Angst vor Kontrollverlust
Die Corona-Pandemie in Zentralasien
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Abstract in English
Abstract
Die Sars-Cov-2-Pandemie scheint Zentralasien später als viele andere Weltgegenden erreicht zu haben. Erst Mitte März 2020 meldeten Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan erste Infektionsfälle. Tadschikistan folgte vier Wochen später. Turkmenistan hat bis heute keinen Fall bekanntgegeben. Diese Angaben sind unglaubwürdig. Die offiziellen Fallzahlen geben eher Auskunft über den Charakter der Regime. In Kasachstan und Usbekistan nutzen diese die Pandemiebekämpfung zur Unterdrückung von Oppositionellen, zeigten sich aber fähig, ähnliche Beschränkungen wie die europäischen Staaten einzuführen und wirtschaftliche Krisenprogramme aufzulegen. Kirgistan war mit dem Krisenmanagement überfordert. In Tadschikistan und insbesondere in Turkmenistan unterdrücken die Machthaber Informationen über die Pandemie. Einen Kontrollverlust fürchten alle fünf Regime.
(Osteuropa 3-4/2020, S. 131142)
Volltext
Zentralasien gehört zu den Regionen, die zunächst nicht von der Sars-CoV-2-Pandemie betroffen zu sein schienen. Bis März waren die fünf Länder noch ein weißer Fleck auf der Weltkarte der Corona-Infektionen. Erst am 13. März gab Kasachstan die ersten zwei Fälle bekannt: zwei Staatsbürger Kasachstan, die am 9. und 12. März aus Deutschland eingereist waren, wurden positiv auf das Virus getestet.[1] Am 15. März folgte die erste bestätigte Infektion in Usbekistan[2] und am 18. März die erste in Kirgistan.[3] In Tadschikistan und Turkmenistan gab es nach offiziellen Angaben der Regierungen Ende April 2020 keine Sars-CoV-2-Infektionen.[4]
Die Situation mutet umso erstaunlicher an, als drei der fünf zentralasiatischen Länder eine Grenze mit China teilen – Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan. Turkmenistan grenzt an den Iran und hat enge wirtschaftliche Verbindungen zur Türkei – beides Länder, die von der Pandemie stark betroffen sind. Für alle fünf Länder ist China einer der wichtigsten Wirtschaftspartner, zu dem rege Verbindungen bestehen. Tausende Studenten aus Zentralasien leben in China, Hunderte chinesischer Unternehmen sind mit eigenen Mitarbeitern in Zentralasien aktiv. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte die Pandemie Zentralasien lange vor den ersten offiziell bestätigten Fällen erreicht. Doch erst nach den ersten Infektionsfällen im eigenen Land begannen die Regierungen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Pandemie einzudämmen. Sie verhängten Grenzschließungen, Einreisebeschränkungen und stellten Flugverbindungen ein.
Offenbar benötigten die Regierungen eine gewisse Zeit für die Entscheidung und die logistische Vorbereitung, über die Infektionen öffentlich zu berichten und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Diese „organisierte Realität“ sollte vermutlich den Anschein erwecken, die Pandemie beherrschen zu können und die Lage unter Kontrolle zu haben. Doch wie gehen die Staaten Zentralasiens mit der Pandemie um?
Kasachstan: Der Vorreiter
Kasachstan kann trotz zögerlicher Reaktion als der Vorreiter beim Umgang mit der Pandemie gelten. Kasachische Medien hatten seit dem Ausbruch im chinesischen Wuhan über die sich anbahnende Pandemie berichtet. Erste Gesetze zum Umgang mit der Pandemie wurden bereits Anfang Januar verabschiedet, so Regelungen, wie Behörden auf Infektionsfälle reagieren sollten oder wie die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umzusetzen seien.[5]
Anfang März gab das kasachische Gesundheitsministerium bekannt, dass mit ersten in Kasachstan nachgewiesenen Infektionsfällen Mitte März zu rechnen sei.[6] Tatsächlich wurde am 13. März der erste Fall gemeldet. Doch nicht aus China, sondern aus Europa sei der Betroffene eingereist. Ende März prognostizierte das Gesundheitsministerium, dass Kasachstan Schätzungen eigener Epidemiologen zufolge maximal 3500 Fälle infizierter Menschen zu erwarten habe und mit dem Höhepunkt der Neuerkrankungen Mitte April zu rechnen sei. Ende April stiegen die täglich vom Gesundheitsministerium genannten Zahlen bestätigter Infektionen und an Covid-19 verstorbener Menschen weiter an.[7]
Nur zwei Tage nach der ersten bestätigten Infektion ordnete Präsident Kasym-Žomart Tokaev per Präsidentenerlass an, ab 16. März den Ausnahmezustand einzuführen, um während der Pandemie die Sicherheit der Bevölkerung zu schützen.[8] Er galt zunächst bis 30. April, wurde aber bis zum 11. Mai verlängert.[9] Die Grenzen wurden mit Beginn des Ausnahmezustands geschlossen. Am 19. März wurden die beiden größten Städte des Landes, die Hauptstadt Nur-Sultan mit etwa 1,1 Millionen Einwohnern und das Wirtschaftszentrum Almaty mit ca. 2,0 Millionen Einwohnern, unter Quarantäne gestellt. Die Städte wurden von Militär und Polizei abgeriegelt. Seit dem 28. März gelten in beiden Städten zudem verschärfte Regeln, welche die Bewegungsfreiheit deutlich einschränken. So darf die Wohnung nur für Einkäufe von Lebensmitteln oder Medikamenten verlassen werden, alle nicht als „systemrelevant“ definierten Unternehmen und Organisationen mussten schließen, wer zur Arbeit geht, muss Dokumente des Arbeitgebers mit sich führen. Im Laufe des Aprils wurde die Quarantäne auf nahezu alle Großstädte des Landes ausgedehnt.
