Perspektivenwechsel
100 Jahre historische Osteuropaforschung
Abstract in English
Abstract
Die historische Osteuropaforschung blickt auf eine über einhundertjährige Geschichte zurück: Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts schlugen sich in der Geschichtsschreibung nieder. Waren „der Osten“ und die Slawen seit dem 19. Jahrhundert das Exotische, das befremdliche „Andere“, wurden sie seit Ende der 1920er Jahre zum Objekt deutscher Hegemonialbestrebungen, im Zweiten Weltkrieg zum Opfer genozidaler Kriegsführung. Osteuropa-Historiker lieferten als „kämpfende Wissenschaft“ dazu die Legitimation. Nach dem Krieg herrschten Schweigen, Amnesie und Selbstamnestierung. Die im Krieg aufgewachsene Generation vollzog ab den späten 1960er Jahren den Wechsel zur sozialhistorisch orientierten Geschichtsschreibung. Für nicht so wenige „68er“ waren Marxismus, die Russische Revolution und ihre Folgen kein nur historischer Gegenstand, sondern Anregung für die Deutung der Gegenwart. Heute sind die klassische Geistes-, Wirtschafts- und Politikgeschichte marginalisiert. Die Hinwendung zur neuen Kulturgeschichte hat neue Perspektiven eröffnet, geht aber auch mit Entpolitisierung einher.
(Osteuropa 1-3/2025, S. 131166)