Titelbild Osteuropa 6-8/2022

Aus Osteuropa 6-8/2022

Terror, Kollaboration und Widerstand
Russlands Herrschaft in den neu besetzten Gebieten der Ukraine

Tatiana Zhurzhenko

Volltext als Datei (PDF, 519 kB)


Abstract in English

Abstract

In den seit Februar 2022 von Russland besetzten Gebieten wenden die Besatzer dieselben Instrumente an wie schon 2014 auf der Krim und im Donbass. Sie schneiden die Bevölkerung von ukrainischen Informationsquellen ab, verbreiten ihre Propaganda und schalten das Bildungssystem gleich. Sie instrumentalisieren humanitäre Hilfe, zahlen Sozialleistungen und Löhne in Rubel, stellen russländische Pässe aus und koppeln die Inanspruchnahme von Dienstleistungen und Rechten an die russländische Staatsbürgerschaft. Sie rekrutieren Kollaborateure aus den lokalen Eliten und greifen zu Repression und offenem Terror. Die Krim und die sogenannten Volksrepubliken Doneck und Lugansk dienen als Ausgangsbasis für die militärische und administrative Einverleibung der neu besetzten Territorien. Während die Perspektive einer militärischen Befreiung der besetzten Gebiete vage bleibt, ist eines klar: Je länger Russland dort bleibt, desto schwieriger wird es für die Ukraine, sie zurückzuholen.

(Osteuropa 6-8/2022, S. 179–200)

Volltext

Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine überfallen und rasch große Gebiete im Norden, Osten und Südosten des Landes besetzt. Der Widerstand der ukrainischen Armee hat Russlands Militärführung Anfang April gezwungen, seine Truppen aus den Gebieten Kyjiv, Černihiv und Sumy im Norden sowie aus Teilen des Gebiets Charkiv im Nordosten des Landes zurückzuziehen. Im Südosten dauert hingegen in den Gebieten Cherson und Teilen des Gebiets Zaporižžja die Besatzung inzwischen mehr als sechs Monate an. Im Osten hat Russland nach erbitterten Kämpfen im Juni die Industriestädte Severodonec’k and Lysyčans’k und somit das gesamte Gebiet Luhans’k erobert. Die Kämpfe um die noch von der ukrainischen Armee kontrollierten Teile des Gebiets Donec’k dauern auch vier Monate nach dem Fall von Mariupol’ im Mai an.

Doch militärische Gewalt allein reicht nicht aus, um die Kontrolle über ein Territorium zu gewinnen, geschweige denn, um es politisch und wirtschaftlich zu integrieren. Was wissen wir über Russlands Ziele, politische Pläne und Maßnahmen in den eroberten Gebieten? Wie kombinieren die Besatzer Repression, Propaganda und humanitäre Hilfe, um die lokale Bevölkerung zu loyalem Verhalten zu bringen? Mit welchen Dilemmata sehen sich die lokalen ukrainischen Behörden, die örtlichen Unternehmen und Bildungseinrichtungen konfrontiert? Wie entscheidet sich diese im breiten Spektrum zwischen Widerstand und Kollaboration?

Okkupation seit 2014

Bereits im Jahr 2014 hat Russland die Krim und Teile der Gebiete Donec’k und Luhans’k erobert. Viele Methoden, derer sich Moskau heute bedient, um Kontrolle über die seit Februar 2022 besetzten Gebiete zu erlangen, kamen bereits in diesen acht Jahren zum Einsatz. Zugleich gibt es auch wichtige Unterschiede.

Die Krim brachte Russland im Frühjahr 2014 fast ohne Einsatz offener militärischer Gewalt unter seine Kontrolle. Moskau machte sich die politische Krise in der Ukraine und die prorussländische Mobilisierung auf der Halbinsel zunutze, um die Halbinsel zu besetzen. Die Soldaten ohne Hoheitszeichen, die plötzlich überall auf der Krim auftauchten, stießen auf nahezu keine Gegenwehr. Moskau gab lange vor, an der Besetzung nicht militärisch beteiligt gewesen zu sein. Erst ein Jahr nach der Annexion erklärte Putin, dass diese Soldaten, die sogenannten „grünen Männchen“, selbstverständlich Teil der russländischen Streitkräfte gewesen seien.[1]

Bereits zwei Wochen nach der Übernahme der politischen Institutionen ließ Russland ein – international nicht anerkanntes – Scheinreferendum abhalten, das die Einverleibung der Krim legalisieren und legitimieren sollte. Eine Woche später erfolgte die formale „Aufnahme“ in die Russländische Föderation. Binnen weniger Wochen wurde die Krim in den russländischen Staat integriert.

Mit dem Pseudoreferendum wurden die Bewohner der Krim über Nacht zu Staatsbürgern Russlands. Wer dies ausschlug, bekam erhebliche Schwierigkeiten. Ukrainische Bürger und insbesondere Krimtataren, die sich gegen die Annexion und die Besatzungspraxis engagierten, waren mit massiven Repressionen konfrontiert.[2] Viele Menschen verließen daraufhin die Krim. Der Großteil der Bevölkerung aber glaubte den Versprechen auf ein besseres Leben.

Anders verlief die Besetzung von Teilen des Donbass. Russland unterstützte im Frühjahr 2014 im gesamten Osten der Ukraine prorussländische Separatisten und ermöglichte ihnen so, in den Städten Luhans’k und Donec’k „Volksrepubliken“ zu proklamieren. Als die ukrainische Armee versuchte, die Kontrolle Kiews über die aufständischen Gebiete wiederherzustellen, griff Russlands Armee verdeckt ein. Ein Krieg mit über 13 000 Toten und Millionen Binnenflüchtlingen war die Folge.

Moskau verfolgte allerdings anders als im Falle der Krim bis zum Februar 2022 nicht das Ziel, die eroberten Teile der ukrainischen Verwaltungsgebiete Donec’k und Luhans’k zu annektieren. Vielmehr versuchte der Kreml, sich mittels seiner Vasallen-Republiken Einfluss in der Ukraine zu verschaffen. Die besetzten Gebiete sollten nach einer Reform der ukrainischen Verfassung als autonome Gebilde in die Ukraine integriert werden, die von Moskau in Donec’k und Luhans’k an die Macht gebrachten Führungen durch Wahlen legitimiert werden.

Kiew wollte diese Gebiete ebenfalls reintegrieren, doch zu anderen Bedingungen: Zuerst müsse die Ukraine wieder die Kontrolle über die Grenze zu Russland erhalten, erst dann könnten Wahlen abgehalten werden, und diese gemäß der ukrainischen Verfassung.

Faktisch schwand der Einfluss ukrainischer Institutionen und Akteure in den „Volksrepubliken“ sehr bald. Die militärische, politische und wirtschaftliche Unterstützung Moskaus führte unterhalb der Schwelle einer formalen Annexion schrittweise zu einer faktischen Integration der besetzten Gebiete in die Russländische Föderation, nicht zuletzt auch durch die Ausgabe russländischer Pässe an die örtliche Bevölkerung.

Die Ukraine akzeptierte weder die Annexion der Krim noch die Besatzung des Donbass. Gleichwohl stabilisierte sich die Lage zwischen 2015 und 2022 etwas. Kiew insistierte auf der Rückgabe der okkupierten Gebiete, räumte jedoch ein, dass dies nur auf politischem und diplomatischem Wege möglich sei. Im Jahr 2016 richtete die Ukraine das Ministerium für die Reintegration der vorübergehend besetzten Gebiete ein, dessen Aufgabe es ist, die Rechte der dort und an der Kontaktlinie lebenden ukrainischen Bürger sowie die der Binnenvertriebenen zu schützen.[3] Das Ministerium ist für eine Reihe wichtiger Aufgaben zuständig: Minenräumung, Wiederaufbau der Infrastruktur, Ausbau der Checkpoints an der Kontaktlinie und an der Verwaltungsgrenze zur Krim, soziale Rechte der auf besetztem Gebiet lebenden Ukrainer (etwa Pensionen), Rechte politischer Gefangener oder das Recht der auf besetztem Gebiet lebenden ukrainischen Schüler auf ein Studium in der Ukraine.

Die prekäre Stabilität endete abrupt im Februar 2022, als Russland die beiden „Volksrepubliken“ offiziell anerkannte, ihnen militärische Unterstützung gegen angebliche Eroberungsversuche der Ukraine zusagte und den als „Spezialoperation“ verbrämten Angriff auf die Ukraine startete.

Die seit 2014 besetzten Gebiete dienen nun zum einen als Aufmarschgebiet für militärische Operationen. Zum anderen spielen sie eine wichtige Rolle bei dem Versuch, die neu eroberten Gebiete unter Kontrolle zu bringen. Aus diesen Gebieten werden Zivilisten in „Filtrationslager“ in den beiden „Volksrepubliken“ sowie auf der Krim deportiert. Dort werden Kriegsgefangene sowie entführte Ukrainer festgehalten, die sich politisch für ihren Staat engagiert hatten. Zugleich rekrutiert sich ein Teil des Personals für die Besatzungsbehörden in den neu eroberten Gebieten aus den „Volksrepubliken“ und aus der „Republik Krim“. Beamte der Behörden der Krim und der Stadt Sevastopol’ werden zur Organisation von Referenden in die (teil)besetzten Gebiete Cherson und Zaporižžja geschickt.[4] Vertreter dieser Gebilde treten seit Februar 2022 häufig in den Moskauer Staatsmedien auf, etwa Denis Pušilin, das Oberhaupt der „Volksrepublik Doneck“, und Vladimir Konstantinov, der Vorsitzende des Krim-Parlaments.

Besatzung 2022

Russland nennt den Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 zwar „Spezialoperation“. Anders als im Jahr 2014 auf der Krim und im Donbass führt Moskau den Angriff jedoch ganz offen und macht aus der geplanten territorialen Expansion keinen Hehl. Anfangs behauptete Moskau noch, es wolle „lediglich“ einen – als „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ bezeichneten – Regimewechsel in der Ukraine herbeiführen. Mittlerweile betreibt es eine offen neoimperiale Politik der Landnahme mit militärischen Mitteln. Legitimiert werden soll diese mit dubiosen historischen Argumenten. Ob Moskau das ursprüngliche Ziel wirklich aufgegeben hat, ist zweifelhaft. Mehr als eine stückweise Aneignung neuer Gebiete hat Russlands Armee jedoch in den vergangenen Monaten nicht erreicht.