Schon im März legte Kasachstan Hilfsprogramme auf. Bedürftige konnten per Mobiltelefon eine Unterstützung von 42 500 Tenge (KZT, ca. 90 Euro) für die Zeit des Ausnahmezustands beantragen, das entspricht etwa einem Viertel des durchschnittlichen Monatseinkommens von 350 Euro. Mehr als 4,1 Millionen Menschen wurde die Unterstützung ausgezahlt. Unternehmen wurden Steuererleichterungen und zinsgünstige Kredite eingeräumt.[10]
Ausnahmezustand wird gegen Regimekritiker genutzt
Die Krisenkommunikation Kasachstans kann als beispielhaft in Zentralasien gelten. Sowohl die Regierung als auch kasachische Medien berichten regelmäßig und tagesaktuell über die Lage im Land. Dennoch mehren sich Befürchtungen in der kasachischen Zivilgesellschaft, dass die Regierung den Ausnahmezustand dazu nutzen könnte, das autoritäre Regime auszubauen und Regimekritiker mundtot zu machen.[11]
Mitte April wurden mehrere Regimekritiker inhaftiert, unter anderem Alnur Iljashev. Iljashev hatte im Jahr 2019 immer wieder versucht, eine friedliche Demonstration in Almaty von den Behörden genehmigen zu lassen. Nach 32 negativen Bescheiden hatte er Erfolg. Nun wurde Iljashev unter dem Vorwurf der „Verbreitung von Falschinformationen während der Zeit des Ausnahmezustands“ für zwei Monate in Untersuchungshaft genommen. Tatsächlich werde er festgehalten, so sein Rechtsanwalt, weil er die Präsidentenpartei Nur Otan kritisiert hatte. Sollte Iljashev verurteilt werden, drohen ihm bis zu sieben Jahre Haft.[12] Mit einem Journalisten aus Karaganda wurde ähnlich verfahren. Zudem fürchten Journalisten und Menschenrechtler, dass die Regierung den Ausnahmezustand als Vorwand nutzen könnte, ein neues Versammlungsgesetz zu verabschieden. Am 26. März und am 8. April, also während des Ausnahmezustandes, hatte das kasachische Parlament in erster und zweiter Lesung den Gesetzentwurf in den weiteren Gesetzgebungsverlauf durchgewunken. Der Bürgerrechtler Evgenij Žovtis kritisierte, das Gesetz hätte erst nach Ende der Pandemie beschlossen werden dürfen. Er fürchtet, das Gesetz, das Übergriffe der Behörden gegen Demonstranten legalisiere, werde nun ohne Anhörung von Vertretern der Zivilgesellschaft beschlossen.[13]
Diese Befürchtungen sind nicht unbegründet. Seit der langjährige Präsident Nursultan Nazarbaev am 19. März 2019 zurückgetreten ist, sind Politik und Gesellschaft in Kasachstan in Bewegung geraten. Der Plan des Regimes, die Macht ohne Kontrollverlust an eine andere Person zu transferieren, schien gefährdet.[14] Schon vor Nazarbaevs Rücktritt hatte sich eine Protestbewegung gebildet, in der sich Menschen versammelten, die wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise, der Korruption und dem Ausschluss von politischer Beteiligung unzufrieden sind. Demonstrationen in den großen Städten des Landes, gegen die der Staat rigide und mit Verhaftungen vorging, bestimmten den politischen Alltag. Nazarbaevs Nachfolger Kasym-Žomart Tokaev, der am 9. Juni 2019 bei vorzeitigen Präsidentschaftswahlen bestätigt wurde, hat bis heute keine Autorität. Beobachter gehen davon aus, dass er bald abgelöst wird. Als Nachfolgerin wird Dariga Nazarbaeva, die älteste Tochter von Nursultan Nazarbaev gehandelt. Diese hat nach der Wahl Tokaevs zum Präsidenten dessen vorherigen Posten als Sprecher des Senats übernommen. Sie würde daher automatisch Präsidentin, falls Tokaev zurücktritt.
