Geschichte einer Zeitschrift
1913–1917: Anfänge
1913 wird im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin die Gesellschaft zum Studium Russlands gegründet. Führende Vertreter aus Universitäten und Zeitungsredaktionen, Konzerndirektoren und Diplomaten des Auswärtigen Amtes gehören ihr an. Der Zweck der Gesellschaft ist wissenschaftlicher und praktischer Natur. Sie soll mit Vorträgen und Publikationen das Wissen über den großen Nachbarn im Osten auf allen Gebieten erweitern: über Politik und Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – und dies in Geschichte und Gegenwart. Und sie soll die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland fördern. Otto Hoetzsch, der die Gesellschaft zum Studium Russlands ins Leben ruft, konstatiert in einer Denkschrift vom Februar 1913: „Vom Wesen des großen Umgestaltungsprozesses der russischen Gegenwart weiß unsere öffentliche Meinung im großen und ganzen nichts. Das Urteil über den Nachbarn muss sicherer werden.“
1917–1945: Brüche
Fünf Jahre später hat der Erste Weltkrieg Europa verwüstet, die politische Landkarte des Kontinents wird neu gezeichnet. Das Zarenreich ist untergegangen, Revolution und Bürgerkrieg erschüttern Russland. Hoetzsch macht im Berlin der 1920er Jahre die Gesellschaft zum Studium Osteuropas (DGSO) zu einer Drehscheibe für Kontakte nach Osten. 1925 erscheint erstmals die Zeitschrift Osteuropa. Doch die Blüte währt nur kurz: Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wird die wissenschaftliche Osteuropaforschung rasch von der völkischen Ostforschung verdrängt, Otto Hoetzsch als „Salonbolschewist“ diffamiert. Juden und russische Emigranten, die als Wissenschaftler und Vermittler im Umfeld der Redaktion gewirkt hatten, verlassen Deutschland oder werden ermordet. Die neue Leitung der Gesellschaft und der Redaktion sorgt für eine Selbstgleichschaltung, die Zeitschrift wird dennoch 1939 nach dem Überfall auf Polen eingestellt.
1945–1989: Kontinuitäten
Nach dem Zweiten Weltkrieg gründet der Hoetzsch-Schüler Klaus Mehnert, der 1934 als Korrespondent nach Moskau gegangen war, 1949 die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO). 1951 erscheint unter seiner Leitung auch die Zeitschrift Osteuropa wieder. Mehnert erreicht mit Büchern über die Sowjetunion ein Millionenpublikum. Die universitäre und außeruniversitäre Osteuropaforschung wird mit Instituten in Berlin, Köln und München in allen Disziplinen ausgebaut. Auf einer DGO-Tagung im Jahr 1963 skizziert Willy Brandt Konturen seiner späteren Ostpolitik. Das Ringen um eine neue Außenpolitik spiegelt sich in Debatten über die Einschätzung des Reformpotentials der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa. 1980 richtet die DGO den 2. Weltkongress der Osteuropaforschung aus. Im Schatten des Kalten Krieges wird jedoch die Mitwirkung der Ostforschung am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg und am Holocaust nur zögerlich aufgearbeitet.
1990–heute: Zeitenwende
Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Überwindung der Teilung Europas beginnt auch für die DGO ein neues Zeitalter. Berlin, wo die Gesellschaft und seit 2003 auch wieder die Redaktion der Zeitschrift Osteuropa ihren Sitz haben, wird von einer „Frontstadt“ erneut zu Europas „Ostbahnhof“. Der Osten europäisiert sich, und mit ihm die DGO. An die Stelle der Feindbeobachtung tritt der Dialog, die Konzentration auf die Sowjetunion weicht einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem vielgestaltigen Osteuropa. 2005 findet unter der Ägide der DGO in Berlin der 7. Weltkongress der Osteuropaforschung statt. Neben Russland stehen heute die Ukraine und Polen im Fokus der interdisziplinären Osteuropaforschung. An der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit bieten DGO und Osteuropa fundierte Expertise zu einer Weltregion, die von den östlichen EU-Staaten bis nach Zentralasien reicht.