In den neu okkupierten Territorien versucht Russland nun, dieselben Methoden anzuwenden, die bereits auf der Krim und im Donbass zum Einsatz kamen: die Proklamation von „Volksrepubliken“, die Durchführung von Scheinreferenden und – wie im Falle der Krim – die anschließende Annexion. Ob dies gelingt, ist abhängig von den militärischen Erfolgen der Besatzer sowie von der Unterstützung durch örtliche Eliten und die lokale Bevölkerung. Russland stößt auf viel größeren Widerstand, als es der Oberbefehlshaber offensichtlich erwartet hatte.

Referenden – angekündigt und immer wieder verschoben

Im Gebiet Cherson, das in den ersten zwei Wochen nach Beginn der Invasion vollständig besetzt wurde, begannen die Spekulationen über die Proklamation einer „Volksrepublik“ bereits im März. Die Besatzer versuchten, Abgeordnete des Gebietsparlaments für diesen Plan zu gewinnen – ohne Erfolg. Das Parlament verabschiedete mit großer Mehrheit eine Erklärung, in der es an der territorialen Integrität der Ukraine einschließlich des Gebiets Cherson festhält.[5] Der Stadtrat der Gebietshauptstadt Cherson stellte sich hinter diese Erklärung und die Staatsanwaltschaft des Gebiets leitete eine strafrechtliche Untersuchung wegen Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine ein. In Cherson fanden mehrere große Kundgebungen gegen die Besatzung statt.[6]

Erneut verdichteten sich die Spekulationen über ein Referendum vor dem 9. Mai. Die Befürworter eines Referendums hofften, dass mit dem „Tag des Sieges“ über Nazi-Deutschland im Jahr 1945 eine Mobilisierung für den Kampf gegen den angeblichen Faschismus in der Ukraine erreichbar wäre. Allerdings wurden die Planungen nicht vorangetrieben. Daraufhin schlug der stellvertretende Leiter der von Russland in Cherson eingesetzten „militärisch-zivilen Verwaltung“ vor, das Gebiet solle kraft eines Dekrets von Präsident Putin ohne Abstimmung der Bevölkerung an Russland angeschlossen werden. Ein Referendum würde vom Westen ohnehin nicht anerkannt.[7] Moskau wollte jedoch den Anschein von Legalität wahren.

Den Auftrag zur Vorbereitung von Referenden erhielt daraufhin der für Innenpolitik zuständige erste stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung Sergej Kirienko, der seit Ende April 2022 bezeichnenderweise auch die Zuständigkeit für die beiden Volksrepubliken und die neu besetzten Gebiete zugewiesen bekam. Abgehalten werden sollen vier Referenden: in den beiden Volksrepubliken – inklusive der neu besetzten Regionen der Gebiete Donec’k und Luhans’k –, im Gebiet Cherson sowie im Gebiet Zaporižžja. Diese beiden Gebiete werden in Russland neuerdings als Nordtaurien bezeichnet.[8] Offenbar erwägt der Kreml, die vier via Billigung in Pseudoreferenden annektierten Gebiete später in einem neuen Föderalbezirk zusammenzufassen. Zuständig dafür ist in der Präsidialverwaltung der Beauftragte für Regionalpolitik Boris Rapoport, der bereits 2014 mit Vladislav Surkov im Donbass für die Unterordnung der lokalen Führungen unter die Moskauer Herrschaft sorgte.[9]

Dies würde jedoch auch einen Umbruch für die „Volksrepubliken“ bedeuten. Bereits jetzt versucht der Kreml nicht mehr, seine Herrschaft durch die Einsetzung lokaler Machthaber zu kaschieren, sondern schickt immer offener Beamte nach Donec’k und Luhans’k.[10] Eigenständige Gebilde, wie sie Moskau acht Jahre lang als Instrument zur Unterminierung der territorialen Integrität der Ukraine eingesetzt hat, werden nicht mehr benötigt.

Bislang spricht jedoch wenig dafür, dass Russland diese Pläne umsetzen kann. Weiterhin sind 40 Prozent des vollständig beanspruchten Gebiets Donec’k unter ukrainischer Kontrolle, die von Russland besetzten Teile des Gebiets Zaporižžja sowie der Norden des Gebiets Cherson sind umkämpft. Ein weiterer Termin für mögliche Referenden, der Tag der Regionalwahlen in Russland am 11. September, ist verstrichen, ohne dass diese abgehalten wurden. Es ist vor allem die militärische Lage, die dies verhindert. Darüber hinaus zeigen aber auch vom Kreml in Auftrag gegebene Umfragen, deren Ergebnisse unter Verschluss gehalten werden, dass die Unterstützung für einen Anschluss an Russland gering ist.[11]

Zugleich ist die permanente Rede von einem Referendum Teil von Russlands psychologischer Kriegsführung. In der Tat wird es schwieriger sein, die besetzten Gebiete zu befreien, sobald Moskau sie per Referendum und Annexion offiziell zu eigenem Territorium erklärt. Daher steht Kiew unter Druck, das Referendum zu verhindern und hat inzwischen nach eigenen Angaben einen Gegenangriff im Süden begonnen.

Die Reaktion des ukrainischen Staats

Anders als im Jahr 2014 finden die Besatzer in den neu okkupierten Gebieten kaum Unterstützung. Auch die Antwort des ukrainischen Staates fällt erheblich entschiedener aus, militärisch wie zivil. Schon Ende März gelang es der ukrainischen Armee, einige der neu besetzten Gebiete zurückzuerobern. In den Vorstädten von Kiew kehrt seitdem das Leben langsam zurück, die Verbrechen der russländischen Soldaten werden dokumentiert, die zerstörte Infrastruktur wiederaufgebaut. Doch bis alleine die sichtbaren Wunden verschwunden sein werden, ist es noch ein langer Weg.

Im Juli kündigte Präsident Zelens’kyj für den Spätsommer eine Gegenoffensive im Südosten des Landes an und versprach der Bevölkerung in den okkupierten Gebieten baldige Befreiung. Das Kiewer Integrationsministerium rief die Bevölkerung der Gebiete Cherson and Zaporižžja auf, die umkämpften Gebiete zu verlassen, wenn nicht anders möglich, über die Krim.[12]

Die Offensive hat mittlerweile begonnen, doch bis zur Befreiung der besetzten Gebiete ist es noch ein weiter Weg. Für die Zeit bis dahin hat der ukrainische Staat schon unmittelbar nach dem Einmarsch der russländischen Truppen begonnen, Strategien zum Umgang mit der Besetzung von Teilen des Staatsgebiets zu entwickeln, um den an die örtliche Bevölkerung gerichteten Lockrufen der Okkupationsbehörden sowie deren Drohungen und Repressionen etwas entgegenzusetzen. Anders als im Jahr 2014 versichert Kiew heute den unter Besatzung geratenen ukrainischen Staatsbürgern mit Nachdruck, dass ihr Land sie nicht aufgegeben hat.

Das Ministerium für Reintegration versucht, Menschen aus den besetzten, belagerten und von Kampfhandlungen betroffenen Gegenden eine Flucht auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet zu ermöglichen und Binnenflüchtlinge dort zu unterstützen. Gleichzeitig verbreitet es Hinweise, wie man sich im Falle einer Zwangsdeportation nach Russland verhalten soll, wie Männer eine Heranziehung zum Militärdienst umgehen können, welches Verhalten als Kollaboration betrachtet wird und wie man diese in Zwangslagen vermeiden kann. Angesichts des immer wieder ange­kündigten Referendums warnt die Regierung, dass alle ukrainischen Bürger, die sich an dessen Vorbereitung und Durchführung beteiligen, zur Rechenschaft gezogen werden.[13]

Rentenzahlungen und andere Sozialleistungen werden heute ohne demütigende Nachweisprozeduren ausgezahlt, ganz gleich, wo die anspruchsberechtigte Person sich befindet. Die Verwaltungen besetzter Städte sind auf von Kiew kontrolliertes Gebiet ausgewichen und halten von dort über Telegram und andere Kanäle die Verbindung mit ihren Bürgern. So hat etwa die Stadtverwaltung von Mariupol’ in mehreren ukrainischen Städten Zentren eröffnet, wo Geflüchtete aus dieser Stadt Unterstützung erhalten und sich zusammentun können. Ebenso wurde in Zaporižžja ein Anlaufpunkt für Geflüchtete aus Cherson eingerichtet.[14]

Die humanitäre Lage in den besetzten Gebieten

Die Lage in den verschiedenen aktuell oder vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine unterscheidet sich stark. Die entscheidenden Faktoren sind die Dauer der Besatzung, die militärische Situation und die Nähe zur Front sowie der Grad der Zerstörung und Entvölkerung.

Die okkupierten Landstriche in den Gebieten Kyjiv, Sumy und Černihiv im Norden der Ukraine wurden bereits nach vier Wochen befreit. Dort hatte Russland nie ernsthaft versucht, Kontrolle über die lokale Verwaltung zu erlangen und die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Statt dessen terrorisierte die russländische Armee die Bevölkerung.

Mariupol’ im Gebiet Donec’k, Izjum im Gebiet Charkiv und Rubižne im Gebiet Luhans’k sind drei Beispiele für Städte, aus denen die Mehrheit der Bevölkerung geflohen ist und die bei der Einnahme durch die russländischen Truppen großflächig zerstört wurden. Die Lage für die verbliebenen Menschen ist dramatisch.

Das Gebiet Cherson und Teile des Gebiets Zaporižžja sind hingegen ohne größere Kampfhandlungen unter Kontrolle der russländischen Armee gelangt. Mittlerweile hat sich jedoch auch dort die humanitäre Situation stark verschlechtert. In Cherson befindet sich nach mehreren Fluchtwellen nur noch ein Drittel der Bevölkerung in der Stadt.[15]

In den gesamten neu besetzten Gebieten lebt die Bevölkerung in Angst und Unsicherheit. Nachdem der ukrainische Staat dort ausgeschaltet worden ist, sind Gewalt und Plünderungen Alltag geworden. Die Besatzer füllen das entstandene Machtvakuum auf ihre Weise. In den Straßen patrouillieren die Miliz der „Volksrepublik Doneck“oder Einheiten der berüchtigten Truppe des tschetschenischen Führers Ramzan Kadyrov. Auch die Russländische Nationalgarde (Rosgvardija) wird in den besetzen Gebieten eingesetzt. Darüber hinaus bauen die Besatzer einen neuen Polizeiapparat auf, der teilweise aus kollaborationsbereiten Beamten des aufgelösten ukrainischen Apparats rekrutiert wird. All diese neuen Kräfte sind kaum geeignet, die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen – im Gegenteil: Sie sind oft selbst an den täglichen Verbrechen beteiligt.