Die Pandemie als Katalysator
Die Sars-CoV-2-Pandemie könnte die Sollbruchstellen des politischen Systems zum Vorschein bringen. Der Politologe Dossym Satpaev sieht in wirtschaftlichen Versäumnissen den Grund für mögliche soziale und politische Verwerfungen, die nun verstärkt würden. Die Krise werde, so Satpaev, "entweder Präsident Tokayev helfen, seine Legitimität in den Augen der Gesellschaft durch ein Anti-Krisen-Programm zu stärken, oder es seinen […] Gegnern ermöglichen, bei offensichtlichen Fehlern die Pfeile auf ihn zu richten. Und das Risiko solcher Misserfolge ist groß."[15]
Die herrschende Elite Kasachstans ist sich bewusst, dass ihr Staat schwach ist. Mit einer rigiden Pandemiebekämpfung will das Regime Entschlossenheit und die Fähigkeit zum Krisenmanagement demonstrieren. Tatsächlich könnte eine wirtschaftliche Krise soziale Konflikte verschärfen. Im Februar hatten im Süden des Landes nahe der Grenze zu Kirgistan in mehreren Dörfern Auseinandersetzungen zwischen muslimischen Dunganen und ethnischen Kasachen mehrere Todesopfer gefordert.[16] Die massive Präsenz von Polizei und Militär in den großen Städten des Landes dient daher vor allem als Machtdemonstration.
Usbekistan: Zwischen Restriktion und Repression
Usbekistan beschloss mit ein paar Tagen Verspätung ähnliche Maßnahmen wie Kasachstan. Einen Tag nach der Bekanntgabe der ersten Infektion am 15. März schloss die Regierung die Grenzen für den Personen- und Güterverkehr und stellte den Flugverkehr ein. Lediglich Ausländer durften das Land noch verlassen, usbekische Staatsbürger heimkehren. Viele Arbeitsmigranten jedoch konnten zum Beispiel Russland nicht verlassen, weil es keine Flüge mehr gab.[17] Am 24. März wurde Taschkent abgeriegelt und ein Quarantäne-Regime in der Hauptstadt eingeführt.[18]
Den Ausnahmezustand hat Usbekistan nicht ausgerufen, doch die Einhaltung der Quarantäne wird durch die Polizei streng kontrolliert, das Nichteinhalten streng geahndet, es drohen Haftstrafen. Der Umgang mit der Pandemie ist eine Nagelprobe für Präsident Shavkat Mirziyoyev. Usbekistan gehörte bis zum Tod von Islam Karimov im Jahr 2016 zu den repressivsten Staaten der Welt. Sein Nachfolger hat Usbekistan vor allem wirtschaftlich, in Ansätzen aber auch politisch geöffnet.[19] Die Pandemie ist nun die erste Krise, die das Regime unter Mirziyoyev zu bewältigen hat.
Das Protestpotential ist in Usbekistan derzeit sicher gering. Viele Usbeken waren Anfang 2020 durchaus optimistisch, boten sich doch neue Möglichkeiten für Unternehmertum, Bildung und eine bessere Anbindung an das Weltgeschehen. Nun besteht in Usbekistan die Gefahr, dass das Regime in eine autoritäre Regierungsführung zurückfällt. So beschloss die Regierung, das Verbreiten von Falschmeldungen über die Pandemie mit bis zu 89,2 Millionen So’m (ca. 8000 Euro) oder drei Jahren Haft zu bestrafen.[20] Sars-Cov-2-Infizierte, die zur Quarantäne in staatliche Einrichtungen eingewiesen wurden, mussten ihre Mobiltelefone abgeben. Auch die Nachbarschaftskomitees in den Wohnvierteln (Machallahs) wurden aktiviert. Sie sind ein Instrument der Sozialkontrolle und hatten unter Karimov dem Geheimdienst zugearbeitet. Sie sollen Bedürftigen helfen, staatliche Hilfsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen – und Verstöße gegen Quarantänebestimmungen sowie auffällige Krankheitsverläufe melden.
