Titelbild Osteuropa 1-2/2023

Aus Osteuropa 1-2/2023

Unter Besatzung
Eine Chronik aus Cherson

Mykola Homanyuk


Abstract in English

Abstract

Gebiet und Stadt Cherson im Südosten der Ukraine standen von März 2022 bis Oktober 2022 vollständig unter russländischer Okkupation. Fast zwei Monate kontrollierten die Besatzer das Gebiet ausschließlich militärisch. Kommunale Behörden, Krankenhäuser, Schulen, Banken und Unternehmen arbeiteten mit unverändertem Leitungspersonal im ukrainischen System. Ende April wurden führende Amtsträger verhaftet, Kollaborateure auf ihre Posten gesetzt. Die Besatzer versuchten, den Rubel als Zahlungsmittel durchzusetzen und erzwangen eine Neuregistrierung von Unternehmen. Ende Juli bereiteten die Kollaborateure mit einer Deklaration die Annexion vor. In ihr wurde das Gebiet Cherson zum Rechtsnachfolger des Gouvernements Taurien des Zarenreichs erklärt und daraus ein ausschließlich im Rahmen der Russländischen Föderation auszuübendes Selbstbestimmungsrecht des Volks von Cherson abgeleitet. Dies war der Weg zur Eingliederung des Gebiets in die Moskauer staatlichen Strukturen und zu den Pseudoreferenden Ende September 2022. Doch bereits im Oktober zogen sich die Besatzer und die Kollaborateure unter dem Druck der ukrainischen Armee schrittweise aus dem rechts des Dnipro gelegenen Teil des Gebiets Cherson zurück. Die Ukraine hofft, im Frühsommer 2023 den weiter unter Besatzung stehenden linksufrigen Teil des Gebiets zu befreien.

(Osteuropa 1-2/2023, S. 69–96)