Nationalismus, Technokratie und Religion
Das Beispiel Tatarstan
Abstract
An dieser Stelle hätte ein Text über die nationale Frage in Tatarstan stehen sollen. Das Manuskript war eingeworben, übersetzt und lektoriert. Redaktionelle Rückfragen hatte der Autor geklärt. Der Text war druckfertig. Dann erklärte das Regime in Moskau die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR OsteuropaKUNDE (DGO) am 1. März 2024 als 143. ausländische Institution zu einer „unerwünschten Organisation“. Betroffen ist damit auch die von der DGO herausgegebene Zeitschrift Osteuropa. Jede Zusammenarbeit mit Osteuropa kann nun für Wissenschaftler und Journalisten in Russland strafrechtliche Folgen haben. Diese reichen von Geldstrafen bis zu mehrjähriger Haft. Wir haben den Autor darüber umgehend informiert. Er sah sich gezwungen, das Manuskript zurückzuziehen, in das er und die Redaktion viel Arbeit investiert hatten. Der Text legte dar, dass in Tatarstan führende Positionen in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft der Republik seit langem von Personen mit einem naturwissenschaftlich-technischen Hintergrund besetzt sind. Deren Denken kreise um die rationale Organisation von Staat und Wirtschaft. Fragen der Identität, der Sprache, der nationalen Kultur und der Selbstbestimmung träten dagegen in den Hintergrund. Sogar der Islam – neben der Sprache ein wichtiges Element tatarischen Selbstverständnisses – werde in einer Weise ausgelegt, die stark technischen Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklung betone. Mit seiner Politik zerstört Russlands Führung die Freiheit der Wissenschaft im Land. Das Putin-Regime untergräbt den internationalen Austausch von Erkenntnissen und verschärft die Isolation Russlands. Es verfolgt das Ziel, den gesellschaftlichen und akademischen Dialog zu kriminalisieren und die eigene Bevölkerung einzuschüchtern. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Aus der Geschichte wissen wir: Die Wahrheit bricht sich Bahn.
Redaktion Osteuropa
(Osteuropa 1-3/2024, S. 235236)