Drohende Armut
Usbekistan verzeichnete in den vergangenen Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen ist laut Internationalem Währungsfonds (IWF) von 64 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf 75 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gestiegen.[21] Im Ease of doing business-Index 2016 der Weltbank-Gruppe stand das Land noch auf Platz 87 von 189 bewerteten Ländern[22], im Jahr 2020 hat es sich auf Platz 69 vorgearbeitet.[23]
Doch Usbekistan ist weiterhin ein sehr armes Land. Noch immer machen Rücküberweisungen von Gastarbeitern, die oft seit Jahren in Russland oder Kasachstan arbeiten, einen erheblichen Teil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Im Jahr 2018 waren es 15,1 Prozent.[24] Zwar beschloss die Regierung bereits am 19. März ein Hilfsprogramm für Unternehmen und ein Krisenpaket in Höhe von zehn Billionen So’m (UZS; ca. 910 Millionen Euro), das aus dem Staatshaushalt und zinsgünstigen Darlehen internationaler Geberorganisationen finanziert wird.[25] Sollten aber die privaten Überweisungen aus dem Ausland ausfallen, weil die Menschen in Russland ihre Arbeit verloren haben oder nach Usbekistan zurückgekehrt sind, steht Usbekistan vor enormen Problemen.
Kirgistan: schwacher Staat
Seit dem Regierungsumsturz im Jahr 2010 gilt Kirgistan als „Insel der Demokratie“ und politischer Hoffnungsträger für ganz Zentralasien. Mit einer per Referendum ermöglichten Verfassungsänderung hatte sich das Land zur ersten und einzigen parlamentarischen Demokratie unter den autoritär regierten Staaten in Zentralasien erklärt. Die Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Landes sind allerdings enttäuscht worden. Auch ökonomische Reformen sind ausgeblieben. Persönliche Fehden, Korruption und Vetternwirtschaft prägen Politik und Wirtschaft.[26]
Nach den ersten offiziell registrierten Infektionen, die bei aus Saudi-Arabien zurückgekehrten Pilgern festgestellt wurden, folgte Kirgistan dem Beispiel Kasachstans und erklärte ab dem 25. März den Ausnahmezustand für die größten Städte des Landes Bischkek, Osch und Jalal-Abad.[27] Das öffentliche Leben im gesamten Land wurde stark zurückgefahren. Die Krisenkommunikation war jedoch teils chaotisch. Die staatliche Kommission zur Bekämpfung der Pandemie verkündete widersprüchliche oder gar falsche Informationen.[28]
Dass Kirgistan im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße deutlich weniger Erkrankungsfälle registriert hat als Kasachstan und Usbekistan, dürfte weniger an der tatsächlichen Infektionslage liegen als an der schlechten Ausstattung des Gesundheitssystems, das kaum Tests durchführen kann. Menschenrechtler beklagen, dass die Behörden den Ausnahmezustand missbrauchten und Menschen, die gegen die Bewegungsbeschränkungen verstießen, ohne rechtliche Grundlage verhaftet würden.[29]
Auch die Medien gerieten unter Druck. Kurz nach Verhängung des Ausnahmezustands schränkten die Behörden die Berichterstattung massiv ein. Anfangs erhielten nur zwei staatliche Fernsehsender die Erlaubnis, über die Pandemie zu berichten. Nach Protesten dürfen mittlerweile auch unabhängige Medien berichten, zumindest in der Hauptstadt Bischkek. In den Regionen, wo die wirtschaftliche Lage und die medizinische Versorgung deutlich schlechter sind, müssen Journalisten mit deutlich größeren Problemen kämpfen.
