Held oder Opfer?
Svetlana Aleksievičs Demontage eines sowjetischen Mythos
Abstract in English
Abstract
Für die sowjetische Kultur war der Mythos des männlichen Helden von grundlegender Bedeutung. Er ist Teil eines mythischen Familiendreiecks aus Vater (Herrscher), Mutter (Heimat) und Sohn (Held), das lange vor der Sowjetherrschaft schon prägend war für Russlands Geschichte. Svetlana Aleksievičs Bücher, beginnend mit Zinkjungen (1989), dekonstruieren diesen Mythos. Schon die Vielstimmigkeit des Kriegspanoramas, das sie entfaltet, musste vor dem Hintergrund des monolithischen offiziellen Heldenkults provozierend wirken. Inhaltlich galt ihre Aufmerksamkeit gerade den unheroischen Seiten des Krieges, der „kleinen Geschichte“, dem unspektakulären menschlichen Handeln. Mit der forcierten Wiederbelebung des Heldenkults in Putins Russland gewinnt ihr kritischer Blick neue Aktualität.
(Osteuropa, 3-4/2023, S. 213219)