Der „Führer der Nation“
Putin und das Kollektivbewusstsein in Russland
Abstract in English
Abstract
Russland hat sich in den vergangenen 20 Jahren von einer schwachen Demokratie zu einem repressiven Polizeistaat und nun zur Kriegsdiktatur entwickelt. Die Ursachen sind in einem dynamischen Wechselspiel zwischen der kollektiven Mentalität einer amorphen Gesellschaft und der institutionellen Kontinuität der sowjetischen Unterdrückungsapparate zu sehen. Die Unfähigkeit zu gesellschaftlicher Selbstorganisation und die Sehnsucht nach einem starken Führer trafen auf Mechanismen der bürokratischen Selbstreproduktion. Wahlen dienen nicht der Elitenauslese, sondern der Bestätigung des Führers durch Akklamation. Die Propaganda schreibt ihm Charisma zu, das Kollektivbewusstsein bestätigt diese induzierte Legitimität. Eine zentrale Rolle spielt die staatliche Produktion von Feindbildern. Sie legitimieren den seit 20 Jahren geführten inneren Krieg gegen Andersdenkende und den seit 2014 laufenden äußeren Krieg gegen die Ukraine.
(Osteuropa 5-6/2023, S. 2371)