Viele Menschen verlieren ihre Arbeit, da Betriebe schließen oder weggehen. Jene, die im öffentlichen Dienst weiter arbeiten – z.B. Ärzte, Lehrer oder Sozialarbeiter – erhalten ihr Gehalt oft nur mit Verzögerung oder gar nicht. Ebenso gibt es Verzögerungen oder Ausfälle bei Sozialleistungen wie Renten oder Kindergeld. Und selbst wenn das Geld auf das Konto überwiesen wird, kann es oft nicht bar abgehoben werden. Dies macht die Menschen von der Versorgung durch die Besatzer abhängig, und die Moskauer Propaganda behauptet anschließend, die ukrainische Regierung habe ihre Bürger aufgegeben. Viele Rentner, insbesondere in ländlichen Gegenden, haben nicht einmal ein Konto. Sie erhielten die Rente bislang bar von Briefträgern der ukrainischen Post. Allein im Gebiet Cherson waren 70 000 Rentner auf diese Botendienste angewiesen.[16] Nachdem die Zustellung unter der Besatzung immer schwieriger geworden war, hat Ukrpošta ihre Tätigkeit in den besetzten Gebieten im August eingestellt.[17] Das ukrainische Sozialministerium ermöglicht es stattdessen nun, dass Rentenempfänger ein Internet-Bankkonto für Sozialleistungen einrichten.

Vielerorts sind die Wasser-, Strom und Fernwärmenetze beschädigt. Mariupol’ ist das bekannteste Beispiel, in vielen kleineren Städten ist die Lage jedoch ähnlich. Äußerst prekär ist die medizinische Versorgung. Viele Ärzte sind geflohen, in den Krankenhäusern fehlt es an Verbandsmaterialien, Medikamenten und vielem mehr.

In Cherson waren im Mai bereits 90 Prozent der Apotheken geschlossen. Es fehlen Medikamente für Krebskranke, Diabetiker und andere Patienten, die auf die regelmäßige Einnahme spezieller Präparate angewiesen sind.[18] Größere organisierte Transporte von ukrainischem Gebiet aus lassen die Kontrollposten der russländischen Armee nicht passieren. Medikamente können daher von dort nur in kleinen Mengen mit Privatfahrzeugen und unter großen Risiken in die besetzten Gebiete gebracht werden.

Auch die Lebensmittelversorgung ist prekär. Die meisten ukrainischen Supermärkte haben wegen der unterbrochenen Lieferketten geschlossen. Mittlerweile werden Lebensmittel und Medikamente zunehmend aus Russland geliefert, hauptsächlich über die Krim. Die Preise für diese Lebensmittel sind extrem hoch. Lediglich lokale Bauern bieten Obst und Gemüse zu erschwinglichen Preisen an. Sie können nicht mehr in die freien Gebiete der Ukraine liefern und müssen ihre Erzeugnisse vor Ort zu Dumpingpreisen verkaufen.[19]

Zu alldem kommen Umweltgefahren in Folge der Kampfhandlungen: Wald- und Feldbrände, Wasserverschmutzung und die großflächige Gefahr durch Minen. Auch in befreiten Gebieten wird die Beseitigung von Sprengkörpern Jahre dauern. Gegenwärtig sind Minenräumkommandos oft dazu gezwungen, in Frucht stehende Felder abzubrennen.[20] Von den Auswirkungen einer drohenden Havarie im besetzten Atomkraftwerk Zaporižžja ganz zu schweigen.

Russlands Vorgehen in den besetzten Gebieten

Dort, wo die Frontlinie sich stabilisiert hat, hat Russland damit begonnen, „militärisch-zivile Verwaltungen“ einzurichten. Zugleich ließ die Besatzungsmacht vielerorts die ukrainische Selbstverwaltung für eine gewisse Zeit mit eingeschränkten Kompetenzen weiterarbeiten. Da kaum jemand bereit war, mit den Besatzungsbehörden zu kollaborieren, war dies die einzige Möglichkeit, die kommunale Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten. So konnte etwa die Stadtverwaltung von Cherson unter Bürgermeister Ihor Kolychaev nach der Einnahme der Stadt ihre Tätigkeit noch fast zwei Monate fortsetzen. Erst am 25. April übernahmen die Okkupanten das Rathaus und holten die ukrainische Flagge ein.[21]

Um wichtige lokale Persönlichkeiten zur Kollaboration zu bewegen, schrecken die Besatzer nicht vor Entführung und Folter von Politikern, Beamten und Journalisten zurück.[22] Einer der ersten prominenten Fälle war der des Bürgermeisters von Melitopol’, Ivan Fedorov, der am 11. März entführt wurde. Am folgenden Tag forderten etwa 2000 Menschen in der besetzten Stadt öffentlich seine Freilassung. Tatsächlich wurde er bald gegen neun Kriegsgefangene ausgetauscht und von Präsident Zelens’kyj dafür ausgezeichnet, dass er sich trotz physischen und psychischen Drucks nicht in die Kollaboration fügte.[23] Seitdem wurden Hunderte Menschen entführt oder verhaftet; manche wurden in ihren Wohnungen und Häusern abgeholt, nachdem Kollaborateure Listen mit Namen und Adressen erstellt hatten; andere wurden an Kontrollpunkten verhaftet oder nachdem sie in den sogenannten Filtrationslagern Verhören unterzogen und die Daten ihrer Smartphones ausgelesen worden waren.

Einige der Entführten wurden inzwischen freigelassen – oft nachdem sie zuvor ver­prügelt und gefoltert worden waren –, andere werden weiter vermisst oder wurden tot aufgefunden. Allein auf dem besetzten Gebiet des Gebiets Zaporižžja wurden nach offiziellen Angaben zwischen März und Juli 415 Menschen entführt.[24] Gefährdet sind alle, die sich politisch engagiert haben, sowie ehemalige Soldaten, die an der Front im Donbass gekämpft haben. Die Besatzer glauben, dass Männer und Frauen aus diesen beiden Gruppen eine bewaffnete Widerstandsbewegung im Untergrund aufbauen könnten.

Ein Instrument, mit dem die Besatzungsmacht sich die Loyalität der Bevölkerung sichern will, ist die humanitäre Hilfe. Das Muster ist allen Ortes das gleiche. Erst werden die etablierten Routen für Lebensmitteltransporte blockiert und so wird überhaupt eine Bedürftigkeit geschaffen. Humanitäre Hilfe von ukrainischer Seite wird verhindert, an manchen Orten wurden Hilfsgüter offensichtlich auch gestohlen und umdeklariert, bevor sie verteilt wurden. Schließlich bringen Lastwagen aus Russland Nahrungsmittel, die Besatzer präsentieren sich als Wohltäter. Zusätzlich erhalten viele Rentner eine einmalige Zahlung. Zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai ließ Präsident Putin per Dekret allen Veteranen des „Großen Vaterländischen Kriegs“ in den „befreiten Gebieten“ 10 000 Rubel zukommen.[25] Berichte über die dankbare Entgegennahme solcher Brosamen sind ein bevorzugtes Sujet der auch in den besetzten Gebieten ausgestrahlten Fernsehnachrichten der Moskauer Staatssender.

Informationskontrolle und Propaganda sind ohnehin zentrale Instrumente, um die Herrschaft über die okkupierten Gebiete dauerhaft zu etablieren. Kurz nach dem Einmarsch schalteten die Okkupanten die ukrainischen Fernsehsender ab. Auf deren Frequenzen werden nun Kanäle aus Russland gesendet. Offenbar wurden auch einige lokale Zeitungen übernommen. Im zerstörten Mariupol’ bauten die Besatzer Public Viewing-Leinwände auf, um den trotz der schweren Kämpfe in der Stadt verbliebenen Einwohnern die Moskauer Version der Einnahme von Mariupol’ aufzudrängen.[26]

Ebenso wichtig ist die Kontrolle über den Telefonverkehr und das Internet. Im Gebiet Cherson blieb bis Ende Mai trotz der Besatzung alles beim Alten. Doch Anfang Juni wurde der örtliche Mobilfunk- und Internet-Provider ChersonTelekom gezwungen, die Verbindungen mit dem ukrainischen Netz zu kappen. Anschließend wurde das regionale Netz über einen Anbieter, der im Jahr 2014 speziell für die annektierte Krim aufgebaut worden war, an das russländische Netz angeschlossen. Auf diese Weise hat Russland die Kontrolle über den Datenfluss gewonnen und setzt in den okkupierten Gebieten eine Internetzensur durch, die noch schärfer ist als in Russland selbst. Die sozialen Netzwerke Facebook, Instagram and Twitter sind blockiert, zudem vielerorts auch Google und YouTube, ebenso der Messengerdienst Viber, über den viele Menschen in der Ukraine den Datenverkehr mit ihrer Bank abwickeln. Zu den Sperrungen kommt die Überwachung: Da die ukrainischen Sim-Karten in den Mobiltelefonen nicht mehr funktionieren, müssen die Menschen neue Karten russländischer Anbieter kaufen. Somit können die Moskauer Dienste alle Gespräche – zum Beispiel auch mit Verwandten in anderen Teilen der Ukraine oder im Ausland – abhören, und alle Bewegungen im Internet verfolgen. Da die Sim-Karten nur unter Vorlage eines Personalausweises verkauft werden, können alle Aktivitäten zugeordnet werden.[27]

Auch die ökonomische Loslösung der besetzten Gebiete ist im Gange. Viele ukrainische Banken wurden unter Druck gesetzt, die meisten mussten ihre Büros schließen und sind für ihre Kunden im Okkupationsgebiet nur noch via Internet erreichbar. Immer seltener ist an Bankautomaten noch Bargeld in ukrainischer Währung zu erhalten. Ende Mai kündigten die Besatzer die Einführung des Rubel im Gebiet Cherson an, zunächst parallel zur ukrainischen Hryvnja.[28] Wer eine Rente, Sozialleistungen oder Lohn über die Okkupationsbehörden bezieht, erhält diese nur in Rubel. Lokale Unternehmer wurden gezwungen, Rubel-Konten zu eröffnen und alle Geldbewegungen in Rubel durchzuführen. Insbesondere im Einzelhandel blieb die Hryvnja aber die bevorzugte Währung. Mittlerweile werden jedoch immer häufiger Geschäftsinhaber und Händler auf den Märkten bedroht, um sie zu einem Wechsel zu zwingen.[29] Ende Juli kündigte die im Gebiet Cherson eingesetzte Verwaltung an, dass die Übergangszeit mit der Doppelwährungszone bald enden werde. Zudem wird die Eröffnung von Filialen russländischer Banken vorbereitet. Anfang Juni kündigte die Promsvjazbank an, Zweigstellen in den neu besetzten Teilen der Gebiete Donec’k und Luhans’k einzurichten.[30] Wer dort lebt und seine ukrainische Bank nicht mehr erreichen kann, wird eine Karte des russländischen Zahlungssystems Mir annehmen müssen, denn die Promsvjazbank unterliegt westlichen Sanktionen und kann keine Karten der Anbieter Visa und Master Card mehr ausgeben. Auffällig ist, dass andere Banken aus Russland offenbar kein Interesse haben, sich in den besetzten Gebieten zu engagieren. Lediglich die in Südossetien registrierte MRB-Bank, die seit einigen Jahren Filialen in den beiden „Volksrepubliken“ hat, dort aber in schlechtem Ruf steht, kündigte Ende Juli an, eine Zweigstelle im Gebiet Cherson zu eröffnen.[31]