Venera Djumataeva, Direktorin von Azattyk, dem kirgisischen Dienst von Radio Free Europe/Radio Liberty, bezeichnete die Situation im Land als „chaotisch“.[30] Das Gesundheitssystem sei extrem belastet, es gebe zu wenige Ärzte. Viele ausgebildete Mediziner seien in den vergangenen Jahren nach Russland oder Kasachstan ausgewandert, da sie mit rund 100 USD Monatslohn in ihrer Heimat extrem unterbezahlt seien. Kirgistan war das erste Land, das vom IWF eine Corona-Krisenhilfe erhalten hat. Die zugesagten 121 Millionen US-Dollar sind als Budgethilfe vorgesehen.[31] Und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat ein Projekt im Gesundheitsbereich mit 500 000 Euro aufgestockt, damit Kirgistan besser auf die Pandemie reagieren kann.[32]
Tadschikistan: leicht steigende Lernkurve
Tadschikistan hat bis Ende April 2020 offiziell keine Sars-CoV-2-Infektion bekanntgegeben. Allerdings meldete Ozodi, der tadschikische Dienst von RFE/RL, dass bereits mehrere hundert Menschen in Quarantäne-Einrichtungen gebracht worden seien.[33] Das öffentliche Leben in Tadschikistan wurde kaum eingeschränkt. Bei Massenveranstaltungen wie den Feierlichkeiten zum muslimischen Neujahrsfest Novruz Ende März zeigte sich auch der tadschikische Präsident Emomali Rahmon.[34]
In der zweiten Aprilhälfte allerdings kam immer häufiger der Verdacht auf, dass Menschen an Covid-19 gestorben seien. Das Gesundheitsministerium wies dies zurück.[35] Nachdem jedoch einige Lehrer plötzlich an einer Lungenentzündung verstorben waren, ordnete die Regierung an, alle Schulen des Landes ab dem 27. April für zwei Wochen zu schließen.[36] Zudem wurde ein Export-Verbot für Lebensmittel erlassen.[37]
Die Vermutung liegt nahe, dass die Pandemie längst in Tadschikistan angekommen ist. Doch das ärmste Land Zentralasiens steht vor politischen Veränderungen und das Regime will seine Pläne nicht aufgeben. Im Herbst 2020 stehen in Tadschikistan Präsidentschaftswahlen an. Alles deutet darauf hin, dass der langjährige Diktator Emomali Rahmon das Amt an seinen ältesten Sohn Rustam Emomali übergeben will.
Dieser ist bereits Bürgermeister der Hauptstadt Duschanbe und wurde am 17. April zum Sprecher des Majlis Milli – dem Oberhaus des Parlaments – gewählt.[38] Die Wahl gilt als Hinweis darauf, dass Emomali bei der Präsidentschaftswahl im Herbst als Kandidat antreten könnte, um die Regierungsgeschäfte von seinem Vater zu übernehmen.[39] Das Rahmon-Regime hat in den vergangenen Jahren die Repressionen verschärft. Die Opposition wurde gezielt ausgeschaltet, Regimekritiker verhaftet, unabhängige Medien gibt es praktisch nicht. Das Land leidet unter großer Armut und ist wie kein anderes in Zentralasien von Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten im Ausland abhängig.[40]
Der Tadschikistan-Kenner Edward Lemon vermutet, dass die Regierung sich Zeit verschaffe, um vorbereitet zu sein, wenn sie den Ausbruch der Pandemie bekanntgibt.[41] Sie wolle Panik vermeiden, da bereits jetzt die Lebensmittelpreise stiegen. Zudem wolle das Regime einen Shutdown des Landes verhindern. Die herrschende Elite nutzt ihre Machtstellung, um sich persönlich zu bereichern. Sollte die Wirtschaft zum Stillstand kommen, würde sie schlicht ihre Einnahmen verlieren.
Turkmenistan: Staatlich verordnete Verleugnung
Auch die turkmenische Regierung streitet bisher ab, dass im Lande Menschen an Covid-19 erkrankt seien.[42] Dennoch hat das Land verschiedene Maßnahmen beschlossen, um eine Ausbreitung zu verhindern. So hat Turkmenistan die Einreise für Touristen untersagt und die Grenzen zum Iran und zu Afghanistan geschlossen. Die Grenzen zu Usbekistan und Kasachstan sind de facto ebenfalls geschlossen, weil die beiden Nachbarn Einreisestopps verhängt haben. Auch der Flugverkehr mit China wurde eingestellt.
Um sich in Turkmenistan zu bewegen, benötigt man eine Bescheinigung der Polizei.[43] Die Hauptstadt Aschgabat ist abgeriegelt, auf dem Landweg dürfen nicht einmal mehr Bürger Turkmenistans aus anderen Städten in die Hauptstadt fahren. Seit dem 24. März sind in Aschgabat nahezu alle Geschäfte, Basare und Restaurants geschlossen. In Wohngebieten werden Lebensmittel jetzt vor allem von Kleinhändlern verkauft, oft direkt aus dem Auto heraus. Die Preise für Lebensmittel sind erheblich gestiegen, teilweise auf das Doppelte.
