetzer und Theaterregisseur, Berlin

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