Ein weiteres Instrument zur Konsolidierung der Besatzungsmacht ist die Ausgabe von russländischen Pässen. Am 25. Mai erließ Präsident Putin ein Dekret, mit dem die Ausstellung solcher Pässe an die Bewohner der Gebiete Cherson und Zaporižžja vereinfacht wird. Ähnliche Regeln gelten bereits seit 2019 für die beiden „Volksrepubliken“.[32] Beliebt sind russländische Pässe allerdings nicht. Dies hat zum einen mit Loyalität zur Ukraine zu tun. Hinzu kommt aber die Furcht vor einer Zwangsrekrutierung in die Armee der Besatzer. Daher üben diese großen Druck aus, um die Annahme eines russländischen Passes zu erzwingen. Wer ein Unternehmen führt, und sei es ein kleiner Laden oder eine Reparaturwerkstatt, muss dieses neu registrieren lassen. Dazu wird ein russländischer Pass benötigt. Ebenso zur Registrierung von Kraftfahrzeug-Kennzeichen und für den Verkauf von Grundstücken.

Menschen im Ruhestand wurde eine Rente versprochen, wenn sie einen russländischen Pass beantragen.[33] Im Juni verkündete die Besatzungsbehörde von Cherson, dass nach dem 24. Februar 2022 geborene Kinder automatisch die russländische Staatsbürgerschaft erhalten.[34]

Nicht zuletzt bereitet Russland einen spektakulären Akt von Siegerjustiz vor. Nach Angaben des Stadtrats von Mariupol’ planen die Besatzer ein Tribunal gegen die ukrainischen Soldaten des Azov-Regiments, die in Mariupol’ nach der Einnahme der gesamten Stadt noch bis zum 20. Mai das Stahlwerk Azovstal’ verteidigten, bevor sie sich in Kriegsgefangenschaft begeben mussten. Stattfinden soll der Schauprozess in der Kammerphilharmonie von Mariupol’.[35] Die Schuld an den zahlreichen Kriegsverbrechen und an der Zerstörung von Mariupol’ soll der Ukraine in die Schuhe geschoben werden, dem „ukrainischen Faschismus“, den die russländische Propaganda in diesem Regiment verkörpert sieht. Inszeniert wird ein „neuer Nürnberger Prozess“, in dem die Kriegsgefangenen als „ukrainische Nazis“ angeklagt werden. Ein symbolischer Akt, mit dem die Wichtigkeit und die Erfüllung des Kriegsziels „Entnazifizierung“ dargestellt werden. Und eine gezielte Erniedrigung für die Ukraine, die eine Bestrafung der tatsächlich Verantwortlichen anstrebt.

„Soft Power“: Symbol- und Erinnerungspolitik

Ein zentrales Element der Besatzungspolitik ist die Russifizierung.[36] Das von Vladimir Putin propagierte Geschichtsbild, dass die Ukraine ein künstlicher Staat ohne eigene Geschichte und Identität sei, soll sich in den besetzten Gebieten materialisieren.[37] Russland soll als historisches Stammland der Bevölkerung erscheinen, nostalgische Erinnerungen an die Sowjetunion und Vorstellungen vom Russländischen Reich sollen geweckt und verbreitet werden. Dazu kommt ein ganzes Arsenal symbolpolitischer Mittel zum Einsatz. So werden etwa Straßennamen ersetzt, um die russische imperiale Tradition in den öffentlichen Raum einzuschreiben. In Cherson wurden im Mai auf Initiative der Kremlpartei Einiges Russland Poster mit Porträts und Zitaten u.a. von Puškin, dem Heerführer Suvorov und Fürst Potemkin aufgestellt.[38] Die imperiale Expansion im 18. Jahrhundert wird gepriesen, „Cherson ist eine Stadt mit russischer Geschichte“ lautet die Botschaft. In diesem Geiste wurde am 12. Juni der Russland-Tag, der seit 1994 Nationalfeiertag ist, auch in den übrigen besetzten Gebieten gefeiert. Dass der Tag eigentlich an die Ratifizierung der Souveränitätserklärung der Russländischen Föderativen Sowjetrepublik im Jahr 1991 erinnert, wird selbstverständlich nicht erwähnt. Der Tag wird für eine andere Tradition instrumentalisiert: Am 18. Juni wandte sich der von Moskau eingesetzte Kommandant des Gebiets Cherson Vladimir Sal’do, ehemals direkt gewählter Bürgermeister von Cherson (2002–2012) und Abgeordneter des ukrainischen Parlaments (2012–2014), an den Vorsitzenden der Russländischen Militärhistorischen Gesellschaft und Präsidentenberater Vladimir Medinskij, um ihn um Errichtung eines Denkmals für Katharina die Große in Cherson zu bitten.[39] Es wird deutlich, dass lokale Kollaborateure sich andienen, weil sie die Chance sehen, politische Rechnungen zu begleichen.

Zugleich wird auch an die sowjetische Erinnerung appelliert, wohl um eine ältere Generation zu erreichen. So erhalten Straßen wieder jenen Namen, den sie vor der Dekommunisierung im Jahr 2015 hatten. Ob dies eher auf Initiative örtlicher Kräfte oder der Besatzer geschieht, ist unklar. Gelegentlich wurden auch Lenin-Statuen wiederaufgestellt, so in Heničes’k and Nova Kachovka.[40] Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, hatte doch Putin kurz vor der Invasion Lenin die Schuld für die Schaffung des ukrainischen Staats gegeben.[41] Entfernt wurden hingegen nationale Symbole der Ukraine wie der Dreizack. Gedenkorte, insbesondere solche, die an den Euromajdan, die Himmlische Hundertschaft[42] oder die in den vergangenen acht Jahren im Donbass gefallenen ukrainischen Soldaten erinnerten, wurden zerstört oder geschändet.

Im Zentrum der Moskauer Symbolpolitik in den besetzten Gebieten stehen jedoch der „Große Vaterländische Krieg“ und der „Tag des Sieges“. Seit 20 Jahren dominiert der Sieg im Krieg die Erinnerungspolitik des Putin-Regimes.[43] Im Jahr 2014 spielte er bei der Rechtfertigung der Annexion der Krim und im sogenannten „Russischen Frühling“ eine große Rolle. Heute wird die Invasion in die Ukraine als Kampf gegen den „ukrainischen Faschismus“, als Wiederholung der Mission der Jahre 1941–1945 ausgegeben. Russland spielt im Namen einer Befreiung der ukrainischen Bevölkerung von „Nazis“ den Krieg gegen Hitlerdeutschland nach. Entsprechend erhoffte sich Moskau vom Jahrestag des Sieges am 9. Mai einen mobilisierenden Effekt in den besetzten Gebieten. Scheinreferenden, von denen zuvor die Rede gewesen war, wurden an diesem Tag zwar nicht abgehalten, jedoch wurden auf die ältere Generation zielende Siegesfeiern im sowjetischen Stil mit Gedenkmärschen von „Unsterblichen Regimentern“ und öffentliche Aufführungen sowjetischer Lieder organisiert. Kurz vor dem Tag traten in Mariupol’ Sergej Kirienko und das Oberhaupt der „Volksrepublik Doneck“ Denis Pušilin auf. Bemerkenswert ist, dass die Besatzungsbehörden am 9. Mai neben der Flagge Russlands das sowjetische Siegesbanner mit Hammer und Sichel hissten. Das wohl bizarrste Symbol aber ist die „Babuschka Z“, die seit April auf Hauswänden, T-Shirts und Postkarten durch die besetzten Gebiete und durch Russland geistert. Das Meme geht zurück auf eine kurze Videoaufnahme, auf der ukrainische Soldaten zu sehen sind, die einer alten Bäuerin Lebensmittel bringen; diese kommt ihnen mit einer roten Sowjetfahne entgegen und begrüßt sie als Befreier; als sie merkt, dass es ukrai­nische Soldaten sind, gibt sie die Lebensmittel zurück.[44] Für Russlands Propagandisten war dies ein gefundenes Fressen und auch der Kreml griff die Geschichte auf. Kirienko, einer der höchsten Funktionsträger Russlands, enthüllte bei seinem Besuch in Mariupol’ eine Statue zu Ehren der „Heldin“.

Ukrainischer Widerstand

Die Okkupationstruppen können in den besetzten Gebieten kaum mit Unterstützung rechnen. In den ersten Tagen nach dem Einmarsch der russländischen Truppen fanden in Städten wie Cherson, Melitopol’ und Ėnerhodar große Demonstrationen mit ukrainischen Flaggen statt, zahlreiche Videos dokumentieren, dass auch in Dörfern aufgebrachte Menschen die Besatzer anschreien oder sich Panzern entgegenstellen, um sie an der Weiterfahrt zu hindern.[45]

Weniger sichtbar, aber noch viel verbreiteter und bis heute anhaltend sind andere, nicht explizit politische Formen des Widerstands, den die Menschen trotz Schock und Fassungslosigkeit seit Beginn der Okkupation leisten. Um von den Besatzern unabhängig zu bleiben, haben viele sich informell organisiert, leisten Nachbarschaftshilfe, unterstützen alte und gebrechliche Menschen, organisieren Evakuierungen, bringen verdeckt humanitäre Hilfe in die besetzten Gebiete. Man kann von einer Resilienz der ukrainischen Zivilgesellschaft sprechen, oder einfach die Zivilcourage der Menschen bewundern.