Bei einer Kabinettssitzung am 3. April forderte Präsident Gurbanguly Berdimukhamedov die Regierung auf, nach dem Vorbild Kasachstans und Usbekistans Maßnahmen zu erarbeiten, um die Folgen der weltweiten Pandemie und der internationalen Handelsbeschränkungen, etwa für Lebensmittel, auf die Turkmenistan dringend angewiesen ist, zu mildern. Dazu gehören Importsubstitution, Kredite für kleine und mittlere Unternehmen sowie eine vorübergehende Steuerbefreiung für bestimmte Unternehmen.
Auch in Turkmenistan ist davon auszugehen, dass es Covid-19-Erkrankungen gibt. Das Land grenzt an den Iran, der stark von der Pandemie betroffen ist. Zudem reisen Tausende turkmenische Arbeitsmigranten visumsfrei regelmäßig in die Türkei. Erst Mitte März wurde dies unterbunden, als die Fallzahlen in der Türkei bereits sehr hoch waren.[44]
Als noch internationale Flüge nach Turkmenistan kamen, wurden Rückkehrer aus der Türkei oder Russland in Turkmenabad in Quarantäne gebracht.[45] Ein Beamter aus dem Gesundheitsamt von Aschgabat sagte dem Institute for War and Peace Reporting (IWPR), dass nicht einmal seine Vorgesetzten über die aktuelle epidemiologische Lage Bescheid wüssten. Man arbeite unter extremer Geheimhaltung.[46] Turkmenistan ist eines der isoliertesten Länder weltweit. Presse- und Meinungsfreiheit gibt es nicht. Nur vereinzelt dringen Informationen dank einiger Exilmedien an die internationale Öffentlichkeit. Journalisten, die im Lande für diese Medien arbeiten, setzen sich und ihre Familien ständig der Gefahr aus, Opfer staatlicher Repressionen zu werden.[47] Ungeachtet der enormen Rohstoffvorkommen ist Turkmenistan seit einigen Jahren immer wieder von Versorgungsnöten betroffen. Mehrfach kam es zu Engpässen bei der Lebensmittelversorgung.[48] Die Pandemie könnte diese Situation erneut verschärfen.
WHO-Mission nach Tadschikistan und Turkmenistan
Die Weltgesundheitsorganisation gab am 23. April bekannt, dass sie eine Delegation nach Tadschikistan und Turkmenistan entsenden werde, um die Lage in beiden Ländern zu prüfen.[49] Werden die offiziellen Zahlen registrierter Sars-Cov-2-Infektionen dann steigen, wird die internationale Gemeinschaft zusätzlich zu den bereits durch die EU und den IWF zur Verfügung gestellten Mitteln umfangreiche finanzielle Hilfen leisten müssen. Ebenso wichtig wie Geld ist allerdings die Unterstützung beim Krisenmanagement.
Die Gesundheitssysteme aller zentralasiatischen Staaten sind auf eine Pandemie nicht vorbereitet. Selbst in Kasachstan nimmt die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitssektor, die an Covid-19 erkranken, stark zu. Ähnlich ist es in Usbekistan und Kirgistan.
Für alle Länder in Zentralasien wird die Pandemie verheerende wirtschaftliche Folgen haben. Die ressourcenreichen Staaten kämpfen mit dem Einbruch der Ölpreise infolge der stark rückläufigen Nachfrage, fast alle Staaten mit dem Ausbleiben von Rücküberweisungen der Arbeitsmigranten. Und in Usbekistan oder Kirgistan, die in den vergangenen Jahren zu beliebten Reisezielen geworden waren, werden die Erlöse aus dem Tourismus nahezu vollständig ausfallen.
Manuskript abgeschlossen am 28.4.2020
[1] S oficialʼnym vizitom: v Kazachstan prišel koronavirus. Forbes, 13.3.2020, <https://forbes.kz/process/s_ofitsialnyim_vizitom_v_kazahstan_prishel_koronavirus/? utm_source=forbes&utm_medium=trend>.
[2] Pervyj slučaj koronavirusa zaregistrirovan v Uzbekistane. Gazeta.uz, 15.3.2020, <www.gazeta.uz/ru/2020/03/15/covid/>.
[3] V Kyrgyzstane zaregistrirovan pervyj slučaj koronavirusa. Kavar, 18.3.2020, <http://kabar.kg/news/v-kyrgyzstane-zaregistrirovan-pervye-3-sluchaia-koronavirusa/>.
[4] Predstaviteli Turmenistana otvergli obvinenija v sokrytii slučaev zaraženija koronavirusom i rasskazali o trech karantinnych zonach. Chronika Turmenistana, 23.4.2020, <www.hronikatm.com/2020/04/denial-stage-2/>, <www.bbc.com/russian/features-52290221>.
[5] <https://online.zakon.kz/Document/?doc_id=34019096#pos=117;-31>.
