Der Oligarch als Volksfeind
Der Nutzen des Falls Chodorkovskij für das Putin-Regime
Abstract
Der Jukos-Prozeß ist eine Meßlatte für den Zustand von Politik und Gesellschaft in Rußland. Die Analyse der öffentlichen Reaktion auf Chodorkovskijs Festnahme, die Kampagne der Massenmedien und den Prozeß zeigt, daß sich das Verfahren nahtlos in die autoritäre Unterwerfung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einfügt, die Putin und sein Gefolge aus Geheimdienstlern verfolgen. Die uninformierte breite Masse der Bevölkerung dient der Staatsmacht dabei als zuverlässigste Stütze. Überwunden geglaubte Phänomene wie die Freund-Feind-Logik, das militarisierte Verteidigungsbewußtsein und das Orwellsche Zwiedenken kehren zurück. Der Begriff „Oligarch“ hat sich in ein appellatives Gebilde verwandelt, das eine ähnliche Funktion erfüllt wie die frühere Formel des „Volksfeinds“. Gleichzeitig reagiert die Bevölkerung auf die Entwicklung zunehmend zynisch. Dieser Zynismus untergräbt die Grundlagen des Putin-Regimes und macht die „gelenkte Demokratie“ extrem instabil.
(Edition Osteuropa 1, S. 133162)