Denn die Besatzer machen von ihren Waffen Gebrauch, anfangs um Demonstranten zu zerstreuen, seitdem aber auch bei gezielten Repressionen: Menschen, die sich engagieren oder auch nur von den Okkupanten für Aktivisten gehalten werden, laufen Gefahr, entführt, gefoltert und getötet zu werden. Gleichwohl werden weiter Flashmobs organisiert, die sich schnell wieder auflösen, bevor Patrouillen vor Ort erscheinen, russländische Flaggen werden heimlich von öffentlichen Plätzen entfernt, Gebäude mit ukrainischen Symbolen und Farben bemalt, Flugblätter verteilt, auf denen das baldige Eintreffen der ukrainischen Armee angekündigt und vor russländischen Pässen gewarnt wird oder Kollaborateure lächerlich gemacht werden.

Eine weitere Form des Widerstands ist ziviler Ungehorsam. Als im Juni in Cherson der von der neuen Verwaltung eingesetzte „Chef der Bildungsabteilung“ die örtlichen Lehrer und Schuldirektoren zusammenrief, verließen die meisten das Treffen, als sie von dem Vorhaben der Besatzungsbehörde erfuhren, dass der bestehende Lehrplan durch einen ersetzt werden solle, der an den in Russland geltenden angelehnt ist.[46]

Die radikalste Form des Widerstands ist gezielte Sabotage – die Zerstörung von Brücken, Eisenbahnlinien oder Militärinfrastruktur und Angriffe auf Kollaborateure und Besatzer. Solche Attacken häufen sich seit Ende April. Einige Beispiele:

Niemand hat für diese Anschläge die Verantwortung übernommen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in einigen Fällen keine politischen Motive dahintersteckten, sondern Auseinandersetzungen um die Neuverteilung von Ressourcen. Insgesamt deutet jedoch vieles darauf hin, dass in den besetzten Gebieten eine von der ukrainischen Armee und den Geheimdiensten unterstützte Partisanenbewegung entsteht.

Kollaboration

Jede Besatzungsmacht ist auf Kollaboration angewiesen. Um Kontrolle über besetzte Gebiete zu erhalten, braucht es Menschen mit Zugang zu lokalen Netzwerken, mit Wissen über örtliche Verhältnisse und Verwaltungserfahrung. Im Jahr 2014 konnte sich Russland auf der Krim auf eine große Zahl von Menschen stützen, die zur Zusammenarbeit bereit waren. In den nun eroberten Gebieten gestaltet sich die Rekrutierung von Kollaborateuren anders als von Moskau erwartet viel schwieriger.

Auch versucht der ukrainische Staat, die Menschen in den besetzten Gebieten von Kollaboration mit den Besatzern abzuhalten. Bereits am 3. März verabschiedete das Parlament zwei Gesetze, die Kollaboration „mit einem Aggressorstaat, seinen Besatzungsbehörden und seinen militärischen oder paramilitärischen Kräften“ unter Strafe stellen.[50] Das erste stellt Kooperation mit dem Aggressorstaat, seinen bewaffneten Einheiten oder den Besatzungsbehörden unter Strafe; ebenso öffentliche Aufrufe zur Unterstützung der Okkupationsmacht sowie die öffentliche Leugnung des bewaffneten Angriffs gegen die Ukraine und der Besetzung von Teilen ihres Territoriums. Auch wer in Abrede stellt, dass die zeitweilig besetzten Gebiete Hoheitsgebiet der Ukraine sind, macht sich der Kollaboration schuldig. Das Gesetz sieht Freiheitsstrafe von 10 bis 15 Jahren vor. Das zweite Gesetz schränkt die Rechte überführter Kollaborateure ein. Ihnen wird verwehrt, sich für öffentliche Ämter zu bewerben oder in der Armee zu dienen. Anfang August gab das Innenministerium bekannt, es seien mehr als 1100 Verfahren gegen Kollaborateure eröffnet worden – zumeist wegen Unterstützung der russ­ländischen Armee, der Verbreitung von Propaganda oder der freiwilligen Übernahme von Funktionen im Machtapparat der Besatzer. Gegen 193 Tatverdächtige werde ermittelt, einige Urteile seien bereits ergangen, die meisten allerdings in Abwesenheit, da die Beschuldigten sich in den besetzten Gebieten befinden.[51]

Die NGO Česno („Ehrlich“) hat in Zusammenarbeit mit der Nationalen Agentur für Korruptionsprävention eine Datenbank erstellt, in der Kollaborateure erfasst werden.[52] Auch das Ministerium für digitale Transformation bittet alle, die Informationen über Kollaborateure in den okkupierten Gebieten haben, diese über einen Chatbot zu melden.[53] Zugleich verleiht Präsident Zelens’kyj Auszeichnungen an Bürgermeister und Beamte, die loyal zum ukrainischen Staat stehen und sich am Widerstand gegen die Okkupation beteiligt haben.[54]

Allerdings ist die juristische Definition von Kollaboration eine Sache, das Verhalten der Menschen unter der Besatzung und ihre möglichen Motive eine andere. Kollaboration reicht von offener Lobpreisung der Besatzung aus ideologischer Überzeugung bis zu einer Zusammenarbeit, zu der sich ein Mensch in einer konkreten Situation entscheidet, die er jedoch möglichst verbirgt. Er kann sich nach Androhung von Gewalt dazu entscheiden oder anderweitig erpresst werden. Oder er kann sich finanzielle Vorteile von der Kollaboration versprechen. Oft lässt sich beides nicht auseinanderhalten. Vielfach gehen ideologische Überzeugungen einher mit der Gelegenheit, sich an politischen Gegnern zu rächen. Wer etwa 2014 die Annexion der Krim und den „russischen Frühling“ im Jahr 2014 unterstützt hatte, daraufhin seinen Posten verlor oder sogar wegen antiukrainischer Aktivitäten verurteilt wurde oder um einer Verhaftung zu entgehen nach Russland floh, der hat nun die Gelegenheit zur Rache. Tatsächlich finden sich unter den heutigen Kollaborateuren viele ehemalige Abgeordnete oder Bürgermeister. Gleiches gilt für ehemalige Angehörige der Geheimdienste, der Polizei und der Armee, die in Konflikt mit den Behörden geraten waren und Groll auf ihren Arbeitgeber hegten.

Unter den Kollaborateuren finden sich viele lokale Abgeordnete des Oppositionsblocks, der Nachfolge-Organisation der Partei der Regionen von Ex-Präsident Viktor Janukovyč, jedoch auch Mitglieder anderer Parteien. Bekannt ist der Fall von Oleksij Kovalev, der für die Partei Sluha narodu (Diener des Volkes) von Präsident Zelens’kyj im ukrainischen Parlament saß, jedoch im April in seinen besetzten Heimatort im Gebiet Cherson zurückkehrte. Er gab an, er wolle bei seinen Wählern sein, tatsächlich hatte er geschäftliche Interessen. Im Juli wurde bekannt, dass Kovalev Mitglied der von Russland eingesetzten „Regierung“ des Gebiets Cherson ist; er wurde daraufhin wegen Hochverrats gesucht. Wie erwähnt, wurden auf ihn zwei Anschläge verübt; dem zweiten ist er im August zum Opfer gefallen.[55]

Auch einige Blogger und Lokaljournalisten stellen sich den Okkupanten zur Verfügung. Manche singen aus ideologischen Motiven das Lied der Besatzer, etwa Kiril Stremousov, der sich seit Jahren im prorussländischen Umfeld bewegt hat, während der Covid-19-Pandemie Verschwörungsideologien verbreitete und nun stellvertretender Kommandant von Cherson ist. Andere waren und sind wirtschaftlichen Gruppierungen zu Diensten, die ein Auskommen mit den Besatzungsbehörden suchen. Wieder andere handeln aus Opportunismus. Oft gehen die Motive Hand in Hand.

Da der Südosten der Ukraine mittlerweile seit mehr als einem halben Jahr unter Besatzung steht, wächst der Druck. Immer schwieriger wird es, Kollaboration zu vermeiden. Dies gilt für Personen an der Spitze kommunaler Dienste genauso wie für die Leiterin eines Kindergartens auf dem Land. Gleichzeitig erhöht auch die Regierung in Kiew den Druck und warnt nach den Erfahrungen des Jahres 2014 mit Nachdruck vor den strafrechtlichen Folgen der Kollaboration. Zugleich vermeidet die Regierung weitergehende rechtliche Maßnahmen, da es in ihren Augen kontraproduktiv wäre, z.B. die Erwerbung eines russländischen Passes unter Strafe zu stellen.

Die ältere Generation erinnert sich noch, mit welchem Argwohn man sowjetische Bürger behandelte, die unter der Nazi-Okkupation gelebt hatten. Jedenfalls wird es nach der Befreiung der besetzten Gebiete wichtig sein, differenziert und großzügig vorzugehen.

Zwischen den Mühlsteinen: Bürgermeister und örtliche Unternehmer

Von den ersten Tagen an setzten die Besatzer die Bürgermeister und Gemeinderäte in den okkupierten Gebieten unter Druck, wohl wissend, dass deren Zusammenarbeit und Unterstützung zentral ist, um das Handeln der Okkupanten zu legitimieren und deren Gegner zu demoralisieren. Wer sich widersetzte, wurde physisch und psychisch drangsaliert, viele wurden entführt, manche gefoltert oder gar ermordet. Wer die verbliebenen Möglichkeiten nutzt, um Evakuierungen und humanitäre Hilfe zu organisieren, riskiert seine Freiheit und vielleicht sein Leben. Mehr noch: Wer für die Aufrechterhaltung der kommunalen Dienste sorgt, läuft Gefahr, als Kollaborateur zu gelten. Wer hingegen flieht, kann zwar, wenn alles gut geht, sich und seine Familie retten, überlässt jedoch die zurückbleibenden Menschen der Not.