[6] Koronavirus možet pojavitʼsja v Kazachstane 11-16 marta. Tengrinews, 10.3.2020, <https://tengrinews.kz/kazakhstan_news/koronavirus-mojet-poyavitsya-v-kazahstane-11-16-marta-394100/>.
[7] <www.coronavirus2020.kz/>.
[8] Oficialʼnyj sajt prezidenta respubliki Kazachstan, 15.3.2020, <www.akorda.kz/ru/legal_ acts/decrees/o-vvedenii-chrezvychainogo-polozheniya-v-respublike-kazahstan>.
[9] Režim ČP v Kazachstane budet prodlen do 11 maja ‒ Kasym-Žomart Tokaev, Kazinform, 27.4.2020, <www.inform.kz/ru/rezhim-chp-v-kazahstane-prodlen-do-11-maya-kasym-zhomart-tokaev_a3643083>.
[10] Covid-19: Maßnahmen der Regierung (1. Hilfspaket), Special Kasachstan. Germany Trade & Invest, GTAI, 30.3.2020, <www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/kasachstan/covid-19-massnahmen-der-regierung-232880>.
[11] Kazakhstan: Government steps up hunt for critics. Scrutiny of the arrests suggests a complex process at play. Eurasianet, 21.4.2020, <https://eurasianet.org/kazakhstan-government-steps-up-hunt-for-critics>. ‒ Rights Defenders Accuse Kazakh Authorities of Using Coronavirus Restrictions To Stifle Dissent. RadioFreeEurope/RadioLiberty, 20.4.2020.
[12] Almatinskij activist Alʼnur Ilʼjašev pomenščen pod arrest na dva mesjaca, Radio Azattyk, 18.4.2020, <https://rus.azattyq.org/a/30563322.html>.
[13] Evgenij Žovtis: „Vy reguliruete to, čto regulirovatʼ ne nužno“. vlastʼ, 8.4.2020.
[14] Edda Schlager: Kasachstan nach Nasarbajew. Der Protest geht weiter. Deutschlandfunk. 27.8.2019. deutschlandfunkkultur.de, 27.9.2019.
[15] „Skelety“ postkoronavirusnogo Kazachstana. Forbes.kz, 13.4.2020, <https://forbes.kz//life/opinion/skeletyi_postkoronavirusnogo_kazahstana/?>.
[16] In Kasachstan entladen sich schwelende Konflikte in gewaltsamen Unruhen. nzz.ch, 9.2.2020.
[17] Uzbekistan confirms COVID-19 case, closes borders. Eurasianet, 16.3.2020.
[18] Uzbekistan to lock down capital Tashkent due to coronavirus. Reuters, 23.3.2020.
[19] Edda Schlager: Aufbruch in Usbekistan: Bereit für Reformen? Deutschlandfunk, 24.6.2019.
[20] Is Uzbekistan using coronavirus to curtail civil liberties? Aljazeera, 3.4.2020.
[21] IMF World Economic Outlook Database.
[22] Doing Business 2016. Measuring Regulatory Quality and Efficiency. World Bank Group, 2016, <www.doingbusiness.org/content/dam/doingBusiness/media/Annual-Reports/English/ DB16-Full-Report.pdf>.
[23] Doing Business 2020. Comparing Business Regulation in 190 Economies, World Bank Group 2020, <https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/32436/9781464814402.pdf>.
[24] Personal remittances, received (% of GPD). World Bank, Data, <https://data.worldbank.org/indicator/BX.TRF.PWKR.DT.GD.ZS?end=2018&locations= UZ&start=2006&view=chart>.
[25] Covid-19: Maßnahmen der Regierung. GTAI, 23.3.220, <www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/usbekistan/covid-19-massnahmen-der-regierung-236832>. Zum Vergleich: das usbekische Bruttoinlandsprodukt betrug 2019 rund 75 Mrd. Euro.
[26] Kirgistan – Insel der Demokratie? Shashlyk Mashlyk, 10.4.2020, <https://shashlyk.de/episode/shashlyk-mashlyk-06-kirgistan-insel-der-demokratie/>.
[27] Kubatbek Boronov: Režim ČP dostavit neudobstva graždanam, no vse delaetsja radi ich bezopasnosti, Pravitelʼstvo Kyrgyzskoj Respubliki, 25.3.2020, <www.gov.kg/ru/post/s/kubatbek-boronov-rezhim-chp-dostavit-neudobstva-grazhdanam-no-vse-delaetsya-radi-ikh-bezopasnosti%C2%A0>.