So blieb etwa der Bürgermeister von Cherson, Ihor Kolychaev, in den ersten beiden Monaten der Okkupation im Amt. Er bekundete öffentlich seine Loyalität gegenüber dem ukrainischen Staat, unterstützte die proukrainischen Proteste und erfüllte seine Amtspflichten. Präsident Zelens’kyj verlieh ihm einen Tapferkeitsorden. Auf dem Dach des Rathauses wehte bis Ende April die ukrainische Flagge. In Interviews mit ukrainischen Medien betonte Kolychaev, er könne unmöglich die Stadt verlassen und die Bürger, die ihn gewählt haben, im Stich lassen. Er kritisierte aber auch die ukrainische Regierung, die es versäumt habe, Amtsträgern wie ihm klare Richtlinien an die Hand zu geben. Die meisten Bewohner von Cherson vertrauten ihm, doch es kamen auch Gerüchte auf, es gebe wohl Gründe, warum die Besatzer ihn so lange im Amt ließen. Gleichzeitig wurde ihm vorgeworfen, er habe vor allem Interessen als Agrargroßunternehmer.[56]

Jenseits von Unterstellungen rechneten sich die Besatzer vielleicht tatsächlich aus, dass es von Vorteil ist, einen für seine pragmatische Haltung bekannten Bürgermeister einer großen Stadt ‑ Kolychaev hatte sich etwa dagegen ausgesprochen, die Wasserversorgung der Krim über den Nord-Krim-Kanal zu blockieren ‑ trotz seiner öffentlichen Äußerungen im Amt zu belassen. Tatsächlich war sein Fall einzigartig. Die gewählten obersten Vertreter aller anderen 49 Gemeinden und Landkreise des Gebiets Cherson flohen entweder, oder wurden verhaftet oder kollaborieren offen.[57]

Doch am 25. April besetzten russländische Soldaten das Rathaus und setzten eine neue Stadtverwaltung ein. Kolychaev musste sein Büro räumen, gab aber bekannt, dass er in der Stadt bleiben und sein Amt weiter ausüben werde.[58] Am 28. Juni wurde er von den Besatzern verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, er habe mit ukrainischen Saboteuren zusammengearbeitet.[59]

Anders die Geschichte von Vadym Boičenko. Dieser kam aus den Konzernstrukturen des Oligarchen Rinat Achmetov (u.a. Metinvest), als er 2015 zum Bürgermeister von Mariupol’ gewählt wurde. Im Jahr 2019 kandidierte er für die Verchovna Rada auf der Liste des von vielen als prorussländisch betrachteten Oppositionsblock. Doch er agierte zunehmend unabhängig und wurde von den Bürgern der Stadt wegen einer fortschrittlichen Politik geschätzt. Als Russlands Armee sofort nach Beginn des Einmarsches auf Mariupol’ vorrückte, habe er nach seiner Aussage die Meldung erhalten, eine auf ihn angesetzte Sabotagegruppe sei in der Stadt, und daraufhin die Nacht im Umland verbracht. Wegen der Einkesselung der Stadt am 27.2. sei sein Versuch gescheitert, zur Arbeit in die Stadt zurückzukehren.[60] Er blieb jedoch formal im Amt und meldete sich als Bürgermeister aktiv auf dem in der Ukraine sehr verbreiteten Messaging-Dienst Telegram zu Wort. Real konnte er aber den Bewohnern von Mariupol’ in ihrem immensen Leid kaum helfen. Seine Telegram-Nachrichten verärgerten viele, die die Geschichte der verhinderten Rückkehr nicht glaubten und die Ansicht vertraten, der Bürgermeister solle bei seinen Mitbürgern bleiben. Dieser Unmut wurde von der Propaganda der Besatzer dankbar instrumentalisiert.

Vor schweren Entscheidungen stehen auch Unternehmer in den besetzten Gebieten. Vielerorts sind Lieferketten abgeschnitten und die neue Verwaltung übt Druck aus, damit sie ihren Betrieb neu registrieren lassen. In dem rechtsfreien Raum der Besatzungsgebiete müssen sie täglich damit rechnen, dass das Unternehmen auf einen neuen Eigentümer aus Russland oder dem Kreis der Kollaborateure umgeschrieben wird oder sogar Anlagen demontiert und abtransportiert werden.

Auch die Unternehmer haben eine soziale Verantwortung, sei es als Arbeitgeber, oder etwa als Inhaber von Apotheken, Bäckereien, Lebensmittelgeschäften, mit denen sie die Grundbedürfnisse der Bevölkerung abdecken, die unter immer schlechteren Bedingungen lebt.[61]Doch wer im Besatzungsgebiet bleibt, muss vielleicht eines Tages mit Zulieferern aus Russland oder von der Krim zusammenarbeiten, Produkte dorthin verkaufen und seine Steuern bei den Besatzungsbehörden entrichten. Nach dem Anfang März verabschiedeten Gesetz sind „wirtschaftliche Aktivitäten in Zusammenarbeit mit einem Aggressorstaat“ strafbar. Darüber wird allerdings in Kiew diskutiert. Die Regierung hat dem Parlament eine Änderung des Gesetzes empfohlen: Zugelassen werden soll eine Reihe von Ausnahmen, insbesondere in den Bereichen Landwirtschaft, Logistik, Herstellung und Verkauf von Medikamenten, humanitäre Hilfe und weitere Tätigkeiten, die für das Wohl der Bevölkerung in den besetzten Gebieten unabdingbar sind. Nach dieser Gesetzesänderung wäre nur noch freiwillige Kollaboration strafbar.[62]

Das Bildungswesen

Das ukrainische Bildungssystem sieht sich seit Kriegsbeginn mit enormen Herausforderungen konfrontiert, insbesondere in den besetzten Gebieten. Russlands Invasion fiel mitten in das Schuljahr. Mit der Verhängung des Kriegsrechts am ersten Tag der Invasion wurden die Schulen und andere Bildungseinrichtungen geschlossen und die Kinder für zwei Wochen in Ferien geschickt. Als im März klar wurde, dass der Krieg nicht so bald enden würde, empfahl das Bildungsministerium, möglichst zu digitalem Fernunterricht überzugehen. Wo dies nicht möglich ist, sollen sich die Schulen der Empfehlung gemäß auf die psychologische Unterstützung der Kinder konzentrieren. Darüber hinaus wurden die Schulen und andere Einrichtungen aufgefordert, die Schüler und ihre Familien über die Entwicklung der örtlichen Situation und Möglichkeiten zur Evakuierung zu informieren. Auch sollen Schulen bei der Organisation der Zivilverteidigung mithelfen.

Auch wenn der Unterricht inzwischen teilweise wiederaufgenommen werden konnte, sind die Schulen mit einer Situation konfrontiert, wie es sie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben hat. Zahllose Schulgebäude wurden beschädigt oder zerstört, Hunderttausende Schüler und Lehrer sind in andere Landesteile oder ins Ausland geflohen.[63] Rund 800 Schulen befinden sich in besetzten Gebieten.[64] In den heftig umkämpften Gebieten wie Mariupol’ war über viele Wochen an Schulunterricht nicht zu denken.

In den besetzten Gebieten drängt die neue Verwaltung darauf, dass die Schulen wieder geöffnet werden. Die Besatzer wollen eine Rückkehr zum „normalen Leben“ demonstrieren und den „Frieden“ feiern, den Russland den Menschen dort angeblich gebracht hat. Fernunterricht, den die ukrainischen Schulen bereits während der beiden Pandemiejahre praktiziert hatten, wurde so zu einem Akt passiven Widerstands. Er erlaubt es, sich der Instrumentalisierung sowie der direkten Einflussnahme durch die Besatzer zu entziehen. Anfang April erlaubte das Kiewer Bildungsministerium den Schulen offiziell, je nach Situation selbst zu entscheiden, wann das Schuljahr endet.[65] Sie wurden zudem angewiesen, auf Prüfungen am Ende des Schuljahrs zu verzichten und alle Schüler in die nächste Klasse zu versetzen. Das Bildungsministerium versprach, dass jeder Absolvent ein Zeugnis erhält. Schüler aus den besetzten Gebieten müssen dieses allerdings in ukrainisch kontrolliertem Gebiet abholen.

Für das Schuljahr 2021/2022 wurde das nach einer Testphase 2008 eingeführte Zentralabitur – das als eine der erfolgreichsten Reformen in der Ukraine gilt, da es die Korruption im Bildungssektor erheblich reduziert hat – an die aktuelle Lage angepasst. Die zentralisierten Prüfungen in vier Fächern wurden durch eine Prüfung ersetzt, die in den nicht-besetzten Teilen des Landes und im europäischen Ausland an drei verschiedenen Tagen abgehalten wurde. Während des ersten Termins im Juli absolvierten 187 000 Kandidaten an 250 Orten in der Ukraine und in 40 europäischen Städten außerhalb der Ukraine die Prüfung. Zwar gab es vereinzelt auch Kritik,[66] doch kann die organisatorische Leistung nur als beeindruckend bezeichnet werden.

Die Verkürzung des Schuljahres war vor allem in den besetzten Gebieten von großer Bedeutung. Denn dort treiben die Besatzungsbehörden die Zwangseingliederung in das russländische Schulsystem voran. Unterrichtssprache soll Russisch sein, der Lehrplan aus Russland übernommen werden, was zweifellos im Fach Geschichte die größten Auswirkungen hat. Es geht aber nicht nur um die Unterrichtssprache und die Lehrpläne. Nach den Plänen Moskaus sollen die Schulen die Kinder zu „russischen Patrioten“ erziehen. Die Indoktrinationsabsichten machen das Bildungssystem zu einem Schlachtfeld des Propagandakriegs.

Das Kollaborationsgesetz stellt daher auch die Verbreitung von Propaganda eines Aggressorstaats in Bildungseinrichtungen sowie die Unterstützung seiner Bildungsagenda unter Strafe. Das Reintegrationsministerium empfiehlt den Lehrern, ihren Unterricht einzustellen, sobald die ukrainischen Standards nicht mehr eingehalten werden können. Es verspricht, in diesem Fall das Gehalt weiter auszuzahlen. Zwar betrachtet das Gesetz die Mithilfe bei der Einführung des russländischen Lehrplans als Kollaboration, geschieht dies jedoch unter Zwang, bleibt das Handeln straffrei. Das Bildungsministerium hält dazu an, solche Fälle zu dokumentieren und Beweise für die Ausübung von Druck zu sammeln.[67]

Nach Beginn des neuen Schuljahrs erhöhen die von Moskau eingesetzten Behörden weiter den Druck auf Lehrer, Direktoren und Angestellte der Schulaufsicht. Einige wurden bereits willkürlich verhaftet.[68] Weigert sich ein Schuldirektor zu kollaborieren, wird er ausgetauscht. Qualifikation spielt dabei keine Rolle, Loyalität mit den Besatzern ist das zentrale Kriterium für die Neubesetzung des Postens. Da viele Lehrer sich weigern, mit den Okkupanten zusammenzuarbeiten, werden in Russland Freiwillige rekrutiert. Ende Juli sollen sich 200 Lehrer aus Russland für einen Einsatz in der Ukraine gemeldet haben.[69] Auch die Eltern von Schülern werden unter Druck gesetzt.[70]

Vielsagend ist das Beispiel Mariupol’. Kurz nach Eroberung der schwer zerstörten und entvölkerten Stadt im Mai kündigten die Besatzungsbehörden die Verlängerung des Schuljahrs bis zum 1. September an und organisierten Sommerkurse, um die „russische Sprachkompetenz“ der verbliebenen Kinder zu verbessern.[71] In der Stadt, die vor der Invasion eine halbe Million Einwohner zählte, fanden die Besatzer bis Mai lediglich 53 Lehrer, die bereit waren, mit ihnen zusammenzuarbeiten.[72] Diese wurden zur Umschulung nach Rostov am Don geschickt und erhielten nach absolviertem Programm ein offizielles „Diplom“ als Lehrer für Russisch und russische Geschichte.[73] Um den Mangel an Lehrpersonal auszugleichen, wurden Lehrer und Kindergärtnerinnen aus der „Volksrepublik Donezk“ nach Mariupol’ entsendet. Zugleich gibt es zahlreiche Initiativen von Lehrern, die aus Mariupol’ fliehen mussten und nun weiter nach ukrainischen Standards unterrichten wollen, etwa ein privates Lyzeum, das Unterricht für Kinder unabhängig von ihrem Wohnsitz anbietet.[74]

Ähnlich ist die Lage an den Hochschulen. Auch hier findet die Lehre seit Kriegsbeginn online statt. Im besetzten Gebiet wurden loyale Verwaltungen eingesetzt und neue Rektoren bestellt. Das Kiewer Bildungsministerium hat bekannt gegeben, dass die betroffenen ukrainischen Universitäten aus den besetzten Gebieten evakuiert worden seien und dass alles, was dort unter der Verwaltung der Besatzer stattfindet, nicht anerkannt werde. Bezeichnend ist das Beispiel der Staatlichen Universität Cherson, die wie die anderen Hochschulen in den okkupierten Gebieten mit dem ersten Tag der Invasion auf Online-Kurse umstieg. Anfang März 2022 nahm die russländische Armee Cherson ein. Noch im selben Monat organisierten Akademiker aus anderen Regionen der Ukraine, Europa und den USA eine Ringvorlesung mit dem Titel „Akademische Brücke“ als Zeichen der Solidarität für die Studierenden der Universität.[75] Aus Sicherheitsgründen war auch eine anonyme Anmeldung möglich. Im April ging der größte Teil der Universitätsverwaltung nach Ivano-Frankivs’k in der Westukraine, um von dort aus für die Fortsetzung der Lehre zu sorgen. Diese fand weiter online statt, weil viele Professoren und auch Studierende in andere Teile der Ukraine oder ins Ausland geflüchtet waren. Am 14. Juni übernahmen russländische Soldaten die Kontrolle über das Hauptgebäude, Vize-Rektor Maksym Vinnyk wurde in seinem Büro verhaftet und entführt.[76] Nach zehn Tagen gab er bekannt, dass er in Sicherheit sei und sich auf von Kiew kontrolliertem Gebiet befinde.

Als neue „Rektorin“ setzten die Besatzer Tetjana Tomilina ein, die seit 2014 für ihre pro­russländische Einstellung bekannt ist. Ihre Biographie ist typisch für eine Kollabora­teurin. Sie ist Absolventin der Universität Cherson, mit Diplomen in russischer Sprache und Literatur sowie in Jura. Mehrere Jahre war sie Direktorin des Akademischen Lyzeums an der Universität, das Schüler für das Studium vorbereitete. 2014 warb sie in den Sozialen Medien für das „Neurussland“-Projekt. Ein Jahr später verlor sie deshalb ihre Position und machte dafür ihre proukrainischen Kollegen verantwortlich. In einem Fernsehinterview behauptete sie im Jahr 2015, dass es in Cherson ein geheimes amerikanisches Biolabor gebe, das eine Bedrohung für die Bevölkerung darstelle.[77]

In einem Interview nach ihren Plänen befragt, versprach Tomilina, gegen die angeblich bestehende Korruption vorgehen zu wollen, und behauptete, dass ein Abkommen mit der Pädagogischen Staatlichen Universität Moskau es den Studierenden aus Cherson erlauben werde, ihre MA- und PhD-Abschlüsse in Moskau zu machen.[78] Das Rektorat der Universität Cherson, das sich in Ivano-Frankivs’k befindet, warnt Studierende, dass Abschlüsse von Universitäten, die feindlich übernommen wurden, nirgendwo außer in Russland anerkannt würden. Ukrainische Abschlüsse hingegen würden den Zugang zu Aufbaustudiengängen an europäischen Universitäten erlauben. Die Universität wirbt mit Sonderstipendien für Studierende aus Cherson. Im neuen akademischen Jahr wird der Unterricht online fortgesetzt, alle Vorbereitungen dafür sind getroffen.[79]

Manuskript abgeschlossen am 5. September 2022

Aus dem Englischen von Klaus Nellen

Tatiana Zhurzhenko (1967), cand. Sc., Politikwissenschaftlerin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS, Berlin)

Der vorliegende Text ist im Rahmen des Cluster of Excellence „Contestations of the Liberal Script“ (SCRIPTS) entstanden. Eine kürzere Fassung erschien in: Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW), 7/2022.


[1] Krymskaja versija Putina. Vladimir Putin izložil oficial’nuju versiju prisoedinenija Kryma. gazeta.ru. 15.3.2015.

[2] Zu den Repressionen gegen die Krimtataren siehe die Dokumentation der Schicksale der politischen Gefangenen, <https://zeitschrift-osteuropa.de/krimtataren>. – Zu den Repressionen gegen andere Staatsbürger der Ukraine (mehrheitlich von der Krim) siehe: In Russlands Haft, <https://zeitschrift-osteuropa.de/ukr-haft-ru>.

[3] Mіnіsterstvo z pytan’ reіntehracі tymčasovo okkupovanych terytorіj Ukrajiny, <https://minre.gov.ua>.

[4] Upravlency Sevastopolja pomogajut podgotovit’ Zaporož’e k referendum. politika.sevastopol.su, 8.8.2022.

[5] Zvernennja deputatіv Chersons’koji oblasnoji rady VIII sklykannja do Prezydenta Ukrajiny, Verchovnoji Radi Ukrajini, Kabіnetu Mіnіstrіv Ukrajiny ta vs’oho ukrajins’koho narodu ščodo butafors’skogo „referendumu“ za „narodnu respublіku“ v Chersons’kіj oblastі, <https://khor.gov.ua/ 2022/03/12/35328/>.

[6] RF pytaetsja sozdat’ tak nazyvaemuju „ChNR“. Poka bezuspešno. DW, 15.3.2022.

[7] Cherson možet vojti v sostav Rossii bez referenduma, Primečanija.ru, 11.5.2022.

[8] „Gouvernement Taurien“ war die Bezeichnung einer Gebietseinheit des Russländischen Imperiums von 1802–1921. Es umfasste die traditionell als „Taurien“ bezeichnete Krim sowie nördlich der Halbinsel die Küstengebiete bis zum Dnepr im Westen und Norden und bis einschließlich Berdjansk im Osten. Dies entspricht ungefähr den aktuell von Russland neubesetzten Teilen der ukrainischen Gebiete Cherson (vollständig besetzt) und Zaporižžja (südlicher Teil). Im April 2022 forderte der Duma-Abgeordnete Michail Šeremet von der Krim, dieses Gouvernement solle durch Anschluss der besetzten Küstengebiete des Azovschen Meeres an die Krim, wiederhergestellt werden. V Gosdume predložili vosstanovit’ Tavričeskuju guberniju v istoričeskich granicach. izvestija.ru, 10.4.2022. – Dlja Zaporož’ja i Chersona adaptirujut krymskij referendum. NG.ru, 19.7.2022.

[9] Kak utverždajut istočniki „Meduzy“, Kreml’ chočet ob”edinit’ okkupirovannye territorii Ukrainy v novyj federal’nyj okrug v sostave RF. Meduza, 9.7.2022.

[10] Konstantin Skorkin: To Join Russia or not to Join? All change in the Donbas Republics. Carnegie Endowment for International Peace, 21.6.2022.

[11] „Podderžki, konečno, malo“. Meduza, 5.8.2022.

[12] Vereščuk znovu zaklykala ukrajinciv evakujuvatysja iz zachoplenych rajoniv Chersonščyny j Zaporižžja. Ukrinform, 10.7.2022.

[13] Usi kolaboranty vidpovidatymut’ pered Ukrajinoju – Zelens’kyj pro psevdoreferendumy na okupovanych terytorijach. Suspilne Novyny, 7.8.2022.

[14] Chab „Ja – Cherson“ u Zaporіžžі: jak orhanіzovana joho robota, <https://akzent.zp.ua/hab-ya-herson-u-zaporizhzhi-yak-organizovana-jogo-robota-fotoreportazh/>.

[15] <https://suspilne.media/273026-u-hersoni-zalisilos-blizko-100-tisac-ziteliv/>.

[16] Okupovani. Social’ni zobov’jazannja deržavy na starych i novych tymčasovo okupovanych terytorijach. Platyty čy ne platyty? ZN.ua, 19.7.2022.

[17] Ukrpošta prypynyla robotu na tymčasovo okupovanych terytorijach. Ekonomična Pradva, 1.8.2022.

[18] Nа Chersonščyni ne pracjujut’ blyz’ko 90 % aptek – Krym-SOS. Suspilne Novyny, 25.5.2022.

[19] Andrij Harasym: Okupovanyj Cherson: rozstriljani mityngy, biznes na vtikačach ta jajcja z Čuvašiji. Texty.org.ua, 22.4.2022.

[20] Аlina Haevs’ka, Marija Solodovnik, Hanna Sylaeva: Čomu saperam dovedet’sja spalyty vrožaj na poljach Charkivščyny. Pojasnennja DSNS. Suspilne Novyny, 6.8.2022.

[21] Маrkijan Klymkovec’kyj: U Chersoni rosijs’ki okupanty zachopyly mis’kradu, z budivli znjaly ukrajins’kyj prapor. Hromadske, 25.4.2022,

[22] Ukraine: Torture, Disappearances in Occupied South. Human Rights Watch, 22.7.2022.

[23] Zelens’kyj nahorodyv ordenom zvil’nenoho z rosijs’koho polonu mera Melitopolja. Radio Svoboda, 17.3.2022.

[24] Na okupovanych terytorijach Zaporiz’koji oblasti vykradeno 415 osib. Bukvy, 12.7.2022.

[25] Ukaz Prezidenta Rossijskoj Federacii ot 30.4.2022 № 246.

[26] Okupanty rozgornuly u Mariupoli peresuvni ekrany dlja transljaciji rosTV. Focus, 24.5.2022.