[28] Zentralasien: Die Corona-Krise und die Medien. EJO, 20.4.2020, <https://de.ejo-online.eu/qualitaet-ethik/zentralasien-die-corona-krise-und-die-medien?fbclid=IwAR3WhtLfA4RT_tFqTxqIDlqDjuoK1rP7YK_-c6c4edzJdgxoh2qXwcQ0JmY>.
[29] Kyrgyzstan law enforcement abusing coronavirus restrictions, activists say. Eurasianet, 24.4.2020, <https://eurasianet.org/kyrgyzstan-law-enforcement-abusing-coronavirus-restrictions-activists-say>.
[30] Online-Konferenz der Daniel Morgan Graduate School of National Security, in Kooperation mit Radio Free Europe/Radio Liberty, „The Political Effects of Covid-19 in Central Asia“ am 22.4.2020, <www.eventbrite.com/e/the-political-effects-of-covid-19-in-central-asia-tickets-102924576178>.
[31] IMF Executive Board Approves a US$ 120.9 Million Disbursement to the Kyrgyz Republic to Address the Covid-19 Pandemic, 26.3.2020.
[32] Germany to allocate €500,000 to Kyrgyzstan for fight against coronavirus. KG, 25.3.2020, <https://24.kg/english/147906_Germany_to_allocate_500000_to_Kyrgyzstan_for_fight_ against_coronavirus/>.
[33] V Tadžikistane gruppu zaključennych pomestili na karantin. Radio Ozodi, 27.4.2020,
<https://rus.ozodi.org/a/30578733.html>. ‒ V Tadžikistane milicionerov otpravili na karantin posle operacii po obezvreživaniju narkotorgovca. Radio Ozodi, 13.4.2020, <https://rus.ozodi.org/a/ 30551206.html>. ‒ Sostojanie odnogo iz nachodjaščichsja na karantine na severe Tadžikistana uchudšilosʼ. Radio Ozodi, 10.4.2020, <https://rus.ozodi.org/a/30546717.html>.
[34] Tajikistan Highlights Persian Roots with Novruz Celebration. Eurasianet, 30.3.2020,
<https://eurasianet.org/tajikistan-highlights-persian-roots-with-novruz-celebration>.
[35] Tajikistan: Four more deaths pinned on pneumonia. Eurasianet. 22.4.2020, <https://eurasianet.org/tajikistan-four-more-deaths-pinned-on-pneumonia>.
[36] V detsadach i školach Tadžikistana ob”javleny „vynuždennye kanikuly“. Radio Ozodi, 25.3.2020, <https://rus.ozodi.org/a/30575820.html>.
[37] Tadžikistan vvel zapret na eksport produktov i otmenil vse obščestvennye meroprijatija. Asia-Plus, 25.4.2020.
[38] Syn prezidenta Tadžikistana stal vtorym licom gosudarstva. Asia-Plus, 17.4.2020.
[39] Tajikistan: Succession process near close as president’s son named Senate chair. Eurasianet. 17.4.2020.
[40] Edda Schlager: Im Namen des Präsidenten. Eine Welt, 1/2019, S. 21–23, <www.eda.admin.ch/ content/dam/deza/de/documents/publikationen/Eine-Welt/eine-welt-01-2019_DE.pdf>.
[41] The Political Effects of Covid-19 in Central Asia [Fn. 32].
[42] Predstaviteli Turkmenistana otvergli obvinenija v sokrytii sluČaev zaraženija koronavirusom I rasskazali o trech karantinnych zonach. Chronika Turkmenistana, 23.4.2020.
[43] V Turkmenistane zakryto dviženie meždu regionami. Chronika Turkmenistana, 19.3.2020.
[44] Ask a COVID-19 Question. U.S. Embassy in Turkmenistan, Country-Specific Information, 16.4.2020, <https://tm.usembassy.gov/covid-19-information/>.
[45] 15 čelovek sbežali iz karantina v Turkmenabate. Chronika Turkmenistana, 7.4.2020.
[46] Turkmenistan’s Covid-19 Policy: Secrecy and Denial. Institute for War & Peace reporting,
17.4.2020, <https://iwpr.net/global-voices/turkmenistans-covid-19-policy-secrecy-and-denial>.
[47] Journalist Soltan Achilova on covering COVID-19 in Turkmenistan, one of the few countries with 0 confirmed cases. Committee to Protect Journalists, cptj.org, 21.4.2020.
[48] Turkmenistan: Isoliert und Interessengebiet verschiedener Großmächte. Deutschlandfunk, 13.5.2019.
[49] <https://twitter.com/hans_kluge/status/1253321797228826624>.
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