[27] How Russia Took Over Ukraine’s Internet in Occupied Territories. The New York Times, 9.8.2022.

[28] Julija Hončarenko: I rubli, i hryvni: V okupovanij Chersons’kij oblasti zaprovadžujet’sja bivaljutna zona. Dengi.us, 24.5.2022.

[29] Оkupanty počaly karaty za vykorystannja hryvni – Chersons’ka ODA. Ukrainska Pravda, 28.7.2022.

[30] Rosijs’kyj bank, ščo finansuje vijnu v Ukrajini, vperše oficijno zajavyv pro počatok roboty na okupovanij Doneččyni. ZN.ua, 4.6.2022.

[31] Оstap Šapiro: V Chersons’kij oblasti pracjuvatyme bank z Pivdennoji Oseriji, dijal’nist’ jakoho ljudy nazyvajut’ „rozvodnjak“. Most, 20.7.2022.

[32] Rosija počne rozdavaty svoji pasporty u Chersons’kij і Zaporiz’kij oblastjach. BBC News Ukraine, 25.5.2022.

[33] Тetjana Katryčenko: Prymusova pasportyzacija: jak RF zmušuje pensioneriv i pidpryjemciv zminjuvaty hromadjanstvo. Focus.ua, 10.8.2022.

[34] Roman Petrenko: Okupanty nasyl’no vypysujut’ „hromadjanstvo RF“ novonarodženym na Chersonščyni. Ukrajinska Pravda, 16.6.2022.

[35] Okupanty u Mariupoli chočut’ vlaštuvaty sud nad polonenymy, u filarmoniji stavljat’ klitky. LB.ua, 6.8.2022.

[36] Оleksandr Jankovs’kyj: „Pidgotovka do aneksiji“. Jak okupanty provodjat’ „rusyfikaciju“ pivdnja Ukrajiny. Radio Svoboda, 26.5.2022.

[37] Siehe dazu den unter dem Namen Putins veröffentlichten Text „Über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer“, dokumentiert in: Osteuropa, 7/2021, S. 51–66, sowie die Reden Putin vom 21.2.2022, 24.2.2022, und 16.3.2022, dokumentiert in: Osteuropa, 1–3/2022.

[38] V okupovanomu Chersoni z’javylysja banery z Puškinym. Texty.org.ua, 30.5.2022.

[39] Denis Karlovs’kyj: Okupanty zbyrajut’sja vstanovyty v Chersoni pam’jatnyk Kateryni Drugij. Ukrainska Pravda, 18.6.2022.

[40] V okupovanij Novij Kachovci vstanovyly pam’jatnyk Leninu. RBK-Ukraina, 30.4.2022.

[41] „Wir erkennen die Volksrepubliken an“. Rede von Vladimir Putin, 21.2.2022, in: Osteuropa, 1–3/2022, S. 119–135.

[42] „Himmlische Hundertschaft“ werden in der Ukraine jene mehr als 100 Menschen genannt, die zwischen November 2013 und Ende Februar 2014 auf dem Majdan umkamen, die meisten von ihnen zwischen 18. Und 20. Februar durch Schüsse von Scharfschützen.

[43] Lev Gudkov: Die Fesseln des Sieges. Rußlands Identität aus der Erinnerung an den Krieg, in: Osteuropa, 4–6/2005, S. 56–73. – Boris Dubin: Erinnern als staatliche Veranstaltung. Geschichte und Herrschaft in Russland, in: Osteuropa, 6/2008, S. 57–66.

[44] Für die Verbreitung der Geschichte in Russlands Staatsmedien siehe: Babushka s krasnym flagom stala simvolom prorossijskoj Ukrainy. Rossijskaja Gazeta, 16.4.2022. – Siehe auch: Babushka Z: Russia’s newest pro-war propaganda poster girl regrets waving red flag, euromaidanpress, 13.5.2022.

[45] Für eine visuelle Dokumentation der Proteste bis Ende April 2022 siehe: Myrnyj sprotyv na okupovanych terytorijach. Texty.org.ua, 28.4.2022.

[46] Osvitjany Chersonščyny vidmovylysja spivpracjuvaty z rosijs’kymy okupantamy. Centr Žurnalists’kych Rozsliduvan’. 30.5.2022.

[47] „Samolikvidacija“ mostiv i okupantiv. U zachoplenych mistach Ukrajiny rozhortajet’sja ruch oporu: ščo vidomo pro joho najmasštabniši projavy. NV, 23.5.2022.

[48] U Chersoni pidirvaly avto odnoho z najvidomišych miscevych kolaborantiv. Unian, 24.6.2022.

[49] Kolaborant Hura z Novoji Kachovky pomer pislja zamachu – rosZMI. Liga.net, 6.8.2022,

[50] Iana Fremer: Ukraine: New Laws Criminalize Collaboration with an Aggressor State, 4.4.2022, <www.loc.gov/item/global-legal-monitor/2022-04-04/ukraine-new-laws-criminalize-collaboration-with-an-aggressor-state/>.

[51] Za faktami kolaboraciї z vorogom rozslidujut’ ponad 1 tysjaču sprav, – MVS. Sudovo-jurydyčna gazeta. 8.8.2022.

[52] DeržZradniki (StaatsVerräter), <www.chesno.org/traitors>.

[53] Tetjana Vojtjuk: Vid počatku vijny u „eVoroh“ nadijšlo majže dvi tysjači povidomlen’ pro kolaborantiv. Suspilne Novyny, 12.7.2022. ‑ Ministry of Digital Transformation launched Telegram chatbot ‚eVoroh’ (the enemy is here). LB.ua, 10.3.2022.

[54] Ukaz Prezydenta Ukraїny №165/2022 „Pro vidznačennja deržavnymy nagorodamy Ukraїny“, 24.3.2022, <www.president.gov.ua/documents/1652022-41801>.

[55] Deputatu Koval’ovu obrano zapobižnyj zachid u vyhljadi trymannja pid vartoju – DBR. Radio Svoboda, 15.7.2022.

[56] Mėr Chersona prorabotal v okkupacii četyre mesjaca. Mog li on za jėto vremja pojti na sotrudničestvo s Rossiej? currenttime.tv, 18.7.2022.

[57] Ebd.

[58] Ihor Kolychaev: Chersonci perebuvajut’ u stani očikuvannja, my čekajemo vyzvolennja. RBK-Ukraina, 23.5.2022.

[59] Okupanty zabraly mera Chersona, bo vin ne pišov na spivpracju – radnycja Kolychajeva. Ukrainska Pravda, 28.6.2022.

[60] Denis Karlovs’kyj; Mer Mariupolja rozpoviv, koly i čomu zalyšyv misto. Ukrainska Pravda, 10.4.2022.

[61] Volodymyr Rychlyc’kyj: Tonka meža miž kolaboracionizmom i vyžyvannjam. Jak pracjuvaty biznesu na okupovanych terytorijach. Ekonomična Pravda, 7.5.2022.

[62] Natalja Mamčenko: Meškanci i biznes, jakyj pracjuje na faktyčno okupovanychterytorijach Ukrajiny, ne bojatymut’sja kryminal’noho peresliduvannja: Kabmin proponuje zminy do Kryminal’noho kodeksu, Sudovo-jurydyčna hazeta, 10.8.2022.

[63] Nach Angabe des Bildungsministeriums haben seit Anfang Juni 26 000 ukrainische Lehrer das Land verlassen. Die meisten von ihnen arbeiten online weiter. Stalo vidomo, skil’ky včyteliv vyjichaly z Ukrajiny čerez vijnu. Slovo i Dilo, 9.7.2022.

[64] Violetta Orlova: Čy otrymajut’ atestaty vypusknyky z okupovanych terytorij: u MON pojasnyly. Unian, 18.05.2022.

[65] Jurij Korohods’kyj: Minosvity rekomenduje školam samostijno vyznačyty, koly zakinčyt’sja navčal’nyj rik. LB.ua, 2.4.2022.

[66] Mychajlo Zahorodnij. (Ne)problemne ZNO-2022: jak projšlo testuvannja ta čy je rezul’taty zavyščenymy. Ukrainska Pravda, 12.8.2022.

[67] Zajava Minreintehraciji ščodo prymusovoho perechodu zakladiv osvity Chersonu na standarty osvity deržavy-ahresora, in: Ministerstvo z pytan’ reintehraciji tymčasovo okkupovanych terytorij Ukrajiny, 26.5.2022.

[68] U Melitopoli rosijany vykraly načal’nycju upravlinnja osvity – mer. Ukrainska Pravda, 28.3.2022. ‑ Vijs’kovi rf u Kachovci zabraly z domu dyrektora školy. Ukrinform, 30.4.2022. – Na Chersonščyni rosijany vykraly dyrektorku školy. Gazeta.ua, 3.8.2022.

[69] Andrej Serafimov: „A čto, dva raza umirajut?“ Prepodovat’ na okkupirovannych Territorijach Ukrainy vyszavlis’ bolee 200 učitelej iz Rossii. Mediazona, 20.7.2022.

[70] Na okupovanij Luhanščyni bat’kam školjariv pohrožujut’ pozbavlennjam bat’kivs’kych prav. Suspilne Novyny, 2.8.2022.

[71] V Mariupoli okupanty prodovžujut’ navčal’nyj rik do 1 veresnja – radnyk mera. Suspilne Novyny, 26.5.2022.

[72] Ebd.

[73] Okupanty vidpravljajut’ včyteliv z Mariupolja na „atestaciju“ do RF. Suspilne Novyny, 2.7.2022.

[74] Mariupol’s’ki pedahohy, jaki ne pohodylys’ pracjuvaty na okupantiv, stvoryly vlasnu onlajn školu v Kyjevi. 0629.com.ua – Cajt horoda Mariupolja, 19.7.2022.

[75] <www.kspu.edu/PublisherReader.aspx?newsId=15504>.

[76] Rosіjany zachopyly Chersons‘kyj unіversytet і vykrali prorektora – ZMІ, Ukrains’ka pravda, 14.6.2022.

[77] Tat’jana Tomilina vystupila na Skifii v stile Dmitrija Kiseleva. Most.ks.ua.

[78] Rektor ChGU Tat’jana Tomilina: Kto-to ždet Ukrainu, no ja znaju – Rossija zdes’ navsegda! ukraina.ru, 26.7.2022.

[79] Dyplomy ne vyznavatymut': okupacіjna vlada oholosyla nabіr do Chersons’koho deržavnoho unіversytetu. suspilne.media, 15.7.2022.

Volltext als Datei (PDF, 519 kB)